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Erstes Kapitel
Fontanes Gestaltungsarbeit an "Effi Briest" beginnt bei den Namen. Die Hauptfigur sollte zunächst Betty von Ottersund heißen, später Betty von Pervenitz. Wenn schließlich Effi Briest daraus wurde, hat das offenbar hauptsächlich mit dem Klang dieses Namens zu tun. An den Herausgeber der "Deutschen Rundschau", Julius Rodenberg, der den Roman im Vorabdruck herausbringen wollte, schreibt Fontane im November 1893:
Titel: "Effi Briest", für mein Gefühl sehr hübsch, weil viel e und i darin ist: das sind die beiden feinen Vokale.
Dasselbe gilt für Geert von Innstetten, der zunächst Hugo von Treskow heißen sollte und für den auch die Vornamen Waldemar und Ralph erwogen wurden.
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Gleich die Eingangsszene mit ihrer Beschreibung des von drei Seiten umschlossenen Briest'schen Gartens ist einer sehr weitgehenden Deutung unterzogen worden. In der 1978 erschienenen Arbeit "Effi Briest - ein Leben nach christlichen Bildern" von Peter Klaus Schuster wird darin eine Anspielung auf mittelalterliche Marien-Darstellungen gesehen. Der Garten gleiche einem 'hortus conclusus', einem geschlossenen Garten, wie er auf mittelalterlichen Bildern oft zu sehen sei, und setze so Effi mit der jungfräulichen Maria gleich.
Maria mit Kind in einem Hortus conclusus - Mittelteil eines Tryptichons von Stefan von Lochner (1400-1451), Wallraf-Richartz-Museum Köln.
Ausgehend von dieser Deutung entwickelt Schuster die These, dass der gesamte Roman eigentlich eine Marien-Geschichte sei: Effis Leben entspreche dem Leben, der Passion und der Himmelfahrt Marias. Innstetten steht dabei für den allmächtigen Gott, Crampas für den Teufel und Annie für das Jesuskind. Fazit dieser Auslegung: Fontane habe mit seinem Roman die unchristliche Unterdrückung der Frau durch das männlich dominierte Christentum seiner Zeit brandmarken wollen. Dieses Christentum nehme die Unschuld der Jungfrau Maria nicht mehr wahr oder versündige sich gar 'teuflisch' an ihr, und sogar die Tochter Annie, sprich Jesus Christus, lasse sie im Stich. Immer wieder lägen 'christliche Bilder', von Schuster auch wiedergegeben, den Szenen des Romans zugrunde, so wie eben auch der Briest'sche Garten dem Hortus conclusus der Marienbilder entspreche.
Benutzte Literatur: Schuster, Peter Klaus
Was ist von dieser Deutung zu halten? Karl S. Guthke hat sie zu Recht eine Fata Morgana genannt, die sich mit ihren 'Beweisen' bis ins Komische hinein selbst bloßstelle. Und in der Tat: Effis Schaukel mit ihren Stricken als Galgen, das Haus in Kessin mit Haifisch und Krokodil als Stall von Bethlehem, Crampas mit lädiertem Arm statt klumpigem Fuß als Teufel usw. - über viele dieser Analogien kann man eigentlich nur lachen.
Benutzte Literatur: Guthke, Karl S.
Auf die diversen weiteren - vermeintlichen - Gestaltungselemente, die Schuster im Rahmen seiner Deutung benennt, soll deshalb hier nicht mehr eingegangen werden. Denn die nächstliegende Frage, warum Fontane sich eine so verdeckte und versteckte Kritik des Christentums ausgedacht haben soll, wo er es doch gleichzeitig ganz unverdeckt kritisiert, wird von Schuster erst gar nicht gestellt. Dabei ist grundsätzlich nicht unrichtig, dass Fontane sich durch die Bildende Kunst hat anregen und in seinem Blick auf die Welt hat beeinflussen lassen, und so mag auch die 'Geschlossenheit' des Briest'schen Gartens einer solchen Anregung zu danken sein. Es genügt aber auch, hier als symbolisches Element den Friedhof wahrzunehmen, insofern Friedhöfe dann auch in Kessin und noch wieder für Effis zweite Wohnung in Berlin in den Blick kommen. Der Gedanke an den Tod, so kann man dies deuten, soll Effis Lebensweg von Anfang an begleiten.
Zweites Kapitel
Sprung zum Absatz 21 des Romantextes Der Zuruf "Effi, komm" ist nach Fontanes Mitteilungen in den Briefen an Hans Hertz vom 2. März 1895 und an Friedrich Spielhagen vom 21. Februar 1896 das auslösende Moment für das Roman-Vorhaben gewesen (Weiteres siehe unter WIRKUNG). Zunächst von Innstetten wiederholt (Kap.3, Abs.15), kehrt er am Schluss noch einmal in dem Telegramm wieder (Kap.34, Abs.13), das Effi in ihr Elternhaus zurückruft. Mit besonderer Bedeutung befrachten sollte man dieses dreimalige "Effi, komm" jedoch nicht. Nach Fontanes Vorstellung waren für den Roman als 'Kunstwerk' solche Motiv-Wiederholungen geboten (sie stammen eigentlich aus der Lyrik), und er hat dieses Mittel vielfach eingesetzt.
Drittes Kapitel
Sprung zum Absatz 01 des Romantextes
...  s i e  hatte es nicht sein können, nun war es statt ihrer die Tochter - alles in allem ebenso gut oder vielleicht noch besser.
Es gehört zu den wirklichen Rätselhaftigkeiten dieses Romans, dass Effis Eltern keinerlei Bedenken tragen, ihre gerade 17 Jahre alt gewordene Tochter binnen drei Monaten an einen 21 Jahre älteren Mann zu verheiraten, der 18 Jahre vorher schon um die Mutter geworben hat. Es mag sein, dass Fontane einen solchen Fall kannte - typisch war er nicht. Nach den preußischen Heirats-Statistiken lag die Zahl der Eheschließungen zwischen Frauen unter 20 und Männern über 30 zu dieser Zeit bei unter zwei Prozent, d.h. die Heirats-Altersdifferenz von 17 zu 38 Jahren dürfte im Promille-Bereich gelegen haben.
