[Vorrede zum Ersten Band der 'Leute von Seldwyla']
          
         
            
         Seldwyla bedeutet nach der älteren Sprache einen wonnigen und sonnigen Ort, und so ist auch in der Tat die kleine Stadt dieses 
         Namens gelegen irgendwo in der Schweiz. Sie steckt noch in den gleichen alten Ringmauern und Türmen wie vor dreihundert 
         Jahren und ist also immer das gleiche Nest; die ursprüngliche tiefe Absicht dieser Anlage wird durch den Umstand erhärtet, 
         dass die Gründer der Stadt dieselbe eine gute halbe Stunde von einem schiffbaren Flusse angepflanzt, zum deutlichen 
         Zeichen, dass nichts daraus werden solle. Aber schön ist sie gelegen, mitten in grünen Bergen, die nach der Mittagseite 
         zu offen sind, sodass wohl die Sonne herein kann, aber kein raues Lüftchen. Deswegen gedeiht auch ein ziemlich guter 
         Wein rings um die alte Stadtmauer, während höher hinauf an den Bergen unabsehbare Waldungen sich hinziehen, welche das 
         Vermögen der Stadt ausmachen; denn dies ist das Wahrzeichen und sonderbare Schicksal derselben, dass die Gemeinde 
         reich ist und die Bürgerschaft arm, und zwar so, dass kein Mensch zu Seldwyla etwas hat und niemand weiß, wovon sie 
         seit Jahrhunderten eigentlich leben. Und sie leben sehr lustig und guter Dinge, halten die Gemütlichkeit für ihre besondere 
         Kunst, und wenn sie irgendwo hinkommen, wo man anderes Holz brennt, so kritisieren sie zuerst die dortige Gemütlichkeit und 
         meinen, ihnen tue es doch niemand zuvor in dieser Hantierung.
 
 
         
            
  
Der Kern und der Glanz des Volkes besteht aus den jungen Leuten von etwa zwanzig bis fünf, sechsunddreißig Jahren, und diese 
sind es, welche den Ton angeben, die Stange halten und die Herrlichkeit von Seldwyla darstellen. Denn während dieses Alters 
üben sie das Geschäft, das Handwerk, den Vorteil oder was sie sonst gelernt haben, d.h. sie lassen, solange es geht, 
fremde Leute für sich arbeiten und benutzen ihre Profession zur Betreibung eines trefflichen Schuldenverkehres, der eben die 
Grundlage der Macht, Herrlichkeit und Gemütlichkeit der Herren von Seldwyl bildet und mit einer ausgezeichneten Gegenseitigkeit 
und Verständnisinnigkeit gewahrt wird; aber wohlgemerkt, nur unter dieser Aristokratie der Jugend. Denn sowie einer die Grenze 
der besagten blühenden Jahre erreicht, wo die Männer anderer Städtlein etwa anfangen, erst recht in sich zu gehen 
und zu erstarken, so ist er in Seldwyla fertig; er muss fallen lassen und hält sich, wenn er ein ganz gewöhnlicher Seldwyler 
ist, ferner am Orte auf als ein Entkräfteter und aus dem Paradies des Kredites Verstoßener, oder wenn noch etwas in ihm 
steckt, das noch nicht verbraucht ist, so geht er in fremde Kriegsdienste und lernt dort für einen fremden Tyrannen, was er 
für sich selbst zu üben verschmäht hat, sich einzuknöpfen und steif aufrecht zu halten. Diese kehren als 
tüchtige Kriegsmänner nach einer Reihe von Jahren zurück und gehören dann zu den besten Exerziermeistern 
der Schweiz, welche die junge Mannschaft zu erziehen wissen, dass es eine Lust ist. Andere ziehen noch anderwärts auf 
Abenteuer aus gegen das vierzigste Jahr hin, und in den verschiedensten Weltteilen kann man Seldwyler treffen, die sich alle dadurch 
auszeichnen, dass sie sehr geschickt Fische zu essen verstehen, in Australien, in Kalifornien, in Texas wie in Paris oder Konstantinopel.
 
 
         
            
  
Was aber zurückbleibt und am Orte alt wird, das lernt dann nachträglich arbeiten, und zwar jene krabbelige Arbeit von 
tausend kleinen Dingen, die man eigentlich nicht gelernt, für den täglichen Kreuzer, und die alternden verarmten Seldwyler 
mit ihren Weibern und Kindern sind die emsigsten Leutchen von der Welt, nachdem sie das erlernte Handwerk aufgegeben, und 
es ist rührend anzusehen, wie tätig sie dahinter her sind, sich die Mittelchen zu einem guten Stückchen Fleisch von 
ehedem zu erwerben. Holz haben alle Bürger die Fülle, und die Gemeinde verkauft jährlich noch einen guten Teil, woraus 
die große Armut unterstützt und genährt wird, und so steht das alte Städtchen in unveränderlichem Kreislauf 
der Dinge bis heute. Aber immer sind sie im Ganzen zufrieden und munter, und wenn je ein Schatten ihre Seele trübt, wenn etwa 
eine allzu hartnäckige Geldklemme über der Stadt weilt, so vertreiben sie sich die Zeit und ermuntern sich durch ihre große 
politische Beweglichkeit, welche ein weiterer Charakterzug der Seldwyler ist. Sie sind nämlich leidenschaftliche Parteileute, 
Verfassungsrevisoren und Antragsteller, und wenn sie eine recht verrückte Motion ausgeheckt haben und durch ihr Großratsmitglied 
stellen lassen oder wenn der Ruf nach Verfassungsänderung in Seldwyla ausgeht, so weiß man im Lande, dass im 
Augenblicke dort kein Geld zirkuliert. Dabei lieben sie die Abwechselung der Meinungen und Grundsätze und sind stets den 
Tag darauf, nachdem eine Regierung gewählt ist, in der Opposition gegen dieselbe. Ist es ein radikales Regiment, so scharen 
sie sich, um es zu ärgern, um den konservativen frömmlichen Stadtpfarrer, den sie noch gestern gehänselt, und 
machen ihm den Hof, indem sie sich mit verstellter Begeisterung in seine Kirche drängen, seine Predigten preisen und mit 
großem Geräusch seine gedruckten Traktätchen und Berichte der Baseler Missionsgesellschaft umherbieten, natürlich 
ohne ihm einen Pfennig beizusteuern. Ist aber ein Regiment am Ruder, welches nur halbwegs konservativ aussieht, stracks 
drängen sie sich um die Schullehrer der Stadt, und der Pfarrer hat genug an den Glaser zu zahlen für eingeworfene 
Scheiben. Besteht hingegen die Regierung aus liberalen Juristen, die viel auf die Form halten, und aus häklichen Geldmännern, 
so laufen sie flugs dem nächstwohnenden Sozialisten zu und ärgern die Regierung, indem sie denselben in den Rat wählen 
mit dem Feldgeschrei es sei nun genug des politischen Formenwesens und die materiellen Interessen seien es, welche allein das Volk 
noch kümmern könnten. Heute wollen sie das Veto haben und sogar die unmittelbarste Selbstregierung mit permanenter 
Volksversammlung, wozu freilich die Seldwyler am meisten Zeit hätten, morgen stellen sie sich übermüdet und blasiert 
in öffentlichen Dingen und lassen ein halbes Dutzend alte Stillständer, die vor dreißig Jahren falliert und sich seither 
stillschweigend rehabilitiert haben, die Wahlen besorgen; alsdann sehen sie behaglich hinter den Wirtshausfenstern hervor die 
Stillständer in die Kirche schleichen und lachen sich in die Faust, wie jener Knabe, welcher sagte: Es geschieht meinem Vater 
schon recht, wenn ich mir die Hände verfriere, warum kauft er mir keine Handschuhe! Gestern schwärmten sie allein 
für das eidgenössische Bundesleben und waren höchlich empört, dass man Anno achtundvierzig nicht 
gänzliche Einheit hergestellt habe; heute sind sie ganz versessen auf die Kantonalsouveränität und haben 
nicht mehr in den Nationalrat gewählt.
 
 
         
            
  
            Wenn aber eine ihrer Aufregungen und Motionen der Landesmehrheit störend und unbequem wird, so schickt ihnen die 
            Regierung gewöhnlich als Beruhigungsmittel eine Untersuchungskommission auf den Hals, welche die Verwaltung des Seldwyler 
            Gemeindegutes regulieren soll; dann haben sie vollauf mit sich selbst zu tun, und die Gefahr ist abgeleitet.
 
 
         
            
             Alles dies macht ihnen großen Spaß, der nur überboten wird, wenn sie allherbstlich ihren jungen Wein trinken, 
             den gärenden Most, den sie Sauser nennen; wenn er gut ist, so ist man des Lebens nicht sicher unter ihnen, und sie 
             machen einen Höllenlärm; die ganze Stadt duftet nach jungem Wein, und die Seldwyler taugen dann auch gar nichts. 
             Je weniger aber ein Seldwyler zu Hause was taugt, um so besser hält er sich sonderbarerweise, wenn er ausrückt, 
             und ob sie einzeln oder in Kompanie ausziehen, wie z.B. in früheren Kriegen, so haben sie sich doch immer gut gehalten. 
             Auch als Spekulant und Geschäftsmann hat schon mancher sich rüstig umgetan, wenn er nur erst aus dem warmen 
             sonnigen Tale herauskam, wo er nicht gedieh.
 
 
         
            
  In einer so lustigen und seltsamen Stadt kann es an aller Land seltsamen Geschichten 
            und Lebensläufen nicht fehlen, da Müßiggang aller Laster Anfang ist. Doch nicht solche Geschichten, wie sie in dem 
            beschriebenen Charakter von Seldwyla liegen, will ich eigentlich in diesem Büchlein erzählen, sondern einige sonderbare 
            Abfällsel, die so zwischendurch passierten, gewissermaßen ausnahmsweise, und doch auch gerade nur zu Seldwyla vor 
            sich gehen konnten.
 
[Erster Teil: Sali und Vrenchen als Kinder]
         
            
          
         
            
Diese Geschichte zu erzählen würde eine müßige Nachahmung sein, 
wenn sie nicht auf einem wirklichen Vorfall beruhte, zum Beweise, wie tief im 
Menschenleben jede jener Fabeln wurzelt, auf welche die großen alten 
Werke gebaut sind. Die Zahl solcher Fabeln ist mäßig; aber stets 
treten sie in neuem Gewande wieder in die Erscheinung und zwingen alsdann 
die Hand, sie festzuhalten.
            
 
             
            
             
An dem schönen Flusse, der eine halbe Stunde entfernt an Seldwyl 
vorüberzieht, erhebt sich eine weit gedehnte Erdwelle und verliert sich, 
selber wohlbebaut, in der fruchtbaren Ebene. Fern an ihrem Fuße liegt 
ein Dorf, welches manche große Bauernhöfe enthält, und 
über die sanfte Anhöhe lagen vor Jahren drei prächtige 
lange Äcker weit hingestreckt gleich drei riesigen Bändern 
nebeneinander. An einem sonnigen Septembermorgen pflügten zwei 
Bauern auf zweien dieser Äcker, und zwar auf jedem der beiden 
äußersten; der mittlere schien seit langen Jahren brach 
und wüst zu liegen, denn er war mit Steinen und hohem Unkraut 
bedeckt und eine Welt von geflügelten Tierchen summte ungestört 
über ihm. Die Bauern aber, welche zu beiden Seiten hinter ihrem 
Pfluge gingen, waren lange knochige Männer von ungefähr 
vierzig Jahren und verkündeten auf den ersten Blick den sichern, 
gutbesorgten Bauersmann. Sie trugen kurze Kniehosen von starkem Zwillich, 
an dem jede Falte ihre unveränderliche Lage hatte und wie in Stein 
gemeißelt aussah. Wenn sie, auf ein Hindernis stoßend, den Pflug 
fester fassten, so zitterten die groben Hemdärmel von der leichten 
Erschütterung, indessen die wohlrasierten Gesichter ruhig und aufmerksam, 
aber ein wenig blinzelnd in den Sonnenschein vor sich hinschauten, die Furche 
bemaßen oder auch wohl zuweilen sich umsahen, wenn ein fernes Geräusch 
die Stille des Landes unterbrach. Langsam und mit einer gewissen natürlichen 
Zierlichkeit setzten sie einen Fuß um den andern vorwärts und keiner 
sprach ein Wort, außer wenn er etwa dem Knechte, der die stattlichen 
Pferde antrieb, eine Anweisung gab. So glichen sie einander vollkommen in 
einiger Entfernung; denn sie stellten die ursprüngliche Art dieser Gegend 
dar, und man hätte sie auf den ersten Blick nur daran unterscheiden 
können, dass der eine den Zipfel seiner weißen Kappe nach 
vorn trug, der andere aber hinten im Nacken hängen hatte. Aber das 
wechselte zwischen ihnen ab, indem sie in der entgegengesetzten Richtung 
pflügten; denn wenn sie oben auf der Höhe zusammentrafen und 
aneinander vorüberkamen, so schlug dem, welcher gegen den frischen 
Ostwind ging, die Zipfelkappe nach hinten über, während sie bei 
dem andern, der den Wind im Rücken hatte, sich nach vorne sträubte. 
Es gab auch jedes Mal einen mittlern Augenblick, wo die schimmernden Mützen 
aufrecht in der Luft schwankten und wie zwei weiße Flammen gen Himmel 
züngelten. So pflügten beide ruhevoll, und es war schön anzusehen 
in der stillen goldenen Septembergegend, wenn sie so auf der Höhe aneinander 
vorbeizogen, still und langsam, und sich mählich voneinander entfernten, 
immer weiter auseinander, bis beide wie zwei untergehende Gestirne hinter die 
Wölbung des Hügels hinabgingen und verschwanden, um eine gute Weile 
darauf wieder zu erscheinen. Wenn sie einen Stein in ihren Furchen fanden, so 
warfen sie denselben auf den wüsten Acker in der Mitte mit lässig 
kräftigem Schwunge, was aber nur selten geschah, da derselbe schon fast 
mit allen Steinen belastet war, welche überhaupt auf den Nachbaräckern 
zu finden gewesen. 
So war der lange Morgen zum Teil vergangen, als von dem Dorfe her ein kleines 
artiges Fuhrwerklein sich näherte, welches kaum zu sehen war, als es begann 
die gelinde Höhe heranzukommen. Das war ein grünbemaltes Kinderwägelchen, 
in welchem die Kinder der beiden Pflüger, ein Knabe und ein kleines Ding von 
Mädchen, gemeinschaftlich den Vormittagsimbiss heranfuhren. Für jeden 
Teil lag ein schönes Brot, in eine Serviette gewickelt, eine Kanne Wein mit 
Gläsern und noch irgendein Zutätchen in dem Wagen, welches die 
zärtliche Bäuerin für den fleißigen Meister mitgesandt, 
und außerdem waren da noch verpackt allerlei seltsam gestaltete angebissene 
Äpfel und Birnen, welche die Kinder am Wege aufgelesen, und eine völlig 
nackte Puppe mit nur einem Bein und einem verschmierten Gesicht, welche wie ein 
Fräulein zwischen den Broten saß und sich behaglich fahren ließ. 
Dies Fuhrwerk hielt nach manchem Anstoß und Aufenthalt endlich auf der 
Höhe im Schatten eines jungen Lindengebüsches, welches da am Rande 
des Feldes stand, und nun konnte man die beiden Fuhrleute näher betrachten. 
Es war ein Junge von sieben Jahren und ein Dirnchen von fünfen, beide 
gesund und munter, und weiter war nichts Auffälliges an ihnen, als dass 
beide sehr hübsche Augen hatten und das Mädchen dazu noch eine 
bräunliche Gesichtsfarbe und ganz krause dunkle Haare, welche ihm ein 
feuriges und treuherziges Ansehen gaben. Die Pflüger waren jetzt auch 
wieder oben angekommen, steckten den Pferden etwas Klee vor und ließen 
die Pflüge in der halb vollendeten Furche stehen, während sie als 
gute Nachbarn sich zu dem gemeinschaftlichen Imbiss begaben und sich 
da zuerst begrüßten; denn bislang hatten sie sich noch nicht 
gesprochen an diesem Tage.
        
            
             
            
Wie nun die Männer mit Behagen ihr Frühstück einnahmen und 
mit zufriedenem Wohlwollen den Kindern mitteilten, die nicht von der Stelle 
wichen, solange gegessen und getrunken wurde, ließen sie ihre Blicke in 
der Nähe und Ferne herumschweifen und sahen das Städtchen 
räucherig glänzend in seinen Bergen liegen; denn das reichliche 
Mittagsmahl, welches die Seldwyler alle Tage bereiteten, pflegte ein weithin 
scheinendes Silbergewölk über ihre Dächer emporzutragen, 
welches lachend an ihren Bergen hinschwebte.
       
 
            
             
            
»Die Lumpenhunde zu Seldwyl kochen wieder gut!«, sagte Manz, 
der eine der Bauern, und Marti, der andere, erwiderte: »Gestern war 
einer bei mir wegen des Ackers hier.« - »Aus dem Bezirksrat? Bei 
mir ist er auch gewesen!«, sagte Manz. »So? Und meinte wahrscheinlich 
auch, du solltest das Land benutzen und den Herren die Pacht zahlen?« - 
»Ja, bis es sich entschieden habe, wem der Acker gehöre und was mit 
ihm anzufangen sei. Ich habe mich aber bedankt, das verwilderte Wesen für 
einen andern herzustellen, und sagte, sie sollten den Acker nur verkaufen und 
den Ertrag aufheben, bis sich ein Eigentümer gefunden, was wohl nie geschehen 
wird; denn was einmal auf der Kanzlei zu Seldwyl liegt, hat da gute Weile, und 
überdem ist die Sache schwer zu entscheiden. Die Lumpen möchten 
indessen gar zu gern etwas zu naschen bekommen durch den Pachtzins, was sie 
freilich mit der Verkaufssumme auch tun könnten; allein wir würden 
uns hüten, dieselbe zu hoch hinaufzutreiben, und wir wüssten 
dann doch, was wir hätten und wem das Land gehört!« 
»Ganz so meine ich auch und habe dem Steckleinspringer eine ähnliche 
Antwort gegeben!«
       
 
            
             
            
Sie schwiegen eine Weile, dann fing Manz wiederum an: »Schad ist es 
aber doch, dass der gute Boden so daliegen muss, es ist nicht zum 
Ansehen, das geht nun schon in die zwanzig Jahre so und keine Seele fragt 
darnach; denn hier im Dorf ist niemand, der irgendeinen Anspruch auf den 
Acker hat, und niemand weiß auch, wo die Kinder des verdorbenen Trompeters 
hingekommen sind.«
       
 
            
            
            
»Hm!«, sagte Marti, »das wäre so eine Sache! Wenn ich 
den schwarzen Geiger ansehe, der sich bald bei den Heimatlosen aufhält, 
bald in den Dörfern zum Tanz aufspielt, so möchte ich darauf 
schwören, dass er ein Enkel des Trompeters ist, der freilich nicht 
weiß, dass er noch einen Acker hat. Was täte er aber damit? 
Einen Monat lang sich besaufen und dann nach wie vor! Zudem, wer dürfte 
da einen Wink geben, da man es doch nicht sicher wissen kann!«
       
 
            
            
            
»Da könnte man eine schöne Geschichte anrichten!«, 
antwortete Manz, »wir haben so genug zu tun, diesem Geiger das 
Heimatsrecht in unserer Gemeinde abzustreiten, da man uns den Fetzel 
fortwährend aufhalsen will. Haben sich seine Eltern einmal unter 
die Heimatlosen begeben, so mag er auch da bleiben und dem Kesselvolk 
das Geigelein streichen. Wie in aller Welt können wir wissen, 
dass er des Trompeters Sohnessohn ist? Was mich betrifft, wenn 
ich den Alten auch in dem dunklen Gesicht vollkommen zu erkennen glaube, 
so sage ich: irren ist menschlich, und das geringste Fetzchen Papier, 
ein Stücklein von einem Taufschein würde meinem Gewissen besser 
tun als zehn sündhafte Menschengesichter!« »Eia, sicherlich!«, 
sagte Marti, »er sagt zwar, er sei nicht schuld, dass man ihn nicht 
getauft habe! Aber sollen wir unsern Taufstein tragbar machen und in den 
Wäldern herumtragen? Nein, er steht fest in der Kirche, und dafür 
ist die Totenbahre tragbar, die draußen an der Mauer hängt. Wir 
sind schon übervölkert im Dorf und brauchen bald zwei Schulmeister!«
       
 
            
             
            
Hiemit war die Mahlzeit und das Zwiegespräch der Bauern geendet, und sie 
erhoben sich, den Rest ihrer heutigen Vormittagsarbeit zu vollbringen. Die 
beiden Kinder hingegen, welche schon den Plan entworfen hatten, mit den Vätern 
nach Hause zu ziehen, zogen ihr Fuhrwerk unter den Schutz der jungen Linden und 
begaben sich dann auf einen Streifzug in dem wilden Acker, da derselbe mit 
seinen Unkräutern, Stauden und Steinhaufen eine ungewohnte und merkwürdige 
Wildnis darstellte. Nachdem sie in der Mitte dieser grünen Wildnis einige 
Zeit hingewandert, Hand in Hand, und sich daran belustigt, die verschlungenen 
Hände über die hohen Distelstauden zu schwingen, ließen sie sich 
endlich im Schatten einer solchen nieder und das Mädchen begann seine Puppe 
mit den langen Blättern des Wegekrautes zu bekleiden, sodass sie einen 
schönen grünen und ausgezackten Rock bekam; eine einsame rote Mohnblume, 
die da noch blühte, wurde ihr als Haube über den Kopf gezogen und mit 
einem Grase festgebunden, und nun sah die kleine Person aus wie eine Zauberfrau, 
besonders nachdem sie noch ein Halsband und einen Gürtel von kleinen roten 
Beerchen erhalten. Dann wurde sie hoch in die Stängel der Distel gesetzt und eine 
Weile mit vereinten Blicken angeschaut, bis der Knabe sie genugsam besehen und mit 
einem Steine herunterwarf. Dadurch geriet aber ihr Putz in Unordnung, und das 
Mädchen entkleidete sie schleunigst, um sie aufs Neue zu schmücken; 
doch als die Puppe eben wieder nackt und bloß war und nur noch der roten 
Haube sich erfreuete, entriss der wilde Junge seiner Gefährtin das 
Spielzeug und warf es hoch in die Luft. Das Mädchen sprang klagend darnach, 
allein der Knabe fing die Puppe zuerst wieder auf, warf sie aufs Neue empor, 
und indem das Mädchen sie vergeblich zu haschen sich bemühte, neckte 
er es auf diese Weise eine gute Zeit. Unter seinen Händen aber nahm die 
fliegende Puppe Schaden, und zwar am Knie ihres einzigen Beines, allwo ein 
kleines Loch einige Kleiekörner durchsickern ließ. Kaum bemerkte 
der Peiniger dies Loch, so verhielt er sich mäuschenstill und war mit 
offenem Munde eifrig beflissen, das Loch mit seinen Nägeln zu 
vergrößern und dem Ursprung der Kleie nachzuspüren. 
Seine Stille erschien dem armen Mädchen höchst verdächtig 
und es drängte sich herzu und musste mit Schrecken sein böses 
Beginnen gewahren. »Sieh mal!«, rief er und schlenkerte ihr das 
Bein vor der Nase herum, dass ihr die Kleie ins Gesicht flog, und wie 
sie darnach langen wollte und schrie und flehte, sprang er wieder fort und 
ruhte nicht eher, bis das ganze Bein dürr und leer herabhing als eine 
traurige Hülse. Dann warf er das misshandelte Spielzeug hin und 
stellte sich höchst frech und gleichgültig, als die Kleine sich 
weinend auf die Puppe warf und dieselbe in ihre Schürze hüllte. 
Sie nahm sie aber wieder hervor und betrachtete wehselig die Ärmste, 
und als sie das Bein sah, fing sie abermals an laut zu weinen, denn 
dasselbe hing an dem Rumpfe nicht anders denn das Schwänzchen an 
einem Molche. Als sie gar so unbändig weinte, ward es dem Missetäter 
endlich etwas übel zumut und er stand in Angst und Reue vor der Klagenden, 
und als sie dies merkte, hörte sie plötzlich auf und schlug ihn 
einige Mal mit der Puppe, und er tat, als ob es ihm weh täte, und schrie Au! 
so natürlich, dass sie zufrieden war und nun mit ihm gemeinschaftlich 
die Zerstörung und Zerlegung fortsetzte. Sie bohrten Loch auf Loch in den 
Marterleib und ließen aller Enden die Kleie entströmen, welche sie 
sorgfältig auf einem flachen Steine zu einem Häufchen sammelten, 
umrührten und aufmerksam betrachteten. Das einzige Feste, was noch an 
der Puppe bestand, war der Kopf und musste jetzt vorzüglich die 
Aufmerksamkeit der Kinder erregen; sie trennten ihn sorgfältig los 
von dem ausgequetschten Leichnam und guckten erstaunt in sein hohles Innere. 
Als sie die bedenkliche Höhlung sahen und auch die Kleie sahen, war es 
der nächste und natürlichste Gedankensprung, den Kopf mit der Kleie 
auszufüllen, und so waren die Fingerchen der Kinder nun beschäftigt, 
um die Wette Kleie in den Kopf zu tun, sodass zum ersten Mal in seinem Leben 
etwas in ihm steckte. Der Knabe mochte es aber immer noch für ein totes 
Wissen halten, weil er plötzlich eine große blaue Fliege fing und, 
die summende zwischen beiden hohlen Händen haltend, dem Mädchen gebot, 
den Kopf von der Kleie zu entleeren. Hierauf wurde die Fliege hineingesperrt 
und das Loch mit Gras verstopft. Die Kinder hielten den Kopf an die Ohren und 
setzten ihn dann feierlich auf einen Stein; da er noch mit der roten Mohnblume 
bedeckt war, so glich der Tönende jetzt einem weissagenden Haupte und die 
Kinder lauschten in tiefer Stille seinen Kunden und Märchen, indessen 
sie sich umschlungen hielten. Aber jeder Prophet erweckt Schrecken und Undank; 
das wenige Leben in dem dürftig geformten Bilde erregte die menschliche 
Grausamkeit in den Kindern, und es wurde beschlossen, das Haupt zu begraben. 
So machten sie ein Grab und legten den Kopf, ohne die gefangene Fliege um 
ihre Meinung zu befragen, hinein und errichteten über dem Grabe ein 
ansehnliches Denkmal von Feldsteinen. Dann empfanden sie einiges Grauen, 
da sie etwas Geformtes und Belebtes begraben hatten, und entfernten sich ein 
gutes Stück von der unheimlichen Stätte. Auf einem ganz mit 
grünen Kräutern bedeckten Plätzchen legte sich das Dirnchen 
auf den Rücken, da es müde war, und begann in eintöniger 
Weise einige Worte zu singen, immer die nämlichen, und der Junge kauerte 
daneben und half, indem er nicht wusste, ob er auch vollends umfallen solle, 
so lässig und müßig war er. Die Sonne schien dem singenden 
Mädchen in den geöffneten Mund, beleuchtete dessen blendend weiße 
Zähnchen und durchschimmerte die roten Purpurlippen. Der Knabe sah die 
Zähne, und dem Mädchen den Kopf haltend und dessen Zähnchen 
neugierig untersuchend, rief er: »Rate, wie viele Zähne hat man?« 
Das Mädchen besann sich einen Augenblick, als ob es reiflich nachzählte, 
und sagte dann auf Geratewohl: »Hundert!« - »Nein, 
zweiunddreißig!«, rief er, »wart, ich will einmal zählen!« 
Da zählte er die Zähne des Kindes, und weil er nicht zweiunddreißig 
herausbrachte, so fing er immer wieder von Neuem an. Das Mädchen hielt 
lange still, als aber der eifrige Zähler nicht zu Ende kam, raffte es sich 
auf und rief: »Nun will ich deine zählen!« Nun legte sich der 
Bursche hin ins Kraut, das Mädchen über ihn, umschlang seinen Kopf, 
er sperrte das Maul auf, und es zählte: Eins, zwei, sieben, fünf, 
zwei, eins; denn die kleine Schöne konnte noch nicht zählen. Der 
Junge verbesserte sie und gab ihr Anweisung, wie sie zählen solle, 
und so fing auch sie unzählige Mal von Neuem an und das Spiel schien 
ihnen am besten zu gefallen von allem, was sie heut unternommen. Endlich 
aber sank das Mädchen ganz auf den kleinen Rechenmeister nieder, und die 
Kinder schliefen ein in der hellen Mittagssonne. 	
       
