Als Fontanes "Effi Briest" im Oktober 1894 in der "Deutschen Rundschau" zu
erscheinen begann, hat kaum jemand wahrgenommen, dass der Roman ein
tatsächliches Ereignis zum Ursprung hatte: den Ehebruchs- und
Duellfall im Hause Ardenne. Das ist auch nicht verwunderlich. Duelle mit
tödlichem Ausgang kamen damals immer wieder vor, und das Ardenne-Duell
lag zu diesem Zeitpunkt bereits acht Jahre zurück und hatte keineswegs
besonderes Aufsehen erregt. Auch Fontane, obwohl zum Zeitpunkt des Geschehens
in Berlin und eifriger Zeitungsleser, hatte es nicht registriert, erst zwei Jahre
später erfuhr er zufällig in einem Gespräch davon. (Weiteres siehe
unter ENTSTEHUNG)
Nur Eingeweihte wussten also von diesem
Zusammenhang, und dabei sollte es noch lange bleiben. Zwar wurden 1909/10 die
beiden Briefe Fontanes veröffentlicht, die die Herkunft des
Effi-Briest-Stoffes anzeigten (siehe ENTSTEHUNG) ,
aber der Name Ardenne erschien
darin nur als "A." und wurde nicht kommentiert. Ebenso unterblieb die Namensnennung
wenig später in einer größeren Untersuchung zur Entstehungsgeschichte
des Romans. Die Verfasserin wusste zwar, um wen es sich bei 'A.' handelte, und
kannte Einzelheiten, ließ es aber bei Andeutungen bewenden. Ardenne und die
von ihm geschiedene Frau lebten noch, es hätte sogar rechtlich bedenklich
sein können, sie öffentlich mit dem Romangeschehen in Verbindung zu
bringen.
So vergingen noch mehr als 50 Jahre, bevor der heute überall zitierte
Stoffhintergrund erstmals öffentlich dargelegt wurde. Ein
Enkel des Ardenne'schen Paares, der Physiker und Raketenbauer Manfred von
Ardenne (1907-1997), gewährte einem Literaturhistoriker Zugang zu
seinem Familienarchiv, und so sah sich jedenfalls die Fachwelt von da an unterrichtet.
Mehr allerdings auch nicht, da die Veröffentlichung so unauffällig
wie möglich erfolgte. Gedruckt in einer 'Studien'-Sammlung der
(Ost-)Berliner Akademie der Wissenschaften und getarnt als Vergleich
mit Spielhagens Roman "Zum Zeitvertreib" (siehe unter
WIRKUNG), dem derselbe Stoff zugrunde liegt,
sollte die Publikation ersichtlich jedes Aufsehen vermeiden. Autor
und Herausgeber befürchteten offenbar Einwände gegen diese
unproletarische Materie, und so beschränkte sich der Aufsatz
auch weitgehend auf den Nachweis von Parallelen zwischen der Lebensgeschichte
Elisabeth von Ardennes und den Romanen Spielhagens und Fontanes.
Wegen der Verstecktheit dieser Publikation dauerte es nochmals zwanzig Jahre,
bis der Stoff wirklich in der Öffentlichkeit ankam. Zwar wurde auf den
Ardenne-Fall in der wissenschaftliche Fontane-Literatur in Ost wie West mehr
und mehr hingewiesen, doch erst die 1984 in Berlin (West) erscheinende
Elisabeth-von-Ardenne-Biographie von Horst Budjuhn - "Fontane nannte sie 'Effi
Briest'" - machte ihn im Ganzen den Lesern bekannt. Auch Budjuhn hatte Zugang
zu dem Ardenne'schen Familienarchiv erhalten - seiner eigenen Überzeugung
nach als Erster -, und er konnte zumal auch eine Reihe von Bildern in seinem
Buch wiedergeben. Allerdings ging er mit seinem Material reichlich sorglos um.
Früher schon als Drehbuch-Autor für einen "Effi-Briest"-Film tätig
geworden (Näheres siehe unter
WIRKUNG), sah er im 'Bearbeiten' seines
Stoffes offenbar kein Problem und mischte nach Gutdünken frei Erfundenes
mit unter. Seitenlang werden hier Gespräche zwischen den Beteiligten
wiedergegeben, für die es an jedem Beleg fehlt, ja selbst eine Reichstagsdebatte
stattet er mit erfundenen Redebeiträgen aus. Davon abgesehen strotzt das Buch
von Detailfehlern wie falschen Daten, falschen Altersangaben, widersprüchlichen
Verweisungen usw.
Zehn Jahre später wurde das Ardenne-Material dann aber zum Glück
noch einmal seriös ausgewertet, und so liegt mit Manfred
Frankes "Leben und Roman der Elisabeth von Ardenne" seither auch eine
verlässliche Darstellung vor. Dass man sich heute wie selbstverständlich
auf diesen Ursprung der "Effi-Briest"-Geschichte berufen kann, ist im wesentlichen
Manfred Franke zu danken, und zwar auch zumal deshalb, als er sich nicht
nur sachlich korrekt, sondern auch kritisch mit den persönlichen
Bekenntnissen der Beteiligten auseinandersetzt. Das bedeutet nicht, dass man
allen seinen Annahmen oder Vermutungen folgen muss. Doch werden
Quellenbefund und Interpretation hier stets so deutlich unterschieden, dass
man sich auch ein eigenes Urteil bilden kann. Die nachfolgende Darstellung, dem
Romangeschehen kapitelweise gegenübergestellt, ist hauptsächlich
dieser Arbeit verpflichtet, und soweit keine anderen Quellen benannt sind,
ist immer auf sie Bezug genommen.
Elisabeth von Plotho wurde am 26. Oktober 1853 in Zerben bei Parey geboren,
30 km nordöstlich von Magdeburg an der Elbe. Die von Plothos waren
märkischer Uradel, seit 1643 Reichsfreiherren und wegen ihrer langen
Ahnenreihe eine sehr standesbewusste Familie. In der Adels-Hierarchie stehen
sie mithin höher als die Briests in Fontanes Roman, waren aber wie diese
Gutsbesitzer und lebten von der Landwirtschaft.

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Das Stammhaus der Familie von Plotho in
Zerben an der Elbe (30 km nordöstlich von Magdeburg).
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Ein Rest des 1945 abgerissenen Schlosses
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Gänzlich anders allerdings waren die Familienverhältnisse. Die Eltern
des Effi-Vorbildes Elisabeth - oder Else, wie sie genannt wurde - waren gleichaltrig
und schon verheiratet, bevor Armand von Ardenne auch nur geboren war, so dass
ein früheres Neigungsverhältnis zwischen ihm und seiner Schwiegermutter
überhaupt nicht infrage kommt. Und Elisabeth war auch kein Einzelkind, sondern
jüngstes von fünf Geschwistern, vier Schwestern und einem Bruder.