Benutzte Literatur: Jahrbuch für die amtliche Statistik des 
Preußischen Staats. Bd. IV,1
Sprung zum Absatz  des Romantextes Außerdem wäre in solchen Fällen eine Verlobungszeit von einem Jahr das allermindeste gewesen, nur drei Monate waren für eine 17-jährige schlicht skandalös. Und in jeder Hinsicht unbegreiflich ist die Bedenkenlosigkeit, mit der hier eine Werbung nacheinander um Mutter und Tochter hingenommen wird. Wenn schon nicht die Mutter, hätte wenigstens der 50-jährige Briest diese ersatzweise Inanspruchnahme seiner Tochter verhindern müssen.
Warum hat Fontane die Abnormität dieser Konstellation nicht erkannt bzw. sie nicht deutlicher hervorgehoben? Jedes Eingehen auf sie hätte bedeutet, den Blick von Effi abzulenken und ihre Eltern zu maßgeblich Mithandelnden zu machen. Zumal bei Berührung der Schuldfrage hätte sich das Interesse dann unweigerlich stärker auf sie richten müssen, und das sollte nicht sein. Eine andere Konstellation zu finden, bei der eine 17-jährige einen so viel älteren Mann auf der Stelle heiraten darf, wäre aber nicht leicht möglich gewesen, und so kann Fontane das Außergewöhnliche daran nur beiseite lassen. Da in den Fürstenhäusern (wenn auch nur dort) damals solche Fälle noch vorkamen, fiel es den meisten Lesern als unpassend auch nicht auf.
Viertes Kapitel
Sprung zum Absatz 60 des Romantextes
"Warum soll ich ihn nicht lieben? Ich liebe Hulda, und ich liebe Bertha, und ich liebe Hertha. Und ich liebe auch den alten Niemeyer. Und daß ich Euch liebe, davon spreche ich gar nicht erst. Ich liebe alle, die's gut mit mir meinen und gütig gegen mich sind und mich verwöhnen. Und Geert wird mich auch wohl verwöhnen. Natürlich auf seine Art. Er will mir ja schon Schmuck schenken in Venedig. Er hat keine Ahnung davon, daß ich mir nichts aus Schmuck mache. Ich klettere lieber und ich schaukle mich lieber, und am liebsten immer in der Furcht, daß es irgendwo reißen oder brechen und ich niederstürzen könnte. Den Kopf wird es ja nicht gleich kosten."
Mit dieser Passage werden zwei für die weitere Handlung wichtige Andeutungen gemacht. Zum einen wird auf Effis geringes Interesse an einer wirklichen Liebe hingewiesen. Wenn sie ihr Verhältnis zu Innstetten mit dem zu Bertha, Hertha und Niemeyer gleichsetzt und überhaupt jeden zu lieben erklärt, der sie 'verwöhnt', so lässt das auf eine ziemliche Gleichgültigkeit Männern gegenüber schließen. Ihr Vater sagt ja auch von ihr (Kap.5, Abs.30), sie gehöre "nicht zu denen, die so recht eigentlich auf Liebe gestellt sind". Zum anderen wird damit auf ihre Neigung hingewiesen, sich bloß aus Nervenkitzel in Gefahr zu begeben. Beides soll im Voraus wohl eine Erklärung für ihr Sich-Einlassen mit Crampas sein, das dann unmittelbar nicht mehr erklärt wird. Auch dort geht es ihr demnach nicht um Liebe, sondern um Lust auf Abwechslung und den Reiz der Gefahr.
Fünftes Kapitel
Sprung zum Absatz 09 des Romantextes
"Nein, gewiß nicht; jedenfalls wollen wir darüber nicht streiten; es ist ein weites Feld."
Die hier erstmals auftauchende Redewendung vom 'weiten Feld', schon in diesem Kapitel noch weitere zweimal gebraucht, ist auch vor "Effi Briest" schon vielfach belegt, hat aber erst durch ihre sechsmalige Wiederholung in diesem Roman Zitatcharakter angenommen. Als Gestaltungsmittel zur Personenkennzeichnung hat Fontane dieses Wiederholungs-Moment wohl durch die englische Literatur kennen gelernt, hat es aber in die deutsche Literatur beispielhaft eingeführt. Auch in seinen Romanen "L'Adultera", "Frau Jenny Treibel", "Mathilde Möhrung" und weiteren finden sich Beispiele dafür. In der Terminologie der Literaturwissenschaft handelt es sich um ein Leitmotiv, also eine zur inneren Bindung der Handlung oder zur Wiedererkennung bestimmter Figuren dienende Wiederholung. Maßgeblich beeinflusst hat Fontane damit Thomas Mann, der schon in den "Buddenbrooks" (1901) von diesem Mittel ausgiebig Gebrauch macht.
Sechstes Kapitel
Sprung zum Absatz 19 des Romantextes
"... Wenn Du nicht furchtsam bist, will ich Dir bei Gelegenheit 'mal sein Grab zeigen; es liegt zwischen den Dünen, bloß Strandhafer drum'rum und dann und wann ein paar Immortellen, und immer hört man das Meer. Es ist sehr schön und sehr schauerlich."
Die Geschichte mit dem Chinesen durchzieht den ganzen Roman und soll in ihrer Undeutlichkeit auch für den Leser etwas Beunruhigendes haben. An Joseph Viktor Widmann schreibt Fontane am 19. November 1895:
Sie sind der erste, der auf das Spukhaus und den Chinesen hinweist; ich begreife nicht, wie man daran vorbeisehen kann, denn erstlich ist dieser Spuk, so bilde ich mir wenigstens ein, an und für sich interessant, und zweitens, wie Sie hervorgehoben haben, steht die Sache nicht zum Spaß da, sondern ist ein Drehpunkt für die ganze Geschichte.
