[Fünfter Teil]
Der Heimgekehrte ward als Johannes Niemand erkannt, und er selbst bestätigte, dass er derselbe sei, der einst mit Friedrich
Mergel entflohen.
Durch diese Angabe bleibt bis zum Schluss - wenn auch durchschaubar - offen, dass der Zurückgekehrte Friedrich Mergel ist. Es kommt deshalb auch
nicht dazu, dass er den Mord an dem Juden gesteht. Nur mit seinem Selbstmord an derselben Stelle gibt er die Tat von damals zu.
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... und horchte gespannt auf, als man ihm erzählte, was der Gutsherr geflissentlich verbreitet hatte, um den Fleck von Mergels Namen
zu löschen ... Dennoch hatte sie nicht eigentlich Not gelitten; die Gutsherrschaft sorgte sehr für sie, schickte ihr täglich das Essen ...
Die Fürsorge, die die Gutsherrschaft der heruntergekommenen und auch sonst eigentlich nicht wichtigen Frau Mergel angedeihen lässt, wirft ein
sicher besseres Licht auf die alten Verhältnisse, als sie es verdient haben. Vielleicht wollte Annette von Droste-Hülshoff der zu ihrer Zeit schon
verbreiteten Kritik an der Adelsherrschaft hier ein positives Beispiel entgegenhalten.
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"... und wie wir eine Weile gesessen hatten, hörten wir mit einem Male über uns schnauben und stampfen und sahen lange
Feuerstrahlen in der Luft gerade über dem Heerser Kirchturm."
Der Bericht knüpft hier an das im vierten Teil erzählte Erlebnis des Amtsschreibers Kapp an, der sich im Wald oberhalb des Heerser Kirchturmes
seine Pfeife angezündet und die Pferde zurückgehalten hat (siehe
VIERTER TEIL). Für
erstaunlich darf man es allerdings halten, dass sich der Gutsherr noch nach 28 Jahren an diese nebensächliche Mitteilung sofort erinnert.
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"Die Leute sagten mir, der Wald sei gefällt, und jetzt seien so viele Kreuz- und Querwege darin, da fürchtete ich, nicht wieder
hinauszukommen.
Die Erklärung ergibt keinen rechten Sinn, insofern man sich in einem Wald, den es nicht mehr gibt, eigentlich nicht verirren kann. Es soll
hier also wohl kenntlich gemacht werden, dass der Heimgekehrte aus einem ganz anderen Grund den Weg durch das vormalige Brederholz scheut.
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Auch Johannes schien unter dem Einflusse des nahen Äquinoktiums zu leiden; die ihn in diesen Tagen sahen, sagen, er habe auffallend
verstört ausgesehen ...
Es schien, er hatte sich immer um das Brederholz herumgetrieben.
Die Tag- und Nachtgleiche als die Zeit, in der nach abergläubischen Vorstellungen alle möglichen Geister aufstehen und ihr
Unwesen treiben (siehe z.B. die Hexenszene mit Veronika in E.T.A. Hoffmanns '
GOLDENEM TOPF'),
lässt an einen geheimnisvollen Zwang durch die Inschrift an der Buche - oder den umgehenden Geist Aarons - denken, d.h. sie ist ein romantisches
Element.
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Totenbleich kam er auf dem Schlosse an: in der Judenbuche hänge ein Mensch; er habe die Beine gerade über seinem
Gesichte hängen sehen ...
Die Frage, wie sich der verkrüppelte Friedrich Mergel in der Buche erhängen konnte, ist als 'Ungereimtheit' beanstandet worden, fällt aber
sicherlich weniger störend auf als einige der Irreführungen durch die Erzählerin.
Zur wirklichen Absurdität gerät dieser Ausgang jedoch in der Verfilmung. Die Judenbuche ist hier ein entlaubter hoher Baum, an dem
in einer Höhe von fünf Metern oder mehr dann Friedrich Mergel hängt - und das, nachdem man ihn soundso oft sich an
Krücken durch die Szene schleppen sah. Das Erstaunen darüber, wie er auf diesen Baum kommen konnte, löscht hier
jeden Gedanken an Sühne aus, sein Tod ist nichts als ein makabrer Witz.
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"Mein Gott!", sagte er; er beugte sich wieder über die Leiche, betrachtete die Narbe mit großer Aufmerksamkeit
und schwieg eine Weile in tiefer Erschütterung.
Die Narbe wird hier nicht nur das erste Mal genannt - schon dies eigentlich eine erzählerische Nachlässigkeit -, sie ist auch als Indiz
höchst sonderbar. Dass ein Gutsherr seine Dorfbewohner selbst noch an ihren Narben unterscheiden kann, liegt außerhalb
jeder Wahrscheinlichkeit, es sei denn, er wäre Zeuge der Verletzung gewesen, von der die Narbe stammt. Dann allerdings hätte es
nahe gelegen, schon beim Eintreffen des 'Doppelgängers' auf die Narbe zu achten und sich so Gewissheit zu verschaffen.