[Vorrede zum Ersten Band]
Doch nicht solche Geschichten, wie sie in dem beschriebenen Charakter von Seldwyla liegen, will ich eigentlich in diesem
Büchlein erzählen, sondern einige sonderbare Abfällsel, die so zwischendurch passierten, gewissermaßen ausnahmsweise ...
Mit der Erklärung, nicht vom gewöhnlichen Leben in Seldwyla erzählen zu wollen, sondern von Ausnahmefällen, übernimmt
Keller geradezu musterhaft das Programm des 'Poetischen Realismus'. Seit dem Aufkommen der Realismus-Forderung in den 1830er Jahren wird in
Deutschland darüber debattiert, wie die getreue Abbildung der Wirklichkeit sich mit dem Merkmal der Schönheit vereinbaren lasse,
das man für die 'Schöne Literatur' für unabdingbar hielt. Die Wirklichkeit sei leider in der Regel nicht schön, so wurde argumentiert,
sie aber zu beschönigen vertrage sich nicht mit der Idee des Realismus.
Die gefundene Lösung: Die Dichter müssten das Leben dort aufsuchen, wo es noch schön sei, oder - wie Friedrich Theodor Vischer
es in seiner "Aesthetik" (1857) formulierte -, die Dichter müssten sich an die grünen Stellen der Wirklichkeit halten. Immer
wieder wird die Liebe als eine solche 'grüne Stelle' genannt, oder es wird empfohlen, die Menschen nicht in ihrer Wochentagsexistenz, sondern
an ihren Sonntagen aufzusuchen. Das Schöne soll sich also aus der richtigen Auswahl der Lebensmomente ergeben, ohne dass das Lebensbild
deshalb über die Wahrscheinlichkeit hinausgehoben erscheint.

Ob Keller mit seinen Novellen ein solches wahrscheinliches Lebensbild entwerfen kann, ist allgemein nicht zu beantworten. Theodor Fontane nannte
ihn wegen gewisser Stilzüge vom Ansatz her einen 'Märchenerzähler' (siehe unter GESTALTUNG zum
5. Teil), für andere
war er ein fast schon das Hässliche bevorzugender Realist. Tatsache ist, dass man beides in seinen Werken findet: einen Zug zum Hübschen und
Lieblichen, der in seiner Überdeutlichkeit allerdings manchmal schon wie zitiert wirkt, und die ungeschminkte Darstellung unschöner Lebensmomente,
die sogar ins Boshafte übergehen kann. Nachfolgend wird auf diese Mischung, die zu beachten sich auch didaktisch lohnt, besonders hingewiesen.
[Erster Teil]
Diese Geschichte zu erzählen würde eine müßige Nachahmung sein, wenn sie nicht auf einem wirklichen Vorfall beruhte ...
Ein Zeitgenosse Kellers, der Diplomat Alexander von Villers (1812-1880), hat in seinen "Briefen eines Unbekannten" (1881) die Unlogik dieses
Satzes beanstandet, nämlich dass er gerade soviel sage wie: dieser Baum würde ein Frosch sein, wenn es sich nicht um ein Pferd
handelte, mithin 'barer Unsinn' sei. Das ist zwar übertrieben, aber nicht ganz falsch. Richtiger könnte der Satz lauten: Diese Geschichte
wäre nicht erzählenswert, wenn sie nur Shakespeares 'Romeo und Julia' nachahmte, doch ist sie wirklich vorgekommen und zeigt wieder
einmal, wie tief im Menschenleben jede der Fabeln wurzelt, auf die die großen alten Werke gebaut sind. Wäre das aber besser? Kellers
umständliche und auch ein bisschen unbeholfen wirkende Formulierung hat etwas Treuherzig-Aufrichtiges, so wie wenn der Erzähler
selbst noch nach den richtigen Worten für das suchte, was ihm zu Herzen gegangen ist.
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Es gab auch jedes Mal einen mittlern Augenblick, wo die schimmernden Mützen aufrecht in der Luft schwankten und wie zwei weiße
Flammen gen Himmel züngelten.
Inmitten der idyllischen Szenerie um die beiden pflügenden Bauern sind die 'züngelnden Flammen' ein fremdes, störendes
Element. Ohne Zweifel soll es andeuten, dass der Schein trügt und etwas Böses in dieser Idylle angelegt ist.
So war der lange Morgen zum Teil vergangen, als von dem Dorfe her ein kleines artiges Fuhrwerklein sich näherte ...
Kinderwägelchen ... ein kleines Ding von Mädchen ... Zutätchen ...
Der häufige Gebrauch von Verkleinerungsformen kann bei Keller verschiedene Bedeutungen haben: es kann sich um Verniedlichungen,
es kann sich aber auch um Abwertungen handeln. Hier liegt der positive Sinn vor, so wie auch in der gesamten ersten Kennzeichnung des
bäuerlichen Milieus die positiven Momente die maßgebenden sind.