Hier, bei der Einführung der Geschichte, wird von Innstetten (und vom Autor) erst einmal gar nichts gesagt, sondern nur eine gewisse Unheimlichkeit angedeutet. Nur wenn Effi 'nicht furchtsam' ist, soll ihr das Grab gezeigt werden - als ob von diesem allein schon etwas Furchteinflößendes ausgehen könnte. Effi gibt jedoch sofort zu verstehen, das sie sich leicht fürchtet - "ich habe dann immer gleich Visionen und Träume" - und begünstigt damit Innstettens Neigung, mit dieser Geschichte sein Spiel zu treiben. Ihr deshalb auch die Schuld an dem Spuk-Gebrauch zu geben, wie das geschehen ist, geht allerdings zu weit, allenfalls von einem gewissen Bedürfnis, sich zu gruseln, kann man bei ihr sprechen.
Benutzte Literatur: Todtenhaupt, Martin
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Sprung zum Absatz 02 des Romantextes
Nur in einem standen drei Binsenstühle ... (auf einen) war ein kleines, nur einen halber Finger langes Bildchen geklebt, das einen Chinesen darstellte ... Innstetten selber schien von dem Bildchen überrascht und versicherte, daß er es nicht wisse. "Das hat Christel angeklebt oder Johanna. Spielerei. Du kannst sehen, es ist aus einer Fibel herausgeschnitten." Effi fand es auch und war nur verwundert, daß Innstetten alles so ernsthaft nahm, als ob es doch etwas sei.
Fontane deutet hier an, dass Innstetten mit dem Chinesen-Spuk vielleicht schon etwas im Schilde führt. Er 'scheint überrascht' von dem Bild, d.h. sieht sich möglicherweise in seinem Vorhaben, den Spuk gegen Effi zu nutzen, in diesem Moment ertappt. Ob es wirklich so ist, bleibt offen, doch nimmt Fontane auch dadurch den Leser gegen ihn ein. Denn er unterlässt es auch, den Argwohn Effis als Einbildung abzutun und ihn auf diese Weise schuldlos erscheinen zu lassen. Auch dass Innstetten das Bildchen nicht einfach abreißt und Effis Beunruhigung damit ein Ende macht, kann man in diesem Sinne deuten.
Neuntes Kapitel
Sprung zum Absatz 17 des Romantextes
Arme Effi. Wie sollte sie den Abend verbringen?
Die Anrede einer Romanfigur durch den Autor gehört eigentlich einer älteren Romantradition an und galt dem Realismus als nicht mehr zeitgemäß. Friedrich Spielhagen hat in einem Aufsatz "Ueber Objektivetät im Roman" (Vermischte Schriften, 1864) jedes Hineinreden des Autors in die Vorstellungswelt seiner Figuren als nicht objektiv verworfen und damit eine allgemeine Tendenz der Romanentwicklung des 19. Jahrhunderts formuliert. Fontane war damit jedoch zunächst nicht einverstanden. Am 14. Januar 1879 schreibt er an Wilhelm Hertz:
... die Stelle, daß der Erzähler nicht mitsprechen darf, weil es gegen das 'epische Stilgesetz' sei, erscheint mir als reine Quackelei. Gerade die besten, berühmtesten, entzückensten Erzähler, besonders unter den Engländern, haben es immer gethan. Dies beständige Vorspringen des Puppenspielers in Person, hat für mich einen außerordentlichen Reiz und ist recht eigentlich das, was jene Ruhe und Behaglichkeit schafft, die sich beim Epischen einstellen soll. Die jetzt modische 'dramatische' Behandlung der Dinge hat zum Sensationellen geführt.
Von dieser Meinung kam Fontane im Wege seines Romanschaffens aber immer mehr ab und gab schließlich Spielhagen weitgehend Recht. Am 15. Februar 1896 schreibt er an ihn:
Das Hineinreden des Schriftstellers ist fast immer vom Uebel, mindestens überflüssig. Und was überflüssig ist, ist falsch. Allerdings wird es mitunter schwer festzustellen sein, wo das Hineinreden beginnt; der Schriftsteller muß doch auch, als er, eine Menge thun und sagen, sonst geht es eben nicht, oder wird Künstelei. Nur des Urtheilens, des Predigens, des klug- und weiseseins muß er sich enthalten. Vielleicht liegt es so wie mit Finanzfragen; nachdem man sich für Handelsfreiheit begeistert, erkennt man widerwillig, daß es ohne einen kleinen Schutzzoll nicht geht.
Das "Arme Effi", das sich auch am Schluss noch einmal findet (Kap.36, Abs.6), ist ein solcher kleiner Schutzzoll, der allerdings nur deutlich macht, was auch sonst offenkundig ist: dass Fontane Effi gegenüber nicht 'objektiv' sein will. Vielmehr, wie er an Colmar Grünhagen am 10. Oktober 1895 schreibt, hat er zu ihr und überhaupt zu seinen Frauenfiguren schon beinahe ein Liebesverhältnis:
Dies Natürliche hat es mir seit lange angetan, ich lege nur darauf Gewicht, fühle mich nur dadurch angezogen, und dies ist wohl der Grund, warum meine Frauengestalten alle einen Knacks weghaben. Gerade dadurch sind sie mir lieb, ich verliebe mich in sie, nicht um ihrer Tugenden, sondern um ihrer Menschlichkeiten, d.h. um ihrer Schwächen und Sünden willen ... Dies alles, um Cecile und Effi ein wenig zu erklären.
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Sprung zum Absatz 70 des Romantextes
"Und wenn ich mich recht frage ... ich mag es nicht sagen, Johanna ... aber ich glaube, der Chinese."
Auch mit dem Alptraum, den Effi infolge ihres ersten nächtlichen Alleinseins hat, beteiligt sich Fontane an der Spukgeschichte. Es scheint, als sei tatsächlich etwas vorgegangen, nur wird weder aufgeklärt was, noch lässt sich ein Grund für das Erscheinen des Chinesen erkennen. Effis Ängste lassen sich deshalb auch nicht als Einbildung abtun.