 
            
             
            
Inzwischen hatten die Väter ihre Äcker fertig gepflügt und in 
frisch duftende braune Fläche umgewandelt. Als nun, mit der letzten 
Furche zu Ende gekommen, der Knecht des einen halten wollte, rief sein Meister: 
»Was hältst du? Kehr noch einmal um!« - »Wir sind ja fertig!«, 
sagte der Knecht. »Halt's Maul und tu, wie ich dir sage!«, der Meister. 
Und sie kehrten um und rissen eine tüchtige Furche in den mittlern herrenlosen 
Acker hinein, dass Kraut und Steine flogen. Der Bauer hielt sich aber nicht 
mit der Beseitigung derselben auf, er mochte denken, hiezu sei noch Zeit genug 
vorhanden, und er begnügte sich, für heute die Sache nur aus dem 
Gröbsten zu tun. So ging es rasch die Höhe empor in sanftem Bogen, 
und als man oben angelangt und das liebliche Windeswehen eben wieder den Kappenzipfel 
des Mannes zurückwarf, pflügte auf der anderen Seite der Nachbar vorüber, 
mit dem Zipfel nach vorn, und schnitt ebenfalls eine ansehnliche Furche vom mittlern 
Acker, dass die Schollen nur so zur Seite flogen. Jeder sah wohl, was der andere 
tat, aber keiner schien es zu sehen, und sie entschwunden sich wieder, indem jedes 
Sternbild still am andern vorüberging und hinter diese runde Welt hinabtauchte. 
So gehen die Weberschiffchen des Geschickes aneinander vorbei, und »was er webt, 
das weiß kein Weber!«
 
[Zweiter Teil: Der Streit der Väter]
             
           
            
        Es kam eine Ernte um die andere, und jede sah die Kinder größer 
und schöner und den herrenlosen Acker schmäler zwischen seinen 
breitgewordenen Nachbarn. Mit jedem Pflügen verlor er hüben und 
drüben eine Furche, ohne dass ein Wort darüber gesprochen worden 
wäre und ohne dass ein Menschenauge den Frevel zu sehen schien. Die 
Steine wurden immer mehr zusammengedrängt und bildeten schon einen ordentlichen 
Grat auf der ganzen Länge des Ackers, und das wilde Gesträuch darauf war 
schon so hoch, dass die Kinder, obgleich sie gewachsen waren, sich nicht mehr 
sehen konnten, wenn eines dies- und das andere jenseits ging. Denn sie gingen nun 
nicht mehr gemeinschaftlich auf das Feld, da der zehnjährige Salomon oder 
Sali, wie er genannt wurde, sich schon wacker auf Seite der größeren 
Burschen und der Männer hielt; und das braune Vrenchen, obgleich es ein 
feuriges Dirnchen war, musste bereits unter der Obhut seines Geschlechts 
gehen, sonst wäre es von den andern als ein Bubenmädchen ausgelacht 
worden. Dennoch nahmen sie während jeder Ernte, wenn alles auf den 
Äckern war, einmal Gelegenheit, den wilden Steinkamm, der sie trennte, 
zu besteigen und sich gegenseitig von demselben herunterzustoßen. Wenn 
sie auch sonst keinen Verkehr mehr miteinander hatten, so schien diese jährliche 
Zeremonie um so sorglicher gewahrt zu werden, als sonst nirgends die Felder ihrer 
Väter zusammenstießen.  
       
 
          
           
             
            
Indessen sollte der Acker doch endlich verkauft und der Erlös einstweilen 
amtlich aufgehoben werden. Die Versteigerung fand an Ort und Stelle statt, wo 
sich aber nur einige Gaffer einfanden außer den Bauern Manz und Marti, 
da niemand Lust hatte, das seltsame Stückchen zu erstehen und zwischen 
den beiden Nachbarn zu bebauen. Denn obgleich diese zu den besten Bauern des 
Dorfes gehörten und nichts weiter getan hatten, als was zwei Drittel der 
übrigen unter diesen Umständen auch getan haben würden, so sah 
man sie doch jetzt stillschweigend darum an und niemand wollte zwischen ihnen 
eingeklemmt sein mit dem geschmälerten Waisenfelde. Die meisten Menschen 
sind fähig oder bereit, ein in den Lüften umgehendes Unrecht zu 
verüben, wenn sie mit der Nase darauf stoßen; sowie es aber von 
einem begangen ist, sind die übrigen froh, dass sie es doch nicht 
gewesen sind, dass die Versuchung nicht sie betroffen hat, und sie machen 
nun den Auserwählten zu dem Schlechtigkeitsmesser ihrer Eigenschaften und 
behandeln ihn mit zarter Scheu als einen Ableiter des Übels, der von den 
Göttern gezeichnet ist, während ihnen zugleich noch der Mund 
wässert nach den Vorteilen, die er dabei genossen. Manz und Marti 
waren also die Einzigen, welche ernstlich auf den Acker boten; nach einem 
ziemlich hartnäckigen Überbieten erstand ihn Manz und er wurde ihm 
zugeschlagen. Die Beamten und die Gaffer verloren sich vom Felde; die beiden 
Bauern, welche sich auf ihren Äckern noch zu schaffen gemacht, trafen beim 
Weggehen wieder zusammen und Marti sagte: »Du wirst nun dein Land, das alte 
und das neue, wohl zusammenschlagen und in zwei gleiche Stücke teilen? 
Ich hätte es wenigstens so gemacht, wenn ich das Ding bekommen hätte.« - 
»Ich werde es allerdings auch tun«, antwortete Manz, »denn als ein 
Acker würde mir das Stück zu groß sein. Doch was ich sagen wollte: 
Ich habe bemerkt, dass du neulich noch am unteren Ende dieses Ackers, der jetzt 
mir gehört, schräg hineingefahren bist und ein gutes Dreieck abgeschnitten 
hast. Du hast es vielleicht getan in der Meinung, du werdest das ganze Stück an 
dich bringen und es sei dann sowieso dein. Da es nun aber mir gehört, so wirst 
du wohl einsehen, dass ich eine solche ungehörige Einkrümmung nicht 
brauchen noch dulden kann, und wirst nichts dagegen haben, wenn ich den Strich wieder 
grad mache! Streit wird das nicht abgeben sollen!«
 
            
              
            
Marti erwiderte ebenso kaltblütig als ihn Manz angeredet hatte: »Ich sehe 
auch nicht, wo Streit herkommen soll! Ich denke, du hast den Acker gekauft, wie er 
da ist, wir haben ihn alle gemeinschaftlich besehen und er hat sich seit einer 
Stunde nicht um ein Haar verändert!«
 
 
            
            
            
»Larifari!«, sagte Manz, »was früher geschehen, wollen wir nicht 
aufrühren! Was aber zu viel ist, ist zu viel und alles muss zuletzt eine 
ordentliche grade Art haben; diese drei Äcker sind von jeher so grade nebeneinander 
gelegen, wie nach dem Richtscheit gezeichnet; es ist ein ganz absonderlicher Spaß 
von dir, wenn du nun einen solchen lächerlichen und unvernünftigen Schnörkel 
dazwischen bringen willst, und wir beide würden einen Übernamen bekommen, wenn 
wir den krummen Zipfel da bestehen ließen. Er muss durchaus weg!«
 
            
            
            
Marti lachte und sagte: »Du hast ja auf einmal eine merkwürdige Furcht vor 
dem Gespötte der Leute! Das lässt sich aber ja wohl machen; mich geniert 
das Krumme gar nicht; ärgert es dich, gut, so machen wir es grad, aber nicht auf 
meiner Seite, das geb ich dir schriftlich, wenn du willst!«
 
            
            
            
»Rede doch nicht so spaßhaft«, sagte Manz, »es wird wohl grad 
gemacht, und zwar auf deiner Seite, darauf kannst du Gift nehmen!«
 
            
            
            
»Das werden wir ja sehen und erleben!«, sagte Marti, und beide Männer 
gingen auseinander, ohne sich weiter anzublicken; vielmehr starrten sie nach verschiedener 
Richtung ins Blaue hinaus, als ob sie da wunder was für Merkwürdigkeiten im Auge 
hätten, die sie betrachten müssten mit Aufbietung aller ihrer Geisteskräfte.
 
 
            
            
            
Schon am nächsten Tage schickte Manz einen Dienstbuben, ein Tagelöhnermädchen 
und sein eigenes Söhnchen Sali auf den Acker hinaus, um das wilde Unkraut 
und Gestrüpp auszureuten und auf Haufen zu bringen, damit nachher die Steine 
um so bequemer weggefahren werden könnten. Dies war eine Änderung in 
seinem Wesen, dass er den kaum elfjährigen Jungen, der noch zu keiner Arbeit 
angehalten worden, nun mit hinaus sandte, gegen die Einsprache der Mutter. Es schien, 
da er es mit ernsthaften und gesalbten Worten tat, als ob er mit dieser Arbeitsstrenge 
gegen sein eigenes Blut das Unrecht betäuben wollte, in dem er lebte und welches 
nun begann seine Folgen ruhig zu entfalten. Das ausgesandte Völklein jätete 
inzwischen lustig an dem Unkraut und hackte mit Vergnügen an den wunderlichen 
Stauden und Pflanzen aller Art, die da seit Jahren wucherten. Denn da es eine 
außerordentliche, gleichsam wilde Arbeit war, bei der keine Regel und keine 
Sorgfalt erheischt wurde, so galt sie als eine Lust. Das wilde Zeug, an der Sonne 
gedörrt, wurde aufgehäuft und mit großem Jubel verbrannt, 
dass der Qualm weithin sich verbreitete und die jungen Leutchen darin 
herumsprangen wie besessen. Dies war das letzte Freudenfest auf dem Unglücksfelde, 
und das junge Vrenchen, Martis Tochter, kam auch hinausgeschlichen und half tapfer mit. 
Das Ungewöhnliche dieser Begebenheit und die lustige Aufregung gaben einen guten 
Anlass, sich seinem kleinen Jugendgespielen wieder einmal zu nähern, und die 
Kinder waren recht glücklich und munter bei ihrem Feuer. Es kamen noch andere 
Kinder hinzu und es sammelte sich eine ganze vergnügte Gesellschaft; doch immer, 
sobald sie getrennt wurden, suchte Sali alsobald wieder neben Vrenchen zu gelangen, 
und dieses wusste desgleichen immer vergnügt lächelnd zu ihm zu 
schlüpfen, und es war beiden Kreaturen, wie wenn dieser herrliche Tag nie 
enden müsste und könnte. Doch der alte Manz kam gegen Abend herbei, 
um zu sehen, was sie ausgerichtet, und obgleich sie fertig waren, so schalt er 
doch ob dieser Lustbarkeit und scheuchte die Gesellschaft auseinander. Zugleich 
zeigte sich Marti auf seinem Grund und Boden und, seine Tochter gewahrend, pfiff 
er derselben schrill und gebieterisch durch den Finger, dass sie erschrocken 
hineilte, und er gab ihr, ohne zu wissen warum, einige Ohrfeigen, also dass 
beide Kinder in großer Traurigkeit und weinend nach Hause gingen, und sie 
wussten jetzt eigentlich so wenig, warum sie so traurig waren, als warum 
sie vorhin so vergnügt gewesen; denn die Rauheit der Väter, an sich 
ziemlich neu, war von den arglosen Geschöpfen noch nicht begriffen und 
konnte sie nicht tiefer bewegen.
 
            
            
            
Die nächsten Tage war es schon eine härtere Arbeit, zu welcher 
Mannsleute gehörten, als Manz die Steine aufnehmen und wegfahren ließ. 
Es wollte kein Ende nehmen und alle Steine der Welt schienen da beisammen zu sein. 
Er ließ sie aber nicht ganz vom Felde wegbringen, sondern jede Fuhre auf jenem 
streitigen Dreiecke abwerfen, welches von Marti schon säuberlich umgepflügt war. 
Er hatte vorher einen graden Strich gezogen als Grenzscheide und belastete nun dies 
Fleckchen Erde mit allen Steinen, welche beide Männer seit unvordenklichen 
Zeiten herübergeworfen, sodass eine gewaltige Pyramide entstand, die 
wegzubringen sein Gegner bleiben lassen würde, dachte er. Marti hatte dies 
am wenigsten erwartet; er glaubte, der andere werde nach alter Weise mit dem 
Pfluge zu Werke gehen wollen, und hatte daher abgewartet, bis er ihn als Pflüger 
ausziehen sähe. Erst als die Sache schon beinahe fertig, hörte er von 
dem schönen Denkmal, welches Manz da errichtet, rannte voll Wut hinaus, sah 
die Bescherung, rannte zurück und holte den Gemeindeammann, um vorläufig 
gegen den Steinhaufen zu protestieren und den Fleck gerichtlich in Beschlag nehmen 
zu lassen, und von diesem Tage an lagen die zwei Bauern im Prozess miteinander 
und ruhten nicht, ehe sie beide zugrunde gerichtet waren.
 
            
             
            
Die Gedanken der sonst so wohlweisen Männer waren nun so kurz geschnitten wie 
Häcksel; der beschränkteste Rechtssinn von der Welt erfüllte jeden 
von ihnen, indem keiner begreifen konnte noch wollte, wie der andere so offenbar 
unrechtmäßig und willkürlich den fraglichen unbedeutenden Ackerzipfel 
an sich reißen könne. Bei Manz kam noch ein wunderbarer Sinn für 
Symmetrie und parallele Linien hinzu, und er fühlte sich wahrhaft gekränkt 
durch den aberwitzigen Eigensinn, mit welchem Marti auf dem Dasein des unsinnigsten 
und mutwilligsten Schnörkels beharrte. Beide aber trafen zusammen in der 
Überzeugung, dass der andere, den andern so frech und plump übervorteilend, 
ihn notwendig für einen verächtlichen Dummkopf halten müsse, da man 
dergleichen etwa einem armen haltlosen Teufel, nicht aber einem aufrechten, klugen 
und wehrhaften Manne gegenüber sich erlauben könne, und jeder sah sich in 
seiner wunderlichen Ehre gekränkt und gab sich rückhaltlos der Leidenschaft 
des Streites und dem daraus erfolgenden Verfalle hin, und ihr Leben glich fortan der 
träumerischen Qual zweier Verdammten, welche, auf einem schmalen Brette einen 
dunklen Strom hinabtreibend, sich befehden, in die Luft hauen und sich selber anpacken 
und vernichten, in der Meinung, sie hätten ihr Unglück gefasst. Da sie 
eine faule Sache hatten, so gerieten beide in die allerschlimmsten Hände von 
Tausendkünstlern, welche ihre verdorbene Fantasie auftrieben zu ungeheuren 
Blasen, die mit den nichtsnutzigsten Dingen angefüllt wurden. Vorzüglich 
waren es die Spekulanten aus der Stadt Seldwyla, welchen dieser Handel ein 
gefundenes Essen war, und bald hatte jeder der Streitenden einen Anhang von 
Unterhändlern, Zuträgern und Ratgebern hinter sich, die alles bare 
Geld auf hundert Wegen abzuziehen wussten. Denn das Fleckchen Erde mit dem 
Steinhaufen darüber, auf welchem bereits wieder ein Wald von Nesseln und 
Disteln blühte, war nur noch der erste Keim oder der Grundstein einer 
verworrenen Geschichte und Lebensweise, in welcher die zwei Fünfzigjährigen 
noch neue Gewohnheiten und Sitten, Grundsätze und Hoffnungen annahmen als sie 
bisher geübt. Je mehr Geld sie verloren, desto sehnsüchtiger wünschten 
sie welches zu haben, und je weniger sie besaßen, desto hartnäckiger 
dachten sie reich zu werden und es dem andern zuvorzutun. Sie ließen sich 
zu jedem Schwindel verleiten und setzten auch jahraus jahrein in alle fremden 
Lotterien, deren Lose massenhaft in Seldwyla zirkulierten. Aber nie bekamen sie 
einen Taler Gewinn zu Gesicht, sondern hörten nur immer vom Gewinnen anderer 
Leute und wie sie selbst beinahe gewonnen hätten, indessen diese Leidenschaft 
ein regelmäßiger Geldabfluss für sie war. Bisweilen machten sich 
die Seldwyler den Spaß, beide Bauern ohne ihr Wissen am gleichen Lose 
teilnehmen zu lassen, sodass beide die Hoffnung auf Unterdrückung und 
Vernichtung des andern auf ein und dasselbe Los setzten. Sie brachten die 
Hälfte ihrer Zeit in der Stadt zu, wo jeder in einer Spelunke sein Hauptquartier 
hatte, sich den Kopf heißmachen und zu den lächerlichsten Ausgaben 
und einem elenden und ungeschickten Schlemmen verleiten ließ, bei welchem 
ihm heimlich doch selber das Herz blutete, also dass beide, welche 
eigentlich nur in diesem Hader lebten, um für keine Dummköpfe zu gelten, 
nun solche von der besten Sorte darstellten und von jedermann dafür angesehen 
wurden. Die andere Hälfte der Zeit lagen sie verdrossen zu Hause oder 
gingen ihrer Arbeit nach, wobei sie dann durch ein tolles böses Überhasten 
und Antreiben das Versäumte einzuholen suchten und damit jeden ordentlichen 
und zuverlässigen Arbeiter verscheuchten. So ging es gewaltig rückwärts 
mit ihnen, und ehe zehn Jahre vorüber, steckten sie beide von Grund aus in 
Schulden und standen wie die Störche auf einem Beine auf der Schwelle ihrer 
Besitztümer, von der jeder Lufthauch sie herunterwehte. Aber wie es ihnen 
auch erging, der Hass zwischen ihnen wurde täglich größer, 
da jeder den andern als den Urheber seines Unsterns betrachtete, als seinen 
Erbfeind und ganz unvernünftigen Widersacher, den der Teufel absichtlich 
in die Welt gesetzt habe, um ihn zu verderben. Sie spieen aus, wenn sie sich 
nur von Weitem sahen; kein Glied ihres Hauses durfte mit Frau, Kind oder 
Gesinde des andern ein Wort sprechen, bei Vermeidung der gröbsten 
Misshandlung. Ihre Weiber verhielten sich verschieden bei dieser 
Verarmung und Verschlechterung des ganzen Wesens. Die Frau des Marti, 
welche von guter Art war, hielt den Verfall nicht aus, härmte sich ab 
und starb, ehe ihre Tochter vierzehn Jahre alt war. Die Frau des Manz hingegen 
bequemte sich der veränderten Lebensweise an, und um sich als eine schlechte 
Genossin zu entfalten, hatte sie nichts zu tun als einigen weiblichen Fehlern, 
die ihr von jeher angehaftet, den Zügel schießen zu lassen und dieselben 
zu Lastern auszubilden. Ihre Naschhaftigkeit wurde zu wilder Begehrlichkeit, 
ihre Zungenfertigkeit zu einem grundfalschen und verlogenen Schmeichel- und 
Verleumdungswesen, mit welchem sie jeden Augenblick das Gegenteil von dem sagte, 
was sie dachte, alles hintereinander hetzte und ihrem eigenen Manne ein X für 
ein U vormachte; ihre ursprüngliche Offenheit, mit der sie sich der 
unschuldigeren Plauderei erfreut, ward nun zur abgehärteten Schamlosigkeit, 
mit der sie jenes falsche Wesen betrieb, und so, statt unter ihrem Manne zu leiden, 
drehte sie ihm eine Nase; wenn er es arg trieb, so machte sie es bunt, ließ 
sich nichts abgehen und gedieh zu der dicksten Blüte einer Vorsteherin des 
zerfallenden Hauses. 
 
        [Dritter Teil: Der Niedergang der Familien]
 
            
So war es nun schlimm bestellt um die armen Kinder, welche weder eine gute 
Hoffnung für ihre Zukunft fassen konnten noch sich auch nur einer 
lieblich frohen Jugend erfreuten, da überall nichts als Zank und Sorge war. 
Vrenchen hatte anscheinend einen schlimmern Stand als Sali, da seine Mutter tot 
und es einsam in einem wüsten Hause der Tyrannei eines verwilderten Vaters 
anheimgegeben war. Als es sechzehn Jahre zählte, war es schon ein 
schlank gewachsenes, ziervolles Mädchen; seine dunkelbraunen Haare ringelten 
sich unablässig fast bis über die blitzenden braunen Augen, dunkelrotes 
Blut durchschimmerte die Wangen des bräunlichen Gesichtes und glänzte 
als tiefer Purpur auf den frischen Lippen, wie man es selten sah und was dem 
dunklen Kinde ein eigentümliches Ansehen und Kennzeichen gab. Feurige 
Lebenslust und Fröhlichkeit zitterte in jeder Fiber dieses Wesens; es 
lachte und war aufgelegt zu Scherz und Spiel, wenn das Wetter nur im Mindesten 
lieblich war, das heißt wenn es nicht zu sehr gequält wurde und nicht 
zu viel Sorgen ausstand. Diese plagten es aber häufig genug; denn nicht nur 
hatte es den Kummer und das wachsende Elend des Hauses mit zu tragen, sondern es 
musste noch sich selber in acht nehmen und mochte sich gern halbwegs ordentlich 
und reinlich kleiden, ohne dass der Vater ihm die geringsten Mittel dazu geben 
wollte. So hatte Vrenchen die größte Not, ihre anmutige Person 
einigermaßen auszustaffieren, sich ein allerbescheidenstes Sonntagskleid zu 
erobern und einige bunte, fast wertlose Halstüchelchen zusammenzuhalten. 
Darum war das schöne wohlgemute junge Blut in jeder Weise gedemütigt 
und gehemmt und konnte am wenigsten der Hoffart anheimfallen. Überdies hatte 
es bei schon erwachendem Verstande das Leiden und den Tod seiner Mutter gesehen, 
und dies Andenken war ein weiterer Zügel, der seinem lustigen und feurigen 
Wesen angelegt war, sodass es nun höchst lieblich, unbedenklich und 
rührend sich ansah, wenn trotz alledem das gute Kind bei jedem Sonnenblick 
sich ermunterte und zum Lächeln bereit war.
  