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Felix Otto Waldemar Edler Herr und Freiherr von Plotho
(1822-1864)
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Maria von Plotho, geborene von Welling (1822-1897)
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Als der junge Ardenne in den Gesichtskreis der Familie trat, war Elisabeths Mutter
bereits Witwe und hielt für ihre vier Töchter natürlich nach
Heiratskandidaten Ausschau. Ihr Sohn wurde deshalb ermutigt, aus seiner Militärzeit
bei den Ziethen-Husaren in Rathenow immer wieder Kameraden mit nach Zerben zu bringen, und unter
ihnen war auch der am 26. August 1848 in Leipzig geborenen Armand von Ardenne.
Fünf Jahre älter als die damals erst 14-jährige Elisabeth, schien er
auf längere Sicht für eine Verbindung infrage zu kommen, und so lud
ihn die Mutter zu weiteren Besuchen ein.
Keine Rolle spielte anscheinend Ardennes geringere Herkunft. Seine Familie stammte aus
Lothringen, gehörte nur dem niederen Adel an und war für die von Plothos
eigentlich 'unter Stand'. Zwar hatte Armands Vater als belgischer Generalkonsul im
Königreich Sachsen das Baronat erhalten, musste aber noch bis 1871 darauf warten,
dass der belgische König es auch seinen Nachkommen zugestand. Als Armand von Ardenne
im Hause der Plothos auftauchte, war er also nichts als ein einfacher Fähnrich,
d.h. Offiziers-Anwärter, der mit seinem Interesse an der jungen Elisabeth sogar in
Verdacht kommen konnte, nur seiner eigenen Karriere nützen zu wollen. Aufstiege
in Militär wie Politik hingen damals nicht unwesentlich auch von den Familien der Ehefrauen
ab, selbst Bismarck klagte mitunter darüber, das der Einfluss der Minister-Gattinnen
auf Personalentscheidungen zu groß sei. Frau von Plotho jedoch gefiel der junge Mann,
sein bescheidenes, mitunter sogar gehemmtes Auftreten versprach Solidität,
und bei der Lage ihrer Familie, dem Haus ohne Vater und den wenig günstigen
wirtschaftlichen Aussichten, erschien es ihr ratsam, die Töchter möglichst früh
und möglichst sicher zu verheiraten.
Nicht so allerdings dachte Elisabeth selbst. Auf dem Gutshof an ein freies und unkompliziertes
Leben gewöhnt, wollte sie von einer frühen Heirat nichts wissen, und der ihr
ausgesuchte Bewerber gefiel ihr schon gar nicht. Noch als Fünfzehnjährige
schleppte sie einen ganzen Tross von Bauernjungen als Spielgefährten hinter sich her
und war nichts als ärgerlich, wenn es hieß, sie möge in den Salon kommen,
'der junge Ardenne spiele Klavier'. Bei einer solchen Gelegenheit war es dann wohl auch,
dass die Spielkameraden am Fenster auftauchten und hineinriefen "Else, komm!", was Fontane später
mit dem Verlobungs-Moment verband oder was ihm für diesen so berichtet worden
war. (Weiteres siehe unter WIRKUNG)

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Else von Plotho als junges Mädchen
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An eine Verlobung jedoch war noch lange nicht zu denken. Die in lockeren Abständen
sich wiederholenden Besuche Ardennes konnten auch bei der 16-jährigen Elisabeth
einen Sinneswandel nicht bewirken, so offensichtlich es immer war, dass jedenfalls der
Mutter der junge Fähnrich gefiel. Vielmehr sah sich diese sogar gezwungen,
Ardenne um eine Einstellung seiner Besuche zu bitten: Elisabeth werde schon überall
als verlobt ausgerufen und könne einen Nachteil davon haben, wenn sie es immer länger
immer weniger wäre. Ardenne gab aber auch da noch nicht auf. Da Elisabeth in seiner Gegenwart
geäußert hatte, allzu hartnäckige, allzu unbelehrbare Bewerber brauchten sich
nicht zu wundern, wenn sie am Ende einen kränkenden Korb erhielten, ließ er
über einen Freund bei ihr anfragen, ob sie damit ihn gemeint habe, und bekam die
entsprechende Antwort. Damit schien seine Bemühung um sie unwiderruflich gescheitert
- von der Willfährigkeit einer Effi Briest in dieser Frage ist Elisabeth
von Plotho weit entfernt.
Eine Wendung in das schon eigentlich beendete Verhältnis Armand von
Ardennes zu Elisabeth von Plotho bringt der im Juli 1870 ausbrechende
deutsch-französische Krieg. In der allgemeinen Begeisterung, mit der
die gegen den 'Erbfeind' ins Feld ziehenden Soldaten daheim verabschiedet werden,
überkommt Elisabeth das Gefühl, ihrem Verehrer ein Zeichen der
Sympathie schuldig zu sein. Sie schreibt einen Spruch aus der Bibel auf
einen Zettel und steckt ihm diesen bei einem öffentlichen Anlass zu.
Welchen Spruch? Das ist nicht überliefert, aber das Wort
ist offenbar ermutigend genug, dass Ardenne bei Elisabeths Mutter anfragt,
ob er ihr aus dem Felde gelegentlich schreiben dürfe. Sie erlaubt,
aber natürlich sind die Briefe, die dann eintreffen, allein für
Elisabeth bestimmt. Und da er gut schreibt, "voll Poesie und schönster
Erinnerungen", wie sie später äußert, fängt sie an, ihre Ablehnung
zu überdenken.
Eine Woche, bevor sie 17 Jahre alt wird, wird Ardenne bei St. Leger verwundet,
ein Schuss ins Bein, den er im Leipziger Elternhaus auskuriert. In dieser Zeit
setzt sich die Annäherung der beiden fort, in vorsichtigen Signalen
natürlich nur, die aber den 22-jährigen Leutnant, der inzwischen das
Eiserne Kreuz II. Klasse trägt, auf eine Verlobung mit der von-Plotho-Tochter
hoffen lassen. Sein Vater, davon unterrichtet, spricht sich zunächst dagegen
aus, sie seien beide bei weitem zu jung, aber in den Siegesfeiern nach dem
gewonnenen Krieg und der Begeisterung um die Reichsgründung kommt es dann doch
zu dem Schritt. Am 7. Februar 1871 verloben sich Elisabeth von Plotho und Armand
von Ardenne in Stechow bei Rathenow im Hause von Elisabeths Tante, also nicht einmal
in ihrem Elternhaus und auch wohl nicht in Anwesenheit ihrer Mutter.