Zehntes Kapitel
Sprung zum Absatz 41 des Romantextes
"Daß Bacillen herumfliegen, von denen Du gehört haben wirst, ist viel schlimmer und gefährlicher als diese ganze Geistertummelage. Vorausgesetzt, daß sie sich tummeln, daß so 'was wirklich existiert."
Mit seinem 'Vorausgesetzt, dass' verunsichert Innstetten trotz scheinbarer Sachlichkeit Effi weiter. Während er Wüllersdorf gegenüber den Spuk für 'dummes Zeug' erklärt (Kap.28, Abs.25), gibt er ihn hier für immerhin möglich aus, gebraucht ihn also tatsächlich, wie Crampas bemerkt (Kap.16, Abs.46), zu Effis Einschüchterung.
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Sprung zum Absatz 75 des Romantextes
"Also dieser Chinese war Diener bei Thomsen, und Thomsen hielt so große Stücke auf ihn, daß er eigentlich mehr Freund als Diener war ..."
Aber auch von Seiten des Autors behält die Chinesen-Geschichte, hier erstmals vollständig wiedergegeben, einen Rest an Geheimnis. Warum - woran - starb der Chinese und was hatte dies mit dem Verschwinden der Braut zu tun? Wirklich aufgeklärt wird der hier angedeutete Zusammenhang auch später nicht, d.h. auch für den Leser bleiben Teile der Geschichte im Dunklen.
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Sprung zum Absatz 18 des Romantextes
... und seiner Enkelin, die mit einem hiesigen jungen Kapitän eine kurze Zeit verlobt war und an ihrem Hochzeitstage plötzlich verschwand. Das möchte hingeh'n. Aber was wichtiger ist, ein junger Chinese, den ihr Vater aus China mit zurückgebracht hatte und der erst der Diener und dann der Freund des Alten war, der starb kurze Zeit danach und ist an einer einsamen Stelle neben dem Kirchhof begraben worden.
Effis weitere Beschäftigung mit der Chinesen-Geschichte rankt sich genau um den Punkt, den Innstetten (bzw. Fontane) unaufgeklärt lässt, nämlich was der Tod des Chinesen mit dem Verschwinden der Braut zu tun hat. Darüber hinaus stellt Effi sich einen 'jungen Kapitän' und einen 'jungen Chinesen' vor (in Innstettens Erzählung fehlen diese Attribute) und vergößert sich damit den Reiz und das Rätsel um diese Geschichte. Eine eingebildete Aufregung, so kann man dies deuten, ersetzt ihr die wirkliche, weshalb auch, als die Affäre mit Crampas beginnt, der Chinesen-Spuk seine Macht über sie verliert.
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sprung zum Absatz 62 des Romantextes
"... Abwechslung ist des Lebens Reiz, eine Wahrheit, die freilich jede glückliche Ehe zu widerlegen scheint." - "Wenn es glückliche Ehen giebt, die meinige ausgenommen ..." und sie reichte Innstetten die Hand.
Nach ihrem Wegzug von Kessin erinnert sich Effi an diese erste private Begegnung mit Crampas mit den Worten: "Das war der erste Tag; da fing es an." (Kap.24, Abs.101). Und in der Tat werden hier von Fontane die ersten Signale einer Annäherung zwischen ihnen gegeben. Ihre Bekundung, dass ihre Ehe - als große Ausnahme - glücklich sei, kann von Crampas kaum anders denn als Beschönigung und somit als Einladung zu einer Werbung aufgefasst werden - denn warum überhaupt macht sie ihr Eheglück ihm gegenüber zum Thema? Im weiteren flirtet sie regelrecht mit ihm und nimmt zuletzt - wie zum Schutz oder zur Rückversicherung - ihr Kind in die Arme und hält es "stolz und glücklich in die Höhe". Da sie sich in der späteren Szene auch daran genau erinnert, ist der Sinn dieser Geste - auch für Crampas - nicht misszuverstehen: 'Gäbe es das Kind nicht', bedeutet sie, 'wer weiß, wozu ich im Stande wäre'.
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Sprung zum Absatz 18 des Romantextes
"... Ich glaube wirklich, Major, Sie hielten es für ganz in Ordnung, wenn ich Ihnen eine Liebeserklärung machte."
Diese Bemerkung Effis und das, was ihr folgt, lassen keinen Zweifel, dass sie es ist, die die Annäherung an Crampas betreibt. Jedenfalls ermutigt sie ihn zu immer deutlicheren Bekundungen seiner Zuneigung. Auch die Übertragung des von ihm einbehaltenen Glases auf die Goethe'sche Ballade und das Ansprechen ihrer Rolle als seiner möglichen Geliebten ist Effis Sache, sie erst stellt diesen Zusammenhang her. Das in den Äußerungen zu diesem Roman verbreitete Urteil, Crampas sei der Schuldige, ist also nicht gerechtfertigt, Fontane zeigt Effi maßgeblich an der Herbeiführung des Verhältnisses beteiligt.
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Sprung zum Absatz 60 des Romantextes
Sie litt schwer darunter und wollte sich befreien. Aber wiewohl sie starker Empfindungen fähig war, so war sie doch keine starke Natur; ihr fehlte die Nachhaltigkeit, und alle guten Anwandlungen gingen wieder vorüber. So trieb sie denn weiter, heute, weil sie's nicht ändern konnte, morgen, weil sie's nicht ändern wollte. Das Verbotene, das Geheimnisvolle hatte seine Macht über sie.
