Der Polterabend hatte jeden zufrieden gestellt, besonders die Mitspielenden,
und Hulda war dabei das Entzücken aller jungen Offiziere
gewesen, sowohl der Rathenower Husaren wie der etwas kritischer
gestimmten Kameraden vom Alexander-Regiment. Ja, alles war gut
und glatt verlaufen, fast über Erwarten. Nur Bertha und Hertha
hatten so heftig geschluchzt, daß Jahnke's plattdeutsche
Verse so gut wie verloren gegangen waren. Aber auch das hatte wenig
geschadet. Einige feine Kenner waren sogar der Meinung gewesen,
»das sei das Wahre; Steckenbleiben und Schluchzen und Unverständlichkeit
- in diesem Zeichen (und nun gar, wenn es so hübsche
rotblonde Krausköpfe wären) werde immer am entschiedensten
gesiegt.« Eines ganz besonderen Triumphes hatte sich Vetter Briest
in seiner selbstgedichteten Rolle rühmen dürfen. Er
war als Demuth'scher Kommis erschienen, der in Erfahrung gebracht,
die junge Braut habe vor, gleich nach der Hochzeit nach Italien
zu reisen, weshalb er einen Reisekoffer abliefern wolle. Dieser
Koffer entpuppte sich natürlich als eine Riesenbonbonniere
von Hövel. Bis um drei Uhr war getanzt worden, bei welcher
Gelegenheit der sich mehr und mehr in eine höchste Champagnerstimmung
hineinredende alte Briest allerlei Bemerkungen über den an
manchen Höfen immer noch üblichen Fackeltanz und die
merkwürdige Sitte des Strumpfband-Austanzens gemacht hatte,
Bemerkungen, die nicht abschließen wollten und sich immer
mehr steigernd, am Ende so weit gingen, daß ihnen durchaus
ein Riegel vorgeschoben werden mußte. »Nimm Dich zusammen,
Briest,« war ihm in ziemlich ernstem Tone von seiner Frau
zugeflüstert worden; »Du stehst hier nicht, um Zweideutigkeiten
zu sagen, sondern um die Honneurs des Hauses zu machen. Wir haben
eben eine Hochzeit und nicht eine Jagdpartie.« Worauf Briest
geantwortet, »er sähe darin keinen so großen Unterschied;
übrigens sei er glücklich.«
Auch der Hochzeitstag selbst war gut verlaufen. Niemeyer hatte vorzüglich gesprochen,
und einer der alten Berliner Herren, der halb und halb zur Hofgesellschaft
gehörte, hatte sich auf dem Rückwege von der Kirche zum
Hochzeitshause dahin geäußert, es sei doch merkwürdig,
wie reich gesät in einem Staate, wie der unsrige, die Talente
seien. »Ich sehe darin einen Triumph unserer Schulen und
vielleicht mehr noch unserer Philosophie. Wenn ich bedenke,
dieser Niemeyer, ein alter Dorfpastor, der anfangs aussah wie
ein Hospitalit ... ja, Freund, sagen Sie selbst, hat er nicht
gesprochen wie ein Hofprediger. Dieser Takt und diese Kunst der
Antithese, ganz wie Kögel, und an Gefühl ihm noch über.
Kögel ist zu kalt. Freilich ein Mann in seiner Stellung
muß kalt sein. Woran scheitert man denn im Leben überhaupt?
Immer nur an der Wärme.« Der noch unverheiratete, aber
wohl eben deshalb zum viertenmale in einem »Verhältnis«
stehende Würdenträger, an den sich diese Worte gerichtet
hatten, stimmte selbstverständlich zu. »Nur zu wahr,
lieber Freund,« sagte er. »Zuviel Wärme! ... ganz
vorzüglich ... Übrigens muß ich Ihnen nachher
eine Geschichte erzählen.«
Der Tag nach der Hochzeit war ein heller Oktobertag. Die Morgensonne
blinkte; trotzdem war es schon herbstlich frisch, und Briest,
der eben gemeinschaftlich mit seiner Frau das Frühstück
genommen, erhob sich von seinem Platz und stellte sich, beide
Hände auf dem Rücken, gegen das mehr und mehr verglimmende
Kaminfeuer. Frau von Briest, eine Handarbeit in Händen, rückte
gleichfalls näher an den Kamin und sagte zu Wilke, der gerade
eintrat, um den Frühstückstisch abzuräumen: »Und
nun, Wilke, wenn Sie drin im Saal, aber das geht vor, alles in
Ordnung haben, dann sorgen Sie, daß die Torten nach drüben
kommen, die Nußtorte zu Pastors und die Schüssel mit
kleinen Kuchen zu Jahnke's. Und nehmen Sie sich mit den Gläsern
in acht. Ich meine die dünngeschliffenen.«
»Luise, Du bist eine Spielverderberin. Aber ich nehme nichts
übel, auch nicht einmal so 'was. Im übrigen, was wollen
wir von uns sprechen, die wir nicht einmal eine Hochzeitsreise
gemacht haben. Dein Vater war dagegen. Aber Effi macht nun eine
Hochzeitsreise. Beneidenswert. Mit dem Zehn-Uhr-Zug ab. Sie müssen
jetzt schon bei Regensburg sein, und ich nehme an, daß er
ihr - selbstverständlich ohne auszusteigen - die Hauptkunstschätze
der Walhalla herzählt. Innstetten ist ein vorzüglicher
Kerl, aber er hat so 'was von einem Kunstfex, und Effi, Gott, unsere
arme Effi, ist ein Naturkind. Ich fürchte, daß er sie
mit seinem Kunstenthusiasmus etwas quälen wird.«
»Gefiel Dir Effi? Gefiel Dir die ganze Geschichte? Sie war
so sonderbar, halb wie ein Kind, und dann wieder sehr selbstbewußt
und durchaus nicht so bescheiden, wie sie's solchem Manne gegenüber
sein müßte. Das kann doch nur so zusammenhängen,
daß sie noch nicht recht weiß, was sie an ihm hat.