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Armand von Ardenne
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Von Hochzeitsvorbereitungen unmittelbar im Anschluss an die Verlobung
wie bei Effi Briest kann bei dem Brautpaar Ardenne jedoch nicht die Rede sein.
Zumal Ardennes Vater besteht auf einer längeren Wartezeit, drei Jahre
sogar fasst er ins Auge, damit sich sein Sohn erst einmal um seine Laufbahn
kümmern könne. Für das junge Paar bedeutet das nur gelegentliche,
um Wochen und Monate voneinander getrennte kurze Begegnungen in Elisabeths
Elternhaus, deren Folge eher eine Entfremdung als eine Annäherung ist.
Sie habe ernstlich erwogen, sich wieder von ihm zu trennen, hat Elisabeth
ihren Mann später wissen lassen, im Grunde habe sie schon damals erkannt, dass
sie ihn nicht liebe. Er freilich bemerkt das nicht oder leidet nicht darunter,
eine anspruchsvolle Aufgabe trägt ihn über die Zeit hinweg. Ein Neffe
des Kaisers, Prinz Friedrich Karl (siehe unter
LEBENSWELT zu Kapitel 4), hat
ihn mit der Abfassung der Geschichte seines Regiments beauftragt, der Rathenower Ziethen'schen Husaren, und mehr
als ein Jahr verbringt Ardenne über den Akten des preußischen
Generalstabes. Ein Werk von mehr als 600 Seiten ist das Ergebnis, und es
wird ihn nicht nur für höhere Aufgaben im Kriegsministerium empfehlen,
sondern auch Fontane wird es lesen und damit in eine Verbindung zu den Trägern
seines Effi-Briest-Stoffes treten, lange bevor das Ereignis, das sein Interesse
daran wecken wird, überhaupt stattgefunden hat.
Am 1. Januar 1873, nach zweijähriger Verlobungszeit, wird in
Zerben zwischen Armand von Ardenne und Elisabeth von Plotho die Ehe geschlossen.
Anders als Effi, die Innstetten in das ferne Kessin folgt, zieht dieses Paar
zunächst aber nach Berlin, in eine Wohnung am vornehmen Lützowufer, Haus Nummer 32,
nahezu Ecke Keithstraße, wo dann auch Effi nach ihrer Rückkehr
aus Kessin wohnen wird. Elisabeth allerdings gefällt die Lage nicht, der noch
Abwässer führende Landwehrkanal macht ihr im Sommer mit seinen Ausdünstungen
zu schaffen.

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Keithstraße Ecke Lützowufer und Umgebung.
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Anderes ist erfreulicher. Im Oktober 1873 erhält Ardenne das Recht,
seinen belgischen Baronstitel auch als preußischen führen zu dürfen,
und im November bekommt Elisabeth ihr erstes Kind, eine Tochter. Ihr Mann allerdings hat anderes
im Sinn. Als sie mit ihm kurz vor der Entbindung im Zoo spazieren geht und auf einen
Kinderwagen deutend sagt, wie schön es sein werde, wenn erst ein Kind darin liegen
werde, erwidert er gedankenlos in breitem Sächsisch: "Da liegt aber och schon was drinne."

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Das Ehepaar Ardenne im ersten Ehejahr
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1874 wird Ardenne zum praktischen Dienst nach Rathenow kommmandiert und man zieht
dorthin um. 1875 erfolgt die Versetzung in den Generalstab und es geht wieder zurück
nach Berlin, diesmal in eine Wohnung in Tegel. Mit der Veröffentlichung seiner
Regimentsgeschichte findet Ardenne dort auch Zugang zu Bildungskreisen, und so lernt
in einem der beiden Folgejahre auch Theodor Fontane das Ehepaar kennen. Man ist gemeinsam
Gast an der Tafel von Karl Robert Lessing, dem Mitherausgeber der Vossischen Zeitung,
der in seinem Haus in der Dorotheenstraße oft Besuch empfängt.
(Weiteres siehe unter ENTSTEHUNG.)
Von Langeweile, Einsamkeit, Abgeschiedenheit, wie Effi sie
in Kessin empfindet, kann für Elisabeth also nicht die Rede sein, und auch
noch ein zweites Kind, der 1877 geborene Sohn Egmont, nimmt sie in Anspruch.
Im Herbst 1877 wird Ardenne nach Düsseldorf versetzt und anderthalb Jahre später als
Brigadeadjutant nach Metz in das neue 'Reichsland' Elsass-Lothringen. Hier
allerdings fühlt sich Elisabeth wenig wohl. Unter der französischen Bewohnerschaft
ist das preußische Militär verhasst, und das Garnisons-Milieu, auf das
sie allein angewiesen ist, gefällt ihr nicht. So wird nach zwei Jahren
die Rückversetzung ihres Mannes nach Düsseldorf von ihr als große
Erleichterung empfunden, obschon es gerade dort zu den Ereignissen kommen wird,
die sich für Effi Briest mit dem Albtraum Kessin verbinden.
Mit ihres Mannes Versetzung nach Düsseldorf im Sommer 1880 beginnt für
Elisabeth von Ardenne die Lebensphase, die sechs Jahre später mit einem Duell
enden und zu ihrer Scheidung führen wird. Die äußeren Umstände
allerdings sind von denen Effis völlig verschieden. Die nunmehr 27-jährige
Elisabeth, Mutter zweier Kinder, zieht mit ihrem Mann in eine herrschaftliche
Wohnung des Schlosses Benrath ein, die diesem als Rittmeister einer dort
liegenden Schwadron der Düsseldorfer Husaren dienstlich zur Verfügung
steht. Das zehn Kilometer südlich der Stadt gelegene Rokoko-Schlösschen
gehört seit 1815 der preußischen Krone und diente über das 19. Jahrhundert
hin den Hohenzollern zeitweilig als Sommersitz. Als die Ardennes in einem der
Flügelbauten Wohnung nehmen, steht es allerdings schon längere Zeit leer,
nur bei Manövern in dieser Gegend quartieren sich der Kaiser und
sein Gefolge in dem vernachlässigten Bau noch ein.

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Schloss Benrath (rechts etwa einen Kilometer entfernt
fließt der Rhein).
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Baron Armand von Ardenne und seine Frau sind also praktisch die Schlossherren,
und entsprechend herrschaftlich richten sie sich ein. Sie scharen einen musisch
interessierten Freundeskreis um sich und laden ihn regelmäßig zu einer Tafelrunde
ein, in der Elisabeth der bewunderte Mittelpunkt ist. Dabei kehrt
ihr in dem verwunschenen Märchenschloss, in den weitläufigen,
bis zum Rhein reichenden Parkanlagen und der gepflegten Geselligkeit auch etwas
von den Lebensumständen wieder, die sie in ihrer Jugend in Zerben und Stechow
kennen gelernt hat. Ihre Situation als Gattin eines preußischen Offiziers
könnte angenehmer und unterhaltender also nicht sein, nur ist er selbst leider
der Mann nicht, an dessen Seite sie sich ein solches Leben gewünscht hat.

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Schloss Benrath und der östliche Flügelbau, in dessen
linker Hälfte (im Vordergrund) die Ardennes wohnten.
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Zu der Ardenne'schen Tafelrunde in Schloss Benrath gehört auch der
Amtsrichter Emil Hartwich. Geboren 1843 und also fünf Jahre älter
als Ardenne, haben sich beide samt ihren Ehefrauen schon bei Ardennes
erstem Düsseldorfer Aufenthalt kennen gelernt. Der Anlass damals: ein
geselliger Abend im 'Malkasten', dem Haus der Düsseldorfer
Künstler-Gesellschaft, der Hartwich als begabter Maler selbst
angehört. Noch sechs Jahre später erinnert er sich in einem
Brief an Elisabeth genau des Tages, des 6. Januar 1879, an
dem "jener denkwürdige Malkasten-Abend" stattfand, "den das Schicksal
dazu ausersehen hatte, die Familie v. Ardenne mit Hero und mir
zusammenzuführen". Sicherlich hat er sich also vom ersten Moment
an zu ihr hingezogen gefühlt und ebenso sie sich zu ihm,
so wie auch Effi sich an die erste Begegnung mit Crampas später
genau erinnert (siehe Kap.24, Abs.101