 
            
             
            
Sali erging es nicht so hart auf den ersten Anschein; denn er war nun ein 
hübscher und kräftiger junger Bursche, der sich zu wehren wusste 
und dessen äußere Haltung wenigstens eine schlechte Behandlung von selbst 
unzulässig machte. Er sah wohl die üble Wirtschaft seiner Eltern und 
glaubte sich erinnern zu können, dass es einst nicht so gewesen; ja er 
bewahrte noch das frühere Bild seines Vaters wohl in seinem Gedächtnisse 
als eines festen, klugen und ruhigen Bauers, desselben Mannes, den er jetzt als 
einen grauen Narren, Händelführer und Müßiggänger vor 
sich sah, der mit Toben und Prahlen auf hundert törichten und verfänglichen 
Wegen wandelte und mit jeder Stunde rückwärts ruderte wie ein Krebs. Wenn 
ihm nun dies missfiel und ihn oft mit Scham und Kummer erfüllte, während 
es seiner Unerfahrenheit nicht klar war, wie die Dinge so gekommen, so wurden seine 
Sorgen wieder betäubt durch die Schmeichelei, mit der ihn die Mutter behandelte. 
Denn um in ihrem Unwesen ungestörter zu sein und einen guten Parteigänger 
zu haben, auch um ihrer Großtuerei zu genügen, ließ sie ihm zukommen, 
was er wünschte, kleidete ihn sauber und prahlerisch und unterstützte ihn 
in allem, was er zu seinem Vergnügen vornahm. Er ließ sich dies gefallen 
ohne viel Dankbarkeit, da ihm die Mutter viel zu viel dazu schwatzte und log; und 
indem er so wenig Freude daran empfand, tat er lässig und gedankenlos, was 
ihm gefiel, ohne dass dies jedoch etwas Übles war, weil er für jetzt 
noch unbeschädigt war von dem Beispiele der Alten und das jugendliche 
Bedürfnis fühlte, im Ganzen einfach, ruhig und leidlich tüchtig 
zu sein. Er war ziemlich genau so, wie sein Vater in diesem Alter gewesen war, 
und dieses flößte demselben eine unwillkürliche Achtung vor dem 
Sohne ein, in welchem er mit verwirrtem Gewissen und gepeinigter Erinnerung seine 
eigene Jugend achtete. Trotz dieser Freiheit, welche Sali genoss, ward er 
seines Lebens doch nicht froh und fühlte wohl, wie er nichts Rechtes vor 
sich hatte und ebenso wenig etwas Rechtes lernte, da von einem zusammenhängenden 
und vernunftgemäßen Arbeiten in Manzens Hause längst nicht mehr die 
Rede war. Sein bester Trost war daher, stolz auf seine Unabhängigkeit und 
einstweilige Unbescholtenheit zu sein, und in diesem Stolze ließ er die 
Tage trotzig verstreichen und wandte die Augen von der Zukunft ab.
  
 
            
            
            
Der einzige Zwang, dem er unterworfen, war die Feindschaft seines Vaters gegen alles, 
was Marti hieß und an diesen erinnerte. Doch wusste er nichts anderes als 
dass Marti seinem Vater Schaden zugefügt und dass man in dessen Hause 
ebenso feindlich gesinnt sei, und es fiel ihm daher nicht schwer, weder den Marti 
noch seine Tochter anzusehen und seinerseits auch einen angehenden, doch ziemlich 
zahmen Feind vorzustellen. Vrenchen hingegen, welches mehr erdulden musste als 
Sali und in seinem Hause viel verlassener war, fühlte sich weniger zu einer 
förmlichen Feindschaft aufgelegt und glaubte sich nur verachtet von dem 
wohlgekleideten  und scheinbar glücklicheren Sali; deshalb verbarg sie sich 
vor ihm, und wenn er irgendwo nur in der Nähe war, so entfernte sie sich 
eilig, ohne dass er sich die Mühe gab, ihr nachzublicken. So kam es, 
dass er das Mädchen schon seit ein paar Jahren nicht mehr in der Nähe 
gesehen und gar nicht wusste, wie es aussah, seit es herangewachsen. Und doch 
wunderte es ihn zuweilen ganz gewaltig, und wenn überhaupt von den Martis 
gesprochen wurde, so dachte er unwillkürlich nur an die Tochter, deren 
jetziges Aussehen ihm nicht deutlich und deren Andenken ihm gar nicht verhasst war.
  
 
            
             
            
Doch war sein Vater Manz nun der erste von den beiden Feinden, der sich nicht 
mehr halten konnte und von Haus und Hof springen musste. Dieser Vortritt 
rührte daher, dass er eine Frau besaß, die ihm geholfen, und einen 
Sohn, der doch auch einiges mit brauchte, während Marti der einzige Verzehrer 
war in seinem wackeligen Königreich, und seine Tochter durfte wohl arbeiten 
wie ein Haustierchen, aber nichts gebrauchen. Manz aber wusste nichts anderes 
anzufangen, als auf den Rat seiner Seldwyler Gönner in die Stadt zu ziehen und 
da sich als Wirt aufzutun. Es ist immer betrüblich anzusehen, wenn ein ehemaliger 
Landmann, der auf dem Felde alt geworden ist, mit den Trümmern seiner Habe in 
eine Stadt zieht und da eine Schenke oder Kneipe auftut, um als letzten Rettungsanker 
den freundlichen und gewandten Wirt zu machen, während es ihm nichts weniger als 
freundlich zumut ist. Als die Manzen vom Hofe zogen, sah man erst, wie arm sie bereits 
waren; denn sie luden lauter alten und zerfallenen Hausrat auf, dem man es ansah, 
dass seit vielen Jahren nichts erneuert und angeschafft worden war. Die Frau 
legte aber nichtsdestominder ihren besten Staat an, als sie sich oben auf die 
Gerümpelfuhre setzte, und machte ein Gesicht voller Hoffnungen, als künftige 
Stadtfrau schon mit Verachtung auf die Dorfgenossen herabsehend, welche voll Mitleid 
hinter den Hecken hervor dem bedenklichen Zuge zuschauten. Denn sie nahm sich vor, 
mit ihrer Liebenswürdigkeit und Klugheit die ganze Stadt zu bezaubern, und was 
ihr versimpelter Mann nicht machen könne, das wolle sie schon ausrichten, wenn 
sie nur erst einmal als Frau Wirtin in einem stattlichen Gasthofe säße. 
Dieser Gasthof bestand aber in einer trübseligen Winkelschenke in einem 
abgelegenen schmalen Gässchen, auf der eben ein anderer zugrunde gegangen 
war und welche die Seldwyler dem Manz verpachteten, da er noch einige hundert Taler 
einzuziehen hatte. Sie verkauften ihm auch ein paar Fässchen angemachten 
Weines und das Wirtschaftsmobiliar, das aus einem Dutzend weißen geringen 
Flaschen, ebenso viel Gläsern und einigen tannenen Tischen und Bänken bestand, 
welche einst blutrot angestrichen gewesen und jetzt vielfältig abgescheuert waren. 
Vor dem Fenster knarrte ein eiserner Reifen in einem Haken und in dem Reifen schenkte 
eine blecherne Hand Rotwein aus einem Schöppchen in ein Glas. Überdies hing 
ein verdorrter Busch von Stechpalme über der Haustüre, was Manz alles mit 
in die Pacht bekam. Um deswillen war er nicht so wohlgemut wie seine Frau, sondern 
trieb mit schlimmer Ahnung und voll Ingrimm die mageren Pferde an, welche er vom 
neuen Bauern geliehen. Das letzte schäbige Knechtchen, das er gehabt, hatte 
ihn schon seit einigen Wochen verlassen. Als er solcherweise abfuhr, sah er wohl, 
wie Marti voll Hohn und Schadenfreude sich unfern der Straße zu schaffen machte, 
fluchte ihm und hielt denselben für den alleinigen Urheber seines Unglückes. 
Sali aber, sobald das Fuhrwerk im Gange war, beschleunigte seine Schritte, eilte 
voraus und ging allein auf Seitenwegen nach der Stadt.
  
 
            
         
            
»Da wären wir!«, sagte Manz, als die Fuhre vor dem Spelunkelein anhielt. 
Die Frau erschrak darüber, denn das war in der Tat ein trauriger Gasthof. Die Leute 
traten eilfertig unter die Fenster und vor die Häuser, um sich den neuen Bauernwirt 
anzusehen, und machten mit ihrer Seldwyler Überlegenheit mitleidig spöttische 
Gesichter. Zornig und mit nassen Augen kletterte die Manzin vom Wagen herunter und lief, 
ihre Zunge vorläufig wetzend, in das Haus, um sich heute vornehm nicht wieder blicken 
zu lassen; denn sie schämte sich des schlechten Gerätes und der verdorbenen Betten, 
welche nun abgeladen wurden. Sali schämte sich auch, aber er musste helfen und machte 
mit seinem Vater einen seltsamen Verlag in dem Gässchen, auf welchem alsbald die 
Kinder der Falliten herumsprangen und sich über das verlumpete Bauernpack lustig machten. 
Im Hause aber sah es noch trübseliger aus und es glich einer vollkommenen 
Räuberhöhle. Die Wände waren schlecht geweißtes feuchtes Mauerwerk, 
außer der dunklen unfreundlichen Gaststube mit ihren ehemals blutroten Tischen 
waren nur noch ein paar schlechte Kämmerchen da, und überall hatte der 
ausgezogene Vorgänger den trostlosesten Schmutz und Kehricht zurückgelassen.
  
 
            
             
            
So war der Anfang und so ging es auch fort. Während der ersten Woche kamen, besonders 
am Abend, wohl hin und wieder ein Tisch voll Leute aus Neugierde, den Bauernwirt zu sehen 
und ob es da vielleicht einigen Spaß absetzte. Am Wirt hatten sie nicht viel zu 
betrachten, denn Manz war ungelenk, starr, unfreundlich und melancholisch und wusste 
sich gar nicht zu benehmen, wollte es auch nicht wissen. Er füllte langsam und 
ungeschickt die Schöppchen, stellte sie mürrisch vor die Gäste und 
versuchte etwas zu sagen, brachte aber nichts heraus. Desto eifriger warf sich nun 
seine Frau ins Geschirr und hielt die Leute wirklich einige Tage zusammen, aber in 
einem ganz andern Sinne, als sie meinte. Die ziemlich dicke Frau hatte sich eine eigene 
Haustracht zusammengesetzt, in der sie unwiderstehlich zu sein glaubte. Zu einem 
leinenen ungefärbten Landrock trug sie einen alten grünseidenen Spenser, 
eine baumwollene Schürze und einen schlimmen weißen Halskragen. Von ihrem 
nicht mehr dichten Haar hatte sie an den Schläfen possierliche Schnecken gewickelt 
und in das Zöpfchen hinten einen hohen Kamm gesteckt. So schwänzelte und 
tänzelte sie mit angestrengter Anmut herum, spitzte lächerlich das Maul, 
dass es süß aussehen sollte, hüpfte elastisch an die Tische hin, 
und das Glas oder den Teller mit gesalzenem Käse hinsetzend, sagte sie lächelnd: 
»So so? so soli! herrlich herrlich, ihr Herren!« und solches dummes Zeug mehr; 
denn obwohl sie sonst eine geschaffene Zunge hatte, so wusste sie jetzt doch nichts 
Gescheites vorzubringen, da sie fremd war und die Leute nicht kannte. Die Seldwyler von 
der schlechtesten Sorte, die da hockten, hielten die Hand vor den Mund, wollten vor 
Lachen ersticken, stießen sich unter dem Tisch mit den Füßen und sagten: 
»Potz tausig! das ist ja eine Herrliche!« »Eine Himmlische!«, sagte 
ein anderer, »beim ewigen Hagel! Es ist der Mühe wert, hierher zu kommen, 
so eine haben wir lang nicht gesehen!« Ihr Mann bemerkte das wohl mit finsterm 
Blicke; er gab ihr einen Stoß in die Rippen und flüsterte: »Du alte Kuh! 
Was machst du denn?« - »Störe mich nicht«, sagte sie unwillig, 
»du alter Tolpatsch! Siehst du nicht, wie ich mir Mühe gebe und mit den 
Leuten umzugehen weiß? Das sind aber nur Lumpen von deinem Anhang! Lass 
mich nur machen, ich will bald fürnehmere Kundschaft hier haben!« Dies 
alles war beleuchtet von einem oder zwei dünnen Talglichten; Sali, der Sohn, 
aber ging hinaus in die dunkle Küche, setzte sich auf den Herd und weinte 
über Vater und Mutter. 
  
 
            
            
            
Die Gäste hatten aber das Schauspiel bald satt, welches ihnen die gute 
Frau Manz gewährte, und blieben wieder, wo es ihnen wohler war und sie 
über die wunderliche Wirtschaft lachen konnten; nur dann und wann erschien 
ein einzelner, der ein Glas trank und die Wände angähnte, oder es kam 
ausnahmsweise eine ganze Bande, die armen Leute mit einem vorübergehenden 
Trubel und Lärm zu täuschen. Es ward ihnen angst und bange in dem engen 
Mauerwinkel, wo sie kaum die Sonne sahen, und Manz, welcher sonst gewohnt war 
tagelang in der Stadt zu liegen, fand es jetzt unerträglich zwischen diesen 
Mauern. Wenn er an die freie Weite der Felder dachte, so stierte er finster 
brütend an die Decke oder auf den Boden, lief unter die enge Haustüre 
und wieder zurück, da die Nachbarn den bösen Wirt, wie sie ihn schon 
nannten, angafften. Nun dauerte es aber nicht mehr lange und sie verarmten 
gänzlich und hatten gar nichts mehr in der Hand; sie mussten, um etwas 
zu essen, warten, bis einer kam und für wenig Geld etwas von dem noch 
vorhandenen Wein verzehrte, und wenn er eine Wurst oder dergleichen begehrte, 
so hatten sie oft die größte Angst und Sorge, dieselbe beizutreiben. 
Bald hatten sie auch den Wein nur noch in einer großen Flasche verborgen, 
die sie heimlich in einer anderen Kneipe füllen ließen, und so sollten 
sie nun die Wirte machen ohne Wein und Brot und freundlich sein, ohne ordentlich 
gegessen zu haben. Sie waren beinahe froh, wenn nur niemand kam, und hockten so 
in ihrem Kneipchen, ohne leben noch sterben zu können. Als die Frau diese 
traurigen Erfahrungen machte, zog sie den grünen Spenser wieder aus und nahm 
abermals eine Veränderung vor, indem sie nun, wie früher die Fehler, 
so nun einige weibliche Tugenden aufkommen ließ und mehr ausbildete, da Not 
an den Mann ging. Sie übte Geduld und suchte den Alten aufrecht zu halten 
und den Jungen zum Guten anzuweisen; sie opferte sich vielfältig in allerlei 
Dingen, kurz, sie übte in ihrer Weise eine Art von wohltätigem Einfluss, 
der zwar nicht weit reichte und nicht viel besserte, aber immerhin besser war als 
gar nichts oder als das Gegenteil und die Zeit wenigstens verbringen half, welche 
sonst viel früher hätte brechen müssen für diese Leute. Sie 
wusste manchen Rat zu geben nunmehr in erbärmlichen Dingen, nach ihrem 
Verstande, und wenn der Rat nichts zu taugen schien und fehlschlug, so ertrug 
sie willig den Grimm der Männer, kurzum, sie tat jetzt alles, da sie alt 
war, was besser gedient hätte, wenn sie es früher geübt.		
 
[Vierter Teil: Nach zwölf Jahren]
            
          
            
Um wenigstens etwas Beißbares zu erwerben und die Zeit zu verbringen, 
verlegten sich Vater und Sohn auf die Fischerei, das heißt mit der Angelrute, 
soweit es für jeden erlaubt war, sie in den Fluss zu hängen. Dies 
war auch eine Hauptbeschäftigung der Seldwyler, nachdem sie falliert hatten. 
Bei günstigem Wetter, wenn die Fische gern anbissen, sah man sie dutzendweise 
hinauswandern mit Rute und Eimer, und wenn man an den Ufern des Flusses wandelte, 
hockte alle Spanne lang einer, der angelte, der eine in einem langen braunen 
Bürgerrock, die bloßen Füße im Wasser, der andere in einem 
spitzen blauen Frack auf einer alten Weide stehend, den alten Filz schief auf 
dem Ohre; weiterhin angelte gar einer im zerrissenen großblumigen Schlafrock, 
da er keinen andern mehr besaß, die lange Pfeife in der einen, die Rute in der 
anderen Hand, und wenn man um eine Krümmung des Flusses bog, stand ein alter 
kahlköpfiger Dickbauch faselnackt auf einem Stein und angelte; dieser hatte, 
trotz des Aufenthaltes am Wasser, so schwarze Füße, dass man glaubte, 
er habe die Stiefel anbehalten. Jeder hatte ein Töpfchen oder ein Schächtelchen 
neben sich, in welchem Regenwürmer wimmelten, nach denen sie zu andern Stunden 
zu graben pflegten. Wenn der Himmel mit Wolken bezogen und es ein schwüles 
dämmeriges Wetter war, welches Regen verkündete, so standen diese Gestalten 
am zahlreichsten an dem ziehenden Strome, regungslos gleich einer Galerie von 
Heiligen- oder Prophetenbildern. Achtlos zogen die Landleute mit Vieh und Wagen an 
ihnen vorüber, und die Schiffer auf dem Flusse sahen sie nicht an, während 
sie leise murrten über die störenden Schiffe.
  
 
            
             
            
Wenn man Manz vor zwölf Jahren, als er mit einem schönen Gespann pflügte 
auf dem Hügel über dem Ufer, geweissagt hätte, er würde sich einst 
zu diesen wunderlichen Heiligen gesellen und gleich ihnen Fische fangen, so wäre 
er nicht übel aufgefahren. Auch eilte er jetzt hastig an ihnen vorüber 
hinter ihren Rücken und eilte stromaufwärts gleich einem eigensinnigen 
Schatten der Unterwelt, der sich zu seiner Verdammnis ein bequemes einsames 
Plätzchen sucht an den dunklen Wässern. Mit der Angelrute zu stehen hatten 
er und sein Sohn indessen keine Geduld und sie erinnerten sich der Art, wie die 
Bauern auf manche andere Weise etwa Fische fangen, wenn sie übermütig sind, 
besonders mit den Händen in den Bächen; daher nahmen sie die Ruten nur zum 
Schein mit und gingen an den Borden der Bäche hinauf, wo sie wussten, dass 
es teure und gute Forellen gab.
  
 
            
            
            
Dem auf dem Lande zurückgebliebenen Marti ging es inzwischen auch immer schlimmer 
und es war ihm höchst langweilig dabei, sodass er, anstatt auf seinem 
vernachlässigten Felde zu arbeiten, ebenfalls auf das Fischen verfiel und 
tagelang im Wasser herumplätscherte. Vrenchen durfte nicht von seiner Seite und 
musste ihm Eimer und Gerät nachtragen durch nasse Wiesengründe, durch 
Bäche und Wassertümpel aller Art, bei Regen und Sonnenschein, indessen sie 
das Notwendigste zu Hause liegen lassen musste. Denn es war sonst keine Seele mehr 
da und wurde auch keine gebraucht, da Marti das meiste Land schon verloren hatte und 
nur noch wenige Äcker besaß, die er mit seiner Tochter liederlich genug oder 
gar nicht bebaute.
  
 
            
             
            
So kam es, dass, als er eines Abends einen ziemlich tiefen und reißenden Bach 
entlang ging, in welchem die Forellen fleißig sprangen, da der Himmel voll 
Gewitterwolken hing, er unverhofft auf seinen Feind Manz traf, der an dem andern Ufer 
daherkam. Sobald er ihn sah, stieg ein schrecklicher Groll und Hohn in ihm auf, sie 
waren sich seit Jahren nicht so nahe gewesen, ausgenommen vor den Gerichtsschranken, 
wo sie nicht schelten durften, und Marti rief jetzt voll Grimm: »Was tust du hier, 
du Hund? Kannst du nicht in deinem Lotterneste bleiben, du Seldwyler Lumpenhund?«
  
 
            
         
            
»Wirst nächstens wohl auch ankommen, du Schelm!«, rief Manz. »Fische 
fängst du ja auch schon und wirst deshalb nicht viel mehr zu versäumen haben!«
  
 
            
             
            
»Schweig, du Galgenhund!«, schrie Marti, da hier die Wellen des Baches stärker 
rauschten, »du hast mich ins Unglück gebracht!« Und da jetzt auch die Weiden 
am Bache gewaltig zu rauschen anfingen im aufgehenden Wetterwind, so musste Manz noch 
lauter schreien: »Wenn dem nur so wäre, so wollte ich mich freuen, du elender 
Tropf!« - »O du Hund!«, schrie Marti herüber und Manz hinüber: 
»O du Kalb, wie dumm tust du!« Und jener sprang wie ein Tiger den Bach entlang 
und suchte herüberzukommen. Der Grund, warum er der Wütendere war, lag in 
seiner Meinung, dass Manz als Wirt wenigstens genug zu essen und zu trinken hätte 
und gewissermaßen ein kurzweiliges Leben führe, während es ungerechterweise 
ihm so langweilig wäre auf seinem zertrümmerten Hofe. Manz schritt indessen auch 
grimmig genug an der anderen Seite hin; hinter ihm sein Sohn, welcher, statt auf den 
bösen Streit zu hören, neugierig und verwundert nach Vrenchen hinübersah, 
welche hinter ihrem Vater ging, vor Scham in die Erde sehend, dass ihr die braunen 
krausen Haare ins Gesicht fielen. Sie trug einen hölzernen Fischeimer in der einen 
Hand, in der anderen hatte sie Schuh und Strümpfe getragen und ihr Kleid der 
Nässe wegen aufgeschürzt. Seit aber Sali auf der anderen Seite ging, hatte 
sie es schamhaft sinken lassen und war nun dreifach belästigt und gequält, 
da sie alle das Zeug tragen, den Rock zusammenhalten und des Streites wegen sich 
grämen musste. Hätte sie aufgesehen und nach Sali geblickt, so würde 
sie entdeckt haben, dass er weder vornehm noch sehr stolz mehr aussah und selbst 
bekümmert genug war. Während Vrenchen so ganz beschämt und verwirrt auf 
die Erde sah und Sali nur diese in allem Elende schlanke und anmutige Gestalt im Auge 
hatte, die so verlegen und demütig dahinschritt, beachteten sie dabei nicht, wie 
ihre Väter still geworden, aber mit verstärkter Wut einem hölzernen 
Stege zueilten, der in kleiner Entfernung über den Bach führte und eben 
sichtbar wurde. Es fing an zu blitzen und erleuchtete seltsam die dunkle melancholische 
Wassergegend; es donnerte auch in den grauschwarzen Wolken mit dumpfem Grolle und 
schwere Regentropfen fielen, als die verwilderten Männer gleichzeitig auf die 
schmale, unter ihren Tritten schwankende Brücke stürzten, sich gegenseitig 
packten und die Fäuste in die vor Zorn und ausbrechendem Kummer bleichen 
zitternden Gesichter schlugen. Es ist nichts Anmutiges und nichts weniger als artig, 
wenn sonst gesetzte Menschen noch in den Fall kommen, aus Übermut, Unbedacht 
oder Notwehr unter allerhand Volk, das sie nicht näher berührt, Schläge 
auszuteilen oder welche zu bekommen; allein dies ist eine harmlose Spielerei gegen das 
tiefe Elend, das zwei alte Menschen überwältigt, die sich wohl kennen und seit 
lange kennen, wenn diese aus innerster Feindschaft und aus dem Gange einer ganzen 
Lebensgeschichte heraus sich mit nackten Händen anfassen und mit Fäusten 
schlagen. So taten jetzt diese beide ergrauten Männer; vor fünfzig Jahren 
vielleicht hatten sie sich als Buben zum letzten Mal gerauft, dann aber fünfzig 
lange Jahre mit keiner Hand mehr berührt, ausgenommen in ihrer guten Zeit, wo 
sie sich etwa zum Gruße die Hände geschüttelt, und auch dies nur selten 
bei ihrem trockenen und sichern Wesen. Nachdem sie ein oder zweimal geschlagen, hielten 
sie inne und rangen still zitternd miteinander, nur zuweilen aufstöhnend und 
elendiglich knirschend, und einer suchte den andern über das knackende Geländer 
ins Wasser zu werfen. Jetzt waren aber auch ihre Kinder nachgekommen und sahen den 
erbärmlichen Auftritt. Sali sprang eines Satzes heran, um seinem Vater beizustehen 
und ihm zu helfen, dem gehassten Feinde den Garaus zu machen, der ohnehin der 
schwächere schien und eben zu unterliegen drohte. Aber auch Vrenchen sprang, alles 
wegwerfend, mit einem langen Aufschrei herzu und umklammerte ihren Vater, um ihn zu 
schützen, während sie ihn dadurch nur hinderte und beschwerte. 
Tränen strömten aus ihren Augen und sie sah flehend den Sali an, der im 
Begriff war, ihren Vater ebenfalls zu fassen und vollends zu überwältigen. 
Unwillkürlich legte er aber seine Hand an seinen eigenen Vater und suchte 
denselben mit festem Arm von dem Gegner loszubringen und zu beruhigen, sodass 
der Kampf eine kleine Weile ruhte oder vielmehr die ganze Gruppe unruhig hin und her 
drängte, ohne auseinander zu kommen. Darüber waren die jungen Leute, sich 
mehr zwischen die Alten schiebend, in dichte Berührung gekommen, und in diesem 
Augenblicke erhellte ein Wolkenriss, der den grellen Abendschein durchließ, 
das nahe Gesicht des Mädchens, und Sali sah in dies ihm so wohlbekannte und doch 
so viel anders und schöner gewordene Gesicht. Vrenchen sah in diesem Augenblicke 
auch sein Erstaunen und es lächelte ganz kurz und geschwind mitten in seinem 
Schrecken und in seinen Tränen ihn an. Doch ermannte sich Sali, geweckt durch  
die Anstrengungen seines Vaters, ihn abzuschütteln, und brachte ihn mit 
eindringlich bittenden Worten und fester Haltung endlich ganz von seinem Feinde 
weg. Beide alte Gesellen atmeten hoch auf und begannen jetzt wieder zu schelten 
und zu schreien, sich voneinander abwendend; ihre Kinder aber atmeten kaum und 
waren still wie der Tod, gaben sich aber im Wegwenden und Trennen, ungesehen von 
den Alten, schnell die Hände, welche vom Wasser und von den Fischen feucht 
und kühl waren.
  