Oder ist es einfach, daß sie ihn nicht recht liebt? Das
wäre schlimm. Denn bei all' seinen Vorzügen, er ist nicht
der Mann, sich diese Liebe mit leichter Manier zu gewinnen.«
»Ich sagte nur, sie habe mir nicht ihr Herz ausgeschüttet.
Solche Generalbeichte, so alles von der Seele herunter, das liegt
nicht in ihr. Es fuhr alles bloß ruckweis und plötzlich
aus ihr heraus, und dann war es wieder vorüber. Aber gerade
weil es so ungewollt und wie von ungefähr aus ihrer Seele
kam, deshalb war es mir so wichtig.«
»Es werden jetzt gerade drei Wochen sein, und wir saßen
im Garten, mit allerhand Ausstattungsdingen, großen und
kleinen, beschäftigt, als Wilke einen Brief von Innstetten
brachte. Sie steckte ihn zu sich, und ich mußte sie eine
Viertelstunde später erst erinnern, daß sie ja einen
Brief habe. Dann las sie ihn, aber verzog kaum eine Miene. Ich
bekenne Dir, daß mir bang' ums Herz dabei wurde, so bang',
daß ich gern eine Gewißheit haben wollte, so viel,
wie man in diesen Dingen haben kann.«
»Ich fragte also rundheraus, wie's stünde, und weil
ich bei ihrem eigenen Charakter einen feierlichen Ton vermeiden
und alles so leicht wie möglich, ja beinah' scherzhaft nehmen
wollte, so warf ich die Frage hin, ob sie vielleicht den Vetter
Briest, der ihr in Berlin sehr stark den Hof gemacht hatte, ob
sie den vielleicht lieber heiraten würde ...«
»Da hättest Du sie sehen sollen. Ihre nächste Antwort
war ein schnippisches Lachen. Der Vetter sei doch eigentlich nur
ein großer Kadett in Leutnantsuniform. Und einen Kadetten
könne sie nicht einmal lieben, geschweige heiraten. Und dann
sprach sie von Innstetten, der ihr mit einemmale der Träger
aller männlichen Tugenden war.«
»Ganz einfach. So geweckt und temperamentvoll und beinahe
leidenschaftlich sie ist, oder vielleicht auch, weil sie es ist,
sie gehört nicht zu denen, die so recht eigentlich auf Liebe
gestellt sind, wenigstens nicht auf das, was den Namen ehrlich
verdient. Sie redet zwar davon, sogar mit Nachdruck und einem
gewissen Überzeugungston, aber doch nur, weil sie irgendwo
gelesen hat, Liebe sei nun 'mal das Höchste, das Schönste,
das Herrlichste. Vielleicht hat sie's auch bloß von der
sentimentalen Person, der Hulda, gehört und spricht es ihr
nach. Aber sie empfindet nicht viel dabei. Wohl möglich,
daß es alles 'mal kommt, Gott verhüte es, aber noch
ist es nicht da.«
»Ja, das ist gut! Aber es ist erst die Hälfte. Ihr Ehrgeiz
wird befriedigt werden, aber ob auch ihr Hang nach Spiel und Abenteuer?