Was mit diesen wenigen Sätzen angedeutet ist, heißt nichts anderes, als dass Effi sich nach der Schlittenfahrt mit Crampas verabredet hat und sich nun regelmäßig heimlich mit ihm trifft - in einem Haus in den Dünen, wie sehr viel später (Kap.27, Abs.15) erschließbar wird. Das Versteckte dieser Andeutungen ließ bei Erscheinen des Romans viele rätseln, ob überhaupt etwas und wieviel in dem Verhältnis mit Crampas geschehen sei. Joseph Victor Widmann in seiner Rezension im Berner BUND vom 17. November 1895 schreibt:
Dagegen kommt die Mitteilung, daß Effie wirklich den Verführungskünsten des Majors unterlegen ist, dem Leser doch etwas unerwartet; die Schlittenfahrt genügt nicht ganz, ihren Fall glaubhaft zu machen. Es sind so viele gesunde Züge in dieser von allen Lesern und Leserinnen geliebten Effie, daß wir bei der ersten Andeutung des Dichters, der Schritt vom Wege sei gethan worden, ganz bestürzt sind. Ich kann mir freilich vorstellen, daß es dem auf seinem schönen, freien Astronomenturm des Alters wohnenden Dichter nicht mehr ums Herz war, den Blick, der nach strahlenden Sternen ewiger Güte und Weisheit ausschaut, lange in die Niederung der Leidenschaften zu senken, in jene Gegend, wo Malarianebel den Sumpf andeuten. Doch scheint mir, Effies Fall komme zu plötzlich, stehe zu unerwartet als vollendete Thatsache da.
In einer Rezension in "Westermanns Illustrierten Deutschen Monatsheften" (40. Jahrgang, Bd. 80, September 1896) wird sogar angenommen, dass Effi nur "durch eine Flirtation, die vor der Ehe gar nicht gefährlich sein würde, ein Duell veranlaßt" habe, wird also der wahre Sachverhalt überhaupt nicht erkannt. Friedrich Spielhagen wiederum in seinem Aufsatz "Die Wahlverwandtschaften und Effi Biest" breitet die Andeutungen detailliert vor sich aus, um sich der Richtigkeit seiner Vermutung zu versichern:
Vielleicht, daß mancher Leser wünscht, der Dichter wäre in der Darstellung der Liebesaffaire ausführlicher, weniger diskret gewesen; und sich beklagt, er wisse jetzt nicht, wie weit sich denn eigentlich die Unglückliche verschuldet. ... Und wer sich aus ihrem nachträglichen Seelenzustand, ihrer Angst vor Entdeckung, ihrem Ekel bei Erinnerung des Geschehen die Höhe ihrer Schuld noch immer nicht herausrechnen kann, dem wird sie klar werden bei dem Benehmen des Gatten nach der Entdeckung. Um einer bloßen Flirtation willen - besonders, wenn sie sechs Jahre zurückliegt und die Betreffende seitdem auch nicht den kleinsten Schritt vom Wege gewichen ist - fühlt auch ein so korrekter Mann, wie Innstetten, sich nicht so beleidigt, daß er den ehemaligen Rivalen fordern und totschießen muß.
Benutzte Literatur: Schafarschik, Walter
Sprung zum Absatz  des Romantextes Warum hat Fontane die für das Gesamtgeschehen so wichtigen Vorgänge um das Verhältnis mit Crampas nicht deutlicher dargestellt? In einem Brief an Ernst Heilborn vom 24. November 1895 schreibt er:
Sie sind, wie ich zu meiner Freude sehe, auch einverstanden damit, daß ich, in den intrikaten Situationen, der Phantasie des Lesers viel überlasse; dies anders zu machen wäre mir ganz unmöglich, und ich würde totale Dunkelheiten immer noch einer Gasglühlichtbeleuchtung von Dingen vorziehen, die, selbst wenn ihre Darstellung geglückt ist (ein sehr selten vorkommender Fall), immer noch mißglückt wirken.
Eine wirkliche Erklärung ist dies jedoch nicht. Es hätte ja keiner Szenen in 'Glühlichtbeleuchtung' bedurft, um Effis heimliche Treffen mit Crampas unmissverständlich einzubeziehen. Vielmehr sollte wohl einfach der Blick auf diese 'Schritte vom Wege' nicht fallen, weil unweigerlich Effis Unschulds-Bild darunter gelitten hätte. Wäre man Zeuge, wie sie sich heimlich mit Crampas trifft, wie sie Innstetten, der sie ja liebt, immer wieder täuschen und belügen muss, müsste man auch ihre dann notwendigen Ausreden und Selbstrechtfertigungen zur Kenntnis nehmen - sie ginge auf keinen Fall unbeschadet aus dieser Geschichte hervor. Dass man sich im Nachhinein all dies ausrechnen kann, wirkt sich auf ihr Wesensbild längst nicht so negativ aus, wie es eine direkte Wiedergabe getan hätte.
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Sprung zum Absatz 61 des Romantextes
... und im selben Augenblicke war es ihr, als sähe ihr wer über die Schulter. Aber sie besann sich rasch. "Ich weiß schon, was es ist; es war nicht  d e r ," und sie wies mit dem Finger nach dem Spukzimmer oben. "Es war 'was anderes ... mein Gewissen ... Effi, Du bist verloren."
Wenn Effi wegen ihrer Liebschaft mit Crampas statt von dem Chinesen nun von ihrem Gewissen heimgesucht wird, so zeigt das die enge Verbindung zwischen dem Spuk und ihren geheimen Bedürfnissen an. Der Chinese ist für sie Inbegriff eines erotischen Abenteuers, sicherlich mehr befürchtet als gewünscht, aber doch als Verlockung in ihrer langweiligen Ehe immer gegenwärtig. Jetzt, wo sie dieses Abenteuer erlebt, hat der Spuk seine Bedrohlichkeit für sie verloren. Sie ahnt oder sie weiß schon, dass sie sich damit ins Unrecht setzt und die Folgen sie eines Tages einholen werden - so wie auch dem Chinesen sein Verhältnis zu der verschwundenen Braut vermutlich zum Verhängnis geworden ist.
Einundzwanzigstes Kapitel
Sprung zum Absatz 02 des Romantextes
Die Spaziergänge nach dem Strand und der Plantage, die sie, während Crampas in Stettin war, aufgegeben hatte, nahm sie nach seiner Rückkehr wieder auf und ließ sich auch durch ungünstige Witterung nicht davon abhalten.
