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Am 15. September.
Für den geschilderten Eigentums-Konflikt deutet sich folgender Hintergrund an: Da sich Pfarrer und Dorfschulze den Erlös aus dem Verkauf der Stämme zu teilen gedachten, muss es sich bei dem Pfarrgrundstück um Gemeindeeigentum handeln. Doch auch der Gemeinde bzw. dem Schulzen (= Gemeindevorsteher, Bürgermeister) wird das Eigentum an den Stämmen streitig gemacht, insofern die 'Kammer', d.h. eine landesfürstliche Finanzbehörde, noch alte Rechte an dem Teil des Pfarrhofs hat, wo die Bäume gestanden haben. So kann sie die Stämme beschlagnahmen und zu ihren Gunsten versteigern lassen. Bemerkenswert: Den Hinweis auf die 'alten Rechte' hat Goethe in der zweiten Fassung eigens eingefügt, weil ihm die bloße Mitteilung, dass die Kammer die Stämme beschlagnahmte, zum Verständnis offenbar nicht ausreichte.
Bezieht man die Mitteilung, dass dies ein Ereignis in oder bei Frankfurt war (siehe unter GOETHE ETC.), auf den geschilderten Rechtskonflikt, so scheidet die St.-Peters-Pfarrei der Freien Reichsstadt Frankfurt freilich aus. Hier gab es weder einen Dorfschulzen, mit dem der Pfarrer hätte teilen können, noch einen Landesfürsten, Pfarrhaus und Kirche gehörten der Stadt. Man würde dann am ehesten an die Landgrafschaft Hessen denken, wo Goethe wegen seiner Fußmärsche nach Darmstadt auch sicherlich einige Pfarrhöfe kannte. Eine verwendbare Spur hat sich hier aber bislang nicht gefunden.
Immerhin ist die Übertragung des Falles auf die Frankfurter Verhältnisse nicht unmöglich. Wenn der Bildhauer sich an der Erneuerung der Kirche nur gegen die Überlassung der Stämme beteiligen wollte und der Pfarrer einwilligte, so könnte der Magistrat sich eingemischt und die Stämme zur Versteigerung gebracht haben, weil ihm dieses Geschäft zu ungünstig erschien. Der Wert von Nussbaumholz war hoch. Als langsam wachsendes Holz war (und ist) es wegen seiner schönen Maserung und Polierfähigkeit für Möbel, Gewehrschäfte oder auch nur Tabakspfeifen hoch begehrt.
Dass Werther auf die Bestrafung der Pfarrersfrau durch die Dorfbewohner in Form geringerer Abgaben hofft, erklärt sich so, dass die Gemeinden ihre Pfarrer durch Naturalien zu 'besolden' hatten, dabei aber unterschiedlich großzügig sein konnten.
ende