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Der Amtsrichter Emil Hartwich - das Pendant zu Crampas
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Im Unterschied zu Crampas, dem außer seinem Verführ-Talent nichts
Auffälliges anhaftet, ist Emil Hartwich ein vielseitiger und weit über
sein Berufsfeld hinaus engagierter Mann. Er malt nicht nur, sondern spielt auch
Cello und ist auf eine für die damaligen Verhältnisse ungewöhnliche Weise
sportlich. In einer 40 Jahre nach seinem Tod erschienenen Schrift, in der
Erinnerungen an ihn zusammengetragen sind, heißt es:
Wenn Crampas noch bei neun Grad in der Ostsee badet und allerlei Unkonventionelles
äußert, mag das also von Hartwich übernommen sein. Aber dessen Engagement für die
Körperertüchtigung geht viel weiter. Er verfasst 1881 eine Schrift mit dem
Titel "Woran wir leiden. Freie Betrachtungen und praktische Vorschläge über
unsere moderne Geistes- und Körperpflege in Volk und Schule". Leidenschaftlich
tritt er darin für die Einführung eines regelmäßigen Turn- und Sportunterrichtes ein,
da ihm die Überfrachtung der Schuljugend mit bloßem Buchwissen zu einer Schädigung der
Volksgesundheit zu führen scheint. Er dringt mit diesen Vorschlägen bis in das
preußische Königshaus vor, und in Düsseldorf werden mehrere Sportbünde auf
seine Initiative hin gegründet. Als "geistig, leiblich und seelisch außergewöhnlich
begabt" bezeichnet ihn noch die 90-jährige Elisabeth von Ardenne in einem Brief an
ihren Enkel Manfred, als Menschen von einer "lebenswarmen, begeisternden,
hinreißenden Manneskraft".
Seiner Familie fühlt sich Hartwich allerdings wohl weniger verbunden. Seine Frau Hero,
zwei Jahre jünger als er, hat ihm zwar drei Söhne und eine Tochter geboren,
aber sie ist durch die Kinder ans Haus gebunden (die Tochter stirbt mit zwei Jahren),
kränkelt auch leicht und kann an seinem nach außen gewendeten Leben kaum teilnehmen.
Die 'gute Hero' nennt er sie jedes Mal, wenn er sie für eine Geselligkeit entschuldigen
muss. Wenn Effi an ihre Mutter schreibt, mit Frau von Crampas könne es "nichts werden.
Sie ist immer verstimmt, beinahe melancholisch" (siehe Kap.13, Abs.3), so
mag dies also auch eine Reminsizenz an die Ardenne-Geschichte sein.
Die Annäherung Emil Hartwichs an Elisabeth von Ardenne findet nicht
wie bei Fontane über gemeinsame Ausritte statt, sondern indem
der Freizeit-Maler Hartwich die zehn Jahre jüngere Frau porträtiert.
Das geschieht heimlich, d.h. ohne Wissen ihres Mannes, da das Bild eine
Geburtstags-Überraschung für ihn sein soll, und es geschieht in zunehmender
Verliebtheit. Zwar finden die Sitzungen immer unter Zeugen statt - Hartwich lässt sich
beim Malen beraten -, aber das stundenlange Gegenüber schafft sich
seine eigene Intimität. Er sehnt sich den Malstunden entgegen, freut sich, dass
mitunter ein ganzer Tag dafür zur Verfügung steht, und schreibt ihr zwischenhin
Briefe von einer geradezu einfältigen Seligkeit. Einmal bittet er sie, weil keine Sitzung
zustande kommt, ihm eine Locke von ihrem Haar zu schicken, er habe dessen Ton noch
nicht recht getroffen - kaum denkbar, dass sie den wahren Grund nicht erkannt
hat.
Durch einen Zufall erfährt Ardenne von den Malstunden, die Überraschung ist dahin,
aber die Heimlichkeit der Sitzungen ihm gegenüber währt fort. Der 'gute Arminius',
wie Hartwich den Freund nennt, soll doch jedenfalls an dem Bild seine Freude haben.
Dann kommt der Geburtstag, der 26. August 1883, und das Bild ist nicht fertig, also müssen
die Stunden auch danach beibehalten werden. Doch das Resultat befriedigt Hartwich nicht,
es befriedigt ihn immer weniger, und so wird das Porträt aufgegeben und stattdessen
eins ihres Sohnes, des siebenjährigen Egmont, in Angriff genommen. Der Umgang mit der
Mutter ist auch dadurch gewährleistet, und wer immer sich sein Teil dabei denkt, vermag
doch nichts daran auszusetzen.
Die Bilder des Ehepaares Ardenne aus dieser Zeit, von den Biographen Budjuhn und
Franke Emil Hartwich zugeschrieben, stammen nach den Angaben des Stadtmuseums
Berlin alllerdings nicht von ihm, sondern von einem nicht weiter identifizierbaren
Maler C. Wetzel. Nur für das Porträt des Sohnes Egmont ist das nicht sicher,
zumal offenbar nur noch eine Fotografie davon existiert.

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C. Wetzel: Elisabeth von Ardenne mit 30 Jahren (o.J., Privatbesitz)
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C. Wetzel: Armand von Ardenne mit etwa 35 Jahren (o.J., Privatbesitz)
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Emil Hartwich(?): Egmont von Ardenne mit etwa sieben Jahren (o.J.)
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Was bei Fontane die Theateraufführung ist, ist in der Ardenne-Geschichte
das Stellen 'Lebender Bilder'. Dies ist über das ganze 19. Jahrhundert hin
ein beliebter Brauch. Schon 1809 in Goethes "Wahlverwandtschaften" (2.Teil, 5. Kapitel)
wird er geschildert, und bis in die Zeit um 1900 finden sich dafür Zeugnisse.
Man kostümiert sich entweder nach bekannten Gemälden und stellt sich diesen
entsprechend auf, oder man gibt Szenen aus der Literatur wieder. Aus Anlass
des Kaisermanövers richtet die Stadt Düsseldorf im September 1884 ein
großes Fest aus, bei dem in einem der "bis in's Kleinste ausgeführten lebenden
Bilder", wie sie schreibt, auch Elisabeth von Ardenne auftritt. Dass auch Hartwich daran
beteilgt ist, liegt nicht fern, da - vermutlich bei einem anderen Anlass - auch von
ihm ein solcher Auftritt dokumentiert ist. Ein Foto aus dieser Zeit zeigt ihn mit einer
Tulpe in der Hand als 'Fanfan der Husar', während sie aus demselben Anlass
ersichtlich als Thusnelda, die Gattin von Hermann dem Cherusker, auftritt. Dass Armand von
Ardenne im Kreis seiner Freunde Arminius genannt wird, mag den Anstoß für diese
Kostümierung gegeben haben.