... außerdem waren da noch verpackt allerlei seltsam gestaltete angebissene Äpfel und Birnen ... und eine völlig nackte Puppe mit
nur einem Bein und einem verschmierten Gesicht ...
Um den allzu gefälligen, vielleicht schon unechten ('kitschigen') Eindruck der Kinderszene aufzuheben, stellt Keller ihr ohne jede Vorankündigung ein
drastisch unschönes Element gegenüber und gibt so zu erkennen, dass er jederzeit 'auch anders kann'. Der Gegensatz kennzeichnet hier also
weniger die geschilderte Wirklichkeit als die kauzige Natur des Erzählers bzw. Gottfried Kellers, der auch als Mensch zu solchen abrupten Derbheiten
neigte. In Gesellschaften wurde oft geradezu befürchtet, dass er aus der Rolle fallen und irgendwelche Anwesenden durch brüske
Bemerkungen vor den Kopf stoßen könnte.
An einem sonnigen Septembermorgen pflügten zwei Bauern auf zweien dieser Äcker ...
Es war ein Junge von sieben Jahren und ein Dirnchen von fünfen ...
Die Altersangabe ist zugleich der Ausgangspunkt für die Bestimmung der Handlungsdauer: in einem September
beginnend, endet die Geschichte zwölf Jahre später wiederum an einem 'schönen Sonntagmorgen im September' (siehe
6. Teil, Absatz 3). Teils wird das Alter der Kinder, teils werden die übersprungenen Jahre zur Zeiteinteilung herangezogen. Die Datierung
der einzelnen Szenen ist auch eine didaktisch brauchbare Aufgabe, weil sie eine genaue Textdurchsicht erfordert und ein begründbares
Ergebnis liefert.
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... ein weithin scheinendes Silbergewölk ... welches lachend an ihren Bergen hinschwebte. "Die Lumpenhunde zu
Seldwyl kochen wieder gut!", sagte Manz ...
Der Kontrast zwischen dem lachend hinschwebenden Silbergewölk und den gut kochenden Lumpenhunden ist wiederum kennzeichnend
für Kellers drastische Art, schöne Eindrücke desillusionistisch aufzulösen.
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... eine einsame rote Mohnblume, die da noch blühte, wurde ihr als Haube über den Kopf gezogen ... bis der Knabe sie genugsam
besehen und mit einem Steine herunterwarf.
Mit der Mohnblume und dem Steinwurf wird ein Motiv in der Erzählung angelegt, das sich in der Szene mit Vrenchens Vater später wiederholt.
Man sollte dies allerdings nicht 'Vorausdeutung' nennen. Die wiederholte Nennung der Steine - erst auf dem Acker, dann als Steinwurf, später als
Steinhaufen und Steinschlag - stellt hauptsächlich nur einen atmosphärischen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Szenen her.
Darüber hinaus sind die Steine auch 'Stein des Anstoßes', stellen also für den Streit der Bauern das tatsächlich dar, was die
Redewendung meint.
Die Kinder hielten den Kopf an die Ohren und setzten ihn dann feierlich auf einen Stein; da er noch mit der roten Mohnblume bedeckt war, so glich
der Tönende jetzt einem weissagenden Haupte ...
Der hohle, nur noch summende Kopf der Puppe findet später seine Entsprechung in dem durch den Schlag Salis schwachsinnig gewordenen Marti,
auch wiederum ein Motiv, das zwei Handlungsteile miteinander verbindet. Die ausführliche Schilderung des Spiels der Kinder mit der
unbeschönigten Benennung seiner grausamen und hässlichen Züge hat es allerdings vor allem auf die mit der Romantik aufgekommene
Kinder-Sentimentalität abgesehen, die in der Literatur des Realismus im Großen und Ganzen fortbesteht.
[Zweiter Teil]
... da der zehnjährige Salomon oder Sali, wie er genannt wurde, sich schon wacker auf Seite der größeren Burschen und
der Männer hielt ...
Drei Jahre, vielleicht auch dreieinhalb Jahre vergehen bis zur Versteigerung des Ackers, denn als Manz den Acker an sich gebracht hat, heißt es,
... dass er den kaum elfjährigen Jungen ... nun mit hinaus sandte ...
Für die Jahreszählung ist der Zeitpunkt der Versteigerung aber ohne Bedeutung.
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... vielmehr starrten sie nach verschiedener Richtung ins Blaue hinaus, als ob sie da wunder was für Merkwürdigkeiten im Auge hätten ...
Mit seiner ironischen Kommentierung bezieht Keller deutlich gegen die beiden Bauern Stellung, ergreift also als Erzähler Partei. Dem mit der
Realismus-Forderung sich ausbildenden Gebot, dass der Erzähler sich jeder Parteinahme zu enthalten, d.h. strikt neutral oder 'objektiv' zu
erzählen habe, hat sich Keller nie unterworfen. Er erzählt immer 'moralisch', gibt also klar zu erkennen, was er für gut und richtig,
und noch öfter, was er für schlecht und falsch hält. Zu interpretieren gibt es in dieser Hinsicht also nicht viel, was allerdings nicht bedeutet,
dass man sich seinen Urteilen immer anschließen muss.