 
            
            
            
Als die grollenden Parteien ihrer Wege gingen, hatten die Wolken sich wieder 
geschlossen, es dunkelte mehr und mehr und der Regen goss nun in Bächen 
durch die Luft. Manz schlenderte voraus auf den dunklen nassen Wegen, er duckte 
sich, beide Hände in den Taschen, unter den Regengüssen, zitterte noch 
in seinen Gesichtszügen und mit den Zähnen und ungesehene Tränen 
rieselten ihm in den Stoppelbart, die er fließen ließ, um sie durch 
das Wegwischen nicht zu verraten. Sein Sohn hatte aber nichts gesehen, weil er 
in glückseligen Bildern verloren daherging. Er merkte weder Regen noch Sturm, 
weder Dunkelheit noch Elend; sondern leicht, hell und warm war es ihm innen und 
außen und er fühlte sich so reich und wohlgeborgen wie ein Königssohn. 
Er sah fortwährend das sekundenlange Lächeln des nahen schönen 
Gesichtes und erwiderte dasselbe erst jetzt, eine gute halbe Stunde nachher, indem 
er voll Liebe in Nacht und Wetter hinein und das liebe Gesicht anlachte, das ihm 
allerwegen aus dem Dunkel entgegentrat, sodass er glaubte, Vrenchen müsse 
auf seinen Wegen dies Lachen notwendig sehen und seiner inne werden. 
 
 [Fünfter Teil: Das heimliche Liebespaar]
          
            
Sein Vater war des andern Tags wie zerschlagen und wollte nicht aus dem Hause. Der ganze 
Handel und das vieljährige Elend nahm heute eine neue, deutlichere Gestalt an und 
breitete sich dunkel aus in der drückenden Luft der Spelunke, also dass Mann 
und Frau matt und scheu um das Gespenst herumschlichen, aus der Stube in die dunklen 
Kämmerchen, von da in die Küche und aus dieser wieder sich in die Stube schleppten, 
in welcher kein Gast sich sehen ließ. Zuletzt hockte jedes in einem Winkel und begann 
den Tag über ein müdes, halbtotes Zanken und Vorhalten mit dem andern, wobei sie 
zeitweise einschliefen, von unruhigen Tagträumen geplagt, welche aus dem Gewissen 
kamen und sie wieder weckten. Nur Sali sah und hörte nichts davon, denn er dachte 
nur an Vrenchen. Es war ihm immer noch zumut, nicht nur als ob er unsäglich reich 
wäre, sondern auch was Rechts gelernt hätte und unendlich viel Schönes 
und Gutes wüsste, da er nun so deutlich und bestimmt um das wusste, was er 
gestern gesehen. Diese Wissenschaft war ihm wie vom Himmel gefallen und er war in einer 
unaufhörlichen glücklichen Verwunderung darüber; und doch war es ihm, 
als ob er es eigentlich von jeher gewusst und gekannt hätte, was ihn jetzt mit 
so wundersamer Süßigkeit erfüllte. Denn nichts gleicht dem Reichtum und 
der Unergründlichkeit eines Glückes, das an den Menschen herantritt in einer 
so klaren und deutlichen Gestalt, vom Pfäfflein getauft und wohl versehen mit einem 
eigenen Namen, der nicht tönt wie andere Namen.
  
 
            
             
            
Sali fühlte sich an diesem Tage weder müßig noch unglücklich, weder 
arm noch hoffnungslos; vielmehr war er vollauf beschäftigt, sich Vrenchens Gesicht 
und Gestalt vorzustellen, unaufhörlich, eine Stunde wie die andere; über 
dieser aufgeregten Tätigkeit aber verschwand ihm der Gegenstand derselben fast 
vollständig, das heißt er bildete sich endlich ein, nun doch nicht zu wissen, 
wie Vrenchen recht genau aussehe, er habe wohl ein allgemeines Bild von ihr im 
Gedächtnis, aber wenn er sie beschreiben sollte, so könnte er das nicht. 
Er sah fortwährend dies Bild, als ob es vor ihm stände, und fühlte 
seinen angenehmen Eindruck, und doch sah er es nur wie etwas, das man eben nur einmal 
gesehen, in dessen Gewalt man liegt und das man doch noch nicht kennt. Er erinnerte 
sich genau der Gesichtszüge, welche das kleine Dirnchen einst gehabt, mit 
großem Wohlgefallen, aber nicht eigentlich derjenigen, welche er gestern gesehen. 
Hätte er Vrenchen nie wieder zu sehen bekommen, so hätten sich seine 
Erinnerungskräfte schon behelfen müssen und das liebe Gesicht säuberlich 
wieder zusammengetragen, dass nicht ein Zug daran fehlte. Jetzt aber versagten sie 
schlau und hartnäckig ihren Dienst, weil die Augen nach ihrem Recht und ihrer Lust 
verlangten, und als am Nachmittage die Sonne warm und hell die oberen Stockwerke der 
schwarzen Häuser beschien, strich Sali aus dem Tore und seiner alten Heimat zu, 
welche ihm jetzt erst ein himmlisches Jerusalem zu sein schien mit zwölf glänzenden 
Pforten und die sein Herz klopfen machte, als er sich ihr näherte.
  
 
            
            
            
Er stieß auf dem Wege auf Vrenchens Vater, welcher nach der Stadt zu gehen schien. 
Der sah sehr wild und liederlich aus, sein grau gewordener Bart war seit Wochen nicht 
geschoren, und er sah aus wie ein recht böser verlorener Bauersmann, der sein 
Feld verscherzt hat und nun geht, um andern Übles zuzufügen. Dennoch sah 
ihn Sali, als sie sich vorübergingen, nicht mehr mit Hass, sondern voll Furcht 
und Scheu an, als ob sein Leben in dessen Hand stände und er es lieber von ihm 
erflehen als ertrotzen möchte. Marti aber maß ihn mit einem bösen Blicke 
von oben bis unten und ging seines Weges. Das war indessen dem Sali recht, welchem es 
nun, da er den Alten das Dorf verlassen sah, deutlicher wurde, was er eigentlich da wolle, 
und er schlich sich auf altbekannten Pfaden so lange um das Dorf herum und durch dessen 
verdeckte Gässchen, bis er sich Martis Haus und Hof gegenüber befand. Seit 
mehreren Jahren hatte er diese Stätte nicht mehr so nah gesehen; denn auch als sie 
noch hier wohnten, hüteten sich die verfeindeten Leute gegenseitig, sich ins Gehege 
zu kommen. Deshalb war er nun erstaunt über das, was er doch an seinem eigenen 
Vaterhause erlebt, und starrte voll Verwunderung in die Wüstenei, die er vor sich 
sah. Dem Marti war ein Stück Ackerland um das andere abgepfändet worden, er 
besaß nichts mehr als das Haus und den Platz davor nebst etwas Garten und dem 
Acker auf der Höhe am Flusse, von welchem er hartnäckig am längsten 
nicht lassen wollte.
  
 
            
             
            
Es war aber keine Rede mehr von einer ordentlichen Bebauung, und auf dem Acker, 
der einst so schön im gleichmäßigen Korne gewogt, wenn die Ernte kam, 
waren jetzt allerhand abfällige Samenreste gesäet und aufgegangen, aus alten 
Schachteln und zerrissenen Düten zusammengekehrt, Rüben, Kraut und dergleichen 
und etwas Kartoffeln, sodass der Acker aussah wie ein recht übel gepflegter 
Gemüseplatz und eine wunderliche Musterkarte war, dazu angelegt, um von der Hand 
in den Mund zu leben, hier eine Handvoll Rüben auszureißen, wenn man Hunger 
hatte und nichts Besseres wusste, dort eine Tracht Kartoffeln oder Kraut, und 
das Übrige fortwuchern oder verfaulen zu lassen, wie es mochte. Auch lief 
jedermann darin herum, wie es ihm gefiel, und das schöne breite Stück 
Feld sah beinahe so aus wie einst der herrenlose Acker, von dem alles Unheil herkam. 
Deshalb war um das Haus nicht eine Spur von Ackerwirtschaft zu sehen. Der Stall war 
leer, die Türe hing nur in einer Angel, und unzählige Kreuzspinnen, den 
Sommer hindurch halb groß geworden, ließen ihre Fäden in der Sonne 
glänzen vor dem dunklen Eingang. An dem offen stehenden Scheunentor, wo einst 
die Früchte des festen Landes eingefahren, hing schlechtes Fischergeräte, 
zum Zeugnis der verkehrten Wasserpfuscherei; auf dem Hofe war nicht ein Huhn und 
nicht eine Taube, weder Katze noch Hund zu sehen; nur der Brunnen war noch als 
etwas Lebendiges da, aber er floss nicht mehr durch die Röhre, sondern 
sprang durch einen Riss nahe am Boden über diesen hin und setzte überall 
kleine Tümpel an, sodass er das beste Sinnbild der Faulheit abgab. Denn 
während mit wenig Mühe des Vaters das Loch zu verstopfen und die Röhre 
herzustellen gewesen wäre, musste sich Vrenchen nun abquälen, selbst 
das lautere Wasser dieser Verkommenheit abzugewinnen und seine Wäscherei in den 
seichten Sammlungen am Boden vorzunehmen statt in dem vertrockneten und zerspellten 
Troge. Das Haus selbst war ebenso kläglich anzusehen; die Fenster waren 
vielfältig zerbrochen und mit Papier verklebt, aber doch waren sie das 
Freundlichste an dem Verfall; denn sie waren, selbst die zerbrochenen Scheiben, 
klar und sauber gewaschen, ja förmlich poliert, und glänzten so hell 
wie Vrenchens Augen, welche ihm in seiner Armut ja auch allen übrigen Staat 
ersetzen mussten. Und wie die krausen Haare und die rotgelben Kattunhalstücher 
zu Vrenchens Augen, stand zu diesen blinkenden Fenstern das wilde grüne Gewächs, 
was da durcheinander rankte um das Haus, flatternde Bohnenwäldchen und eine ganze 
duftende Wildnis von rotgelbem Goldlack. Die Bohnen hielten sich, so gut sie konnten, 
hier an einem Harkenstiel oder an einem verkehrt in die Erde gesteckten Stumpfbesen, 
dort an einer von Rost zerfressenen Helbarte oder Sponton, wie man es nannte, als 
Vrenchens Großvater das Ding als Wachtmeister getragen, welches es jetzt aus 
Not in die Bohnen gepflanzt hatte; dort kletterten sie wieder lustig eine verwitterte 
Leiter empor, die am Hause lehnte seit undenklichen Zeiten, und hingen von da in die 
klaren Fensterchen hinunter wie Vrenchens Kräuselhaare in seine Augen. Dieser 
mehr malerische als wirtliche Hof lag etwas beiseit und hatte keine näheren 
Nachbarhäuser, auch ließ sich in diesem Augenblicke nirgends eine lebendige 
Seele wahrnehmen; Sali lehnte daher in aller Sicherheit an einem alten Scheunchen, 
etwa dreißig Schritte entfernt, und schaute unverwandt nach dem stillen 
wüsten Hause hinüber. Eine geraume Zeit lehnte und schaute er so, als 
Vrenchen unter die Haustür kam und lange vor sich hin blickte, wie mit allen 
ihren Gedanken an einem Gegenstande hängend. Sali rührte sich nicht und 
wandte kein Auge von ihr. Als sie endlich zufällig in dieser Richtung hinsah, 
fiel er ihr in die Augen. Sie sahen sich eine Weile an, herüber und hinüber, 
als ob sie eine Lufterscheinung betrachteten, bis sich Sali endlich aufrichtete und 
langsam über die Straße und über den Hof ging auf Vrenchen los. Als 
er dem Mädchen nahe war, streckte es seine Hände gegen ihn aus und sagte: 
»Sali!« Er ergriff die Hände und sah ihr immerfort ins Gesicht. 
Tränen stürzten aus ihren Augen, während sie unter seinen Blicken 
vollends dunkelrot wurde, und sie sagte: »Was willst du hier?« - 
»Nur dich sehen!« erwiderte er, »wollen wir nicht wieder gute 
Freunde sein?« 
»Und unsere Eltern?«, fragte Vrenchen, sein 
weinendes Gesicht zur Seite neigend, da es die Hände nicht frei hatte, um 
es zu bedecken. »Sind wir schuld an dem, was sie getan und geworden sind?«, 
sagte Sali, »vielleicht können wir das Elend nur gut machen, wenn wir zwei 
zusammenhalten und uns recht lieb sind!« - »Es wird nie gut kommen«, 
antwortete Vrenchen mit einem tiefen Seufzer, »geh in Gottes Namen deiner Wege, 
Sali!« - »Bist du allein?«, fragte dieser, »kann ich einen 
Augenblick hineinkommen?« - »Der Vater ist zur Stadt, wie er sagte, 
um deinem Vater irgendetwas anzuhängen; aber hereinkommen kannst du nicht, 
weil du später vielleicht nicht so ungesehen weggehen kannst wie jetzt. Noch 
ist alles still und niemand um den Weg, ich bitte dich, geh jetzt!« - 
»Nein, so geh ich nicht! Ich musste seit gestern immer an dich denken, 
und ich geh nicht so fort, wir müssen miteinander reden, wenigstens eine 
halbe Stunde lang oder eine Stunde, das wird uns gut tun!« Vrenchen besann 
sich ein Weilchen und sagte dann: »Ich geh gegen Abend auf unsern Acker 
hinaus, du weißt welchen, wir haben nur noch den, und hole etwas Gemüse. 
Ich weiß, dass niemand weiter dort sein wird, weil die Leute anderswo 
schneiden; wenn du willst, so komm dorthin, aber jetzt geh und nimm dich in acht, 
dass dich niemand sieht! Wenn auch kein Mensch hier mehr mit uns umgeht, so 
würden sie doch ein solches Gerede machen, dass es der Vater sogleich 
vernähme.« Sie ließen sich jetzt die Hände frei, ergriffen 
sie aber auf der Stelle wieder und beide sagten gleichzeitig: »Und wie geht 
es dir auch?« Aber statt sich zu antworten, fragten sie das Gleiche aufs 
Neue, und die Antwort lag nur in den beredten Augen, da sie nach Art der Verliebten 
die Worte nicht mehr zu lenken wussten und, ohne sich weiter etwas zu sagen, 
endlich halb selig halb traurig auseinanderhuschten. »Ich komme recht bald 
hinaus, geh nur gleich hin!«, rief Vrenchen noch nach.
  
 
            
         
            
Sali ging auch alsobald auf die stille schöne Anhöhe hinaus, über 
welche die zwei Äcker sich erstreckten, und die prächtige stille Julisonne, 
die fahrenden weißen Wolken, welche über das reife wallende Kornfeld 
wegzogen, der glänzende blaue Fluss, der unten vorüberwallte, alles 
dies erfüllte ihn zum ersten Male seit langen Jahren wieder mit Glück 
und Zufriedenheit statt mit Kummer, und er warf sich der Länge nach in den 
durchsichtigen Halbschatten des Kornes, wo dasselbe Martis wilden Acker begrenzte, 
und guckte glückselig in den Himmel. 
  
 
            
             
            
Obgleich es kaum eine Viertelstunde währte, bis Vrenchen nachkam, und er an 
nichts anderes dachte als an sein Glück und dessen Namen, stand es doch 
plötzlich und unverhofft vor ihm, auf ihn niederlächelnd, und froh 
erschreckt sprang er auf. »Vreeli!« rief er, und dieses gab ihm still 
und lächelnd beide Hände, und Hand in Hand gingen sie nun das flüsternde 
Korn entlang bis gegen den Fluss hinunter und wieder zurück, ohne viel zu reden; 
sie legten zwei und dreimal den Hin- und Herweg zurück, still, glückselig 
und ruhig, sodass dieses einige Paar nun auch einem Sternenbilde glich, welches 
über die sonnige Rundung der Anhöhe und hinter derselben niederging, wie 
einst die sicher gehenden Pflugzüge ihrer Väter. Als sie aber einstmals die 
Augen von den blauen Kornblumen aufschlugen, an denen sie gehaftet, sahen sie 
plötzlich einen andern dunklen Stern vor sich hergehen, einen schwärzlichen Kerl, 
von dem sie nicht wussten, woher er so unversehens gekommen. Er musste im Korne 
gelegen haben; Vrenchen zuckte zusammen und Sali sagte erschreckt: »Der schwarze 
Geiger!« In der Tat trug der Kerl, der vor ihnen herstrich, eine Geige mit dem 
Bogen unter dem Arm und sah übrigens schwarz genug aus; neben einem schwarzen 
Filzhütchen und einem schwarzen rußigen Kittel, den er trug, war auch sein 
Haar pechschwarz so wie der ungeschorene Bart, das Gesicht und die Hände aber 
ebenfalls geschwärzt; denn er trieb allerlei Handwerk, meistens Kesselflicken, 
half auch den Kohlenbrennern und Pechsiedern in den Wäldern und ging mit der 
Geige nur auf einen guten Schick aus, wenn die Bauern irgendwo lustig waren und ein 
Fest feierten. Sali und Vrenchen gingen mäuschenstill hinter ihm drein und 
dachten, er würde vom Felde gehen und verschwinden, ohne sich umzusehen, und 
so schien es auch zu sein, denn er tat, als ob er nichts von ihnen merkte. Dazu 
waren sie in einem seltsamen Bann, dass sie nicht wagten, den schmalen Pfad zu 
verlassen, und dem unheimlichen Gesellen unwillkürlich folgten bis an das Ende 
des Feldes, wo jener ungerechte Steinhaufen lag, der das immer noch streitige 
Ackerzipfelchen bedeckte. Eine zahllose Menge von Mohnblumen oder Klatschrosen 
hatte sich darauf angesiedelt, weshalb der kleine Berg feuerrot aussah zurzeit. 
Plötzlich sprang der schwarze Geiger mit einem Satze auf die rot bekleidete 
Steinmasse hinauf, kehrte sich und sah ringsum. Das Pärchen blieb stehen und 
sah verlegen zu dem dunklen Burschen hinauf; denn vorbei konnten sie nicht gehen, 
weil der Weg in das Dorf führte, und umkehren mochten sie auch nicht vor 
seinen Augen. Er sah sie scharf an und rief: »Ich kenne euch, ihr seid die 
Kinder derer, die mir den Boden hier gestohlen haben! Es freut mich zu sehen, 
wie gut ihr gefahren seid, und werde gewiss noch erleben, dass ihr vor 
mir den Weg alles Fleisches geht! Seht mich nur an, ihr zwei Spatzen! Gefällt 
euch meine Nase, wie?« In der Tat besaß er eine schreckbare Nase, 
welche wie ein großes Winkelmaß aus dem dürren schwarzen Gesicht 
ragte oder eigentlich mehr einem tüchtigen Knebel oder Prügel glich, 
welcher in dies Gesicht geworfen worden war und unter dem ein kleines rundes 
Löchelchen von einem Munde sich seltsam stutzte und zusammenzog, aus dem 
er unaufhörlich pustete, pfiff und zischte. Dazu stand das kleine 
Filzhütchen ganz unheimlich, welches nicht rund und nicht eckig und so 
sonderlich geformt war, dass es alle Augenblicke seine Gestalt zu verändern 
schien, obgleich es unbeweglich saß, und von den Augen des Kerls war fast 
nichts als das Weiße zu sehen, da die Sterne unaufhörlich auf einer 
blitzschnellen Wanderung begriffen waren und wie zwei Hasen im Zickzack umhersprangen. 
»Seht mich nur an«, fuhr er fort, »eure Väter kennen mich wohl 
und jedermann in diesem Dorfe weiß, wer ich bin, wenn er nur meine Nase ansieht. 
Da haben sie vor Jahren ausgeschrieben, dass ein Stück Geld für den 
Erben dieses Ackers bereitliege; ich habe mich zwanzigmal gemeldet, aber ich habe 
keinen Taufschein und keinen Heimatschein, und meine Freunde, die Heimatlosen, 
die meine Geburt gesehen, haben kein gültiges Zeugnis, und so ist die Frist 
längst verlaufen und ich bin um den blutigen Pfennig gekommen, mit dem ich 
hätte auswandern können! Ich habe eure Väter angefleht, dass 
sie mir bezeugen möchten, sie müssten mich nach ihrem Gewissen 
für den rechten Erben halten; aber sie haben mich von ihren Höfen 
gejagt, und nun sind sie selbst zum Teufel gegangen! Item, das ist der Welt 
Lauf, mir kann's recht sein, ich will euch doch geigen, wenn ihr tanzen 
wollt!« Damit sprang er auf der anderen Seite von den Steinen hinunter 
und machte sich dem Dorfe zu, wo gegen Abend der Erntesegen eingebracht wurde 
und die Leute guter Dinge waren. Als er verschwunden, ließ sich das Paar 
ganz mutlos und betrübt auf die Steine nieder; sie ließen ihre 
verschlungenen Hände fahren und stützten die traurigen Köpfe 
darauf; denn die Erscheinung des Geigers und seine Worte hatten sie aus der 
glücklichen Vergessenheit gerissen, in welcher sie wie zwei Kinder auf 
und ab gewandelt, und wie sie nun auf dem harten Grund ihres Elendes saßen, 
verdunkelte sich das heitere Lebenslicht und ihre Gemüter wurden so schwer 
wie Steine.
  
