Elftes Kapitel
... denn die Geschichte war ihr bekannt. Diese Begebenheit hatte sich mit dem Hauptmann und einer Nachbarin
wirklich zugetragen ...
An dieser Stelle wird mit dem Begriff der "Nachbarin" anscheinend eindeutig dem Hauptmann die Rolle des Retters und glücklichen Bräutigams zugewiesen,
denn der andere Bräutigam ist kein Nachbar des Mädchens gewesen. Das wirft allerdings die Frage auf, warum er dann unverheiratet geblieben ist. Oder hat
er geheiratet, wurde aber geschieden oder ist Witwer geworden? Eine so grundsätzliche Information sollte nicht unterblieben sein, wo doch von Eduard und
Charlotte die früheren Bindungsverhältnisse genau dargelegt werden. Da die Rettung des Mädchens für den Hauptmann mit einer
"
traurigen Erinnerung" verbunden ist, könnte das für ihn als Retter folglich nur
heißen, dass die Eltern sich der Heirat widersetzt haben. Wie jedoch ließe sich das mit dem Ausgang der 'Novelle' vereinbaren?
Die Geschichte geht viel plausibler auf, wenn man die Bezeichnung des Mädchens als "einer Nachbarin" nur als Namensersatz versteht und in dem Hauptmann
denjenigen sieht, der um sie geworben und sich mit ihr verlobt hat. Er hätte dann zu einer "traurigen Erinnerung" jeden Grund, weil die Fremdrettung
seiner Braut aus dem Wasser wirklich in seinem Leben "
auf die seltsamste Weise Epoche gemacht"
hätte. Seine umfassende Vorsorge gegen solche Unfälle beim Ausbau der Teiche, sein wie ein Akt der Selbstüberwindung geschilderter Heldensprung
zur Rettung des ertrinkenden Knaben ("
des Hauptmanns Entschluss war gefasst"), dazu die
Erwartungen Charlottes für ihn nach dieser Bewährung - alles das würde zu dem geübten Schwimmer und Lebensretter der 'Novelle' nicht passen.
Auch die ganze Sorge Charlottes um die Verheiratung des Hauptmanns wird erst verständlich, wenn man sie mit dem abrupten Verlust der Verlobten durch einen
anderen Mann in Verbindung bringt.

Ein wichtiges Indiz darüber hinaus ist noch, dass der neue Bewerber ein "
Mann von Stand" ist, also adlig. Das ergibt in seiner Betontheit nur einen Sinn, wenn es die "Nachbarin" und deren Jugendgefährte nicht sind. Der Hauptmann, unzweifelhaft von Adel, scheidet mithin als Jugendgefährte aus. Dass ihm als Bewerber auch noch "Vermögen und Bedeutung" nachgesagt werden, passt weniger gut, wäre in Absetzung von den bürgerlichen Verhältnissen des Mädchens jedoch nicht unangebracht. Außerdem ist der Hauptmann erst in jüngerer Zeit in seine "traurige Lage" geraten (siehe
LEBENSWELT zum
ERSTEN KAPITEL), sollte früher also besser gestellt gewesen sein.
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»... und hatte meine Freude an der Gewandtheit der schönen Schifferin. Ich versicherte ihr, dass ich seit der Schweiz, wo auch die reizendsten
Mädchen die Stelle des Fährmanns vertreten, nicht so angenehm sei über die Wellen geschaukelt worden.«
Hier wird nach der Mitteilung von ihren Kahnfahrten im
SIEBZEHNTEN KAPITEL ein weiteres Mal
gesagt, wie gut Ottilie mit dem Ruderboot umgehen kann. Um so verwunderlicher ist es folglich, dass sie bei der Überfahrt mit dem Kind alles verkehrt macht.