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So ging es gewaltig rückwärts mit ihnen, und ehe zehn Jahre vorüber, steckten sie beide von Grund aus in Schulden ...
Die Frau des Marti, welche von guter Art war, hielt den Verfall nicht aus, härmte sich ab und starb, ehe ihre Tochter vierzehn Jahre alt war.
Die beiden Zeitangaben stimmen nicht ganz überein. Vrenchen ist schon sechs Jahre nach der Versteigerung vierzehn Jahre alt, und nachfolgend ergibt
sich, dass sie sechzehn ist, als Manz mit seiner Familie das Dorf verlassen muss. Die Verschuldung zeitigt ihre Folgen also schon deutlich bevor 'zehn Jahre
vorüber', nämlich bereits nach acht Jahren.
... wenn er es arg trieb, so machte sie es bunt, ließ sich nichts abgehen und gedieh zu der dicksten Blüte einer Vorsteherin
des zerfallenden Hauses.
Das Urteil über die Frau des Manz ist eine der bei Keller oft anzutreffenden Grobheiten gegenüber Frauen - er stellt in dieser
Hinsicht die große Ausnahme unter den Autoren des 19. Jahrhunderts dar.
[Dritter Teil]
Als es sechzehn Jahre zählte, war es schon ein schlank gewachsenes, ziervolles Mädchen ...
Seit der Versteigerung des Ackers und damit der Trennung des Kinderpaares sind jetzt also acht Jahre vergangen. Zu Kellers
Lob der Gehemmtheit Vrenchens siehe unter
LEBENSWELT.
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... kurzum, sie tat jetzt alles, da sie alt war, was besser gedient hätte, wenn sie es früher geübt.
Da der Zeitpunkt, zu dem die Frau des Manz als geschwätzig, verlogen, eingebildet usw. geschildert wird, nur ein bis
zwei Jahre zurückliegt, ist ein verändertes Verhalten 'jetzt, da sie alt ist', nicht nachzuvollziehen. Keller hat nur
offenbar empfunden, dass ihm ihre Beurteilung allzu negativ geraten ist, und will eine Art Wiedergutmachung leisten.
[Vierter Teil]
Wenn man Manz vor zwölf Jahren, als er mit einem schönen Gespann pflügte auf dem Hügel über dem Ufer,
geweissagt hätte ...
Mit dem Rückblick auf die Eingangsszene 'vor zwölf Jahren' wählt Keller den Zeitpunkt der Liebeshandlung deutlich so, dass die
damals fünf und sieben Jahre alten Kinder nun siebzehn und neunzehn sind. Das ist auch das Alter des Paares in der Zeitungsmeldung,
von der sich Keller zu der Novelle hat anregen lassen (siehe unter
ENTSTEHUNG). Dass
andere Angaben auf einen größeren Zeitabstand hindeuten, fällt demgegenüber nicht ins Gewicht.
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... und in diesem Augenblicke erhellte ein Wolkenriss, der den grellen Abendschein durchließ, das nahe Gesicht des Mädchens ...
Der Moment des 'Erkennens' oder Sich-Verliebens wird hier mit einem Sonnenstrahl verbunden, der natürlich auch einen symbolischen Sinn hat.
... ihre Kinder aber atmeten kaum und waren still wie der Tod, gaben sich aber im Wegwenden ... schnell die Hände, welche vom
Wasser und von den Fischen feucht und kühl waren.
Die vom Wasser und den Fischen noch feuchten Hände - dass die beiden Fische angefasst haben, ist im Grunde kaum
erschließbar - nehmen ihren gemeinsamen Tod vorweg, zumal auch umgekehrt an diesen Moment in der späteren Situation
wieder erinnert wird.
[Fünfter Teil]

Die Gliederung der Novelle in sechs Teile, wie sie hier vorgenommen wird, sollte
nicht übersehen lassen, dass die Teile sehr verschieden lang sind. Die Teile eins bis vier umfassen zwar fast die gesamte
Handlungszeit von zwölf Jahren, machen aber nur gut ein Drittel des Textes aus, während auf die letzten sechs
Wochen bzw. die Teile fünf und sechs annähernd zwei Drittel entfallen. Oder in Prozenten ausgedrückt: die Geschichte
der Elternfeindschaft mit 99 Prozent der Handlungszeit beansprucht ein Drittel des Textes, die Geschichte des Liebespaares mit
nur einem Prozent zwei Drittel. Keller wollte also vor allem eine Liebesgeschichte erzählen, und weit weniger wichtig,
als dass sie mit dem Tod des Paares endet, ist ihm, dass es sie gibt. In der jüngeren Literaturwissenschaft mit ihrer
Bevorzugung gesellschaftlicher Fragestellungen werden diese Proportionen allerdings zumeist umgekehrt. Das Hauptgewicht der
Interpretationen und Unterrichtsvorschläge liegt hier auf den Umständen, die zur Feindschaft der Elternfamilien
geführt haben, und der Verlauf der Liebesgeschichte hängt ihnen als Folge nur an.