Ich bezweifle. Für die stündliche kleine Zerstreuung
und Anregung, für alles, was die Langeweile bekämpft,
diese Todfeindin einer geistreichen kleinen Person, dafür
wird Innstetten sehr schlecht sorgen. Er wird sie nicht in einer
geistigen Öde lassen, dazu ist er zu klug und zu weltmännisch,
aber er wird sie auch nicht sonderlich amüsieren. Und was
das Schlimmste ist, er wird sich nicht einmal recht mit der Frage
beschäftigen, wie das wohl anzufangen sei. Das wird eine
Weile so gehen, ohne viel Schaden anzurichten, aber zuletzt wird
sie's merken, und dann wird es sie beleidigen. Und dann weiß
ich nicht, was geschieht. Denn so weich und nachgiebig sie ist,
sie hat auch 'was Rabiates und läßt es auf alles ankommen.«
Dies war am Tage nach der Hochzeit. Drei Tage später kam
eine kleine gekritzelte Karte aus München, die Namen alle
nur mit zwei Buchstaben angedeutet. »Liebe Mama! Heute Vormittag
die Pinakothek besucht. Geert wollte auch noch nach dem andern
hinüber, das ich hier nicht nenne, weil ich wegen der Rechtschreibung
in Zweifel bin, und fragen mag ich ihn nicht. Er ist übrigens
engelsgut gegen mich und erklärt mir alles. Überhaupt
alles sehr schön, aber anstrengend. In Italien wird es wohl
nachlassen und besser werden. Wir wohnen in den 'Vier Jahreszeiten',
was Geert veranlaßte, mir zu sagen, 'draußen sei Herbst,
aber er habe in mir den Frühling'. Ich finde es sehr sinnig.
Er ist überhaupt sehr aufmerksam. Freilich ich muß
es auch sein, namentlich wenn er 'was sagt oder erklärt. Er
weiß übrigens alles so gut, daß er nicht einmal
nachzuschlagen braucht. Mit Entzücken spricht er von Euch,
namentlich von Mama. Hulda findet er etwas zierig; aber der alte
Niemeyer hat es ihm ganz angethan. Tausend Grüße von
Eurer ganz berauschten, aber auch etwas müden Effi.«
Solche Karten trafen nun täglich ein, aus Innsbruck, aus
Verona, aus Vicenza, aus Padua, eine jede fing an: »Wir haben
heute Vormittag die hiesige berühmte Galerie besucht,«
oder, wenn es nicht die Galerie war, so war es eine Arena oder
irgendeine Kirche »Santa Maria« mit einem Zunamen. Aus
Padua kam, zugleich mit der Karte, noch ein wirklicher Brief.
»Gestern waren wir in Vicenza. Vicenza muß man sehn
wegen des Palladio; Geert sagte mir, daß in ihm alles Moderne
wurzele. Natürlich nur in Bezug auf Baukunst. Hier in Padua
(wo wir heute früh ankamen) sprach er im Hotelwagen etliche
Male vor sich hin: 'Er liegt in Padua begraben', und war überrascht,
als er von mir vernahm, daß ich diese Worte noch nie gehört
hätte. Schließlich aber sagte er, es sei eigentlich
ganz gut und ein Vorzug, daß ich nichts davon wüßte.
Er ist überhaupt sehr gerecht. Und vor allem ist er engelsgut
gegen mich und gar nicht überheblich und auch gar nicht alt.
Ich habe noch immer das Ziehen in den Füßen, und das
Nachschlagen und das lange Stehen vor den Bildern strengt mich
an. Aber es muß ja sein. Ich freue mich sehr auf Venedig.
Da bleiben wir fünf Tage, ja, vielleicht eine ganze Woche.
Geert hat mir schon von den Tauben auf dem Markusplatz vorgeschwärmt,
und daß man sich da Tüten mit Erbsen kauft und dann
die schönen Tiere damit füttert. Es soll Bilder geben,
die das darstellen, schöne blonde Mädchen, 'ein Typus
wie Hulda,' sagte er. Wobei mir denn auch die Jahnke'schen Mädchen
einfallen. Ach, ich gäbe 'was drum, wenn ich mit ihnen auf
unserm Hof auf einer Wagendeichsel sitzen und unsere Tauben füttern
könnte. Die Pfauentaube mit dem starken Kropf dürft
ihr aber nicht schlachten, die will ich noch wiedersehen. Ach,
es ist so schön hier. Es soll ja auch das Schönste sein.
Eure glückliche, aber etwas müde Effi.«
»Ach, Luise, komme mir doch nicht mit solchen Geschichten.
Effi ist unser Kind, aber seit dem 3. Oktober ist sie Baronin
Innstetten. Und wenn ihr Mann, unser Herr Schwiegersohn, eine
Hochzeitsreise machen und bei der Gelegenheit jede Galerie neu
katalogisieren will, so kann ich ihn daran nicht hindern. Das
ist eben das, was man sich verheiraten nennt.«