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Emil Hartwich als Fanfan der Husar, Fanfan von der Tulpe, die
berühmte Titelfigur aus dem Roman "Fanfan Latulipe" (1859) von Charles
Deslys (1821-1885).
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Elisabeth von Ardenne als Thusnelda, die sagenhafte Gattin von Hermann
dem Cherusker.
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Zu Ausritten Emil Hartwichs mit Elisabeth von Ardenne, wie Crampas und Effi
sie unternehmen, kommt es in Düsseldorf lange Zeit nicht, es fehlt
für sie, obwohl ihr Mann Rittmeister bei den Husaren ist, an einem passenden Pferd.
Nur mit ihm, also Ardenne, reitet Hartwich des öfteren aus, doch leider eben
ohne die "Herrin", wie er ihr einmal klagt, "ein Wunsch, der mir nun mal
nicht in Erfüllung geht". Erst im Sommer 1884 kommt es zum "ersten und
letzten Ritt, den er mit mir in Benrath gemacht hat als einer der Höhepunkte
seines Lebens", wie sich noch die Neunzigjährige erinnert, und auch eine
Fotografie davon hat sie aufbewahrt. Also wird es wohl auch einer der Höhepunkte
ihres Lebens gewesen sein, denn am nächsten Tag, so weiß sie noch, erreicht
sie die Nachricht von der Versetzung ihres Mannes nach Berlin. Erleichterung, wie
Effi sie über den Weggang von Kessin empfindet, klingt darin nicht an, eher
Kummer über die Trennung von einem Menschen, den sie lieb gewonnen hat. Dass es
noch in Benrath zu einem Intimverhältnis zwischen ihr und Hartwich gekommen ist,
ist gleichwohl doch unwahrscheinlich, die gesamte weitere Entwicklung lässt
das Gegenteil vermuten.
Zum 1. Oktober 1884 erfolgt der Umzug der Familie Ardenne nach Berlin, und zwar
in eine Wohnung ganz in der Nähe ihrer ersten am Lützowufer,
Kurfürstenstraße 108, und damit wiederum an die Stelle, wo
Fontane auch die Innstettens ansiedelt. Ardenne ist Adjutant des preußischen
Kriegsministers Bronsart von Schellendorf geworden und hat bei diesem somit eine
ähnliche Stellung inne, wie sie Innstetten beim preußischen
Innenminister zugewiesen erhält.

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Die Wohnung der Innstettens in der Keithstraße und die
Wohnung der Ardennes in der Kurfürstenstraße.
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Elisabeth von Ardenne nimmt die Übersiedlung nach Berlin aber weniger als
gesellschaftlichen Aufstieg denn als Zurückverbannung in die Familie wahr.
Festliche Abende wie im kleinen Benrath werden selten, das einzige Erfreuliche sind ihr
die nun wieder möglichen Besuche im Zoo. Noch mehr allerdings leidet an dieser
Übersiedlung Emil Hartwich. Vier Jahre lang hat er sich des ständigen Umgangs
dieser Frau erfreut, in Distanz zwar, aber doch nahe, und beginnt nun zu merken, dass
das sein Lebensinhalt war. "Eine Trennung beeinflusst die Liebe wie der Wind das Feuer",
heißt es bei La Rochefoucault, "ein kleines bläst er aus, ein großes facht
er an". Emil Hartwich wirkt nach dem Wegzug der geliebten Frau auf seine Freunde bald
so verstört, dass sie auf eine aufkommende Gemütskrankheit schließen,
niemand ahnt, dass der Grund dafür diese Trennung ist. In den Briefen, die er nach
Berlin schreibt - immer noch förmlich, immer noch kontrolliert -, drückt er aus,
dass er in seinem Leben keinen Sinn mehr sehe, alles Glück, alle Freude sei daraus
entwichen. Zu Weihnachten schickt sie ihm für ein Landschaftsbild, das er ihr gemalt
hat, etwas Handgearbeitetes für seinen Schreibtisch, und er dankt ihr mit den Worten,
er habe das erste Mal in seinem Leben das stille Glück gefühlt, dass jemand
"in weiter Ferne durch seiner Hände Werk mir eine Freude zu bringen sucht".
Im Frühjahr 1885 teilt er ihr seine Absicht mit, sich für ein Jahr von seinem
Richteramt beurlauben zu lassen. Er will sich in seiner Malerei vervollkommnen, auf Reisen
gehen, vielleicht überhaupt fortan der Kunst leben - alles Pläne, die zeigen,
dass er die Bindung an seine familiäre und berufliche Existenz verloren hat. Zwar ist
ihm bewusst, dass er eine Familie zu ernähren hat, aber mit dem Kopieren von Bildern
hofft er auch einiges Geld zu verdienen. Wenn aber nichts daraus werde, so der Schluss seines
Briefes an die "liebe Frau Else", dann habe er doch "wenigstens die Freude des Traumes gehabt".
Irgendwann im Jahr 1885 schafft er es, einen kurzen Besuch in Berlin zu machen, Gelegenheit
im Grunde, sich das Aussichtslose seiner Neigung klar zu machen, aber zu einer Ernüchterung
führt das nicht. Die Korrespondenz wird fortgesetzt und nimmt immer mehr den Charakter
gegenseitiger Leidens- wie Hoffnungs-Bekenntnisse an, so vorsichtig sie der Umstände
halber auch geführt wird.
Auch wenn zur weiteren Entwicklung des Verhältnisses zwischen Elisabeth von
Ardenne und Emil Hartwich Einzelheiten nicht bekannt sind, lässt sich folgern, dass es bis zum
Sommer 1886 zu einem Einvernehmen darüber gekommen sein muss, dass beide sich scheiden
lassen und damit den Weg in eine gemeinsame Zukunft für sich freimachen wollten.
In einem in diese Zeit fallenden Brief spricht Hartwich unter dem Vorwand, Ratschläge
für eine Schwester Elisabeths zu erteilen, die rechtlichen Aspekte eines solchen
Schrittes an:
Im August 1886 kommt Hartwich ein weiteres Mal nach Berlin und findet diesmal dank
der Abreise Ardennes ins Manöver Gelegenheit, endlich mit der geliebten Frau
ein paar Tage allein zu sein. Ardenne stellt bei seiner Rückkehr eine
'sichtbare Wandlung' an dieser fest und beobachtet auch, dass sie "Briefe, die sie
heimlich erhalten, mit großer Vorsicht sortirte und selbst lebhaft correspondirte".
Das Verhältnis ist allerdings schon so getrübt, dass er sie nicht zur
Rede stellt, sondern überwacht. Sein Misstrauen nimmt zu, als Hartwich Mitte Oktober
erneut in Berlin auftaucht und seine Frau ohne sein Wissen mit ihm bei Bekannten