Je mehr für den Selbstmord des Paares allerdings eine gesellschaftlich verursachte Zwangsläufigkeit unterstellt wird, desto
problematischer wird es - sogar Keller selbst hat ja in dem ursprünglichen Schluss der Novelle diesen Selbstmord kritisch
kommentiert (siehe unter GESTALTUNG zum
6. Teil). Zu Recht wird deshalb darauf hingewiesen, dass - sollte
der Selbstmord zum Thema gemacht werden - hier unbedingt nach Alternativen gefragt werden müsste, nicht zu vergessen die
längst anderen sozialen Möglichkeiten, die es heute - in unseren westlichen Gesellschaften jedenfalls - für Liebespaare
verfeindeter Eltern gäbe.

Das berührt sich mit der Frage, ob Keller den Selbstmord überhaupt hinreichend glaubhaft machen kann.
Theodor Fontane (1819-1898) sah - in einer Niederschrift von 1875 - die Glaubhaftigkeit dadurch beeinträchtigt,
daß die erste Hälfte ganz in Realismus, die zweite Hälfte ganz in Romantizismus steckt; die erste Hälfte ist eine das
echteste Volksleben bis ins kleinste hinein wiedergebende Novelle, die zweite Hälfte ist, wenn nicht ein Märchen, so doch
durchaus märchenhaft. Und warum? Weil dieser Märchenton leichter zu treffen ist als der der Wirklichkeit. Wer nicht ganz mit
und unter dem Volke gelebt hat, hat diesen Ton auch nicht, er muß ihn sich also aus diesen und jenen Reminiszenzen aufbauen.
Dies mit zwei alten störrigen Bauern zu tun, glückt einem Talent wie dem Kellerschen, den
wirklichen Ton eines
sechzehnjährigen Dorfmädchens und eines zwanzigjährigen Bauernburschen zu treffen, ist aber fast unmöglich,
und so muß der Märchenton aushelfen. So sprechen sie denn nicht wie 'Vrenchen und Sali', sondern wie 'Brüderchen
und Schwesterchen', wogegen nichts zu sagen wäre, wenn die ganze Geschichte dem entspräche; aber das allmähliche
Hineingeraten aus mit realistischem Pinsel gemalter Wirklichkeit in romantische Sentimentalität ... ist nicht gutzuheißen.
Die Zartheit, das Wegfallen alles Harten und Störenden, wodurch die zweite Hälfte dieser Erzählung sich auszeichnet,
ist schließlich doch nur das Resultat einer nicht vollkommen ausreichenden Kraft. Keller hat hier aus der Not eine Tugend gemacht.


Etwas Ähnliches beobachtet Otto Ludwig (1813-1865), kommt aber zu einem entgegengesetzten Resultat:
Die Wirkung der Novelle ist eine sehr schöne, nicht allein ist die Katastrophe wahrscheinlich und notwendig; man wünscht
auch nicht, daß die Katastrophe ausbliebe, daß die Geschichte einen anderen Ausgang erhielte. ... Seine [Kellers] Liebenden sterben
zunächst, weil das Elend der Armut ein Hindernis ihrer Liebesvereinigung durch die Ehe [ist], die sie nicht entbehren können; aber sie
sterben eben deshalb nicht allein, weil sie unglücklich lieben, sondern auch ... weil der Bursche des Mädchens Vater um den Verstand
gebracht hat, weil die Väter dem schwarzen Geiger den Acker gestohlen, weil dieser den Kindern mit geflucht, weil sie sich einmal als
Brautleute ausgegeben, weil sie von Getränk und Tanz und sinnlicher Geschlechtsbegierde berauscht sind. Ihre Geschichte ist nur das Ende
und die Erfüllung der Geschichte ihrer Eltern, sie sterben durch deren Schuld.

Ganz anders wiederum urteilt der schon zitierte Alexander von Villers in seinen "Briefen eines Unbekannten" (1881). Er sieht
wirklich nirgends den tragischen Grund zum tragischen Ende, und ehe die Liebe ins Wasser geht, läuft sie [sich] doch erst die
Füße wund. ... Es fehlt an jedem Motiv; auch das Motiv: Furcht vor Schande nach dem Fall, fällt weg, denn der Fall [gemeint: ein
Kind] kommt ihnen gar nicht in den Sinn; konnte auch nicht wirken, denn die armen Dinger hatten ja so schon gar nichts, das wie Ehre oder
Ehrbarkeit aussah. Über solches Vorurteil zu lachen, waren sie recht dazu angetan ...

