Die Ardenne-Geschichte Zur Übersicht Zur Synopse Zur Einzelebene Druckfassung
Erstes Kapitel
Als Fontanes "Effi Briest" im Oktober 1894 in der "Deutschen Rundschau" zu erscheinen begann, hat kaum jemand wahrgenommen, dass der Roman ein tatsächliches Ereignis zum Ursprung hatte: den Ehebruchs- und Duellfall im Hause Ardenne. Das ist auch nicht verwunderlich. Duelle mit tödlichem Ausgang kamen damals immer wieder vor, und das Ardenne-Duell lag zu diesem Zeitpunkt bereits acht Jahre zurück und hatte keineswegs besonderes Aufsehen erregt. Auch Fontane, obwohl zum Zeitpunkt des Geschehens in Berlin und eifriger Zeitungsleser, hatte es nicht registriert, erst zwei Jahre später erfuhr er zufällig in einem Gespräch davon. (Weiteres siehe unter ENTSTEHUNG) Nur Eingeweihte wussten also von diesem Zusammenhang, und dabei sollte es noch lange bleiben. Zwar wurden 1909/10 die beiden Briefe Fontanes veröffentlicht, die die Herkunft des Effi-Briest-Stoffes anzeigten (siehe ENTSTEHUNG) , aber der Name Ardenne erschien darin nur als "A." und wurde nicht kommentiert. Ebenso unterblieb die Namensnennung wenig später in einer größeren Untersuchung zur Entstehungsgeschichte des Romans. Die Verfasserin wusste zwar, um wen es sich bei 'A.' handelte, und kannte Einzelheiten, ließ es aber bei Andeutungen bewenden. Ardenne und die von ihm geschiedene Frau lebten noch, es hätte sogar rechtlich bedenklich sein können, sie öffentlich mit dem Romangeschehen in Verbindung zu bringen.
Benutzte Literatur: Herrmann, Helene
So vergingen noch mehr als 50 Jahre, bevor der heute überall zitierte Stoffhintergrund erstmals öffentlich dargelegt wurde. Ein Enkel des Ardenne'schen Paares, der Physiker und Raketenbauer Manfred von Ardenne (1907-1997), gewährte einem Literaturhistoriker Zugang zu seinem Familienarchiv, und so sah sich jedenfalls die Fachwelt von da an unterrichtet. Mehr allerdings auch nicht, da die Veröffentlichung so unauffällig wie möglich erfolgte. Gedruckt in einer 'Studien'-Sammlung der (Ost-)Berliner Akademie der Wissenschaften und getarnt als Vergleich mit Spielhagens Roman "Zum Zeitvertreib" (siehe unter WIRKUNG), dem derselbe Stoff zugrunde liegt, sollte die Publikation ersichtlich jedes Aufsehen vermeiden. Autor und Herausgeber befürchteten offenbar Einwände gegen diese unproletarische Materie, und so beschränkte sich der Aufsatz auch weitgehend auf den Nachweis von Parallelen zwischen der Lebensgeschichte Elisabeth von Ardennes und den Romanen Spielhagens und Fontanes.
Benutzte Literatur: Seiffert, Hans Werner
Wegen der Verstecktheit dieser Publikation dauerte es nochmals zwanzig Jahre, bis der Stoff wirklich in der Öffentlichkeit ankam. Zwar wurde auf den Ardenne-Fall in der wissenschaftliche Fontane-Literatur in Ost wie West mehr und mehr hingewiesen, doch erst die 1984 in Berlin (West) erscheinende Elisabeth-von-Ardenne-Biographie von Horst Budjuhn - "Fontane nannte sie 'Effi Briest'" - machte ihn im Ganzen den Lesern bekannt. Auch Budjuhn hatte Zugang zu dem Ardenne'schen Familienarchiv erhalten - seiner eigenen Überzeugung nach als Erster -, und er konnte zumal auch eine Reihe von Bildern in seinem Buch wiedergeben. Allerdings ging er mit seinem Material reichlich sorglos um. Früher schon als Drehbuch-Autor für einen "Effi-Briest"-Film tätig geworden (Näheres siehe unter WIRKUNG), sah er im 'Bearbeiten' seines Stoffes offenbar kein Problem und mischte nach Gutdünken frei Erfundenes mit unter. Seitenlang werden hier Gespräche zwischen den Beteiligten wiedergegeben, für die es an jedem Beleg fehlt, ja selbst eine Reichstagsdebatte stattet er mit erfundenen Redebeiträgen aus. Davon abgesehen strotzt das Buch von Detailfehlern wie falschen Daten, falschen Altersangaben, widersprüchlichen Verweisungen usw.
Benutzte Literatur: Budjuhn, Horst
Zehn Jahre später wurde das Ardenne-Material dann aber zum Glück noch einmal seriös ausgewertet, und so liegt mit Manfred Frankes "Leben und Roman der Elisabeth von Ardenne" seither auch eine verlässliche Darstellung vor. Dass man sich heute wie selbstverständlich auf diesen Ursprung der "Effi-Briest"-Geschichte berufen kann, ist im wesentlichen Manfred Franke zu danken, und zwar auch zumal deshalb, als er sich nicht nur sachlich korrekt, sondern auch kritisch mit den persönlichen Bekenntnissen der Beteiligten auseinandersetzt. Das bedeutet nicht, dass man allen seinen Annahmen oder Vermutungen folgen muss. Doch werden Quellenbefund und Interpretation hier stets so deutlich unterschieden, dass man sich auch ein eigenes Urteil bilden kann. Die nachfolgende Darstellung, dem Romangeschehen kapitelweise gegenübergestellt, ist hauptsächlich dieser Arbeit verpflichtet, und soweit keine anderen Quellen benannt sind, ist immer auf sie Bezug genommen.