zusammentrifft. Zwar kann Hartwich als Grund für seine Anwesenheit den Tod seines
Schwiegervaters nennen, aber sein Aufenthalt verlängert sich doch weit über den Tag
der Beerdigung hinaus und geht erst am 22. Oktober zu Ende. Einem von Elisabeth von
Ardenne hinterlassenen Tagebuch zufolge werden in dieser Zeit nun auch genauere
Abreden für die Zukunft getroffen, der Gedanke der beiderseitigen Scheidung hat sich
in ihnen festgesetzt. Schon seine Ankunft hat Hartwich mit den Worten angekündigt:
So nahezu selbstverständlich, wie Ardennes Verhalten nach Entdeckung der Untreue
seiner Frau ist, so erklärungsbedürftig ist die Bereitschaft Hartwichs, sich dem
Duell ohne jedes Zögern auch zu stellen. Kaum dass ihn die Forderung erreicht, fährt er
nach Berlin und tritt am 27. November 1886 am frühen Morgen in der Hasenheide seinem
Herausforderer gegenüber. Man mag dies für ein 'ungeschriebenes Gesetz' halten, aber
ein solches Gesetz gab es nicht. Hartwich ist weder Offizier noch adlig, er braucht auf seinen Ruf
innerhalb seines 'Standes' keineswegs strenge Rücksicht zu nehmen. Es würde Wochen, ja Monate
dauern, bevor seine Weigerung, sich einer solchen Herausforderung zu stellen,
in seiner Düsseldorfer Umgebung die Runde machte, und nicht einmal das müsste ihm,
der ohnehin für unkonventionell gilt, schaden. Davon abgesehen ist er Richter, also
zur Beachtung von Recht und Gesetz besonders verpflichtet, seine Vorgesetzten dürften
die Letzten sein, ihm sein Verhalten zum Vorwurf zu machen. Und da er sowieso am 1. Dezember sein
Urlaubsjahr antreten will - zeitweilig schwebt ihm Italien vor -, könnte er sich für
längere Zeit überhaupt allen Konsequenzen entziehen. Warum geht er also auf die Forderung
Ardennes ein?
Die Antwort kann nur lauten: Er hat sich in eine für ihn aussichtslose
Lage hineinmanövriert, er weiß nicht weiter, das Duell ist für ihn der
einzige Ausweg. Sein Wunschtraum, sich die Ehe mit Elisabeth von Ardenne
in einer beiderseitigen Scheidung zu ermöglichen, steht mit der Entdeckung
ihres Verhältnisses zwar ihrerseits unmittelbar vor der Erfüllung -
denn dass Ardenne sich scheiden lassen wird, steht außer Frage -, doch er seinerseits
kann auf nichts dieser Art hoffen. In seinem Falle müsste seine Frau die Scheidung
beantragen oder in sie einwilligen, und dazu würde sie ohne eine großzüge materielle
Absicherung nicht bereit sein. Wie die aber ermöglichen? Sein Einkommen reicht kaum aus,
die gewöhnliche Versorgung seiner Familie sicherzustellen, wie soll er da seiner
Frau eine Scheidung schmackhaft machen? Solange davon auszugehen war, dass sich Elisabeth
von Ardenne von ihrem Mann einvernehmlich trennen würde, schien immerhin ihre
materielle Unabhängigkeit gesichert. Doch jetzt, wo sie nicht einmal mehr mit den
Unterhaltszahlungen für ihre Kinder rechnen kann? Einer mittellosen
geschiedenen Frau hat Hartwich nichts anzubieten, wirklich gar nichts, die Entdeckung
ihres Verhältnisses macht allen Zukunfts-Träumen ein Ende. So bleibt
ihm als einzig anständiger Ausweg nur, sich für sie zu schlagen und hoffentlich
dabei zu sterben. Bei dem Duell schießt er, der als guter Pistolenschütze gilt,
in die Luft, bevor ihn Ardenne mit einem Schuss in den Unterleib schwer verletzt.
Die Ärzte im Königlichen Klinikum versuchen noch durch eine Operation sein Leben zu retten,
doch vergeblich. Emil Hartwich stirbt, 43 Jahre alt, am 1. Dezember 1886, dem ersten
Tag des ihm bewilligten Urlaubsjahres.
Wenn es in "Effi Briest" heißt, Crampas habe beim Eintreffen der Duell-Forderung
das Gefühl erkennen lassen, aus der Sache nicht heil herauszukommen, und er wolle es
auch nicht, so kann man sich fragen, was diesen Lebemann hinsichtlich einer mehr als
sechs Jahre zurückliegenden Affäre so opferbereit stimmt. Kann er sich
Effis wegen wirklich so schuldig fühlen, dass er nicht mehr weiter leben will?
Indem Fontane Hartwichs Verhalten, von dem er natürlich gewusst hat, auf Crampas
überträgt, macht er ihn vielleicht doch edler, als man ihn bis dahin
kennen gelernt hat. Hartwichs Motive sind nicht ganz so edel. Zwar opfert er sich, aber er
entzieht sich auch. Dass er die Frau, mit der er ein Verhältnis angeknüpft hat,
nach ihrer Scheidung nicht würde heiraten können, wollte er nicht erleben.
Und tut er damit nicht auch etwas für sie? In Friedrich Spielhagens Version der Ardenne-Geschichte,
dem Roman "Zum Zeitvertreib" (Näheres siehe unter WIRKUNG) ,
fällt auf die weibliche
Protagonistin, hier Klotilde von Sorbitz geheißen, ein äußerst ungünstiges
Licht. Sie ist eine eitle, oberflächliche Salondame, die einen ihr in keiner Weise
gewachsenen Gymnasialprofessor und Familienvater in eine Affäre verwickelt, die dieser
dann im Duell mit dem Leben bezahlt. Tatsächlich hat sie mit diesem
gutmütigen Idealisten gar nichts im Sinn, befasst sich mit ihm nur 'zum Zeitvertreib',
und dass ihr Mann sich von ihr scheiden lässt, erscheint als Strafe für sie noch zu gering.
Da Spielhagen Frau von Ardenne gut kannte - in ihren ersten Berliner Jahren hatten sie auch
familiär miteinander verkehrt -, bietet dieser Roman gegen den idealen Schimmer, der
durch "Effi Briest" auf sie fällt, ein nicht zu vernachlässigendes
Korrektiv. Zwar hat Spielhagen Fontane gegenüber erklärt, dass die wirkliche Frau Ardenne
von den hässlichen Zügen seiner Klotilde von Sorbitz "frei war und ist", aber die
Ehebruchs-Konstellation als solche ist, wie hier dargestellt, für das Bild von ihr fatal genug.
Doch selbst, wenn dies nicht die Wahrheit wäre - Emil Hartwich erweist ihr mit seinem Duell-Tod
unzweifelhaft einen Dienst: sie bleibt als das Opfer zurück, dem das Schicksal den Liebhaber
und künftigen Ehemann genommen hat, nicht schuldlos zwar, aber doch durch ein besonderes
Unglück geadelt.