So bleibt es - wie oft - der persönlichen Abwägung überlassen, ob man den Ausgang
der Geschichte für überzeugend halten will oder nicht. Kaum zu bezweifeln ist allerdings, dass Otto Ludwig Recht hat, wenn er in diesem Ausgang
eine Art 'Happy end' sieht. Jede Weiterführung der Handlung mit allen denkbaren Infragestellungen des Liebesverhältnisses wäre
wohl weniger erfreulich, d.h. Keller ist auch und gerade mit seinem Schluss ein 'poetischer' Realist.
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Denn nichts gleicht dem Reichtum und der Unergründlichkeit eines Glückes, das an den Menschen herantritt in einer
so klaren und deutlichen Gestalt, vom Pfäfflein getauft und wohlversehen mit einem eigenen Namen, der nicht tönt wie andere Namen.
An diesen etwas dunklen Satz schloss sich in der Erstfassung von 1856 noch eine längere Textpassage an, in der die individuelle Liebe
als Keim einer glücklichen Familie und diese wiederum als Grundlage einer glücklichen Gesellschaft behandelt wird. Da dies im Falle von
Sali und Vrenchen nicht eintritt, heißt es zuletzt, dass dennoch jeder solcher Liebesanfang etwas Schönes sei. Die in der Fassung von
1874 gestrichene Passage lautet:
Dieses ist eine feine Sache und in ihr ruht das Geheimnis oder die Offenkunde von der Wohlfahrt des Lebens, von dem Aufbau der Familie und dessen,
was viele Familien zusammen sind. Es ist die Frühlingsblüte, aus welcher die Frucht der guten Familie erwächst; manche Gewächse
müssen zwei bis drei oder gar vier Mal blühen, bis eine Frucht geraten will, und alsdann hat die Weisheit der Natur oder der Götter es
so eingerichtet, daß den Blühenden die letzte Blume immer die feinste dünkt und sie meinen, es sei noch nie so schön gewesen.
Und ob nun die Natur allein oder die Götter dies also geordnet, so ist es wirklich ein gutes und zweckmäßiges Ding. Viele blühen
aber nur ein Mal und auch diese Blüte zerschlägt der Sturm, tötet der Frost oder ersäuft ein anhaltendes Regenwetter, und nie
wird eine Frucht daraus; viele blühen in einer Wildnis oder in einem wüsten Sumpfe in der Einsamkeit und es wird auch nichts daraus als
zuweilen eine herbe verkrüppelte Holzfrucht; denn alle guten Früchte wachsen in großer Gesellschaft, die Ähre steht neben der
Ähre und die Traube hängt neben der Traube tausendfältig. Aber Blumen sind es immer gewesen, ob etwas daraus geworden oder
nicht und ob sie gesehen oder ungesehen verblühten, und der Frühling ist schön, was auch aus ihm wird.
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"Und unsere Eltern?", fragte Vrenchen ... "Sind wir schuld an dem, was sie getan und geworden sind?", sagte Sali ...
An dieser Zwiesprache fällt besonders auf, was Fontane gemeint hat, wenn er sagte, Sali und Vrenchen sprächen nicht wie junge
Leute vom Dorf, sondern wie 'Brüderchen und Schwesterchen' (siehe
oben).
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... sie legten zwei und dreimal den Hin- und Herweg zurück, still, glückselig und ruhig, sodass dieses einige Paar nun auch
einem Sternenbilde glich, welches über die sonnige Rundung der Anhöhe und hinter derselben niederging ...
Mit der Rückbindung an die Eingangsszene nimmt Keller eine etwas absichtliche Motivverknüpfung vor, denn die beiden 'Sternbilder' haben
ebenso wenig miteinander zu tun wie der gleich danach auftauchende schwarze Geiger etwas mit ihnen als 'dunkler Stern'.
Plötzlich sprang der schwarze Geiger mit einem Satze auf die rot bekleidete Steinmasse hinauf ...
Die Farben rot und schwarz bedeuten - spätestens seit Stendhals berühmtem Roman "Le rouge et le noir" (1830) -
Liebe und Tod, auch wenn sie dort für die Farben des Roulettes stehen. Aber auch in der Plötzlichkeit
seines Erscheinens ist der schwarze Geiger ein Todesbote.
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... "du musst ungefähr siebzehn sein?" - "Siebzehn und ein halbes Jahr bin ich alt!", erwiderte Vrenchen,
"und wie alt bist du? Ich weiß aber schon, du bist bald zwanzig!" ...
Mit den Altersangaben wird noch einmal verdeutlicht, was schon die bis hierher vergangenen zwölf Jahre besagen: Sali und
Vrenchen sind ebenso als wie das Liebespaar in der Zeitungsmitteilung, auf die sich Keller bezieht
(siehe unter
ENTSTEHUNG).