 
            
            
            
Da erinnerte sich Vrenchen unversehens der wunderlichen Gestalt und der Nase des 
Geigers, es musste plötzlich hell auflachen und rief: »Der arme Kerl 
sieht gar zu spaßhaft aus! Was für eine Nase!« Und eine allerliebste 
sonnenhelle Lustigkeit verbreitete sich über des Mädchens Gesicht, als ob 
sie nur geharrt hätte, bis des Geigers Nase die trüben Wolken wegstieße. 
Sali sah Vrenchen an und sah diese Fröhlichkeit. Es hatte die Ursache aber schon 
wieder vergessen und lachte nur noch auf eigene Rechnung dem Sali ins Gesicht. Dieser, 
verblüfft und erstaunt, starrte unwillkürlich mit lachendem Munde auf die 
Augen, gleich einem Hungrigen, der ein süßes Weizenbrot erblickt, und rief. 
»Bei Gott, Vreeli! wie schön bist du!« Vrenchen lachte ihn nur noch 
mehr an und hauchte dazu aus klangvoller Kehle einige kurze mutwillige Lachtöne, 
welche dem armen Sali nicht anders dünkten als der Gesang einer Nachtigall. 
»O du Hexe!«, rief er, »wo hast du das gelernt? Welche Teufelskünste 
treibst du da?« - »Ach du lieber Gott!«, sagte Vrenchen mit schmeichelnder 
Stimme und nahm Salis Hand, »das sind keine Teufelskünste! Wie lange hätte 
ich gern einmal gelacht! Ich habe wohl zuweilen, wenn ich ganz allein war, über 
irgendetwas lachen müssen, aber es war nichts Rechts dabei; jetzt aber möchte 
ich dich immer und ewig anlachen, wenn ich dich sehe, und ich möchte dich wohl 
immer und ewig sehen! Bist du mir auch ein bisschen recht gut?« - »O Vreeli!«, 
sagte er und sah ihr ergeben und treuherzig in die Augen, »ich habe noch nie ein 
Mädchen angesehen, es war mir immer, als ob ich dich einst lieb haben müsste, 
ohne dass ich wollte oder wusste, hast du mir doch immer im Sinn gelegen!« - 
»Und du mir auch«, sagte Vrenchen, »und das noch viel mehr; denn du hast 
mich nie angesehen und wusstest nicht, wie ich geworden bin; ich aber habe dich 
zuzeiten aus der Ferne und sogar heimlich aus der Nähe recht gut betrachtet und 
wusste immer, wie du aussiehst! Weißt du noch, wie oft wir als Kinder 
hierhergekommen sind? Denkst du noch des kleinen Wagens? Wie kleine Leute sind wir 
damals gewesen und wie lang ist es her! Man sollte denken, wir wären recht 
alt?« - »Wie alt bist du jetzt?«, fragte Sali voll Vergnügen 
und Zufriedenheit, 
»du musst ungefähr siebzehn sein?« - 
»Siebzehn und ein halbes Jahr bin ich alt!«, erwiderte Vrenchen, 
»und wie alt bist du? Ich weiß aber schon, du bist bald zwanzig!« - 
»Woher weißt du das?«, fragte Sali. »Gelt, wenn ich es sagen 
wollte!« - »Du willst es nicht sagen?« - »Nein!« - 
»Gewiss nicht?« - »Nein, nein!« - »Du sollst es sagen!« - 
»Willst du mich etwa zwingen?« - »Das wollen wir sehen!« 
Diese einfältigen Reden führte Sali, um seine Hände zu beschäftigen 
und mit ungeschickten Liebkosungen, welche wie eine Strafe aussehen sollten, das 
schöne Mädchen zu bedrängen. Sie führte auch, sich wehrend, mit 
vieler Langmut den albernen Wortwechsel fort, der trotz seiner Leerheit beide witzig  
und süß genug dünkte, bis Sali erbost und kühn genug war, Vrenchens 
Hände zu bezwingen und es in die Mohnblumen zu drücken. Da lag es nun und 
zwinkerte in der Sonne mit den Augen; seine Wangen glühten wie Purpur und sein 
Mund war halb geöffnet und ließ zwei Reihen weiße Zähne durchschimmern. 
Fein und schön flossen die dunklen Augenbraunen ineinander, und die junge Brust hob 
und senkte sich mutwillig unter sämtlichen vier Händen, welche sich kunterbunt 
darauf streichelten und bekriegten. Sali wusste sich nicht zu lassen vor Freuden, 
das schlanke schöne Geschöpf vor sich zu sehen, es sein eigen zu wissen, und 
es dünkte ihm ein Königreich. »Alle deine weißen Zähne hast 
du noch!«, lachte er, »weißt du noch, wie oft wir sie einst gezählt 
haben? Kannst du jetzt zählen?« - »Das sind ja nicht die gleichen, du 
Kind!«, sagte Vrenchen, »jene sind längst ausgefallen!« Sali wollte 
nun in seiner Einfalt jenes Spiel wieder erneuern und die glänzenden Zahnperlen 
zählen; aber Vrenchen verschloss plötzlich den roten Mund, richtete sich 
auf und begann einen Kranz von Mohnrosen zu winden, den es sich auf den Kopf setzte. 
Der Kranz war voll und breit und gab der bräunlichen Dirne ein fabelhaftes 
reizendes Ansehen, 
und der arme Sali hielt in seinem Arm, was reiche Leute teuer 
bezahlt hätten, wenn sie es nur gemalt an ihren Wänden hätten sehen 
können. Jetzt sprang sie aber empor und rief: »Himmel, wie heiß ist 
es hier! Da sitzen wir wie die Narren und lassen uns versengen! Komm, mein Lieber! 
Lass uns ins hohe Korn sitzen!« Sie schlüpften hinein so geschickt 
und sachte, dass sie kaum eine Spur zurückließen, und bauten sich 
einen engen Kerker in den goldenen Ähren, die ihnen hoch über den Kopf 
ragten, als sie drin saßen, sodass sie nur den tiefblauen Himmel über 
sich sahen und sonst nichts von der Welt. Sie umhalsten sich und küssten 
sich unverweilt und so lange, bis sie einstweilen müde waren oder wie man es 
nennen will, wenn das Küssen zweier Verliebter auf eine oder zwei Minuten sich 
selbst überlebt und die Vergänglichkeit alles Lebens mitten im Rausche der 
Blütezeit ahnen lässt. Sie hörten die Lerchen singen hoch über 
sich und suchten dieselben mit ihren scharfen Augen, und wenn sie glaubten, flüchtig 
eine in der Sonne aufblitzen zu sehen, gleich einem plötzlich aufleuchtenden oder 
hinschießenden Stern am blauen Himmel, so küssten sie sich wieder zur 
Belohnung und suchten einander zu übervorteilen und zu täuschen, soviel sie 
konnten. »Siehst du, dort blitzt eine!«, flüsterte Sali, und Vrenchen 
erwiderte ebenso leise: »Ich höre sie wohl, aber ich sehe sie nicht!« - 
»Doch, pass nur auf, dort wo das weiße Wölkchen steht, ein wenig 
rechts davon!« Und beide sahen eifrig hin und sperrten vorläufig ihre 
Schnäbel auf wie die jungen Wachteln im Neste, um sie unverzüglich 
aufeinander zu heften, wenn sie sich einbildeten, die Lerche gesehen zu haben. 
Auf einmal hielt Vrenchen inne und sagte: »Dies ist also eine ausgemachte 
Sache, dass jedes von uns einen Schatz hat, dünkt es dich nicht so?« - 
»Ja«, sagte Sali, »es scheint mir auch so!« - »Wie 
gefällt dir denn dein Schätzchen«, sagte Vrenchen, »was ist es 
für ein Ding, was hast du von ihm zu melden?« - »Es ist ein gar 
feines Ding«, sagte Sali, »es hat zwei braune Augen, einen roten Mund und 
läuft auf zwei Füßen; aber seinen Sinn kenn ich weniger als den 
Papst zu Rom! Und was kannst du von deinem Schatz berichten?« - »Er hat 
zwei blaue Augen, einen nichtsnutzigen Mund und braucht zwei verwegene starke Arme; 
aber seine Gedanken sind mir unbekannter als der türkische Kaiser!« - 
»Es ist eigentlich wahr«, sagte Sali, »dass wir uns weniger 
kennen, als wenn wir uns nie gesehen hätten, so fremd hat uns die lange Zeit 
gemacht, seit wir groß geworden sind! Was ist alles vorgegangen in deinem 
Köpfchen, mein liebes Kind?« »Ach, nicht viel! Tausend Narrenspossen 
haben sich wollen regen, aber es ist mir immer so trübselig ergangen, dass 
sie nicht aufkommen konnten!« - »Du armes Schätzchen«, sagte Sali, 
»ich glaube aber, du hast es hinter den Ohren, nicht?« »Das kannst du 
ja nach und nach erfahren, wenn du mich recht lieb hast!« - »Wenn du einst 
meine Frau bist?« Vrenchen zitterte leis bei diesem letzten Worte und schmiegte 
sich tiefer in Salis Arme, ihn von Neuem lange und zärtlich küssend. Es 
traten ihr dabei Tränen in die Augen, und beide wurden auf einmal traurig, da 
ihnen ihre hoffnungsarme Zukunft in den Sinn kam und die Feindschaft ihrer Eltern. 
Vrenchen seufzte und sagte: »Komm, ich muss nun gehen!« Und so erhoben 
sie sich und gingen Hand in Hand aus dem Kornfeld, als sie Vrenchens Vater spähend 
vor sich sahen. Mit dem kleinlichen Scharfsinn des müßigen Elendes hatte 
dieser, als er dem Sali begegnet, neugierig gegrübelt, was der wohl allein im 
Dorfe zu suchen ginge, und sich des gestrigen Vorfalles erinnernd, verfiel er, immer 
nach der Stadt zu schlendernd, endlich auf die richtige Spur, rein aus Groll und 
unbeschäftigter Bosheit, und nicht sobald gewann der Verdacht eine bestimmte 
Gestalt, als er mitten in den Gassen von Seldwyla umkehrte und wieder in das Dorf 
hinaustrollte, wo er seine Tochter in Haus und Hof und rings in den Hecken vergeblich 
suchte. Mit wachsender Neugier rannte er auf den Acker hinaus, und als er da Vrenches 
Korb liegen sah, in welchem es die Früchte zu holen pflegte, das Mädchen 
selbst aber nirgends erblickte, spähte er eben am Korne des Nachbars herum, 
als die erschrockenen Kinder herauskamen.
  
 
            
             
            
Sie standen wie versteinert, und Marti stand erst auch da und beschaute sie mit 
bösen Blicken, bleich wie Blei; dann fing er fürchterlich an zu toben 
in Gebärden und Schimpfworten und langte zugleich grimmig nach dem jungen 
Burschen, um ihn zu würgen; Sali wich aus und floh einige Schritte zurück, 
entsetzt über den wilden Mann, sprang aber sogleich wieder zu, als er sah, 
dass der Alte statt seiner nun das zitternde Mädchen fasste, ihm 
eine Ohrfeige gab, dass der rote Kranz herunterflog, und seine Haare um 
die Hand wickelte, um es mit sich fortzureißen und weiter zu misshandeln. 
Ohne sich zu besinnen, raffte er einen Stein auf und schlug mit demselben den 
Alten gegen den Kopf, halb in Angst um Vrenchen und halb im Jähzorn. Marti 
taumelte erst ein wenig, sank dann bewusstlos auf den Steinhaufen nieder und 
zog das erbärmlich aufschreiende Vrenchen mit. Sali befreite noch dessen 
Haare aus der Hand des Bewusstlosen und richtete es auf; dann stand er da 
wie eine Bildsäule, ratlos und gedankenlos. Das Mädchen, als es den 
wie tot daliegenden Vater sah, fuhr sich mit den Händen über das 
erbleichende Gesicht, schüttelte sich und sagte: »Hast du ihn erschlagen?« 
Sali nickte lautlos und Vrenchen schrie: »O Gott, du lieber Gott! Es ist mein 
Vater! Der arme Mann!«, und sinnlos warf es sich über ihn und hob seinen 
Kopf auf, an welchem indessen kein Blut floss. Es ließ ihn wieder sinken; 
Sali ließ sich auf der anderen Seite des Mannes nieder, und beide schauten, 
still wie das Grab und mit erlahmten reglosen Händen, in das leblose Gesicht. 
Um nur etwas anzufangen, sagte endlich Sali: »Er wird doch nicht gleich tot 
sein müssen? Das ist gar nicht ausgemacht!« Vrenchen riss ein Blatt 
von einer Klatschrose ab und legte es auf die erblassten Lippen und es bewegte 
sich schwach. »Er atmet noch«, rief es, »so lauf doch ins Dorf und 
hol Hilfe!« Als Sali aufsprang und laufen wollte, streckte es ihm die Hand 
nach und rief ihn zurück. »Komm aber nicht mit zurück und sage 
nichts, wie es zugegangen, ich werde auch schweigen, man soll nichts aus mir 
herausbringen!«, sagte es und sein Gesicht, das es dem  ratlosen Burschen 
zuwandte, überfloss von schmerzlichen Tränen. »Komm, küss 
mich noch einmal! Nein, geh, mach dich fort! Es ist aus, es ist ewig aus, wir 
können nicht zusammenkommen!« Es stieß ihn fort, und er lief 
willenlos dem Dorfe zu. Er begegnete einem Knäbchen, das ihn nicht kannte; 
diesem trug er auf, die nächsten Leute zu holen, und beschrieb ihm genau, 
wo die Hilfe nötig sei. Dann machte er sich verzweifelt fort und irrte die 
ganze Nacht im Gehölze herum. Am Morgen schlich er in die Felder, um zu 
erspähen, wie es gegangen sei, und hörte von frühen Leuten, 
welche miteinander sprachen, dass Marti noch lebe, aber nichts von sich 
wisse, und wie das eine seltsame Sache wäre, da kein Mensch wisse, was 
ihm zugestoßen. Erst jetzt ging er in die Stadt zurück und verbarg 
sich in dem dunklen Elend des Hauses. 
 
            
             
            
Vrenchen hielt ihm Wort; es war nichts aus ihm herauszufragen, als dass 
es selbst den Vater so gefunden habe, und da er am andern Tage sich wieder 
tüchtig regte und atmete, freilich ohne Bewusstsein, und überdies 
kein Kläger da war, so nahm man an, er sei betrunken gewesen und auf die 
Steine gefallen, und ließ die Sache auf sich beruhen. Vrenchen pflegte 
ihn und ging nicht von seiner Seite, außer um die Arzneimittel zu holen 
beim Doktor und etwa für sich selbst eine schlechte Suppe zu kochen; 
denn es lebte beinahe von nichts, obgleich es Tag und Nacht wach sein musste 
und niemand ihm half. Es dauerte beinahe sechs Wochen, bis der Kranke allmählich 
zu seinem Bewusstsein kam, obgleich er vorher schon wieder aß und in 
seinem Bette ziemlich munter war. Aber es war nicht das alte Bewusstsein, 
das er jetzt erlangte, sondern es zeigte sich immer deutlicher, je mehr er sprach, 
dass er blödsinnig geworden, und zwar auf die wunderlichste Weise. 
Er erinnerte sich nur dunkel an das Geschehene und wie an etwas sehr Lustiges, 
was ihn nicht weiter berühre, lachte immer wie ein Narr und war guter Dinge. 
Noch im Bette liegend, brachte er hundert närrische, sinnlos mutwillige 
Redensarten und Einfälle zum Vorschein, schnitt Gesichter und zog sich die 
schwarzwollene Zipfelmütze in die Augen und über die Nase herunter, 
dass diese aussah wie ein Sarg unter einem Bahrtuch. Das bleiche und abgehärmte 
Vrenchen hörte ihm geduldig zu, Tränen vergießend über 
das törichte Wesen, welches die arme Tochter noch mehr ängstigte 
als die frühere Bosheit; aber wenn der Alte zuweilen etwas gar zu 
Drolliges anstellte, so musste es mitten in seiner Qual laut auflachen, 
da sein unterdrücktes Wesen immer zur Lust aufzuspringen bereit war
wie ein gespannter Bogen, worauf dann eine um so tiefere Betrübnis 
erfolgte. Als der Alte aber aufstehen konnte, war gar nichts mehr mit ihm 
anzustellen; er machte nichts als Dummheiten, lachte und stöberte um 
das Haus herum, setzte sich in die Sonne und streckte die Zunge heraus oder 
hielt lange Reden in die Bohnen hinein.
 
            
             
            
Um die gleiche Zeit aber war es auch aus mit den wenigen Überbleibseln 
seines ehemaligen Besitzes und die Unordnung so weit gediehen, dass auch 
sein Haus und der letzte Acker, seit geraumer Zeit verpfändet, nun 
gerichtlich verkauft wurden. Denn der Bauer, welcher die zwei Äcker 
des Manz gekauft, benutzte die gänzliche Verkommenheit Martis und 
seine Krankheit und führte den alten Streit wegen des strittigen 
Steinfleckes kurz und entschlossen zu Ende, und der verlorene Prozess 
trieb Martis Fass vollends den Boden aus, indessen er in seinem 
Blödsinne nichts mehr von diesen Dingen wusste. Die Versteigerung 
fand statt; Marti wurde von der Gemeinde in einer Stiftung für 
dergleichen arme Tröpfe auf öffentliche Kosten untergebracht. 
Diese Anstalt befand sich in der Hauptstadt des Ländchens; der 
gesunde und essbegierige Blödsinnige wurde noch gut gefüttert, 
dann auf ein mit Ochsen bespanntes Wägelchen geladen, das ein ärmlicher 
Bauersmann nach der Stadt führte, um zugleich einen oder zwei Säcke 
Kartoffeln zu verkaufen, und Vrenchen setzte sich zu dem Vater auf das Fuhrwerk, 
um ihn auf diesem letzten Gange zu dem lebendigen Begräbnis zu begleiten. 
Es war eine traurige und bittere Fahrt, aber Vrenchen wachte sorgfältig 
über seinen Vater und ließ es ihm an nichts fehlen, und es sah 
sich nicht um und ward nicht ungeduldig, wenn durch die Kapriolen des 
Unglücklichen die Leute aufmerksam wurden und dem Wägelchen 
nachliefen, wo sie durchfuhren. Endlich erreichten sie das weitläufige 
Gebäude in der Stadt, wo die langen Gänge, die Höfe und ein 
freundlicher Garten von einer Menge ähnlicher Tröpfe belebt waren, 
die alle in weiße Kittel gekleidet waren und dauerhafte Lederkäppchen 
auf den harten Köpfen trugen. Auch Marti wurde noch vor Vrenchens Augen 
in diese Tracht gekleidet, und er freuete sich wie ein Kind darüber und 
tanzte singend umher. »Gott grüß euch, ihr geehrten Herren!«, 
rief er seine neuen Genossen an, »ein schönes Haus habt ihr hier! 
Geh heim, Vrenggel, und sag der Mutter, ich komme nicht mehr nach Haus, hier 
gefällt's mir bei Gott! Juchhei! Es kreucht ein Igel über den Hag, 
ich hab ihn hören bellen! O Meitli, küss kein alten Knab, 
küss nur die jungen Gesellen! Alle die Wässerlein laufen in 
Rhein, die mit dem Pflaumenaug, die muss es sein! Gehst du schon, Vreeli? 
Du siehst ja aus wie der Tod im Häfelein und geht es mir doch so erfreulich! 
Die Füchsin schreit im Felde: Halleo, halleo! das Herz tut ihr weho! 
hoho!« Ein Aufseher gebot ihm Ruhe und führte ihn zu einer leichten 
Arbeit, und Vrenchen ging das Fuhrwerk aufzusuchen. Es setzte sich auf den 
Wagen, zog ein Stückchen Brot hervor und aß dasselbe, dann schlief 
es, bis der Bauer kam und mit ihm nach dem Dorfe zurückfuhr. Sie kamen 
erst in der Nacht an. Vrenchen ging nach dem Hause, in dem es geboren und 
nur zwei Tage bleiben durfte, und es war jetzt zum ersten Mal in seinem 
Leben ganz allein darin. Es machte ein Feuer, um das letzte Restchen 
Kaffee zu kochen, das es noch besaß, und setzte sich auf den Herd, 
denn es war ihm ganz elendiglich zumut. Es sehnte sich und härmte 
sich ab, den Sali nur ein einziges Mal zu sehen, und dachte inbrünstig 
an ihn; aber die Sorgen und der Kummer verbitterten seine Sehnsucht, und 
diese machte die Sorgen wieder viel schwerer. So saß es und stützte 
den Kopf in die Hände, als jemand durch die offen stehende Tür 
hereinkam. »Sali!«, rief Vrenchen, als es aufsah, und fiel ihm 
um den Hals; dann sahen sich aber beide erschrocken an und riefen: 
»Wie siehst du elend aus!« Denn Sali sah nicht minder als 
Vrenchen bleich und abgezehrt aus. Alles vergessend zog es ihn zu sich 
auf den Herd und sagte: »Bist du krank gewesen, oder ist es dir auch 
so schlimm gegangen?« Sali antwortete: »Nein, ich bin gerade 
nicht krank, außer vor Heimweh nach dir! Bei uns geht es jetzt hoch 
und herrlich zu; der Vater hat einen Einzug und Unterschleif von auswärtigem 
Gesindel, und ich glaube, soviel ich merke, ist er ein Diebshehler geworden. 
Deshalb ist jetzt einstweilen Hülle und Fülle in unserer Taverne, 
solang es geht und bis es ein Ende mit Schrecken nimmt. Die Mutter hilft 
dazu, aus bitterlicher Gier, nur etwas im Hause zu sehen, und glaubt den 
Unfug noch durch eine gewisse Aufsicht und Ordnung annehmlich und nützlich 
zu machen! Mich fragt man nicht, und ich konnte mich nicht viel darum kümmern; 
denn ich kann nur an dich denken Tag und Nacht. Da allerlei Landstreicher bei 
uns einkehren, so haben wir alle Tage gehört, was bei euch vorgeht, worüber 
mein Vater sich freut wie ein kleines Kind. Dass dein Vater heute nach dem 
Spittel gebracht wurde, haben wir auch vernommen; ich habe gedacht, du werdest 
jetzt allein sein, und bin gekommen, um dich zu sehen!« Vrenchen klagte 
ihm jetzt auch alles, was sie drückte und was sie erlitt, aber mit so 
leichter zutraulicher Zunge, als ob sie ein großes Glück beschriebe, 
weil sie glücklich war, Sali neben sich zu sehen. Sie brachte inzwischen 
notdürftig ein Becken voll warmen Kaffee zusammen, welchen mit ihr zu 
teilen sie den Geliebten zwang. »Also übermorgen musst du hier 
weg?«, sagte Sali, »was soll denn ums Himmels willen werden?« - 
»Das weiß ich nicht«, sagte Vrenchen, »ich werde dienen 
müssen und in die Welt hinaus! Ich werde es aber nicht aushalten ohne 
dich, und doch kann ich dich nie bekommen, auch wenn alles andere nicht 
wäre, bloß weil du meinen Vater geschlagen und um den Verstand 
gebracht hast! Dies würde immer ein schlechter Grundstein unserer 
Ehe sein und wir beide nie sorglos werden, nie!« Sali seufzte und 
sagte: »Ich wollte auch schon hundertmal Soldat werden oder mich 
in einer fremden Gegend als Knecht verdingen, aber ich kann doch nicht 
fortgehen, solange du hier bist, und hernach wird es mich aufreiben. 
Ich glaube, das Elend macht meine Liebe zu dir stärker und schmerzhafter, 
sodass es um Leben und Tod geht! Ich habe von dergleichen keine Ahnung 
gehabt!« Vrenchen sah ihn liebevoll lächelnd an; sie lehnten sich 
an die Wand zurück und sprachen nichts mehr, sondern gaben sich 
schweigend der glückseligen Empfindung hin, die sich über allen 
Gram erhob, dass sie sich im größten Ernste gut wären 
und geliebt wüssten. Darüber schliefen sie friedlich ein 
auf dem unbequemen Herde, ohne Kissen und Pfühl, und schliefen so 
sanft und ruhig wie zwei Kinder in einer Wiege. Schon graute der Morgen, 
als Sali zuerst erwachte; er weckte Vrenchen, so sacht er konnte; aber es 
duckte sich immer wieder an ihn, schlaftrunken, und wollte sich nicht 
ermuntern. Da küsste er es heftig auf den Mund, und Vrenchen fuhr 
empor, machte die Augen weit auf, und als es Sali erblickte, rief es: 
»Herrgott! ich habe eben noch von dir geträumt! Es träumte 
mir, wir tanzten miteinander auf unserer Hochzeit, lange, lange Stunden! 
und waren so glücklich, sauber geschmückt und es fehlte uns an 
nichts. Da wollten wir uns endlich küssen und dürsteten darnach, 
aber immer zog uns etwas auseinander, und nun bist du es selbst gewesen, 
der uns gestört und gehindert hat! Aber wie gut, dass du gleich 
da bist!« Gierig fiel es ihm um den Hals und küsste ihn, 
als ob es kein Ende nehmen sollte. »Und was hast du denn geträumt?«, 
fragte es und streichelte ihm Wangen und Kinn. »Mir träumte, 
ich ginge endlos auf einer langen Straße durch einen Wald und du in 
der Ferne immer vor mir her; zuweilen sahest du nach mir um, winktest mir 
und lachtest, und dann war ich wie im Himmel. Das ist alles!« Sie 
traten unter die offen gebliebene Küchentüre, die unmittelbar 
ins Freie führte, und mussten lachen, als sie sich ins Gesicht 
sahen. 
Denn die rechte Wange Vrenchens und die linke Salis, welche im 
Schlafe aneinander gelehnt hatten, waren von dem Drucke ganz rot gefärbt, 
während die Blässe der anderen durch die kühle Nachtluft noch 
erhöht war. Sie rieben sich zärtlich die kalte bleiche Seite ihrer 
Gesichter, um sie auch rot zu machen; die frische Morgenluft, der tauige 
stille Frieden, der über der Gegend lag, das junge Morgenrot machten 
sie fröhlich und selbstvergessen, und besonders in Vrenchen schien 
ein freundlicher Geist der Sorglosigkeit gefahren zu sein. »Morgen 
Abend muss ich also aus diesem Hause fort«, sagte es, »und 
ein anderes Obdach suchen. Vorher aber möchte ich einmal, nur einmal 
recht lustig sein, und zwar mit dir; ich möchte recht herzlich und 
fleißig mit dir tanzen irgendwo, denn das Tanzen aus dem Traume 
steckt mir immerfort im Sinn!« - »Jedenfalls will ich dabei 
sein und sehen, wo du unterkommst«, sagte Sali, »und tanzen 
wollte ich auch gerne mit dir, du herziges Kind! Aber wo?« - 
»Es ist morgen Kirchweih an zwei Orten nicht sehr weit von hier«, 
erwiderte Vrenchen, »da kennt und beachtet man uns weniger; 
draußen am Wasser will ich auf dich warten, und dann können 
wir gehen, wohin es uns gefällt, um uns lustig zu machen, einmal, 
einmal nur! Aber je, wir haben ja gar kein Geld!«, setzte es traurig 
hinzu, »da kann nichts draus werden!« - »Lass nur«, 
sagte Sali, »ich will schon etwas mitbringen!« - »Doch nicht 
von deinem Vater, von - von dem Gestohlenen?« - »Nein, sei nur 
ruhig! Ich habe noch meine silberne Uhr bewahrt bis dahin, die will ich 
verkaufen!« 
»Ich will dir nicht abraten«, sagte Vrenchen 
errötend, »denn ich glaube, ich müsste sterben, wenn 
ich nicht morgen mit dir tanzen könnte.« - »Es wäre 
das beste, wir beide könnten sterben!«, sagte Sali; sie umarmten 
sich wehmütig und schmerzlich zum Abschied, und als sie voneinander 
ließen, lachten sie sich doch freundlich an in der sicheren Hoffnung 
auf den nächsten Tag. »Aber wann willst du denn kommen?«, 
rief Vrenchen noch. »Spätestens elf Uhr mittags«, erwiderte 
er, »wir wollen recht ordentlich zusammen Mittag essen!« »Gut, 
gut! Komm lieber um halb elf schon!« Doch als Sali schon im Gehen war, 
rief sie ihn noch einmal zurück und zeigte ein plötzlich 
verändertes verzweiflungsvolles Gesicht. »Es wird doch nichts 
daraus«, sagte sie bitterlich weinend, »ich habe keine 
Sonntagsschuhe mehr! Schon gestern habe ich diese groben hier anziehen 
müssen, um nach der Stadt zu kommen! Ich weiß keine Schuhe 
aufzubringen!« Sali stand ratlos und verblüfft. »Keine 
Schuhe!«, sagte er, »da musst du halt in diesen kommen!« - 
»Nein, nein, in denen kann ich nicht tanzen!« - »Nun, 
so müssen wir welche kaufen!« - »Wo, mit was?« - 
»Ei, in Seldwyl da gibt es Schuhläden genug! Geld werde ich 
in minder als zwei Stunden haben.« - »Aber ich kann doch nicht 
mit dir in Seldwyl herumgehen, und dann wird das Geld nicht langen, auch noch 
Schuhe zu kaufen!« - »Es muss! Und ich will die Schuhe kaufen 
und morgen mitbringen!« - »O du Närrchen, sie werden ja nicht 
passen, die du kaufst!« - »So gib mir einen alten Schuh mit, oder 
halt, noch besser, ich will dir das Maß nehmen, das wird doch kein 
Hexenwerk sein!« - »Das Maßnehmen? Wahrhaftig, daran hab ich 
nicht gedacht! Komm, komm, ich will dir ein Schnürchen suchen!« 
Sie setzte sich wieder auf den Herd, zog den Rock etwas zurück und 
streifte den Schuh vom Fuße, der noch von der gestrigen Reise her mit 
einem weißen Strumpfe bekleidet war. 
Sali kniete nieder und nahm, so 
gut er es verstand, das Maß, indem er den zierlichen Fuß der Länge 
und Breite nach umspannte mit dem Schnürchen und sorgfältig Knoten in 
dasselbe knüpfte. »Du Schuhmacher!«, sagte Vrenchen und lachte 
errötend und freundschaftlich zu ihm nieder. Sali wurde aber auch rot und 
hielt den Fuß fest in seinen Händen, länger als nötig war, 
sodass Vrenchen ihn, noch tiefer errötend, zurückzog, den 
verwirrten Sali aber noch einmal stürmisch umhalste und küsste, 
dann aber fortschickte.
 
