Für den geschilderten Eigentums-Konflikt deutet sich
folgender Hintergrund an: Da sich Pfarrer und Dorfschulze den
Erlös aus dem Verkauf der Stämme zu teilen gedachten,
muss es sich bei dem Pfarrgrundstück um Gemeindeeigentum
handeln. Doch auch der Gemeinde bzw. dem Schulzen (= Gemeindevorsteher, Bürgermeister)
wird das Eigentum an den Stämmen streitig gemacht, insofern die 'Kammer', d.h. eine
landesfürstliche Finanzbehörde, noch alte Rechte an dem Teil
des Pfarrhofs hat, wo die Bäume gestanden haben. So kann
sie die Stämme beschlagnahmen und zu ihren Gunsten versteigern
lassen. Bemerkenswert: Den Hinweis auf die 'alten Rechte' hat Goethe in der zweiten
Fassung eigens eingefügt, weil ihm die bloße Mitteilung, dass
die Kammer die Stämme beschlagnahmte, zum Verständnis offenbar
nicht ausreichte.
Bezieht man die Mitteilung, dass dies ein Ereignis in oder bei
Frankfurt war (
siehe unter
GOETHE ETC.), auf den geschilderten
Rechtskonflikt, so scheidet die St.-Peters-Pfarrei der Freien Reichsstadt
Frankfurt freilich aus. Hier gab es weder einen Dorfschulzen, mit dem der
Pfarrer hätte teilen können, noch einen Landesfürsten, Pfarrhaus und Kirche
gehörten der Stadt. Man würde dann am ehesten an die Landgrafschaft Hessen denken,
wo Goethe wegen seiner Fußmärsche nach Darmstadt auch sicherlich einige Pfarrhöfe
kannte. Eine verwendbare Spur hat sich hier aber bislang nicht gefunden.
Immerhin ist die Übertragung des Falles auf die Frankfurter Verhältnisse nicht
unmöglich. Wenn der Bildhauer sich an der Erneuerung der Kirche nur gegen die
Überlassung der Stämme beteiligen wollte und der Pfarrer einwilligte, so
könnte der Magistrat sich eingemischt und die Stämme zur Versteigerung
gebracht haben, weil ihm dieses Geschäft zu ungünstig erschien. Der Wert von
Nussbaumholz war hoch. Als langsam wachsendes Holz war (und ist) es wegen seiner
schönen Maserung und Polierfähigkeit für Möbel, Gewehrschäfte
oder auch nur Tabakspfeifen hoch begehrt.
Dass Werther auf die Bestrafung der Pfarrersfrau durch die Dorfbewohner
in Form geringerer Abgaben hofft, erklärt
sich so, dass die Gemeinden ihre Pfarrer durch Naturalien zu
'besolden' hatten, dabei aber unterschiedlich großzügig sein
konnten.