... und der arme Sali hielt in seinem Arm, was reiche Leute teuer bezahlt hätten, wenn sie es nur gemalt an ihren Wänden
hätten sehen können.
In einer im Ganzen sehr positiven Besprechung der Novelle hat Berthold Auerbach (1812-1882) diese Bemerkung 1856 ausdrücklich
beanstandet. Sie versetze den Leser aus dem Horizont des Geschehenden plötzlich in einen ganz fremdartigen. Es handle sich da noch
um ein Anhängsel jenes 'romantischen Drüberstehens', dessen sich der realistische Dichter zu enthalten habe. Keller indessen hat sich
dem Gebot der Erzählerneutralität nie unterworfen. An dieser Stelle kann man einen Bezug zu den 'reichen Leuten' von Berlin sehen, die er
bei der Niederschrift der Novelle als eine Art Zaungast vor Augen hatte.
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Ohne sich zu besinnen, raffte er einen Stein auf und schlug mit demselben den Alten gegen den Kopf ...
An dem Stein als 'Tatwaffe' erweist sich noch einmal die zentrale Bedeutung dieses Motivs, da aller Unfrieden und alles Unglück in dieser
Novelle mit Steinen zu tun hat.
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... er machte nichts als Dummheiten, ... setzte sich in die Sonne und streckte die Zunge heraus oder hielt lange Reden in die Bohnen hinein.
... der gesunde und essbegierige Blödsinnige wurde noch gut gefüttert ...
Wie an diesen Formulierungen zu sehen ist, will Keller Mitleid mit Marti nicht aufkommen lassen. Das soll auch Vrenchen entlasten, die nach den
damaligen Vorstellungen an dem Unglück ihres Vaters weit mehr hätte Anteil nehmen müssen, als es hier der Fall ist.
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"Das weiß ich nicht", sagte Vrenchen, "ich werde dienen müssen und in die Welt hinaus! Ich werde es aber
nicht aushalten ohne dich, und doch kann ich dich nie bekommen, auch wenn alles andere nicht wäre, bloß weil du meinen Vater
geschlagen und um den Verstand gebracht hast! Dies würde immer ein schlechter Grundstein unserer Ehe sein ..."
An dieser Stelle schlägt der Märchenton besonders stark durch: 'in die Welt hinaus', wo es sich nach Lage der Dinge
nur um ein Dienstverhältnis im nahen Seldwyla handeln kann. Eine nicht ganz passende Sentimentalität ist es auch, wenn Vrenchen
vom 'Grundstein ihrer Ehe' spricht - oder soll ihr diese altkluge Banalität einen Anstrich von Gewöhnlichkeit geben? Für diesen
Fall hätte Keller auf eine entsprechende Kommentierung doch wohl nicht verzichtet.
Denn die rechte Wange Vrenchens und die linke Salis, welche im Schlafe aneinander gelehnt hatten, waren von dem Drucke ganz rot
gefärbt, während die Blässe der anderen durch die kühle Nachtluft noch erhöht war.
Die Stelle ist als Andeutung eines Wechsels vom Leben zum Tod zu verstehen, bereitet also den Gedanken an ein gemeinsames
Sterben vor, der wenig später erstmals ausgesprochen wird.
"Ich will dir nicht abraten", sagte Vrenchen errötend, "denn ich glaube, ich müsste sterben, wenn ich
nicht morgen mit dir tanzen könnte." - "Es wäre das Beste, wir beide könnten sterben!", sagte Sali ...
Es stellt eine geschickte, psychologisch gut begründete Überleitung zur Annäherung an den Todesgedanken dar, wenn
Sali die Redensart 'Ich glaube, ich müsste sterben' wörtlich nimmt und damit die Möglichkeit des gemeinsamen Sterbens wie
zur Probe erstmals anspricht. Vrenchen antwortet darauf nicht, aber sie weist den Gedanken auch nicht zurück.
[Sechster Teil]
Sobald er in der Stadt war, trug er seine Uhr zu einem Uhrmacher, der ihm sechs oder sieben Gulden dafür gab ...
Der Verkauf der Uhr (oder ihr Herunterfallen, Stehenbleiben usw.) hat in der Literatur früherer Zeiten immer eine
Bedeutung. Die Taschenuhr war der Inbegriff der Pflichterfüllung, der Umgang mit ihr also ein Zeichen dafür,
wie ernst man seine Pflichten nahm. Hier bedeutet der Verkauf der Uhr natürlich den Verzicht auf eine weitere Lebensplanung.
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Seine Frau aber ... brachte ihm ein großes schwarzes Mailänder Halstuch mit rotem Rande ...
Die Farben rot und schwarz stehen wie bei den Mohnblumen und dem schwarzen Geiger für Liebe und Tod.
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"Ja, und er ist ein reicher Herr, er hat hunderttausend Gulden in der Lotterie gewonnen! ..."