         [Sechster Teil: Die gottverlassene Hochzeit]
          
            
Sobald er in der Stadt war, trug er seine Uhr zu einem Uhrmacher, der ihm sechs 
oder sieben Gulden dafür gab; für die silberne Kette bekam er auch 
einige Gulden, und er dünkte sich nun reich genug, denn er hatte, seit er 
groß war, nie so viel Geld besessen auf einmal. Wenn nur erst der Tag 
vorüber und der Sonntag angebrochen wäre, um das Glück damit 
zu erkaufen, das er sich von dem Tage versprach, dachte er; denn wenn das 
Übermorgen auch um so dunkler und unbekannter hereinragte, so gewann 
die ersehnte Lustbarkeit von morgen nur einen seltsamem erhöhten 
Glanz und Schein. Indessen brachte er die Zeit noch leidlich hin, indem 
er ein Paar Schuhe für Vrenchen suchte, und dies war ihm das 
vergnügteste Geschäft, das er je betrieben. Er ging von einem 
Schuhmacher zum andern, ließ sich alle Weiberschuhe zeigen, die vorhanden 
waren, und endlich handelte er ein leichtes und feines Paar ein, so hübsch, 
wie sie Vrenchen noch nie getragen. Er verbarg die Schuhe unter seiner Weste 
und tat sie die übrige Zeit des Tages nicht mehr von sich; er nahm sie 
sogar mit ins Bett und legte sie unter das Kopfkissen. Da er das Mädchen 
heute früh noch gesehen und morgen wieder sehen sollte, so schlief er fest 
und ruhig, war aber in aller Frühe munter und begann seinen dürftigen 
Sonntagsstaat zurechtzumachen und auszuputzen, so gut es gelingen wollte. Es fiel 
seiner Mutter auf und sie fragte verwundert, was er vorhabe, da er sich schon lange 
nicht mehr so sorglich angezogen. Er wolle einmal über Land gehen und sich 
ein wenig umtun, erwiderte er, er werde sonst krank in diesem Hause. »Das 
ist mir die Zeit her ein merkwürdiges Leben«, murrte der Vater, 
»und ein Herumschleichen!« - »Lass ihn nur gehen«, 
sagte aber die Mutter, »es tut ihm vielleicht gut, es ist ja ein Elend, 
wie er aussieht!« - »Hast du Geld zum Spazierengehen? Woher hast du 
es?«, sagte der Alte. »Ich brauche keines!«, sagte Sali. »Da 
hast du einen Gulden!«, versetzte der Alte und warf ihm denselben hin, 
»du kannst im Dorf ins Wirtshaus gehen und ihn dort verzehren, damit sie 
nicht glauben, wir seien hier so übel dran.« - »Ich will nicht 
ins Dorf und brauche den Gulden nicht, behaltet ihn nur!« - »So hast 
du ihn gehabt, es wäre schad, wenn du ihn haben müsstest, du 
Starrkopf!«, rief Manz und schob seinen Gulden wieder in die Tasche. 
Seine Frau aber, welche nicht wusste, warum sie heute ihres Sohnes wegen 
so wehmütig und gerührt war, brachte ihm ein großes schwarzes 
Mailänder Halstuch mit rotem Rande, das sie nur selten getragen und er 
schon früher gern gehabt hätte. Er schlang es um den Hals und 
ließ die langen Zipfel fliegen; auch stellte er zum ersten Mal den 
Hemdkragen, den er sonst immer umgeschlagen, ehrbar und männlich in 
die Höhe bis über die Ohren hinauf, in einer Anwandlung 
ländlichen Stolzes, und machte sich dann, seine Schuhe in der Brusttasche 
des Rockes, schon nach sieben Uhr auf den Weg. Als er die Stube verließ, 
drängte ihn ein seltsames Gefühl, Vater und Mutter die Hand zu geben, 
und auf der Straße sah er sich noch einmal nach dem Hause um. »Ich 
glaube am Ende«, sagte Manz, »der Bursche streicht irgendeinem Weibsbild 
nach; das hätten wir gerade noch nötig!« Die Frau sagte: 
»O wollte Gott, dass er vielleicht ein Glück machte! Das täte 
dem armen Buben gut!« - »Richtig!«, sagte der Mann, »das fehlt 
nicht! Das wird ein himmlisches Glück geben, wenn er nur erst an eine solche 
Maultasche zu geraten das Unglück hat! Das täte dem armen Bübchen 
gut! Natürlich!«
  
 
            
             
            
Sali richtete seinen Schritt erst nach dem Flusse zu, wo er Vrenchen erwarten wollte; 
aber unterweges ward er andern Sinnes und ging gradezu ins Dorf, um Vrenchen im Hause 
selbst abzuholen, weil es ihm zu lang währte bis halb elf. Was kümmern uns 
die Leute!, dachte er. Niemand hilft uns und ich bin ehrlich und fürchte niemand! 
So trat er unerwartet in Vrenchens Stube, und ebenso unerwartet fand er es schon 
vollkommen angekleidet und geschmückt dasitzen und der Zeit harren, wo es 
gehen könne, nur die Schuhe fehlten ihm noch. Aber Sali stand mit offenem 
Munde still in der Mitte der Stube, als er das Mädchen erblickte, so schön 
sah es aus. Es hatte nur ein einfaches Kleid an von blaugefärbter Leinwand, aber 
dasselbe war frisch und sauber und saß ihm sehr gut um den schlanken Leib. 
Darüber trug es ein schneeweißes Musselinhalstuch, und dies war der ganze 
Anzug. Das braune gekräuselte Haar war sehr wohlgeordnet, und die sonst so 
wilden Löckchen lagen nun fein und lieblich um den Kopf, da Vrenchen seit 
vielen Wochen fast nicht aus dem Hause gekommen, so war seine Farbe zarter und 
durchsichtiger geworden, so wie auch vom Kummer; aber in diese Durchsichtigkeit 
goss jetzt die Liebe und die Freude ein Rot um das andere, und an der Brust 
trug es einen schönen Blumenstrauß von Rosmarin, Rosen und prächtigen 
Astern. Es saß am offenen Fenster und atmete still und hold die frisch durchsonnte 
Morgenluft; wie es aber Sali erscheinen sah, streckte es ihm beide hübsche Arme 
entgegen, welche vom Ellbogen an bloß waren, und rief. »Wie recht hast du, 
dass du schon jetzt und hierher kommst! Aber hast du mir Schuhe gebracht? 
Gewiss? Nun steh ich nicht auf, bis ich sie anhabe!« Er zog die ersehnten 
aus der Tasche und gab sie dem begierigen schönen Mädchen; es schleuderte 
die alten von sich, schlüpfte in die neuen und sie passten sehr gut. Erst 
jetzt erhob es sich vom Stuhl, wiegte sich in den neuen Schuhen und ging eifrig 
einige Mal auf und nieder. Es zog das lange blaue Kleid etwas zurück und 
beschaute wohlgefällig die roten wollenen Schleifen, welche die Schuhe zierten, 
während Sali unaufhörlich die feine reizende Gestalt betrachtete, welche 
da in lieblicher Aufregung vor ihm sich regte und freute. »Du beschaust 
meinen Strauß?«, sagte Vrenchen, »hab ich nicht einen schönen 
zusammengebracht? Du musst wissen, dies sind die letzten Blumen, die ich noch 
aufgefunden in dieser Wüstenei. Hier war noch ein Röschen, dort eine Aster, 
und wie sie nun gebunden sind, würde man es ihnen nicht ansehen, dass sie 
aus einem Untergange zusammengesucht sind! Nun ist es aber Zeit, dass ich fortkomme, 
nicht ein Blümchen mehr im Garten und das Haus auch leer!« Sali sah sich um 
und bemerkte erst jetzt, dass alle Fahrhabe, die noch dagewesen, weggebracht war. 
»Du armes Vreeli!«, sagte er, »haben sie dir schon alles genommen?« - 
»Gestern«, erwiderte es, »haben sie's weggeholt, was sich von der Stelle 
bewegen ließ, und mir kaum mehr mein Bett gelassen. Ich hab's aber auch gleich 
verkauft und hab jetzt auch Geld, sieh!« Es holte einige neu glänzende 
Talerstücke aus der Tasche seines Kleides und zeigte sie ihm. »Damit«, 
fuhr es fort, »sagte der Waisenvogt, der auch hier war, solle ich mir einen Dienst 
suchen in einer Stadt, und ich solle mich heute gleich auf den Weg machen!« - 
»Da ist aber auch gar nichts mehr vorhanden«, sagte Sali, nachdem er in die 
Küche geguckt hatte, »ich sehe kein Hölzchen, kein Pfännchen, kein 
Messer! Hast du denn auch nicht zu Morgen gegessen?« »Nichts!«, sagte 
Vrenchen, »ich hätte mir etwas holen können, aber ich dachte, ich 
wolle lieber hungrig bleiben, damit ich recht viel essen könne mit dir zusammen, 
denn ich freue mich so sehr darauf, du glaubst nicht, wie ich mich freue!« - 
»Wenn ich dich nur anrühren dürfte«, sagte Sali, »so wollte 
ich dir zeigen, wie es mir ist, du schönes, schönes Ding!« - 
»Du hast recht, du würdest meinen ganzen Staat verderben, und wenn wir 
die Blumen ein bisschen schonen, so kommt es zugleich meinem armen Kopf zugut, 
den du mir übel zuzurichten pflegst!« - »So komm, jetzt wollen wir 
ausrücken!« - »Noch müssen wir warten, bis das Bett abgeholt 
wird; denn nachher schließe ich das leere Haus zu und gehe nicht mehr hierher 
zurück! Mein Bündelchen gebe ich der Frau aufzuheben, die das Bett gekauft 
hat.« Sie setzten sich daher einander gegenüber und warteten; die Bäuerin 
kam bald, eine vierschrötige Frau mit lautem Mundwerk, und hatte einen Burschen 
bei sich, welcher die Bettstelle tragen sollte. Als diese Frau Vrenchens Liebhaber 
erblickte und das geputzte Mädchen selbst, sperrte sie Maul und Augen auf, 
stemmte die Arme unter und schrie: »Ei sieh da, Vreeli! Du treibst es ja schon 
gut! Hast einen Besucher und bist gerüstet wie eine Prinzess?« 
»Gelt aber!«, sagte Vrenchen freundlich lachend, »wisst Ihr 
auch, wer das ist?« - »Ei, ich denke, das ist wohl der Sali Manz? Berg 
und Tal kommen nicht zusammen, sagt man, aber die Leute! Aber nimm dich doch in 
acht, Kind, und denk, wie es euren Eltern ergangen ist!« - »Ei, das hat 
sich jetzt gewendet und alles ist gut geworden«, erwiderte Vrenchen lächelnd 
und freundlich mitteilsam, ja beinahe herablassend, »seht, Sali ist mein 
Hochzeiter!« - »Dein Hochzeiter! was du sagst!« - 
»Ja, und er ist ein reicher Herr, er hat hunderttausend Gulden in der Lotterie gewonnen! 
Denket einmal, Frau!« Diese tat einen Sprung, schlug ganz erschrocken die Hände 
zusammen und schrie: »Hund - hunderttausend Gulden!« - »Hunderttausend 
Gulden!«, versicherte Vrenchen ernsthaft. - »Herr du meines Lebens! Es ist 
aber nicht wahr, du lügst mich an, Kind!« - »Nun, glaubt was Ihr 
wollt!« - »Aber wenn es wahr ist und du heiratest ihn, was wollt ihr 
denn machen mit dem Gelde? Willst du wirklich eine vornehme Frau werden?« - 
»Versteht sich, in drei Wochen halten wir die Hochzeit!« - »Geh mir 
weg, du bist eine hässliche Lügnerin!« - »Das schönste 
Haus hat er schon gekauft in Seldwyl mit einem großen Garten und Weinberg; 
Ihr müsst mich auch besuchen, wenn wir eingerichtet sind, ich zähle 
darauf!« »Allweg, du Teufelshexlein, was du bist!« - »Ihr werdet 
sehen, wie schön es da ist! Einen herrlichen Kaffee werde ich machen und Euch 
mit feinem Eierbrot aufwarten, mit Butter und Honig!« - »O du Schelmenkind! 
zähl drauf, dass ich komme!«, rief die Frau mit lüsternem Gesicht 
und der Mund wässerte ihr. »Kommt Ihr aber um die Mittagszeit und seid 
ermüdet vom Markt, so soll Euch eine kräftige Fleischbrühe und ein 
Glas Wein immer parat stehen!« - »Das wird mir bass tun!« - 
»Und an etwas Zuckerwerk oder weißen Wecken für die lieben Kinder 
zu Hause soll es Euch auch nicht fehlen!« »Es wird mir ganz schmachtend!« - 
»Ein artiges Halstüchelchen oder ein Restchen Seidenzeug oder ein hübsches 
altes Band für Eure Röcke oder ein Stück Zeug zu einer neuen Schürze 
wird gewiss auch zu finden sein, wenn wir meine Kisten und Kasten durchmustern in 
einer vertrauten Stunde!« Die Frau drehte sich auf den Hacken herum und schüttelte 
jauchzend ihre Röcke. »Und wenn Euer Mann ein vorteilhaftes Geschäft machen 
könnte mit einem Land- oder Viehhandel und er mangelt des Geldes, so wisst Ihr, 
wo Ihr anklopfen sollt. Mein lieber Sali wird froh sein, jederzeit ein Stück Bares 
sicher und erfreulich anzulegen! Ich selbst werde auch etwa einen Sparpfennig haben, 
einer vertrauten Freundin beizustehen!« Jetzt war der Frau nicht mehr zu helfen, 
sie sagte gerührt: »Ich habe immer gesagt, du seist ein braves und gutes 
und schönes Kind! Der Herr wolle es dir wohlergehen lassen immer und ewiglich 
und es dir gesegnen, was du an mir tust!« - »Dagegen verlange ich aber 
auch, dass Ihr es gut mit mir meint!« - »Allweg kannst du das 
verlangen!« - »Und dass Ihr jederzeit Eure Waren, sei es Obst, 
seien es Kartoffeln, sei es Gemüse, erst zu mir bringet und mir anbietet, 
ehe Ihr auf den Markt gehet, damit ich sicher sei, eine rechte Bäuerin an 
der Hand zu haben, auf die ich mich verlassen kann! Was irgendeiner gibt für 
die Ware, werde ich gewiss auch geben mit tausend Freuden, Ihr kennt mich ja! 
Ach, es ist nichts Schöneres, als wenn eine wohlhabende Stadtfrau, die so ratlos 
in ihren Mauern sitzt und doch so vieler Dinge benötigt ist, und eine rechtschaffene 
ehrliche Landfrau, erfahren in allem Wichtigen und Nützlichen, eine gute und dauerhafte 
Freundschaft zusammen haben! Es kommt einem zugut in hundert Fällen, in Freud und 
Leid, bei Gevatterschaften und Hochzeiten, wenn die Kinder unterrichtet werden und 
konfirmiert, wenn sie in die Lehre kommen und wenn sie in die Fremde sollen! Bei 
Misswachs und Überschwemmungen, bei Feuersbrünsten und Hagelschlag, 
wofür uns Gott behüte!« - »Wofür uns Gott behüte!«, 
sagte die gute Frau schuchzend und trocknete mit ihrer Schürze die Augen; 
»welch ein verständiges und tiefsinniges Bräutlein bist du, ja, 
dir wird es gut gehen, da müsste keine Gerechtigkeit in der Welt sein! 
Schön, sauber, klug und weise bist du, arbeitsam und geschickt zu allen Dingen! 
Keine ist feiner und besser als du, in und außer dem Dorfe, und wer dich hat, 
der muss meinen, er sei im Himmelreich, oder er ist ein Schelm und hat es mit 
mir zu tun. Hör, Sali! dass du nur recht artlich bist mit meinem 
Vreeli, oder ich will dir den Meister zeigen, du Glückskind, das du bist, 
ein solches Röslein zu brechen!« - »So nehmt jetzt auch hier noch 
mein Bündel mit, wie Ihr mir versprochen habt, bis ich es abholen lassen werde! 
Vielleicht komme ich aber selbst in der Kutsche und hole es ab, wenn Ihr nichts 
dagegen habt! Ein Töpfchen Milch werdet Ihr mir nicht abschlagen alsdann, 
und etwa eine schöne Mandeltorte dazu werde ich schon selbst mitbringen!« - 
»Tausendskind! Gib her den Bündel!« Vrenchen lud ihr auf das 
zusammengebundene Bett, das sie schon auf dem Kopfe trug, einen langen Sack, 
in welchen es sein Plunder und Habseliges gestopft, sodass die arme Frau 
mit einem schwankenden Turme auf dem Haupte dastand. »Es wird mir doch fast 
zu schwer auf einmal«, sagte sie, »könnte ich nicht zweimal dran machen?« 
»Nein nein! wir müssen jetzt augenblicklich gehen, denn wir haben einen weiten 
Weg, um vornehme Verwandte zu besuchen, die sich jetzt gezeigt haben, seit wir reich sind! 
Ihr wisst ja, wie es geht!« - »Weiß wohl! so behüt dich Gott und 
denk an mich in deiner Herrlichkeit!« 
  
 
            
            
            
Die Bäuerin zog ab mit ihrem Bündelturme, mit Mühe das Gleichgewicht 
behauptend, und hinter ihr drein ging ihr Knechtchen, das sich in Vrenchens einst 
bunt bemalte Bettstatt hineinstellte, den Kopf gegen den mit verblichenen Sternen 
bedeckten Himmel derselben stemmte und, ein zweiter Simson, die zwei vorderen 
zierlich geschnitzten Säulen fasste, welche diesen Himmel trugen. Als 
Vrenchen, an Sali gelehnt, dem Zuge nachschaute und den wandelnden Tempel zwischen 
den Gärten sah, sagte es: »Das gäbe noch ein artiges Gartenhäuschen 
oder eine Laube, wenn man's in einen Garten pflanzte, ein Tischchen und ein Bänklein 
drein stellte und Winden drum herumsäete! Wolltest du mit darin sitzen, 
Sali?« - »Ja, Vreeli! besonders wenn die Winden aufgewachsen wären!« 
»Was stehen wir noch?«, sagte Vrenchen, »nichts hält uns mehr 
zurück!« »So komm und schließ das Haus zu! Wem willst du denn 
den Schlüssel übergeben?« Vrenchen sah sich um. »Hier an die 
Helbart wollen wir ihn hängen; sie ist über hundert Jahr in diesem Hause 
gewesen, habe ich den Vater oft sagen hören, nun steht sie da als der letzte 
Wächter!« Sie hingen den rostigen Hausschlüssel an einen rostigen 
Schnörkel der alten Waffe, an welcher die Bohnen rankten, und gingen davon. 
Vrenchen wurde aber bleicher und verhüllte ein Weilchen die Augen, dass 
Sali es führen musste, bis sie ein Dutzend Schritte entfernt waren. Es 
sah aber nicht zurück. »Wo gehen wir nun zuerst hin?«, fragte es. 
»Wir wollen ordentlich über Land gehen«, erwiderte Sali, »wo 
es uns freut den ganzen Tag, uns nicht übereilen, und gegen Abend werden wir 
dann schon einen Tanzplatz finden!« - »Gut!«, sagte Vrenchen, 
»den ganzen Tag werden wir beisammen sein und gehen, wo wir Lust haben. 
Jetzt ist mir aber elend, wir wollen gleich im andern Dorf einen Kaffee trinken!« - 
»Versteht sich!«, sagte Sali, »mach nur, dass wir aus diesem Dorf 
wegkommen!«
  
 
            
             
            