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Die Duell-Nachricht in der Vossischen Zeitung vom 3. Dezember 1886
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Armand von Ardenne muss nach dem Tod Hartwichs seinen Vorgesetzten im Kriegsministerium
von dem Duell natürlich Mitteilung machen, weiß aber auch, dass er hier
auf jedes Entgegenkommen rechnen kann. Ein Offizier, der bei einem solchen ehebrecherischen
Verhältnis den Liebhaber seiner Frau zu fordern unterließe, müsste im Gegenteil
mit der äußerten Verachtung seiner Kreise rechnen. Dass Hartwich nach dem Schusswechsel
Ardenne noch um Verzeihung gebeten hat, wie protokollarisch festgehalten ist, bestätigt nur die Berechtigung
dieser Sühne. Das zusammengetretene Militärgericht verurteilt Ardenne am 15.
Dezember 1886 zu der gesetzlichen Mindeststrafe von zwei Jahren Festungshaft. Ardenne
kann sich die Festung aussuchen und entscheidet sich für Magdeburg, dessen
Kommandanten er persönlich kennt. Am 4. Januar 1887 tritt er die Haft an, zunächst
zu den üblichen harten Bedingungen, wie er in Briefen an seine Mutter klagt, da der
Kommandant noch in Urlaub ist. Nach einigen Tagen genießt er hier aber allen
erdenklichen Komfort. Die Mutter schickt große Versorgungspakete mit Hühnern,
Karpfen, Pökelfleisch, aus dem Kriegsministerium werden zur Bearbeitung Akten überstellt,
und angemessene Gesellschaft hat er auch. Es sind zwei Offiziere, die wie er im Duell
jemanden getötet haben, und ein Förster, der einen Wilddieb erschossen hat. "Wir vier Mörder",
schreibt er gemütlich an seine Mutter, "sind aber eigentlich sehr harmlose Menschen". So
lässt es sich wohl eine Zeitlang aushalten. Bei Fontane sind es für Innstetten sechs
Haftwochen, Ardenne verbüßt von seinen zwei Jahren an Wochen noch nicht einmal drei. Am 22.
Januar 1887 wird ihm durch Kaiser Wilhelm 'der Rest der zu verbüßenden Freiheitsstrafe
aus Gnade erlassen'.
Anders als Innstetten bei Fontane sieht sich Ardenne aber noch durch einen Zeitungsbericht
über den Duell-Fall beleidigt. Die DRESDNER NACHRICHTEN melden am 5. Dezember 1886,
dass ein 'höherer Offizier' den Amtsrichter Hartwich im Duell getötet habe, weil er sich
"durch Briefe des Amtsrichters, die in seine Hände gefallen waren, schwer verletzt gefühlt habe".
Das konnte heißen, dass lediglich Briefäußerungen der Grund für das Duell gewesen sind,
und kennzeichnete damit den Herausforderer als übermäßig empfindlich. Noch verschärft
wurde diese Bewertung durch eine Meldung des nächsten Tages, die mit den Worten beginnt:
Schon wenige Tage nach dem Duell reicht Ardenne beim Königlichen Amtsgericht in Berlin
die Scheidungsklage ein, der in der mündlichen Verhandlung am 15. März
1887 auch stattgegeben wird. Aus dem ehelichen Vermögen erhält Elisabeth von
Ardenne eine Abfindung von - immerhin - 32 000 Mark zugesprochen (in Euro bald das
Zehnfache), die Ardenne ihr dann in immer wieder umstrittenen Teilbeträgen als
Leibrente auszahlt. Er hat Sorge, dass sie das Geld,
wenn sie es im Ganzen erhielte, binnen kurzem ausgeben würde und er dann doch für
sie aufkommen müsste. "Denn verhungern könnte ich doch die Mutter meiner Kinder
nicht lassen", schreibt er an seine Mutter. Den Namen Ardenne darf sie behalten.
Schon während des Scheidungsverfahrens verlässt Elisabeth von Ardenne Berlin und zieht zu ihrer
Schwester Luise von Gersdorff in die Nähe von Bad Kreuznach. Dort lernt sie den
württembergischen Pfarrer Christoph Blumhardt kennen, der einen Ruf als 'Seelenheiler'
hat, und folgt ihm nach Bad Boll. In vielen Gesprächen hilft er ihr über ihre Lebenskrise
hinweg und legt ihr nahe, sich zur Krankenschwester ausbilden zu lassen. Sie absolviert eine Ausbildung
in der Schweiz und wird anschließend Pflegerin in einem kleinen Lungen-Sanatorium in Schlesien. Da dies
bald wieder schließen muss, geht sie zunächst nach Karlruhe und dann - 1889 - zurück
nach Berlin, wo sie in Zehlendorf im 'Asyl Schweizerhof' arbeitet. Den Weg ihres Mannes und der Kinder
kreuzt sie hier aber nicht mehr, da diese Berlin schon verlassen haben. Von der Tätigkeit in Berlin
hat aber Fontane gewusst, der am 27. Oktober 1895 an Clara Kühnast schreibt, dass die
wirkliche Effi noch lebe und eine "ausgezeichnete Pflegerin in einer großen
Heilanstalt" sei. Er räumt Effi als geschiedener Frau also bewusst weniger Chancen ein,
die ja darüber klagt, "daß einem die Welt so zu ist und daß es sich einem sogar
verbietet, bei Gutem mit dabeizusein" (Kap.32, Abs.42). Allenfalls mögen die
häufigen Ortswechsel Elisabeth von Ardennes in den ersten Jahren nach ihrer Scheidung
ein Indiz für derlei Schwierigkeiten auch in ihrem Falle sein, denn auch zu der Zeit, da Fontane
sie noch in der Berliner Heilanstalt vermutet, arbeitet sie dort schon nicht mehr, sondern in einem
Sanatorium in der Schweiz. Anders als Effi reist sie aber auch viel in diesen Jahren, in Deutschland,
der Schweiz, nach Italien und sogar nach London, so dass sie dann doch allmählich in einem Leben
auch ohne Familie Fuß fassen kann.
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Die Kinder des Ehepaares Ardenne im Jahr 1879: Egmont (zweieinhalb) und Margot (sechs)
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Bei der Scheidung, das kann nicht anders sein, werden die beiden Ardenne-Kinder, die
dreizehnjährige Margot und der zehnjährige Egmont, dem Vater zugesprochen, eine
schuldig geschiedene Frau kann nicht erziehungsberechtigt sein. Ungeregelt bleibt, wie
die Mutter zu den Kindern Verbindung halten kann, das grundsätzliche Recht dazu
wird ihr nicht bestritten. Abmachungen darüber lehnt Ardenne jedoch ab, und das
Gericht gesteht ihm zu, dass es für eine Einigung in dieser Frage noch zu früh sei.
Tatsächlich will Ardenne solche Kontakte möglichst ausschließen und übergibt deshalb
die Kinder noch vor der Scheidung seinen Eltern in Leipzig. Andernfalls sei zu
befürchten, schreibt er an seine Schwester,
Anders als Innstetten, der sein Leben nach dem Duell und der Scheidung
als 'verpfuscht' bezeichnet, kommt Armand von Ardenne mit den veränderten
Umständen ganz gut zurecht. Im Mai 1888 heiratet er die 27-jährige
Sängerin Julia Peters, die wie er geschieden ist und nach den Behauptungen
Elisabeth von Ardennes auch schon zur Zeit der Ehe mit ihr seine Geliebte war. Sie bekommt
1894 von ihm auch noch ein Kind, eine Tochter, und zieht auch die beiden Kinder
aus seiner ersten Ehe auf. Und er setzt seine Karriere fort. Zum Major
befördert, kehrt er nach Düsseldorf zurück, wird danach Oberst und
Regimentskommandeur in Darmstadt und schließlich Divisionsgeneral in Magdeburg.
Auch Fontane nimmt diesen Aufstieg wahr, "Innstetten, in natura, wird mit nächstem General
werden", schreibt er am 27. Oktober 1895 an Clara Kühnast. 1904 geht Ardenne -
vorzeitig - in Pension. Er hat in einer Bewaffnungsfrage - es geht um einen
später erfolgreich eingeführten, neuen Kanonen-Typ - gegen Wilhelm II.
Stellung bezogen und ist deshalb in Ungnade gefallen. Bis zu seinem Tode am 20.
Mai 1919 lebt er als Militär-Schrifsteller in Berlin, ohne seine erste Frau,
die ihn im Interesse der Kinder und Enkel wiederholt um eine Aussöhnung bittet,
noch einmal wieder zu sehen.
Während Effi 1890 mit 29 Jahren stirbt, hat die zu dieser Zeit 37-jährige Elisabeth
von Ardenne noch ein langes Leben vor sich. Von den Wiederbegegnungen mit ihren Kindern
abgesehen, verläuft es nach 1900 aber in zunehmend ruhigeren Bahnen. Als Krankenpflegerin
kümmert sie sich schon länger besonders um psychisch Kranke und bekommt deshalb privat
die Betreuung der nervenkranken Margarethe Weyersberg übertragen, die sich dann
über 50 Jahre hin fortsetzt, erst in Alsbach an der Bergstraße, später
in Lindau am Bodensee. Die Familie Weyersberg finanziert ihr dafür lebenslang Wohnung
und Unterhalt, und so kommt sie auch über Inflation, Weltkriege und Nachkriegselend ohne Not
hinweg. Sie stirbt erst am 5. Februar 1952 in Lindau im Alter von 98 Jahren.