Der Wunsch, durch einen Lotteriegewinn zu Wohlstand zu kommen, ist für Keller zwar grundsätzlich verwerflich, soll
hier aber zeigen, woran es Vrenchen eigentlich mangelt. Sie erträumt sich nicht irgendein Luxusleben, sondern gute
gesellschaftliche Beziehungen. Das Geld sollte ihr nur dazu dienen, freundlich und großzügig sein zu können.
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Bald waren sie auch im freien Felde ... es war ein schöner Sonntagmorgen im September ...
Mit der Monatsangabe endet die Handlung genau zwölf Jahre nach dem Septembermorgen, an dem sie beginnt
(siehe GESTALTUNG zum
1. Teil).
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Denn die Landleute haben so gut ihre ausgesuchten Promenaden und Lustwälder wie die Städter ...
Städter = Wie die Bemerkung über die 'reichen Leute', die Sali um sein Glück beneiden würden (siehe unter
GESTALTUNG zum
5. Teil), zeigt auch diese Stelle an, in welcher Umgebung die Novelle entstanden ist: Keller
wohnte 1855 nur einen Katzensprung von der Berliner Promenade Unter den Linden entfernt und kannte natürlich auch den Tiergarten.
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So genoss Vrenchen alle Wonnen einer Braut, die zur Hochzeit reiset: die wohlwollende Ansprache und Aufmunterung einer
sehr vernünftigen Frau, den Neid einer heiratslustigen bösen Person, welche aus Ärger den Geliebten lobte und bedauerte,
und ein leckeres Mittagsmahl an der Seite eben dieses Geliebten!
Ob es wirklich zum gewöhnlichen Glück einer Braut zählt, sich von einer heiratslustigen bösen Person beneidet zu wissen, dürfte
nicht leicht zu ergründen sein. Für das Welt- und zumal das Frauenbild Kellers ist die Annahme einer solchen Bosheit aber typisch.
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Sie lasen eifrig die Sprüche, und nie ist etwas Gereimtes und Gedrucktes schöner befunden und tiefer empfunden
worden als diese Pfefferkuchensprüche; sie hielten, was sie lasen, in besonderer Absicht auf sich gemacht ...
Die Sprüche wie auch das Pfefferkuchenhaus bezeugen in allem das Ideal der bürgerlichen Liebe und Ehe: das Heiraten
nach Neigung, das eigene Heim, die ewige Treue. Sali und Vrenchen, soll das besagen, geben sich nicht nur für ein anständiges
junges Paar aus, sie fühlen und denken auch so und würden gern ein solches Paar sein, wenn die Umstände es ihnen erlaubten.
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Das Paradiesgärtlein war ein schön gelegenes Wirtshaus ... in welchem aber an solchen Vergnügungstagen nur
das ärmere Volk, die Kinder der ganz kleinen Bauern und Tagelöhner und sogar mancherlei fahrendes Gesinde verkehrte.
Der Name Paradiesgärtlein steht in einem ironischen Kontrast zu dem abgründigen, sittenlosen Treiben dort, hat aber auch
einen Beiklang von Ungezwungenheit und Natürlichkeit.
Erst als der Walzer zu Ende, sahen sie sich um; Vrenchen hatte sein Haus zerdrückt und zerbrochen ...
Mit dem zerdrückten und zerbrochenen Pfefferkuchenhaus ist der bürgerliche Lebenstraum ausgeträumt; es
gibt für Sali und Vrenchen nur noch den Abstieg in das morallose Leben des niedersten Volkes oder den Gang in den Tod.
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Vrenchen aber erwiderte ganz treuherzig und küsste ihn: "Nein, dahin möchte ich nicht gehen, denn da geht es
auch nicht nach meinem Sinne zu ..."
Auch hier werden noch einmal die bürgerlichen Maßstäbe sichtbar gemacht, denen sich die Beiden verpflichtet fühlen, gemeint
als direkte Widerlegung der am Schluss zitierten Zeitungsmeinung, ihr Selbstmord sei 'ein Zeichen von der um sich greifenden Entsittlichung
und Verwilderung der Leidenschaften'.
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"Weißt du noch, wie kalt und nass unsere Hände waren, als wir sie uns zum ersten Mal gaben? Fische fingen
wir damals, jetzt werden wir selber Fische sein ..."
Mit diesem Rückbezug wird der Szene am Fluss eine symbolische Vorbedeutung zugewiesen, die sich allerdings ein bisschen sehr absichtlich
ausnimmt. Denn schon in jener Szene selbst sind die 'kalten Hände' nicht so ganz überzeugend (siehe unter GESTALTUNG
zum
4. Teil).
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... abermals ein Zeichen von der um sich greifenden Entsittlichung und Verwilderung der Leidenschaften.