Wenn sich Effi, wie aus dieser Andeutung zu folgern, nahezu täglich mit Crampas trifft, sollte man annehmen, dass sie doch mehr für ihn empfindet, als aus ihrer späteren Bemerkung, sie habe ihn nicht geliebt, zu entnehmen ist. Das gilt erst recht, wenn man die von Innstetten dann aufgefundenen Briefe einbezieht. Ihnen zufolge hat sie Crampas sogar um eine gemeinsame Flucht gebeten (Kap.27, Abs.16), also vorgehabt, sich für immer an ihn zu binden. Auch in dieser Hinsicht jedoch lässt Fontane ihre Erwartungen oder Absichten im Dunkeln, die ganze Affäre mit Crampas soll keiner genaueren Beurteilung unterzogen werden können.
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Sprung zum Absatz 08 des Romantextes
"Entweder," fuhr Roswitha fort, "war es eine unglückliche Liebe (die Kruse nickte wieder), oder es kann auch eine glückliche gewesen sein und der Chinese konnte es bloß nicht aushalten, daß es alles mit einemmal so wieder vorbei sein sollte. Denn die Chinesen sind doch auch Menschen, und es wird wohl alles ebenso mit ihnen sein, wie mit uns."
Diese letzte - halbe - Aufklärung der Chinesengeschichte wird bezeichnenderweise nicht mehr für Effi, sondern nur noch für den Leser gegeben. Für sie ist diese Geschichte nicht mehr wichtig. Der Chinese hat demnach wahrscheinlich ein Verhältnis mit der Braut gehabt, hat ihr vielleicht zur Flucht verholfen, weil sie den ihr vom Vater zudiktierten Mann nicht heiraten wollte, und ist dann aus Kummer um ihren Verlust gestorben. Wenn es schon zu Anfang heißt, der Chinese hätte eigentlich ein christliches Begräbnis verdient gehabt, weil er 'gerade so gut' gewesen sei wie die anderen (Kap.10, Abs.75), so deutet das ebenfalls einen solchen Hintergrund an.
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Sprung zum Absatz 78 des Romantextes
Innstetten verfärbte sich. Was war das? Etwas, was seit Wochen flüchtig, aber doch immer sich erneuernd über ihn kam, war wieder da und sprach so deutlich aus seinem Auge, daß Effi davor erschrak.
An dieser Stelle ist gut zu sehen, wie einseitig - oder parteilich - Fontane von seinem Allwissen als Erzähler Gebrauch macht. Für einen kurzen Moment wird hier - 'Was war das?' - in Erlebter Rede der Blick auf Innstettens Erschrecken gelenkt. Doch schon im nächsten Satz spricht dieses Erschrecken nur noch aus seinem Auge und es ist wiederum Effi, die erschrickt und um deren Gedanken und Sorgen es dann allein wieder geht. Gedanken und Sorgen, die man kennt, teilt man aber auch, und so werden eben immer wieder nur Effi die Sympathien des Lesers zugeführt.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Sprung zum Absatz 44 des Romantextes
Effi glaubte, nicht recht gehört zu haben. "Crampas," wiederholte sie mit Anstrengung. "Ich habe den Namen als Ortsnamen nie gehört ..."
Die Übereinstimmung des Namens Crampas mit einem Ortsnamen ist kein Zufall, sondern Fontane hat den Kessiner Major mit diesem Namen gerade nur belegt, damit Effi durch einen Ortsnamen an ihn erinnert werden kann. Zunächst sollte Crampas 'Zinnowitz' heißen, was mit dem Badeort am Nordende von Usedom übereingestimmt hätte. Dass daraus Crampas wurde, hat zum einen vermutlich mit der - gegenüber Zinnowitz - geringeren Bekanntheit dieses Namens zu tun, womit die Parallelstellung mit einem Ortsnamen weniger auffällt, und es erlaubte zum anderen die Verbindung mit den Unheimlichkeits-Momenten der Rügener Sagen-Welt.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sprung zum Absatz 13 des Romantextes
... als aber eine lange, lange Zeit - sie waren schon im siebenten Jahre in ihrer neuen Stellung - vergangen war ...
Da die Übersiedlung nach Berlin den maßgebenden Datierungshinweisen zufolge in das Frühjahr 1880 fällt und die Abreise Effis nach Schwalbach auf den "24. Juni (Johannistag)" festgesetzt wird, handelt es sich hier um das Jahr 1886. Fontane führt das Geschehen damit an den Zeitpunkt des Duells zwischen Ardenne und Hartwich im Herbst 1886 heran, das den eigentlichen Anstoß für den Roman gegeben hatte.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Sprung zum Absatz 07 des Romantextes
... flog alles, was ihr dabei zu Händen kam, auf das breite Fensterbrett: Nähzeug, Nadelkissen, Rollen mit Zwirn und Seide, kleine vertrocknete Veilchensträußchen, Karten, Billetts, zuletzt ein kleines Konvolut von Briefen, das unter dem dritten Einsatz gelegen hatte, ganz unten, mit einem roten Seidenfaden umwickelt.
Die Entdeckung aufbewahrter Briefe als Anlass für das Duell geht auf die Ardenne-Geschichte zurück (siehe unter ARDENNE), in der allerdings der Briefwechsel ganz aktuell stattfand. Fontane war sich einer gewissen Unwahrscheinlichkeit dieses Momentes auch bewußt - "Wozu giebt es Öfen und Kamine?", fragt die Geheimrätin Zwicker, als sie davon erfährt (Kap.31, Abs.26) -, fand aber für die späte Entdeckung kein anderes Motiv. An Hermann Wichmann schreibt er am 24. April 1896:
Ja, die nicht verbrannten Briefe in "Effi"! Unwahrscheinlich ist es gar nicht. Dergleichen kommt immerzu vor. Die Menschen können sich nicht trennen von dem, woran ihre Schuld haftet. Unwahrscheinlich ist es nicht, aber es ist leider trivial. Das habe ich von allem Anfang an sehr stark empfunden, und ich hatte eine Menge anderer Entdeckungen in Vorrat. Aber ich habe nichts davon benutzt, weil alles wenig natürlich war, und das gesucht Wirkende ist noch schlimmer als das Triviale. So wählte ich von zwei Übeln das kleinere.