Benutzte Literatur: Franke, Manfred
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Elisabeth von Plotho wurde am 26. Oktober 1853 in Zerben bei Parey geboren, 30 km nordöstlich von Magdeburg an der Elbe. Die von Plothos waren märkischer Uradel, seit 1643 Reichsfreiherren und wegen ihrer langen Ahnenreihe eine sehr standesbewusste Familie. In der Adels-Hierarchie stehen sie mithin höher als die Briests in Fontanes Roman, waren aber wie diese Gutsbesitzer und lebten von der Landwirtschaft.
Das Stammhaus der Familie von Plotho in Zerben an der Elbe (30 km nordöstlich von Magdeburg).
Ein Rest des 1945 abgerissenen Schlosses
Gänzlich anders allerdings waren die Familienverhältnisse. Die Eltern des Effi-Vorbildes Elisabeth - oder Else, wie sie genannt wurde - waren gleichaltrig und schon verheiratet, bevor Armand von Ardenne auch nur geboren war, so dass ein früheres Neigungsverhältnis zwischen ihm und seiner Schwiegermutter überhaupt nicht infrage kommt. Und Elisabeth war auch kein Einzelkind, sondern jüngstes von fünf Geschwistern, vier Schwestern und einem Bruder.
Felix Otto Waldemar Edler Herr und Freiherr von Plotho (1822-1864)
Maria von Plotho, geborene von Welling (1822-1897)
Als der junge Ardenne in den Gesichtskreis der Familie trat, war Elisabeths Mutter bereits Witwe und hielt für ihre vier Töchter natürlich nach Heiratskandidaten Ausschau. Ihr Sohn wurde deshalb ermutigt, aus seiner Militärzeit bei den Ziethen-Husaren in Rathenow immer wieder Kameraden mit nach Zerben zu bringen, und unter ihnen war auch der am 26. August 1848 in Leipzig geborenen Armand von Ardenne. Fünf Jahre älter als die damals erst 14-jährige Elisabeth, schien er auf längere Sicht für eine Verbindung infrage zu kommen, und so lud ihn die Mutter zu weiteren Besuchen ein.
Keine Rolle spielte anscheinend Ardennes geringere Herkunft. Seine Familie stammte aus Lothringen, gehörte nur dem niederen Adel an und war für die von Plothos eigentlich 'unter Stand'. Zwar hatte Armands Vater als belgischer Generalkonsul im Königreich Sachsen das Baronat erhalten, musste aber noch bis 1871 darauf warten, dass der belgische König es auch seinen Nachkommen zugestand. Als Armand von Ardenne im Hause der Plothos auftauchte, war er also nichts als ein einfacher Fähnrich, d.h. Offiziers-Anwärter, der mit seinem Interesse an der jungen Elisabeth sogar in Verdacht kommen konnte, nur seiner eigenen Karriere nützen zu wollen. Aufstiege in Militär wie Politik hingen damals nicht unwesentlich auch von den Familien der Ehefrauen ab, selbst Bismarck klagte mitunter darüber, das der Einfluss der Minister-Gattinnen auf Personalentscheidungen zu groß sei. Frau von Plotho jedoch gefiel der junge Mann, sein bescheidenes, mitunter sogar gehemmtes Auftreten versprach Solidität, und bei der Lage ihrer Familie, dem Haus ohne Vater und den wenig günstigen wirtschaftlichen Aussichten, erschien es ihr ratsam, die Töchter möglichst früh und möglichst sicher zu verheiraten.
Nicht so allerdings dachte Elisabeth selbst. Auf dem Gutshof an ein freies und unkompliziertes Leben gewöhnt, wollte sie von einer frühen Heirat nichts wissen, und der ihr ausgesuchte Bewerber gefiel ihr schon gar nicht. Noch als Fünfzehnjährige schleppte sie einen ganzen Tross von Bauernjungen als Spielgefährten hinter sich her und war nichts als ärgerlich, wenn es hieß, sie möge in den Salon kommen, 'der junge Ardenne spiele Klavier'. Bei einer solchen Gelegenheit war es dann wohl auch, dass die Spielkameraden am Fenster auftauchten und hineinriefen "Else, komm!", was Fontane später mit dem Verlobungs-Moment verband oder was ihm für diesen so berichtet worden war. (Weiteres siehe unter WIRKUNG)
Else von Plotho als junges Mädchen
An eine Verlobung jedoch war noch lange nicht zu denken. Die in lockeren Abständen sich wiederholenden Besuche Ardennes konnten auch bei der 16-jährigen Elisabeth einen Sinneswandel nicht bewirken, so offensichtlich es immer war, dass jedenfalls der Mutter der junge Fähnrich gefiel. Vielmehr sah sich diese sogar gezwungen, Ardenne um eine Einstellung seiner Besuche zu bitten: Elisabeth werde schon überall als verlobt ausgerufen und könne einen Nachteil davon haben, wenn sie es immer länger immer weniger wäre. Ardenne gab aber auch da noch nicht auf. Da Elisabeth in seiner Gegenwart geäußert hatte, allzu hartnäckige, allzu unbelehrbare Bewerber brauchten sich nicht zu wundern, wenn sie am Ende einen kränkenden Korb erhielten, ließ er über einen Freund bei ihr anfragen, ob sie damit ihn gemeint habe, und bekam die entsprechende Antwort. Damit schien seine Bemühung um sie unwiderruflich gescheitert - von der Willfährigkeit einer Effi Briest in dieser Frage ist Elisabeth von Plotho weit entfernt.