An dieser Stelle folgte in der Fassung von 1856 noch eine längere Passage über die 'Moral der Geschichte', die den Wortlaut hatte:
Was die Sittlichkeit betrifft, so bezweckt diese Erzählung keineswegs, die Tat zu beschönigen und zu verherrlichen; denn höher
als diese verzweifelte Hingebung wäre jedenfalls ein entsagendes Zusammenraffen und ein stilles Leben voll treuer Mühe und Arbeit
gewesen, und da diese die mächtigsten Zauberer sind in Verbindung mit der Zeit, so hätten sie vielleicht noch alles möglich
gemacht; denn sie verändern mit ihrem unmerklichen Einflusse die Dinge, vernichten die Vorurteile, stellen die Ehre her und erneuern
das Gewissen, so daß die wahre Treue nie ohne Hoffnung ist.

Was aber die Verwilderung der Leidenschaften angeht, so betrachten
wir diesen und ähnliche Vorfälle, welche alle Tage im niedern Volke vorkommen, nur als ein weiteres Zeugnis, daß dieses
allein es ist, welches die Flamme der kräftigen Empfindung und Leidenschaft nährt und wenigstens die Fähigkeit des Sterbens
für eine Herzenssache aufbewahrt, daß sie zum Troste der Romanzendichter nicht aus der Welt verschwindet. Das gleichgültige
Eingehen und Lösen von 'Verhältnissen' unter den gebildeten Ständen von heute, das selbstsüchtige frivole Spiel mit
denselben, die große Leichtigkeit, mit welcher heutzutage junge Leutchen zu trennen und auseinander zu bringen sind, sind zehnmal
widerwärtiger als jene Unglücksfälle, welche jetzt die Protokolle der Polizeibehörden füllen und ehedem die
Schreibtafeln der Balladensänger füllten. Wir sehen alle Tage etwa einen wohlgekleideten Herrn, der seine Frau oder Braut mitten
auf der Straße plötzlich stehen läßt und auf die Seite springt, weil irgend einem Schlächter eine alte Kuh entsprungen
ist und bedrohlich dahergerannt kommt. Höchstens aus der Ferne, hinter einer Haustür hervor, schwingt er sein Stöckchen
und macht: Bscht! Bscht! Solche Leute werden sich allerdings nicht aus Eigensinn und Leidenschaft ums Leben bringen, wenn man sie trennen will.
Ebensowenig diejenigen, welche in allen Zeitungen ihre 'stattgefundene' Verlobung anzeigen und vierzehn Tage darauf einen Inseratenkrieg
führen, wo jeder Part sich rühmt und behauptet, das 'Verhältnis' zuerst abgebrochen zu haben.
Keller widerspricht hier also einerseits der Annahme, dass das Paar sich zwangsläufig habe das Leben nehmen müssen, und
er greift andererseits die Leichtfertigkeit an, mit der in den 'gebildeten Ständen' Liebesverhältnisse geknüpft und wieder
gelöst werden würden. Für den 'Inseratenkrieg' um gescheiterte Verlobungen hatte er wahrscheinlich Beispiele aus Berliner Zeitungen
vor Augen. Schon kurz nach dem Erscheinen der Novelle erfuhr er allerdings, dass diese Moralpredigt 'allerorts Anstoß erregte'. In einem
Brief an Ludmilla Assing vom 21. April 1856 versprach er daher
dieselbe wegzulassen, wenn je wieder ein Abdruck nötig würde. Eigentlich war es mehr eine Herausforderung von
mir, damit vielleicht irgend eine Hochgebildete empört und gereizt werden möchte, mir selbst das Gegenteil zu beweisen.
Als Paul Heyse 1870 anfragte, ob er die Novelle in einen "Deutschen Novellenschatz" aufnehmen dürfte, kam Keller deshalb
sogleich auf die beabsichtigte Kürzung zu sprechen:
Die Erzählung leidet nämlich an einer schnöden schnarrenden Schlußbetrachtung. Glücklicher Weise ist dieselbe aus
mehreren Schwanzgelenken zusammengesetzt, welche man beliebig abschneiden kann. Ich bitte Sie also, ... entweder nach dem Satze "abermals ein
Zeichen der um sich greifenden Entsittlichung und Verwilderung der Leidenschaften" den Schwanz zu kappen, was sich malitiös und
ironisch ausnehmen würde; oder den folgenden Absatz noch aufzunehmen und nach den Worten: "so daß die wahre Treue nie
ohne Hoffnung ist" abzuschneiden, was dann mehr tugendhaft und wohlmeinend klänge. Sollten Sie wider Erwarten finden, daß die
übrige Schlußnergelei doch stehen bleiben sollte (es war eine verjährte Stimmungssache), so können Sie's ganz stehen lassen; ich
glaube aber, es ist ein entschieden abfallender Mißklang.

Heyse kürzte daraufhin noch radikaler und schloss mit dem Satz von den beiden Gestalten, die fest umschlungen in den Fluten verschwinden.
Das war Keller dann allerdings doch der Sentimentalität zu viel, und so nahm er bei der Umarbeitung für die zweite Auflage den Absatz
über das Urteil der Zeitungen wieder mit auf.