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Elisabeth von Ardenne in ihren letzten Lebensjahren
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Die Todesanzeige in der Bodensee-Rundschau
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Begraben sein wollte sie aber in Berlin, auf dem Friedhof jener Gemeinde, zu der sie
vor ihrem Weggang von dort gehört hatte. Es ist der zur Trinitatis-Kirche von
Charlottenburg gehörende Teil des Südwest-Friedhofes in Stahnsdorf. Dieser
schon in Brandenburg gelegene Friedhof wurde 1935 angelegt, weil die Gemeinde-Friedhöfe
in Berlin nicht mehr ausreichten oder der städtischen Bebauung weichen mussten.
Die Grabstätte für sie dort - Trinitatis V-112a - wurde bis 1999 von der
Familie Ardenne unterhalten und ist heute ein Ehrengrab der Stadt Berlin.

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Die Grabstätte auf dem Berliner Südwest-Friedhof in Stahnsdorf (Brandenburg)
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Was hat im Großen und Ganzen diese Geschichte mit Fontanes "Effi Briest" zu tun?
Nichts - so lässt sich die Antwort zusammenfassen, die Rolf Christian Zimmermann auf diese
Frage in einem 1997 in den Fontane-Blättern erschienenen Aufsatz gibt.
Und in der Tat, es ist nur gedankenlos, wenn immer wieder gesagt wird, Elisabeth von
Ardenne 'sei' Effi Briest, sie könne als deren Urbild oder Vorbild angesehen
werden usw. Es genügt, sich die ganz anderen Altersverhältnisse der Beteiligten vor
Augen zu halten, um die grundsätzliche Verschiedenheit der beiden Geschichten
wahrzunehmen. Während es in dem einen Fall um eine Frau von über dreißig geht,
die sich von einem ungeliebten Mann scheiden lassen will, zuviel riskiert und dann
ihr Leben allein bestreiten muss, geht es in dem anderen um eine 17- und 18-jährige,
die weder für ihre Ehe noch für ihre Untreue recht verantwortlich ist
und von den Folgen ihrer Unbedachtheit eingeholt wird, als sie sie durch Liebe und
Treue längst wieder gutgemacht hat. Und auch die Duell-Konstellation ist eine
andere. In dem einen Fall hat der Ehemann zu seiner Forderung nahezu keine Alternative
und wird darin bestärkt auch noch durch das Verhalten seines Opfers, in dem anderen
kommt Innstetten - aus aller Sicht zu Recht - zu dem Ergebnis, dass er sich das
Ganze auch hätte ersparen und mit seiner Frau sich hätte aussöhnen
können.
Interessant an diesen Unterschieden ist nun jedoch weniger, dass es sie gibt, als vielmehr,
inwieweit Fontane von dem, was ihm bekannt war, abgewichen ist. Wenn er wiederholt
äußert, er habe die ganze Effi-Briest-Geschichte, so wie er sie erzählt,
im Hause Lessing erfahren und "nur in Ort und Namen alles transponirt" (Brief
an eine Leserin vom 12. Juni 1895) , so müsste man folgern, dass er schon weitgehend
unzutreffend von den Vorkommnissen unterrichtet worden ist. Das kommt jedoch nicht
in Frage. Es mag sein, dass ihm gesagt worden war, der Ehebruch habe, als er entdeckt
wurde, schon längere Zeit zurückgelegen, und es mag auch sein, dass er von
den Scheidungsplänen Elisabeth von Ardennes nichts wusste. Auf keinen Fall aber
kann er bei seiner Kenntnis ihrer Lebensstationen hier von einem Zeitabstand von
sechs oder sieben Jahren ausgegangen sein, und noch weniger kommt der dem Paar
zugeschriebene Altersunterschied - samt der Tatsache, dass der Ehemann schon um seine
Schwiegermutter geworben hat - als Realitätsannahme in Betracht.
Damit aber nähert man sich dem Kern von Fontanes Intention. Was er behandeln
wollte, war das Schicksal einer unschuldig schuldig gewordenen jungen Frau, beinahe
eines Kindes noch und so dem Leben zugetan, dass sie die Engherzigkeit der Erwachsenen-Moral
kaum begreift. Da sie Crampas nicht liebt, soll sie der Ehebruch
nicht belasten oder jedenfalls längst wieder gutgemacht sein, als sie die Strafe
dafür dennoch erreicht. Das belegt auch die Entstehungsgeschichte.
Das für Fontane 'erregende Moment' war ja nicht das Duell oder der Ehekonflikt, sondern die
mädchenhafte Gestalt Effis selbst, also das "Else komm" bei der Verlobung, von dem
man ihm berichtet hatte, und die "kleine Methodistin" auf dem Hotelbalkon in Thale,
die ihm das äußere Erscheinungsbild für sie lieferte. Diese Gestalt hat er
sich dann gegen jede Beschädigung, die ihr aus der Handlung hätte erwachsen
können, zu bewahren gesucht, bis hin zu der Unwahrscheinlichkeit, dass Effi
am Ende, mit 29 Jahren, noch wieder ein eben solches Kittelkleid trägt wie am Anfang
mit sechzehn. Mit einer Elisabeth von Ardenne, die - mit dreißig an ihrer Ehe
zweifelnd - Anstalten macht, sich von ihrem Mann und vielleicht auch zwei Kindern zu
trennen, um einen seinerseits geschiedenen Vater von drei Kindern zu heiraten, hätte er
nichts anzufangen gewusst. Das war auch aus seiner Sicht mehr verwerflich als Mitleid erregend,
eine Gloriole von Sympathie um eine solche Frau zu weben wäre ihm nicht
eingefallen.
Auch wenn Fontane also besser über die Ardenne-Geschichte Bescheid gewusst hätte
(wobei er so wenig, wie es scheinen kann, gewiss nicht gewusst hat) - zum Chronisten dieser Geschichte
hätte er sich niemals gemacht. Das war jene schlackenhafte, peinliche, bedrückende
Wirklichkeit, der das Erhebende, was die Poesie brauchte, nicht abzugewinnen war.
Und gibt ihm der Erfolg seines Werkes nicht Recht? Von einer Elisabeth von Ardenne
würde man lesen und sie auch wieder vergessen, es ist nur die Art von Leben, auf die man
überall trifft. Effi Briest hingegen ist ein Traum, Inbegriff jener heiter-selbstbewussten
Mädchenhaftigkeit, die ganz sich selbst genügt und der nichts und niemand etwas
anhaben kann. Und so ist es am Ende wohl immer, wo die Poesie gegen das Leben steht.
Sie ist gerade deshalb so dauerhaft, weil sie das Leben schöner macht,
als es eigentlich ist.