Bald waren sie auch im freien Felde und gingen still nebeneinander durch die 
Fluren; es war ein schöner Sonntagmorgen im September, keine Wolke stand am 
Himmel, die Höhen und die Wälder waren mit einem zarten Duftgewebe 
bekleidet, welches die Gegend geheimnisvoller und feierlicher machte, und von 
allen Seiten tönten die Kirchenglocken herüber, hier das harmonische 
tiefe Geläute einer reichen Ortschaft, dort die geschwätzigen zwei 
Bimmelglöcklein eines kleinen armen Dörfchens. Das liebende Paar 
vergaß, was am Ende dieses Tages werden sollte, und es gab sich einzig 
der hoch aufatmenden wortlosen Freude hin, sauber gekleidet und frei, wie 
zwei Glückliche, die sich von Rechts wegen angehörten, in den Sonntag 
hineinzuwandeln. Jeder in der Sonntagsstille verhallende Ton oder ferne Ruf 
klang ihnen erschütternd durch die Seele; denn die Liebe ist eine Glocke, 
welche das Entlegenste und Gleichgültigste widertönen lässt 
und in eine besondere Musik verwandelt. Obgleich sie hungrig waren, dünkte 
sie die halbe Stunde Weges bis zum nächsten Dorf nur ein Katzensprung lang 
zu sein, und sie betraten zögernd das Wirtshaus am Eingang des Ortes. Sali 
bestellte ein gutes Frühstück, und während es bereitet wurde, 
sahen sie mäuschenstill der sicheren und freundlichen Wirtschaft in der 
großen reinlichen Gaststube zu. Der Wirt war zugleich ein Bäcker, 
das eben Gebackene durchduftete angenehm das ganze Haus, und Brot aller Art 
wurde in gehäuften Körben herbeigetragen, da nach der Kirche die 
Leute hier ihr Weißbrot holten oder ihren Frühschoppen tranken. 
Die Wirtin, eine artige und saubere Frau, putzte gelassen und freundlich ihre 
Kinder heraus, und sowie eines entlassen war, kam es zutraulich zu Vrenchen 
gelaufen, zeigte ihm seine Herrlichkeiten und erzählte von allem, dessen 
es sich erfreute und rühmte. Wie nun der wohlduftende starke Kaffee kam, 
setzten sich die zwei Leutchen schüchtern an den Tisch, als ob sie da zu 
Gast gebeten wären. Sie ermunterten sich jedoch bald und flüsterten 
bescheiden, aber glückselig miteinander; ach, wie schmeckte dem 
aufblühenden Vrenchen der gute Kaffee, der fette Rahm, die frischen, 
noch warmen Brötchen, die schöne Butter und der Honig, der Eierkuchen 
und was alles noch für Leckerbissen da waren! Sie schmeckten ihm, weil es 
den Sali dazu ansah, und es aß so vergnügt, als ob es ein Jahr lang 
gefastet hätte. Dazu freute es sich über das feine Geschirr, 
über die silbernen Kaffeelöffelchen; denn die Wirtin schien sie 
für rechtliche junge Leutchen zu halten, die man anständig bedienen 
müsse, und setzte sich auch ab und zu plaudernd zu ihnen, und die beiden 
gaben ihr verständigen Bescheid, welches ihr gefiel. Es ward dem guten 
Vrenchen so wählig zumut, dass es nicht wusste, mochte es lieber 
wieder ins Freie, um allein mit seinem Schatz herumzuschweifen, durch Auen 
und Wälder, oder mochte es lieber in der gastlichen Stube bleiben, um 
wenigstens auf Stunden sich an einem stattlichen Orte zu Hause zu träumen. 
Doch Sali erleichterte die Wahl, indem er ehrbar und geschäftig zum Aufbruch 
mahnte, als ob sie einen bestimmten und wichtigen Weg zu machen hätten. Die 
Wirtin und der Wirt begleiteten sie bis vor das Haus und entließen sie auf 
das Wohlwollendste wegen ihres guten Benehmens, trotz der durchscheinenden 
Dürftigkeit, und das arme junge Blut verabschiedete sich mit den besten 
Manieren von der Welt und wandelte sittig und ehrbar von hinnen. Aber auch 
als sie schon wieder im Freien waren und einen stundenlangen Eichwald betraten, 
gingen sie noch in dieser Weise nebeneinander her, in angenehme Träume 
vertieft, als ob sie nicht aus zank- und elenderfüllten Häusern 
herkämen, sondern guter Leute Kind wären, welche in lieblicher 
Hoffnung wandelten. Vrenchen senkte das Köpfchen tiefsinnig gegen seine 
blumengeschmückte Brust und ging, die Hände sorglich an das Gewand 
gelegt, einher auf dem glatten feuchten Waldboden; Sali dagegen schritt 
schlank aufgerichtet, rasch und nachdenklich, die Augen auf die festen 
Eichenstämme geheftet, wie ein Bauer, der überlegt, welche 
Bäume er am vorteilhaftesten fällen soll. Endlich erwachten sie 
aus diesen vergeblichen Träumen, sahen sich an und entdeckten, dass 
sie immer noch in der Haltung gingen, in welcher sie das Gasthaus verlassen, 
erröteten und ließen traurig die Köpfe hängen. 
Aber Jugend 
hat keine Tugend; der Wald war grün, der Himmel blau und sie allein in der 
weiten Welt, und sie überließen sich alsbald wieder diesem Gefühle. 
Doch blieben sie nicht lange mehr allein, da die schöne Waldstraße sich 
belebte mit lustwandelnden Gruppen von jungen Leuten sowie mit einzelnen Paaren, 
welche schäkernd und singend die Zeit nach der Kirche verbrachten. Denn die 
Landleute haben so gut ihre ausgesuchten Promenaden und Lustwälder wie die 
Städter, nur mit dem Unterschied, dass dieselben keine Unterhaltung 
kosten und noch schöner sind; sie spazieren nicht nur mit einem besondern 
Sinn des Sonntags durch ihre blühenden und reifenden Felder, sondern sie 
machen sehr gewählte Gänge durch Gehölze und an grünen Halden 
entlang, setzen sich hier auf eine anmutige fernsichtige Höhe, dort an einen 
Waldrand, lassen ihre Lieder ertönen und die schöne Wildnis ganz behaglich 
auf sich einwirken; und da sie dies offenbar nicht zu ihrer Pönitenz tun, 
sondern zu ihrem Vergnügen, so ist wohl anzunehmen, dass sie Sinn für 
die Natur haben, auch abgesehen von ihrer Nützlichkeit. Immer brechen sie was 
Grünes ab, junge Bursche wie alte Mütterchen, welche die alten Wege ihrer 
Jugend aufsuchen, und selbst steife Landmänner in den besten Geschäftsjahren, 
wenn sie über Land gehen, schneiden sich gern eine schlanke Gerte, sobald sie 
durch einen Wald gehen, und schälen die Blätter ab, von denen sie nur oben 
ein grünes Büschel stehen lassen. Solche Rute tragen sie wie ein Zepter vor 
sich hin; wenn sie in eine Amtsstube oder Kanzlei treten, so stellen sie die Gerte 
ehrerbietig in einen Winkel, vergessen aber auch nach den ernstesten Verhandlungen 
nie, dieselbe säuberlich wieder mitzunehmen und unversehrt nach Hause zu tragen, 
wo es erst dem kleinsten Söhnchen gestattet ist, sie zugrunde zu richten. - 
Als Sali und Vrenchen die vielen Spaziergänger sahen, lachten sie ins 
Fäustchen und freuten sich, auch gepaart zu sein, schlüpften aber 
seitwärts auf engere Waldpfade, wo sie sich in tiefen Einsamkeiten verloren. 
Sie hielten sich auf, wo es sie freute, eilten vorwärts und ruhten wieder, 
und wie keine Wolke am reinen Himmel stand, trübte auch keine Sorge in diesen 
Stunden ihr Gemüt; sie vergaßen, woher sie kamen und wohin sie gingen, 
und benahmen sich so fein und ordentlich dabei, dass trotz aller frohen Erregung 
und Bewegung Vrenchens niedlicher einfacher Aufputz so frisch und unversehrt blieb, 
wie er am Morgen gewesen war. Sali betrug sich auf diesem Wege nicht wie ein beinahe 
zwanzigjähriger Landbursche oder der Sohn eines verkommenen Schenkwirtes, 
sondern wie wenn er einige Jahre jünger und sehr wohlerzogen wäre, 
und es war beinahe komisch, wie er nur immer sein feines lustiges Vrenchen ansah, 
voll Zärtlichkeit, Sorgfalt und Achtung. Denn die armen Leutchen mussten 
an diesem einen Tage, der ihnen vergönnt war, alle Manieren und Stimmungen 
der Liebe durchleben und sowohl die verlorenen Tage der zarteren Zeit nachholen 
als das leidenschaftliche Ende vorausnehmen mit der Hingabe ihres Lebens.
  
 
            
         
            
So liefen sie sich wieder hungrig und waren erfreut, von der Höhe eines 
schattenreichen Berges ein glänzendes Dorf vor sich zu sehen, wo sie 
Mittag halten wollten. Sie stiegen rasch hinunter, betraten dann aber ebenso 
sittsam diesen Ort, wie sie den vorigen verlassen. Es war niemand um den Weg, 
der sie erkannt hätte; denn besonders Vrenchen war die letzten Jahre 
hindurch gar nicht unter die Leute und noch weniger in andere Dörfer 
gekommen. Deshalb stellten sie ein wohlgefälliges ehrsames Pärchen 
vor, das irgendeinen angelegentlichen Gang tut. Sie gingen ins erste Wirtshaus 
des Dorfes, wo Sali ein erkleckliches Mahl bestellte; ein eigener Tisch wurde 
ihnen sonntäglich gedeckt, und sie saßen wieder still und bescheiden 
daran und beguckten die schön getäfelten Wände von gebohntem 
Nussbaumholz, das ländliche, aber glänzende und wohlbestellte 
Büffet von gleichem Holze und die klaren weißen Fenstervorhänge. 
Die Wirtin trat zutulich herzu und setzte ein Geschirr voll frischer Blumen auf 
den Tisch. »Bis die Suppe kommt«, sagte sie, »könnt ihr, 
wenn es euch gefällig ist, einstweilen die Augen sättigen an dem 
Strauße. Allem Anschein nach, wenn es erlaubt ist zu fragen, seid ihr ein 
junges Brautpaar, das gewiss nach der Stadt geht, um sich morgen kopulieren 
zu lassen?« Vrenchen wurde rot und wagte nicht aufzusehen, Sali sagte auch 
nichts, und die Wirtin fuhr fort: »Nun, ihr seid freilich beide noch wohl 
jung, aber jung geheiratet lebt lang, sagt man zuweilen, und ihr seht wenigstens 
hübsch und brav aus und braucht euch nicht zu verbergen. Ordentliche Leute 
können etwas zuwege bringen, wenn sie so jung zusammenkommen und fleißig 
und treu sind. Aber das muss man freilich sein, denn die Zeit ist kurz und 
doch lang und es kommen viele Tage, viele Tage! Je nun, schön genug sind 
sie und amüsant dazu, wenn man gut haushält damit! Nichts für 
ungut, aber es freut mich, euch anzusehen, so ein schmuckes Pärchen seid 
ihr!« Die Kellnerin brachte die Suppe, und da sie einen Teil dieser Worte 
noch gehört und lieber selbst geheiratet hätte, so sah sie Vrenchen 
mit scheelen Augen an, welches nach ihrer Meinung so gedeihliche Wege ging. 
In der Nebenstube ließ die unliebliche Person ihren Unmut frei und sagte 
zur Wirtin, welche dort zu schaffen hatte, so laut, dass man es hören 
konnte: »Das ist wieder ein rechtes Hudelvölkchen, das, wie es geht 
und steht, nach der Stadt läuft und sich kopulieren lässt, ohne 
einen Pfennig, ohne Freunde, ohne Aussteuer und ohne Aussicht als auf Armut 
und Bettelei! Wo soll das noch hinaus, wenn solche Dinger heiraten, die die 
Jüppe noch nicht allein anziehen und keine Suppe kochen können? 
Ach der hübsche junge Mensch kann mich nur dauern, der ist schön 
petschiert mit seiner jungen Gungeline!« - »Bscht! willst du wohl 
schweigen, du hässiges Ding!«, sagte die Wirtin, »denen lasse 
ich nichts geschehen! Das sind gewiss zwei recht ordentliche Leutlein aus 
den Bergen, wo die Fabriken sind; dürftig sind sie gekleidet, aber sauber, 
und wenn sie sich nur gern haben und arbeitsam sind, so werden sie weiter kommen 
als du mit deinem bösen Maul! Du kannst freilich noch lang warten, bis dich 
einer abholt, wenn du nicht freundlicher bist, du Essighafen!« 
  
 
            
             
            
So genoss Vrenchen alle Wonnen einer Braut, die zur Hochzeit reiset: die 
wohlwollende Ansprache und Aufmunterung einer sehr vernünftigen Frau, 
den Neid einer heiratslustigen bösen Person, welche aus Ärger den 
Geliebten lobte und bedauerte, und ein leckeres Mittagsmahl an der Seite eben 
dieses Geliebten! Es glühte im Gesicht wie eine rote Nelke, das Herz klopfte 
ihm, aber es aß und trank nichtsdestominder mit gutem Appetit und war mit der 
aufwartenden Kellnerin nur um so artiger, konnte aber nicht unterlassen, dabei den 
Sali zärtlich anzusehen und mit ihm zu lispeln, sodass es diesem auch 
ganz kraus im Gemüt wurde. Sie saßen indessen lang und gemächlich 
am Tische, wie wenn sie zögerten und sich scheuten, aus der holden Täuschung 
herauszugehen. Die Wirtin brachte zum Nachtisch süßes Backwerk, und Sali 
bestellte feinern und stärkern Wein dazu, welcher Vrenchen feurig durch die 
Adern rollte, als es ein wenig davon trank; aber es nahm sich in acht, nippte 
bloß zuweilen und saß so züchtig und verschämt da wie eine 
wirkliche Braut. Halb spielte es aus Schalkheit diese Rolle und aus Lust, zu 
versuchen, wie es tue, halb war es ihm in der Tat so zumut und vor Bangigkeit 
und heißer Liebe wollte ihm das Herz brechen, sodass es ihm zu eng 
ward innerhalb der vier Wände und es zu gehen begehrte. Es war, als ob 
sie sich scheuten, auf dem Wege wieder so abseits und allein zu sein; denn sie 
gingen unverabredet auf der Hauptstraße weiter, mitten durch die Leute, 
und sahen weder rechts noch links. Als sie aber aus dem Dorfe waren und auf 
das nächst gelegene zugingen, wo Kirchweih war, hing sich Vrenchen an Salis 
Arm und flüsterte mit zitternden Worten: »Sali! warum sollen wir uns 
nicht haben und glücklich sein?« - »Ich weiß auch nicht 
warum!«, erwiderte er und heftete seine Augen an den milden Herbstsonnenschein, 
der auf den Auen webte, und er musste sich bezwingen und das Gesicht ganz 
sonderbar verziehen. Sie standen still, um sich zu küssen; aber es zeigten 
sich Leute, und sie unterließen es und zogen weiter. Das große Kirchdorf, 
in dem Kirchweih war, belebte sich schon von der Lust des Volkes; aus dem 
stattlichen Gasthofe tönte eine pomphafte Tanzmusik, da die jungen Dörfler 
bereits um Mittag den Tanz angehoben, und auf dem Platz vor dem Wirtshause war ein 
kleiner Markt aufgeschlagen, bestehend aus einigen Tischen mit Süßigkeiten 
und Backwerk und ein paar Buden mit Flitterstaat, um welche sich die Kinder und 
dasjenige Volk drängten, welches sich einstweilen mehr mit Zusehen begnügte. 
Sali und Vrenchen traten auch zu den Herrlichkeiten und ließen ihre Augen 
darüber fliegen; denn beide hatten zugleich die Hand in der Tasche und 
jedes wünschte dem andern etwas zu schenken, da sie zum ersten und einzigen 
Male miteinander zu Markt waren; Sali kaufte ein großes Haus von Lebkuchen, 
das mit Zuckerguss freundlich geweißt war, mit einem grünen Dach, 
auf welchem weiße Tauben saßen und aus dessen Schornstein ein Amörchen 
guckte als Kaminfeger; an den offenen Fenstern umarmten sich pausbäckige 
Leutchen mit winzig kleinen roten Mündchen, die sich recht eigentlich 
küssten, da der flüchtige praktische Maler mit einem Kleckschen 
gleich zwei Mündchen gemacht, die so ineinander verflossen. Schwarze 
Pünktchen stellten muntere Äuglein vor. Auf der rosenroten Haustür 
aber waren diese Verse zu lesen:
 
                  
                     
                        
                       
             
Tritt in mein Haus, o Liebste! 
Doch sei dir unverhehlt: 
Drin wird allein nach Küssen 
Gerechnet und gezählt.
 
Die Liebste sprach: »O Liebster, 
Mich schrecket nichts zurück! 
Hab alles wohl erwogen: 
In dir nur lebt mein Glück!
 
Und wenn ich's recht bedenke, 
Kam ich deswegen auch!« 
Nun denn, spazier mit Segen 
Herein und üb den Brauch!
                              
                         | 
                     
                  
               
            
            
Ein Herr in einem blauen Frack und eine Dame mit einem sehr hohen Busen komplimentierten 
sich diesen Versen gemäß in das Haus hinein, links und rechts an 
die Mauer gemalt. Vrenchen schenkte Sali dagegen ein Herz, auf dessen einer 
Seite ein Zettelchen klebte mit den Worten:
 
                  
                     
                        
                       
             
Ein süßer Mandelkern steckt in dem Herze hier, 
Doch süßer als der Mandelkern ist meine Lieb zu dir!	
                           
                         | 
                     
                  
                 
            
Und auf der anderen Seite:
 
                  
                     
                        
                       
             
Wenn du dies Herz gegessen, vergiss dies Sprüchlein nicht: 
Viel eh'r als meine Liebe mein braunes Auge bricht!	
                          
                         | 
                     
                  
               
            
             
            
         
Sie lasen eifrig die Sprüche, und nie ist etwas Gereimtes und Gedrucktes 
schöner befunden und tiefer empfunden worden als diese 
Pfefferkuchensprüche; sie hielten, was sie lasen, in besonderer 
Absicht auf sich gemacht, so gut schien es ihnen zu passen. »Ach«, 
seufzte Vrenchen, »du schenkst mir ein Haus! Ich habe dir auch eines 
und erst das wahre geschenkt; denn unser Herz ist jetzt unser Haus, darin 
wir wohnen, und wir tragen so unsere Wohnung mit uns, wie die Schnecken! 
Andere haben wir nicht!« »Dann sind wir aber zwei Schnecken, 
von denen jede das Häuschen der andern trägt!«, sagte Sali, 
und Vrenchen erwiderte: »Desto weniger dürfen wir voneinander 
gehen, damit jedes seiner Wohnung nah bleibt!« Doch wussten sie 
nicht, dass sie in ihren Reden eben solche Witze machten als auf den 
vielfach geformten Lebkuchen zu lesen waren, und fuhren fort diese 
süße einfache Liebesliteratur zu studieren, die da ausgebreitet 
lag und besonders auf vielfach verzierte kleine und große Herzen 
geklebt war. Alles dünkte sie schön und einzig zutreffend; als 
Vrenchen auf einem vergoldeten Herzen, das wie eine Lyra mit Saiten bespannt 
war, las: »Mein Herz ist wie ein Zitherspiel, rührt man es viel, 
so tönt es viel!«, ward ihm so musikalisch zumut, dass es 
glaubte, sein eigenes Herz klingen zu hören. Ein Napoleonsbild war 
da, welches aber auch der Träger eines verliebten Spruches sein 
musste, denn es stand darunter geschrieben: »Groß war 
der Held Napoleon, sein Schwert von Stahl, sein Herz von Ton; meine 
Liebe trägt ein Röslein frei, doch ist ihr Herz wie Stahl 
so treu« - Während sie aber beiderseitig in das Lesen 
vertieft schienen, nahm jedes die Gelegenheit wahr, einen heimlichen 
Einkauf zu machen. Sali kaufte für Vrenchen ein vergoldetes 
Ringelchen mit einem grünen Glassteinchen und Vrenchen einen Ring 
von schwarzem Gämshorn, auf welchem ein goldenes Vergissmeinnicht 
eingelegt war. Wahrscheinlich hatten sie den gleichen Gedanken, sich diese 
armen Zeichen bei der Trennung zu geben.
 
            
             
            
Während sie in diese Dinge sich versenkten, waren sie so vergessen, 
dass sie nicht bemerkten, wie nach und nach ein weiter Ring sich um sie 
gebildet hatte von Leuten, die sie aufmerksam und neugierig betrachteten. 
Denn da viele junge Bursche und Mädchen aus ihrem Dorfe hier waren, 
so waren sie erkannt worden, und alles stand jetzt in einiger Entfernung 
um sie herum und sah mit Verwunderung auf das wohlgeputzte Paar, welches 
in andächtiger Innigkeit die Welt um sich her zu vergessen schien. 
»Ei seht!«, hieß es, »das ist ja wahrhaftig das Vrenchen 
Marti und der Sali aus der Stadt! Die haben sich ja säuberlich gefunden 
und verbunden! Und welche Zärtlichkeit und Freundschaft, seht doch, 
seht! Wo die wohl hinaus wollen?« Die Verwunderung dieser Zuschauer 
war ganz seltsam gemischt aus Mitleid mit dem Unglück, aus Verachtung 
der Verkommenheit und Schlechtigkeit der Eltern und aus Neid gegen das 
Glück und die Einigkeit des Paares, welches auf eine ganz 
ungewöhnliche und fast vornehme Weise verliebt und aufgeregt war 
und in dieser rückhaltlosen Hingebung und Selbstvergessenheit dem 
rohen Völkchen ebenso fremd erschien wie in seiner Verlassenheit 
und Armut. Als sie daher endlich aufwachten und um sich sahen, erschauten 
sie nichts als gaffende Gesichter von allen Seiten; niemand grüßte 
sie und sie wussten nicht, sollten sie jemand grüßen, und 
diese Verfremdung und Unfreundlichkeit war von beiden Seiten mehr 
Verlegenheit als Absicht. Es wurde Vrenchen bang und heiß, es 
wurde bleich und rot, Sali nahm es aber bei der Hand und führte 
das arme Wesen hinweg, das ihm mit seinem Haus in der Hand willig 
folgte, obgleich die Trompeten im Wirtshause lustig schmetterten und 
Vrenchen so gern tanzen wollte. »Hier können wir nicht 
tanzen!«, sagte Sali, als sie sich etwas entfernt hatten, »wir 
würden hier wenig Freude haben, wie es scheint!« »Jedenfalls«, 
sagte Vrenchen traurig, »es wird auch am besten sein, wir lassen es 
ganz bleiben und ich sehe, wo ich ein Unterkommen finde!« 
»Nein«, rief Sali, »du sollst einmal tanzen, ich habe 
dir darum Schuhe gebracht! Wir wollen gehen, wo das arme Volk sich 
lustig macht, zu dem wir jetzt auch gehören, da werden sie uns 
nicht verachten; im Paradiesgärtchen wird jedes Mal auch getanzt, 
wenn hier Kirchweih ist, da es in die Kirchgemeinde gehört, und 
dorthin wollen wir gehen, dort kannst du zur Not auch übernachten.« 
Vrenchen schauerte zusammen bei dem Gedanken, nun zum ersten Mal an einem 
unbekannten Ort zu schlafen; doch folgte es willenlos seinem Führer, 
der jetzt alles war, was es in der Welt hatte. Das Paradiesgärtlein 
war ein schön gelegenes Wirtshaus an einer einsamen Berghalde, das 
weit über das Land weg sah, in welchem aber an solchen 
Vergnügungstagen nur das ärmere Volk, die Kinder der ganz 
kleinen Bauern und Tagelöhner und sogar mancherlei fahrendes Gesinde 
verkehrte. Vor hundert Jahren war es als ein kleines Landhaus von einem 
reichen Sonderling gebaut worden, nach welchem niemand mehr da wohnen mochte, 
und da der Platz sonst zu nichts zu gebrauchen war, so geriet der wunderliche 
Landsitz in Verfall und zuletzt in die Hände eines Wirtes, der da sein 
Wesen trieb. Der Name und die demselben entsprechende Bauart waren aber dem 
Hause geblieben. Es bestand nur aus einem Erdgeschoss, über welchem 
ein offener Estrich gebaut war, 
dessen Dach an den vier Ecken von Bildern aus 
Sandstein getragen wurde, so die vier Erzengel vorstellten und gänzlich 
verwittert waren. Auf dem Gesimse des Daches saßen ringsherum kleine 
musizierende Engel mit dicken Köpfen und Bäuchen, den Triangel, 
die Geige, die Flöte, Zimbel und Tamburin spielend, ebenfalls aus 
Sandstein, und die Instrumente waren ursprünglich vergoldet gewesen. 
Die Decke inwendig sowie die Brustwehr des Estrichs und das übrige 
Gemäuer des Hauses waren mit verwaschenen Freskomalereien bedeckt, 
welche lustige Engelscharen sowie singende und tanzende Heilige darstellten. 
Aber alles war verwischt und undeutlich wie ein Traum und überdies 
reichlich mit Weinreben übersponnen, und blaue reifende Trauben hingen 
überall in dem Laube. Um das Haus herum standen verwilderte Kastanienbäume, 
und knorrige starke Rosenbüsche, auf eigene Hand fortlebend, wuchsen da 
und dort so wild herum wie anderswo die Holunderbäume. Der Estrich diente 
zum Tanzsaal; als Sali mit Vrenchen daherkam, sahen sie schon von Weitem die 
Paare unter dem offenen Dache sich drehen, und rund um das Haus zechten und 
lärmten eine Menge lustiger Gäste. Vrenchen, welches andächtig 
und wehmütig sein Liebeshaus trug, 
glich einer heiligen Kirchenpatronin auf alten Bildern, welche das Modell 
eines Domes oder Klosters auf der Hand hält, so sie gestiftet; aber aus 
der frommen Stiftung, die ihm im Sinne lag, konnte nichts werden. Als es aber 
die wilde Musik hörte, welche vom Estrich ertönte, vergaß es 
sein Leid und verlangte endlich nichts, als mit Sali zu tanzen. Sie drängten 
sich durch die Gäste, die vor dem Hause saßen und in der Stube, 
verlumpte Leute aus Seldwyla, die eine billige Landpartie machten, armes 
Volk von allen Enden, und stiegen die Treppe hinauf, und sogleich drehten 
sie sich im Walzer herum, keinen Blick voneinander abwendend. Erst als der 
Walzer zu Ende, sahen sie sich um; Vrenchen hatte sein Haus zerdrückt 
und zerbrochen und wollte eben betrübt darüber werden, als es 
noch mehr erschrak über den schwarzen Geiger, in dessen Nähe sie 
standen. Er saß auf einer Bank, die auf einem Tische stand, und sah so 
schwarz aus wie gewöhnlich; nur hatte er heute einen grünen 
Tannenbusch auf sein Hütchen gesteckt, zu seinen Füßen hatte 
er eine Flasche Rotwein und ein Glas stehen, welche er nie umstieß, 
obgleich er fortwährend mit den Beinen strampelte, wenn er geigte, und 
so eine Art von Eiertanz damit vollbrachte. Neben ihm saß noch ein 
schöner, aber trauriger junger Mensch mit einem Waldhorn, und ein 
Buckliger stand an einer Bassgeige. Sali erschrak auch, als er den Geiger 
erblickte; dieser grüßte sie aber auf das Freundlichste und rief: 
»Ich habe doch gewusst, dass ich euch noch einmal aufspielen 
werde! So macht euch nur recht lustig, ihr Schätzchen, und tut mir 
Bescheid!« Er bot Sali das volle Glas, und Sali trank und tat ihm 
Bescheid. Als der Geiger sah, wie erschrocken Vrenchen war, suchte er ihm 
freundlich zuzureden und machte einige fast anmutige Scherze, die es zum 
Lachen brachten. Es ermunterte sich wieder, und nun waren sie froh, hier 
einen Bekannten zu haben und gewissermaßen unter dem besondern Schutze 
des Geigers zu stehen. Sie tanzten nun ohne Unterlass, sich und die Welt 
vergessend in dem Drehen, Singen und Lärmen, welches in und außer 
dem Hause rumorte und vom Berge weit in die Gegend hinausschallte, welche 
sich allmählich in den silbernen Duft des Herbstabends hüllte. 
Sie tanzten, bis es dunkelte und der größere Teil der lustigen 
Gäste sich schwankend und johlend nach allen Seiten entfernte. Was 
noch zurückblieb, war das eigentliche Hudelvölkchen, welches 
nirgends zu Hause war und sich zum guten Tag auch noch eine gute Nacht 
machen wollte. Unter diesen waren einige, welche mit dem Geiger gut bekannt 
schienen und fremdartig aussahen in ihrer zusammengewürfelten Tracht. 
Besonders ein junger Bursche fiel auf, der eine grüne Manchesterjacke 
trug und einen zerknitterten Strohhut, um den er einen Kranz von Ebereschen 
oder Vogelbeerbüscheln gebunden hatte. Dieser führte eine wilde 
Person mit sich, die einen Rock von kirschrotem weißgetüpfeltem 
Kattun trug und sich einen Reifen von Rebenschoßen um den Kopf gebunden, 
sodass an jeder Schläfe eine blaue Traube hing. Dies Paar war 
das ausgelassenste von allen, tanzte und sang unermüdlich und war 
in allen Ecken zugleich. Dann war noch ein schlankes hübsches 
Mädchen da, welches ein schwarzseidenes abgeschossenes Kleid trug 
und ein weißes Tuch um den Kopf, dass der Zipfel über den 
Rücken fiel. Das Tuch zeigte rote, eingewobene Streifen und war eine 
gute leinene Handzwehle oder Serviette. Darunter leuchteten aber ein paar 
veilchenblaue Augen hervor. Um den Hals und auf der Brust hing eine 
sechsfache Kette von Vogelbeeren auf einen Faden gezogen und ersetzte die 
schönste Korallenschnur. Diese Gestalt tanzte fortwährend allein 
mit sich selbst und verweigerte hartnäckig mit einem der Gesellen zu 
tanzen. Nichtsdestominder bewegte sie sich anmutig und leicht herum und 
lächelte jedes Mal, wenn sie sich an dem traurigen Waldhornbläser 
vorüberdrehte, wozu dieser immer den Kopf abwandte. Noch einige andere 
vergnügte Frauensleute waren da mit ihren Beschützern, alle von 
dürftigem Aussehen, aber sie waren um so lustiger und in bester Eintracht 
untereinander. Als es gänzlich dunkel war, wollte der Wirt keine Lichter 
anzünden, da er behauptete, der Wind lösche sie aus, auch ginge der 
Vollmond sogleich auf, und für das, was ihm diese Herrschaften einbrächten, 
sei das Mondlicht gut genug. Diese Eröffnung wurde mit großem 
Wohlgefallen aufgenommen; die ganze Gesellschaft stellte sich an die Brüstung 
des luftigen Saales und sah dem Aufgange des Gestirnes entgegen, dessen Röte 
schon am Horizonte stand; und sobald der Mond aufging und sein Licht quer durch 
den Estrich des Paradiesgärtels warf, tanzten sie im Mondschein weiter, und 
zwar so still, artig und seelenvergnügt, als ob sie im Glanze von hundert 
Wachskerzen tanzten. Das seltsame Licht machte alle vertrauter, und so konnten 
Sali und Vrenchen nicht umhin, sich unter die gemeinsame Lustbarkeit zu mischen 
und auch mit andern zu tanzen. Aber jedes Mal, wenn sie ein Weilchen getrennt 
gewesen, flogen sie zusammen und feierten ein Wiedersehen, als ob sie sich 
jahrelang gesucht und endlich gefunden. Sali machte ein trauriges und unmutiges 
Gesicht, wenn er mit einer anderen tanzte, und drehte fortwährend das Gesicht 
nach Vrenchen hin, welches ihn nicht ansah, wenn es vorüberschwebte, glühte 
wie eine Purpurrose und überglücklich schien, mit wem es auch tanzte. 
»Bist du eifersüchtig, Sali?«, fragte es ihn, als die Musikanten 
müde waren und aufhörten. »Gott bewahre!«, sagte er, »ich 
wüsste nicht, wie ich es anfangen sollte!« - »Warum bist du 
denn so bös, wenn ich mit andern tanze?« - »Ich bin nicht 
darüber bös, sondern weil ich mit andern tanzen muss! Ich kann 
kein anderes Mädchen ausstehen, es ist mir, als wenn ich ein Stück 
Holz im Arm habe, wenn du es nicht bist! Und du? wie geht es dir?« - 
»Oh, ich bin immer wie im Himmel, wenn ich nur tanze und weiß, 
dass du zugegen bist! Aber ich glaube, ich würde sogleich tot umfallen, 
wenn du weggingest und mich daließest!« Sie waren hinabgegangen und 
standen vor dem Hause; Vrenchen umschloss ihn mit beiden Armen, schmiegte 
seinen schlanken zitternden Leib an ihn, drückte seine glühende Wange, 
die von heißen Tränen feucht war, an sein Gesicht und sagte schluchzend: 
»Wir können nicht zusammen sein, und doch kann ich nicht von dir lassen, 
nicht einen Augenblick mehr, nicht eine Minute!« Sali umarmte und drückte 
das Mädchen heftig an sich und bedeckte es mit Küssen. Seine verwirrten 
Gedanken rangen nach einem Ausweg, aber er sah keinen. Wenn auch das Elend und die 
Hoffnungslosigkeit seiner Herkunft zu überwinden gewesen wären, so war 
seine Jugend und unerfahrene Leidenschaft nicht beschaffen, sich eine lange Zeit 
der Prüfung und 
Entsagung vorzunehmen und zu überstehen, und dann wäre 
erst noch Vrenchens Vater dagewesen, welchen er zeitlebens elend gemacht. Das Gefühl, 
in der bürgerlichen Welt nur in einer ganz ehrlichen und gewissenfreien Ehe 
glücklich sein zu können, war in ihm ebenso lebendig wie in Vrenchen, 
und in beiden verlassenen Wesen war es die letzte Flamme der Ehre, die in früheren 
Zeiten in ihren Häusern geglüht hatte und welche die sich sicher fühlenden 
Väter durch einen unscheinbaren Missgriff ausgeblasen und zerstört 
hatten, als sie, eben diese Ehre zu äufnen wähnend durch Vermehrung ihres 
Eigentums, so gedankenlos sich das Gut eines Verschollenen aneigneten, ganz gefahrlos, 
wie sie meinten. Das geschieht nun freilich alle Tage; aber zuweilen stellt das 
Schicksal ein Exempel auf und lässt zwei solche Äufner ihrer Hausehre 
und ihres Gutes zusammentreffen, die sich dann unfehlbar aufreiben und auffressen wie 
zwei wilde Tiere. Denn die Mehrer des Reiches verrechnen sich nicht nur auf den Thronen, 
sondern zuweilen auch in den niedersten Hütten und langen ganz am entgegengesetzten 
Ende an, als wohin sie zu kommen trachteten, und der Schild der Ehre ist im Umsehen eine 
Tafel der Schande. Sali und Vrenchen hatten aber noch die Ehre ihres Hauses gesehen in 
zarten Kinderjahren und erinnerten sich, wie wohlgepflegte Kinderchen sie gewesen und 
dass ihre Väter ausgesehen wie andere Männer, geachtet und sicher. Dann 
waren sie auf lange getrennt worden, und als sie sich wiederfanden, sahen sie in sich 
zugleich das verschwundene Glück des Hauses, und beider Neigung klammerte sich 
nur um so heftiger ineinander. Sie mochten so gern fröhlich und glücklich 
sein, aber nur auf einem guten Grund und Boden, und dieser schien ihnen unerreichbar, 
während ihr wallendes Blut am liebsten gleich zusammengeströmt wäre. 
»Nun ist es Nacht«, rief Vrenchen, »und wir sollen uns trennen!« - 
»Ich soll nach Hause gehen und dich allein lassen?«, rief Sali, »nein, 
das kann ich nicht!« - »Dann wird es Tag werden und nicht besser um uns 
stehen!«
 