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Sprung zum Absatz 51 des Romantextes
"... Ich bin, und dabei bleibt es, von diesem Augenblicke an ein Gegenstand Ihrer Teilnahme (schon nicht etwas sehr Angenehmes), und jedes Wort, das Sie mich mit meiner Frau wechseln hören, unterliegt Ihrer Kontrolle, Sie mögen wollen oder nicht, und wenn meine Frau von Treue spricht oder, wie Frauen thun, über eine andere zu Gericht sitzt, so weiß ich nicht, wo ich mit meinen Blicken hin soll."
Dem Dialog zwischen Innstetten und Wüllersdorf ist oft bescheinigt worden, dass er die Bindung des Menschen an gesellschaftliche Zwänge, seine Abhängigkeit von Normen und Konventionen mit unvergleichlicher Präzision zum Ausdruck bringe. Das mündet dann ein in die Feststellung, dass Innstetten keine Wahl habe, läuft also auf eine Bestätigung des Fazits von Wüllersdorf hinaus, er finde es furchtbar, dass Innstetten Recht habe, aber er habe Recht. Dem widerspricht allerdings, dass Innstetten selbst hinterher zu der Einsicht kommt, dass er auf das Duell auch hätte verzichten können, jedenfalls, wenn er die Briefe verbrannt hätte (Kap.29, Abs.1).
Ist aber Wüllersdorfs Mitwisserschaft ein zwingender Grund? Gegenstand von dessen Teilnahme bleibt Innstetten natürlich auch, wenn er sich duelliert, da gibt es keinen Unterschied. Und seine Befürchtung, Effi könnte in Gegenwart Wüllersdorfs über untreue Ehefrauen herziehen und er - Innstetten - wüsste nicht, wo er mit seinen Blicken hin soll? Eine solche Konstellation ist so unwahrscheinlich, dass man sie ausschließen darf - eine Frau in Effis Lage würde sich eher die Zunge abbeißen, als ein solches Thema neben ihrem Gatten vor Dritten zu berühren. So sind Innstettens Argumente keineswegs zwingend, nur er selbst ist nicht souverän genug, diese Geschichte auf sich beruhen zu lassen. Dass Wüllersdorf ihm die Ausweglosigkeit seiner Situation ausdrücklich bestätigt, kann man auch so verstehen, dass er weiteren Widerspruch für zwecklos hält - Innstetten will eben keine andere Lösung und so muss er ihm beistehen.
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel
Sprung zum Absatz 29 des Romantextes
"... unsre gnäd'ge Frau wird erst sechsundzwanzig, und im August ist ihr Geburtstag ..."
Der Zeit- und Altershinweis ist hier nicht ganz stimmig. Da Effi nach den Angaben in Kapitel 25 am 24. Juni zu ihrer sechswöchigen Kur aufbricht und es in Kapitel 26 heißt, sie sei nunmehr die fünfte Woche fort, muss es zu diesem Zeitpunkt Anfang August sein. Die Entdeckung der Briefe und das Duell fallen also in einen Augusttag des Jahres 1886, welches Jahr nach der Zeitbestimmung in Kapitel 24 und 25 dafür nur infrage kommt. Die Bemerkung, Effi werde "im August" sechsundzwanzig, ist also nicht besonders plausibel. Entweder wäre sie in den ersten Augusttagen dieses Jahres gerade 25 Jahre alt geworden (dann würde man nicht sagen, sie werde im August 26, weil das ja noch ein Jahr hin ist), oder ihr Geburtstag stünde noch bevor, dann müsste es heißen, sie werde demnächst 26 (oder richtig 25) und nicht 'im August'. So oder so ist also die Monatsangabe hier fehl am Platz, d.h. Fontane hat den Handlungszeitpunkt an dieser Stelle nicht gegenwärtig gehabt. Das kann zugleich die irrtümliche Altersangabe für Effi erklären, die bei der Trennung von Innstetten nach allen sonstigen Verweisen nur erst 25 Jahre alt ist.
Dreißigstes Kapitel
Sprung zum Absatz 22 des Romantextes
"... und, wenn es nicht indiskret ist, so möcht' ich, angesichts dieser Ihrer Vorzüge, wohl fragen dürfen, stützt sich das, was Sie da sagen, auf allerlei Schmerzliches, das Sie persönlich erlebt haben?"
Mit dieser Frage nimmt Fontane Effis Briefäußerung an Innstetten wieder auf, dass es ihr nicht leicht falle, auf gewisse 'Geständnisse' der Geheimrätin Zwicker zu verzichten (Kap.26, Abs.1). Er charakterisiert damit sehr schön den Zwiespalt, in dem sie sich befindet. Einerseits fühlt sie sich von den Anspielungen der Zwicker abgestoßen - z.B. von deren Unterstellung, Innstetten amüsiere sich wahrscheinlich mit einem Hausmädchen und schreibe ihr deshalb nicht (Kap.30, Abs.4) -, andererseits möchte sie doch gern Geschichten dieser Art hören. Wenn es nicht bloß Neugier ist, mag es auch den Zweck haben, sich von ihrem eigenen 'Fall' einen allgemeineren Begriff zu machen .
Einunddreißigstes Kapitel
Zweiunddreißigstes Kapitel
Dreiunddreißigstes Kapitel
Sprung zum Absatz 38 des Romantextes
Kaum aber, daß Roswitha draußen die Thür ins Schloß gezogen hatte, so riß Effi, weil sie zu ersticken drohte, ihr Kleid auf und verfiel in ein krampfhaftes Lachen ...
Der Ausbruch Effis gegen die Abrichtung ihres Kindes, gegen die Kleinlichkeit Innstettens und gegen seinen unmenschlichen Ehrbegriff ist zwar eine im Zorn gesprochene, aber fraglos auch von Fontane vertretene Anklage. Dabei mag ihm zumal der Scheidungsfall Ardenne vor Augen gestanden haben, bei dem es ja zu einer völligen Trennung der beiden Kinder von ihrer Mutter kam. Für Effi müsste man kritisch einwenden, dass diese Wiederbegegnungs-Szene die erste in dem Roman ist, die sie überhaupt im Gespräch mit ihrem Kind zeigt, d.h. dass ihre Mutter-Rolle bis dahin nicht recht sichtbar ist. Mag sein, dass Fontane sie auch aus diesem Grund so leidenschaftlich reagieren lässt - wahrgenommen hat man ihren Schmerz als Mutter bis zu diesem Moment nicht. Jede nähere Betrachtung dieser Szene kann denn auch kaum anders, als nicht etwa in eine Verurteilung Innstettens, sondern Effis einzumünden, auch wenn dies von Fontane zweifellos nicht beabsichtigt ist.
Benutzte Literatur: Hoffmann, Elisabeth
Vierunddreißigstes Kapitel
Fünfunddreißigstes Kapitel
Sprung zum Absatz 01 des Romantextes
Effi war den ganzen Tag draußen im Park, weil sie das Luftbedürfnis hatte; der alte Friesacker Dr. Wiesike war auch einverstanden damit ...
Dr. Wiesike = Carl Ferdinand Wiesike war ein Berliner Kaufmann, der sich in Plaue an der Havel (bei Brandenburg) ein großes Grundstück kaufte und dort in Jahrzehnten einen beachtlichen Park anlegte. Fontane schildert in "Fünf Schlösser" das Wirken dieses Mannes mit großem Respekt, weshalb der Name Wiesike für den Friesacker Arzt sicherlich nicht zufällig gewählt ist. Zur Bedeutung dieses Kontextes für den Schluss des Romans siehe unter LEBENSWELT zu Kapitel 36.
Sechsunddreißigstes Kapitel
Sprung zum Absatz 28 des Romantextes
"Und es liegt mir daran, daß er erfährt, wie mir hier in meinen Krankheitstagen, die doch fast meine schönsten gewesen sind, wie mir hier klar geworden, daß er in allem recht gehandelt. ... Laß ihn das wissen, daß ich in dieser Überzeugung gestorben bin. Es wird ihn trösten, aufrichten, vielleicht versöhnen. Denn er hatte viel Gutes in seiner Natur und war so edel, wie jemand sein kann, der ohne rechte Liebe ist."
Beim Wort genommen stellt Effis Abschiedsrede alles infrage, was sie zumal nach der Begegnung mit Annie Innstetten vorwirft, doch sicherlich soll dies nicht auch der Sinn für den Leser sein. Vielmehr ist dieses Verzeihen ein letztes Element ihrer Idealisierung - zum Schluss soll sie auch noch ein Muster an Edelmut sein. Einem nüchternen Blick wird allerdings nicht verborgen bleiben, dass Fontane dabei ein bisschen zu weit geht. Denn für wen empfindet Effi selbst die 'rechte Liebe'? Oder was wäre die 'rechte Liebe', für die man sich an ihr ein Beispiel nehmen könnte? Schon ihr Vater (Kap.5, Abs.30) sagt, sie gehöre nicht zu denen, "die so recht eigentlich auf Liebe gestellt sind, wenigstens nicht auf das, was den Namen ehrlich verdient". Eigentlich beansprucht sie immer nur geliebt zu werden oder zieht die Liebe anderer auf sich, von einem Geben kann nicht die Rede sein. Fontane hätte sie diesen Satz also besser nicht sprechen lassen, denn kritisch gemeint ist er in Bezug auf sie gewiss nicht. Wie wenig Abstand er Effi gegenüber immer gehabt hat, sagt er selbst in einem Brief an Paul Schlenther vom 11. November 1895:
Ich habe das Buch wie mit dem Psychographen geschrieben. Nachträglich, beim Korrigieren, hat es mir viel Arbeit gemacht, beim ersten Entwurf gar keine. Der alte Witz, daß man Mundstück sei, in das von irgendwoher hineingetutet wird, hat doch was für sich, und das Durchdrungensein davon läßt schließlich nur zwei Gefühle zurück: Bescheidenheit und Dank.
Zum Entwurf dieser Geschichte 'wie mit dem Psychographen', also "ohne rechte Überlegung und ohne alle Kritik", wie er an Hans Hertz am 2. März 1895 verdeutlicht, hat von Anfang an auch Effis früher Lebensverzicht gehört. Indessen hat sich Fontane über das Sentimentale dieses Verzichtes vielleicht selbst nicht ganz täuschen können. Grundsätzlich lebensbejahend eingestellt, hat ihn der gegen seine Romanfigur zeugende Lebensweg und Lebensmut Elisabeth von Ardennes immer irritiert und ihn einmal sogar - gegenüber einer Leserin am 12. Juni 1895 - zu der verräterischen Bemerkung veranlasst, sie läge vielleicht auch "lieber auf dem Rondel in Hohen-Kremmen".
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Sprung zum Absatz 30 des Romantextes
Auf dem Rondell hatte sich eine kleine Veränderung vollzogen, die Sonnenuhr war fort, und an der Stelle, wo sie gestanden hatte, lag seit gestern eine weiße Marmorplatte, darauf stand nichts als "Effi Briest" und darunter ein Kreuz.
Karl S. Guthke in seinem Aufsatz "Fontanes Finessen" sieht einen tieferen, allerdings nicht näher erläuterten Sinn darin, dass Effi eine ähnlich separate Grabstelle erhält wie in Kessin der Chinese. Doch worin könnte dieser Sinn liegen? Der Chinese wird nicht auf dem Friedhof beigesetzt, weil er kein Christ ist - eine nach damaligem Recht durchaus mögliche Absonderung. Effi hingegen stirbt in christlicher Demut und mit Gott und den Menschen versöhnt, das separate Grab für sie stellt sogar eine besondere Ehrung dar. Über diesen Gegensatz hinaus jedoch mangelt es für irgendwelche Vergleiche bezüglich des Chinesen an jeder Information, so dass die beiden Grabstellen auch nichts miteinander zu tun haben können.
Benutzte Literatur: Stiftung Stadtmuseum Berlin