            
             
            
»Ich will euch einen guten Rat geben, ihr närrischen Dinger!«, tönte 
eine schrille Stimme hinter ihnen, und der Geiger trat vor sie hin. »Da steht ihr«, 
sagte er, »wisst nicht wo hinaus und hättet euch gern. Ich rate euch, 
nehmt euch, wie ihr seid, und säumet nicht. Kommt mit mir und meinen guten Freunden 
in die Berge, da brauchet ihr keinen Pfarrer, kein Geld, keine Schriften, keine Ehre, 
kein Bett, nichts als euern guten Willen! Es ist gar nicht so übel bei uns, gesunde 
Luft und genug zu essen, wenn man tätig ist; die grünen Wälder sind unser 
Haus, wo wir uns liebhaben, wie es uns gefällt, und im Winter machen wir uns die 
wärmsten Schlupfwinkel oder kriechen den Bauern ins warme Heu. Also kurz entschlossen, 
haltet gleich hier Hochzeit und kommt mit uns, dann seid ihr aller Sorgen los und habt 
euch für immer und ewiglich, solange es euch gefällt wenigstens; denn alt werdet 
ihr bei unserm freien Leben, das könnt ihr glauben! Denkt nicht etwa, dass ich 
euch nachtragen will, was eure Alten an mir getan! Nein! es macht mir zwar Vergnügen, 
euch da angekommen zu sehen, wo ihr seid; allein damit bin ich zufrieden und werde euch 
behilflich und dienstfertig sein, wenn ihr mir folgt.« Er sagte das wirklich in einem 
aufrichtigen und gemütlichen Tone. »Nun, besinnt euch ein bisschen, aber 
folget mir, wenn ich euch gut zum Rat bin! Lasst fahren die Welt und nehmet euch und 
fraget niemandem was nach! Denkt an das lustige Hochzeitbett im tiefen Wald oder auf 
einem Heustock, wenn es euch zu kalt ist!« Damit ging er ins Haus. Vrenchen zitterte 
in Salis Armen und dieser sagte: »Was meinst du dazu? Mich dünkt, es wäre 
nicht übel, die ganze Welt in den Wind zu schlagen und uns dafür zu lieben ohne 
Hindernis und Schranken!« Er sagte es aber mehr als einen verzweifelten Scherz denn 
im Ernst. Vrenchen aber erwiderte ganz treuherzig und küsste ihn: »Nein, 
dahin möchte ich nicht gehen, denn da geht es auch nicht nach meinem Sinne zu. Der 
junge Mensch mit dem Waldhorn und das Mädchen in dem seidenen Rock gehören 
auch so zueinander und sollen sehr verliebt gewesen sein. Nun sei letzte Woche die Person 
ihm zum ersten Mal untreu geworden, was ihm nicht in den Kopf wolle, und deshalb sei er so 
traurig und schmolle mit ihr und mit den andern, die ihn auslachen. Sie aber tut eine 
mutwillige Buße, indem sie allein tanzt und mit niemandem spricht, und lacht ihn 
auch nur aus damit. Dem armen Musikanten sieht man es jedoch an, dass er sich noch 
heute mit ihr versöhnen wird. Wo es aber so hergeht, möchte ich nicht sein, 
denn nie möcht ich dir untreu werden, wenn ich auch sonst noch alles ertragen würde, 
um dich zu besitzen!« Indessen aber fieberte das arme Vrenchen immer heftiger an Salis 
Brust; denn schon seit dem Mittag, wo jene Wirtin es für eine Braut gehalten und es 
eine solche ohne Widerrede vorgestellt, tobte ihm das Brautwesen im Blute, und je 
hoffnungsloser es war, um so wilder und unbezwinglicher. Dem Sali erging es ebenso 
schlimm, da die Reden des Geigers, so wenig er ihnen folgen mochte, dennoch seinen 
Kopf verwirrten, und er sagte mit ratlos stockender Stimme: »Komm herein, wir 
müssen wenigstens noch was essen und trinken.« Sie gingen in die Gaststube, 
wo niemand mehr war als die kleine Gesellschaft der Heimatlosen, welche bereits um 
einen Tisch saß und eine spärliche Mahlzeit hielt. »Da kommt unser 
Hochzeitpaar!«, rief der Geiger, »jetzt seid lustig und fröhlich und 
lasst euch zusammengeben!« Sie wurden an den Tisch genötigt und 
flüchteten sich vor sich selbst an denselben hin; sie waren froh, nur für 
den Augenblick unter Leuten zu sein. Sali bestellte Wein und reichlichere Speisen, 
und es begann eine große Fröhlichkeit. Der Schmollende hatte sich mit der 
Untreuen versöhnt, und das Paar liebkoste sich in begieriger Seligkeit; das andere 
wilde Paar sang und trank und ließ es ebenfalls nicht an Liebesbezeugungen fehlen, 
und der Geiger nebst dem buckligen Bassgeiger lärmten ins Blaue hinein. Sali 
und Vrenchen waren still und hielten sich umschlungen; auf einmal gebot der Geiger 
Stille und führte eine spaßhafte Zeremonie auf, welche eine Trauung vorstellen 
sollte. Sie mussten sich die Hände geben, und die Gesellschaft stand auf und 
trat der Reihe nach zu ihnen, um sie zu beglückwünschen und in ihrer 
Verbrüderung willkommen zu heißen. Sie ließen es geschehen, ohne ein 
Wort zu sagen, und betrachteten es als einen Spaß, während es sie doch kalt 
und heiß durchschauerte. 	
 
            
             
            
Die kleine Versammlung wurde jetzt immer lauter und aufgeregter, angefeuert durch 
den stärkern Wein, bis plötzlich der Geiger zum Aufbruch mahnte. 
»Wir haben weit«, rief er, »und Mitternacht ist vorüber! Auf! 
Wir wollen dem Brautpaar das Geleit geben, und ich will vorausgeigen, dass es 
eine Art hat!« Da die ratlosen Verlassenen nichts Besseres wussten und 
überhaupt ganz verwirrt waren, ließen sie abermals geschehen, dass 
man sie voranstellte und die übrigen zwei Paare einen Zug hinter ihnen 
formierten, welchen der Bucklige abschloss mit seiner Bassgeige über 
der Schulter. Der Schwarze zog voraus und spielte auf seiner Geige wie besessen den 
Berg hinunter, und die andern lachten, sangen und sprangen hintendrein. So strich 
der tolle nächtliche Zug durch die stillen Felder und durch das Heimatdorf 
Salis und Vrenchens, dessen Bewohner längst schliefen.
 
            
             
            
Als sie durch die stillen Gassen kamen und an ihren verlorenen Vaterhäusern 
vorüber, ergriff sie eine schmerzhaft wilde Laune und sie tanzten mit den andern 
um die Wette hinter dem Geiger her, küssten sich, lachten und weinten. Sie 
tanzten auch den Hügel hinauf, über welchen der Geiger sie führte, 
wo die drei Äcker lagen, und oben strich der schwärzliche Kerl die Geige 
noch einmal so wild, sprang und hüpfte wie ein Gespenst, und seine Gefährten 
blieben nicht zurück in der Ausgelassenheit, sodass es ein wahrer Blocksberg 
war in der stillen Höhe; selbst der Bucklige sprang keuchend mit seiner Last herum, 
und keines schien mehr das andere zu sehen. Sali fasste Vrenchen fester in den Arm 
und zwang es stillzustehen; denn er war zuerst zu sich gekommen. Er küsste es, 
damit es schweige, heftig auf den Mund, da es sich ganz vergessen hatte und laut sang. 
Es verstand ihn endlich, und sie standen still und lauschend, bis ihr tobendes 
Hochzeitgeleite das Feld entlanggerast war und, ohne sie zu vermissen, am Ufer des 
Stromes hinauf sich verzog. Die Geige, das Gelächter der Mädchen und die 
Jauchzer der Bursche tönten aber noch eine gute Zeit durch die Nacht, bis 
zuletzt alles verklang und still wurde.
 
            
             
            
»Diesen sind wir entflohen«, sagte Sali, »aber wie entfliehen wir 
uns selbst? Wie meiden wir uns?«
 
            
             
            
Vrenchen war nicht imstande zu antworten und lag hoch aufatmend an seinem Halse. 
»Soll ich dich nicht lieber ins Dorf zurückbringen und Leute wecken, 
dass sie dich aufnehmen? Morgen kannst du ja dann deines Weges ziehen, und 
gewiss wird es dir wohlgehen, du kommst überall fort!«
 
            
             
            
»Fortkommen, ohne dich!«
 
            
             
            
»Du musst mich vergessen!«
 
            
             
            
»Das werde ich nie! Könntest denn du es tun?«
 
            
             
            
»Darauf kommt's nicht an, mein Herz!«, sagte Sali und streichelte ihm die 
heißen Wangen, je nachdem es sie leidenschaftlich an seiner Brust herumwarf, 
»es handelt sich jetzt nur um dich; du bist noch so ganz jung und es kann dir 
noch auf allen Wegen gut gehen!«
 
            
             
            
»Und dir nicht auch, du alter Mann?«
 
            
             
            
»Komm!«, sagte Sali und zog es fort. Aber sie gingen nur einige Schritte 
und standen wieder still, um sich bequemer zu umschlingen und zu herzen. Die Stille 
der Welt sang und musizierte ihnen durch die Seelen, man hörte nur den Fluss 
unten sacht und lieblich rauschen im langsamen Ziehen.
 
            
             
            
»Wie schön ist es da ringsherum! Hörst du nicht etwas tönen, 
wie ein schöner Gesang oder ein Geläute?«
 
            
             
            
»Es ist das Wasser, das rauscht! Sonst ist alles still.«
 
            
             
            
»Nein, es ist noch etwas anderes, hier, dort hinaus, überall tönt's!«
 
            
             
            
»Ich glaube, wir hören unser eigenes Blut in unsern Ohren rauschen!«
 
 
        
             
            
Sie horchten ein Weilchen auf diese eingebildeten oder wirklichen Töne, welche 
von der großen Stille herrührten oder welche sie mit den magischen Wirkungen 
des Mondlichtes verwechselten, welches nah und fern über die weißen Herbstnebel 
wallte, welche tief auf den Gründen lagen. Plötzlich fiel Vrenchen etwas ein; 
es suchte in seinem Brustgewand und sagte: »Ich habe dir noch ein Andenken gekauft, 
das ich dir geben wollte!« Und es gab ihm den einfachen Ring und steckte ihm 
denselben selbst an den Finger. Sali nahm sein Ringlein auch hervor und steckte ihn 
an Vrenchens Hand, indem er sagte: »So haben wir die gleichen Gedanken gehabt!« 
Vrenchen hielt seine Hand in das bleiche Silberlicht und betrachtete den Ring. 
»Ei, wie ein feiner Ring!«, sagte es lachend; »nun sind wir aber 
doch verlobt und versprochen, du bist mein Mann und ich deine Frau, wir wollen 
es einmal einen Augenblick lang denken, nur bis jener Nebelstreif am Mond vorüber 
ist oder bis wir zwölf gezählt haben! Küsse mich zwölf Mal!«
 
 
        
             
            
Sali liebte gewiss ebenso stark als Vrenchen, aber die Heiratsfrage war in 
ihm doch nicht so leidenschaftlich lebendig als ein bestimmtes Entweder-Oder, als 
ein unmittelbares Sein oder Nichtsein, wie in Vrenchen, welches nur das eine zu fühlen 
fähig war und mit leidenschaftlicher Entschiedenheit unmittelbar Tod oder Leben 
darin sah. Aber jetzt ging ihm endlich ein Licht auf, und das weibliche Gefühl 
des jungen Mädchens ward in ihm auf der Stelle zu einem wilden und heißen 
Verlangen, und eine glühende Klarheit erhellte ihm die Sinne. So heftig er 
Vrenchen schon umarmt und liebkost hatte, tat er es jetzt doch ganz anders und 
stürmischer und übersäete es mit Küssen. Vrenchen fühlte 
trotz aller eigenen Leidenschaft auf der Stelle diesen Wechsel, und ein heftiges 
Zittern durchfuhr sein ganzes Wesen, aber ehe jener Nebelstreif am Monde vorüber 
war, war es auch davon ergriffen. Im heftigen Schmeicheln und Ringen begegneten sich 
ihre ringgeschmückten Hände und fassten sich fest, wie von selbst eine 
Trauung vollziehend, ohne den Befehl eines Willens. Salis Herz klopfte bald wie mit 
Hämmern, bald stand es still, er atmete schwer und sagte leise: »Es gibt 
eines für uns, Vrenchen, wir halten Hochzeit zu dieser Stunde und gehen dann 
aus der Welt - dort ist das tiefe Wasser - dort scheidet uns niemand mehr und wir 
sind zusammen gewesen - ob kurz oder lang, das kann uns dann gleich sein.«
 
 
        
             
            
Vrenchen sagte sogleich: »Sali - was du da sagst, habe ich schon lang bei mir 
gedacht und ausgemacht, nämlich dass wir sterben könnten und dann alles vorbei 
wäre - so schwör mir es, dass du es mit mir tun willst!«
 
 
        
             
            
»Es ist schon so gut wie getan, es nimmt dich niemand mehr aus meiner Hand als 
der Tod!«, rief Sali außer sich. Vrenchen aber atmete hoch auf, Tränen 
der Freude entströmten seinen Augen; es raffte sich auf und sprang leicht wie 
ein Vogel über das Feld gegen den Fluss hinunter. Sali eilte ihm nach; 
denn er glaubte, es wolle ihm entfliehen, und Vrenchen glaubte, er wolle es 
zurückhalten. So sprangen sie einander nach und Vrenchen lachte wie ein 
Kind, welches sich nicht will fangen lassen. »Bereust du es schon?«, 
rief eines zum andern, als sie am Flusse angekommen waren und sich ergriffen. 
»Nein! es freut mich immer mehr!«, erwiderte ein jedes. Aller Sorgen 
ledig gingen sie am Ufer hinunter und überholten die eilenden Wasser, so 
hastig suchten sie eine Stätte, um sich niederzulassen; denn ihre Leidenschaft 
sah jetzt nur den Rausch der Seligkeit, der in ihrer Vereinigung lag, und der ganze 
Wert und Inhalt des übrigen Lebens drängte sich in diesem zusammen; was 
danach kam, Tod und Untergang, war ihnen ein Hauch, ein Nichts, und sie dachten 
weniger daran als ein Leichtsinniger denkt, wie er den andern Tag leben will, wenn 
er seine letzte Habe verzehrt.
 
 
        
             
            
»Meine Blumen gehen mir voraus«, rief Vrenchen, »sieh, 
sie sind ganz dahin und verwelkt!« Es nahm sie von der Brust, warf 
sie ins Wasser und sang laut dazu: »Doch süßer als ein 
Mandelkern ist meine Lieb zu dir!«
 
 
        
             
            
»Halt!«, rief Sali, »hier ist dein Brautbett!«
 
 
        
             
            
Sie waren an einen Fahrweg gekommen, der vom Dorfe her an den Fluss führte, 
und hier war eine Landungsstelle, wo ein großes Schiff, hoch mit Heu beladen, 
angebunden lag. In wilder Laune begann er unverweilt die starken Seile loszubinden. 
Vrenchen fiel ihm lachend in den Arm und rief. »Was willst du tun? Wollen wir 
den Bauern ihr Heuschiff stehlen zu guter Letzt?« »Das soll die Aussteuer 
sein, die sie uns geben, eine schwimmende Bettstelle und ein Bett, wie noch keine 
Braut gehabt! Sie werden überdies ihr Eigentum unten wiederfinden, wo es ja 
doch hin soll, und werden nicht wissen, was damit geschehen ist. Sieh, schon 
schwankt es und will hinaus!«
 
       
             
            
Das Schiff lag einige Schritte vom Ufer entfernt im tiefern Wasser. Sali hob 
Vrenchen mit seinen Armen hoch empor und schritt durch das Wasser gegen das 
Schiff; aber es liebkoste ihn so heftig ungebärdig und zappelte wie ein 
Fisch, dass er im ziehenden Wasser keinen Stand halten konnte. Es strebte 
Gesicht und Hände ins Wasser zu tauchen und rief »Ich will auch 
das kühle Wasser versuchen! Weißt du noch, wie kalt und nass 
unsere Hände waren, als wir sie uns zum ersten Mal gaben? Fische fingen 
wir damals, jetzt werden wir selber Fische sein und zwei schöne große!« - 
»Sei ruhig, du lieber Teufel!«, sagte Sali, der Mühe hatte, 
zwischen dem tobenden Liebchen und den Wellen sich aufrecht zu halten, 
»es zieht mich sonst fort!« Er hob seine Last in das Schiff und 
schwang sich nach; er hob sie auf die hoch gebettete weiche und duftende 
Ladung und schwang sich auch hinauf, und als sie oben saßen, trieb 
das Schiff allmählich in die Mitte des Stromes hinaus und schwamm 
dann, sich langsam drehend, zu Tal.
 
        
             
            
Der Fluss zog bald durch hohe dunkle Wälder, die ihn überschatteten, 
bald durch offenes Land; bald an stillen Dörfern vorbei, bald an einzelnen 
Hütten; hier geriet er in eine Stille, dass er einem ruhigen See glich 
und das Schiff beinah stillhielt, dort strömte er um Felsen und ließ 
die schlafenden Ufer schnell hinter sich; und als die Morgenröte aufstieg, 
tauchte zugleich eine Stadt mit ihren Türmen aus dem silbergrauen Strome. 
Der untergehende Mond, rot wie Gold, legte eine glänzende Bahn den Strom 
hinauf, und auf dieser kam das Schiff langsam überquer gefahren. Als es 
sich der Stadt näherte, glitten im Froste des Herbstmorgens zwei bleiche 
Gestalten, die sich fest umwanden, von der dunklen Masse herunter in die kalten 
Fluten.
 
        
             
            
Das Schiff legte sich eine Weile nachher unbeschädigt an eine Brücke 
und blieb da stehen. Als man später unterhalb der Stadt die Leichen fand 
und ihre Herkunft ausgemittelt hatte, war in den Zeitungen zu lesen, zwei junge 
Leute, die Kinder zweier blutarmen zugrunde gegangenen Familien, welche in 
unversöhnlicher Feindschaft lebten, hätten im Wasser den Tod gesucht, 
nachdem sie einen ganzen Nachmittag herzlich miteinander getanzt und sich 
belustigt auf einer Kirchweih. Es sei dies Ereignis vermutlich in Verbindung 
zu bringen mit einem Heuschiff aus jener Gegend, welches ohne Schiffleute in 
der Stadt gelandet sei, und man nehme an, die jungen Leute haben das Schiff 
entwendet, um darauf ihre verzweifelte und gottverlassene Hochzeit zu halten, 
abermals ein Zeichen von der um sich greifenden Entsittlichung und Verwilderung 
der Leidenschaften.