Fünfzehntes Kapitel

Endlich leuchtete Eduarden der sehnlich erwartete Morgen, und nach und nach stellten
viele Gäste sich ein; denn man hatte die Einladungen weit umhergeschickt, und manche,
die das Legen des Grundsteins versäumt hatten, wovon man so viel Artiges erzählte,
wollten diese zweite Feierlichkeit um so weniger verfehlen.

Vor Tafel erschienen die Zimmerleute mit Musik im Schlosshofe, ihren reichen Kranz tragend,
der aus vielen stufenweise übereinander schwankenden Laub- und Blumenreifen zusammengesetzt
war. Sie sprachen ihren Gruß und erbaten sich zur gewöhnlichen Ausschmückung
seidene Tücher und Bänder von dem schönen Geschlecht. Indes die Herrschaft
speiste, setzten sie ihren jauchzenden Zug weiter fort, und nachdem sie sich eine Zeitlang
im Dorfe aufgehalten und daselbst Frauen und Mädchen gleichfalls um manches Band
gebracht, so kamen sie endlich, begleitet und erwartet von einer großen Menge,
auf die Höhe, wo das gerichtete Haus stand.

Charlotte hielt nach der Tafel die Gesellschaft einigermaßen zurück.
Sie wollte keinen feierlichen, förmlichen Zug, und man fand sich daher in
einzelnen Partien, ohne Rang und Ordnung, auf dem Platz gemächlich ein.
Charlotte zögerte mit Ottilien und machte dadurch die Sache nicht besser;
denn weil Ottilie wirklich die letzte war, die herantrat, so schien es, als wenn
Trompeten und Pauken nur auf sie gewartet hätten, als wenn die Feierlichkeit
bei ihrer Ankunft nun gleich beginnen müsste.

Dem Hause das rohe Ansehn zu nehmen, hatte man es mit grünem Reisig und Blumen,
nach Angabe des Hauptmanns, architektonisch ausgeschmückt; allein ohne dessen
Mitwissen hatte Eduard den Architekten veranlasst, in dem Gesims das Datum mit
Blumen zu bezeichnen. Das mochte noch hingehen; allein zeitig genug langte der
Hauptmann an, um zu verhindern, dass nicht auch der Name Ottiliens im Giebelfelde
glänzte. Er wusste dieses Beginnen auf eine geschickte Weise abzulehnen und
die schon fertigen Blumenbuchstaben beiseite zu bringen.

Der Kranz war aufgesteckt und weit umher in der Gegend sichtbar.
Bunt flatterten die Bänder und Tücher in der Luft, und eine
kurze Rede verscholl zum größten Teil im Winde.
Die Feierlichkeit war zu Ende, der Tanz auf dem geebneten und mit
Lauben umkreisten Platze vor dem Gebäude sollte nun angehen.
Ein schmucker Zimmergeselle führte Eduarden ein flinkes Bauermädchen
zu und forderte Ottilien auf, welche daneben stand. Die beiden Paare fanden
sogleich ihre Nachfolger, und bald genug wechselte Eduard, indem er Ottilien
ergriff und mit ihr die Runde machte. Die jüngere Gesellschaft mischte
sich fröhlich in den Tanz des Volks, indes die Ältern beobachteten.

Sodann, ehe man sich auf den Spaziergängen zerstreute, ward abgeredet,
dass man sich mit Untergang der Sonne bei den Platanen wieder versammeln
wollte. Eduard fand sich zuerst ein, ordnete alles und nahm Abrede mit dem
Kammerdiener, der auf der andern Seite in Gesellschaft des Feuerwerkers die
Lusterscheinungen zu besorgen hatte.

Der Hauptmann bemerkte die dazu getroffenen Vorrichtungen nicht mit Vergnügen;
er wollte wegen des zu erwartenden Andrangs der Zuschauer mit Eduard sprechen, als
ihn derselbe etwas hastig bat, er möge ihm diesen Teil der Feierlichkeit doch
allein überlassen.

Schon hatte sich das Volk auf die oberwärts abgestochenen und vom Rasen entblößten
Dämme gedrängt, wo das Erdreich uneben und unsicher war.
Die Sonne ging unter, die Dämmerung trat ein, und in Erwartung größerer
Dunkelheit wurde die Gesellschaft unter den Platanen mit Erfrischungen bedient.
Man fand den Ort unvergleichlich und freute sich in Gedanken, künftig von hier
die Aussicht auf einen weiten und so mannigfaltig begrenzten See zu genießen.

Ein ruhiger Abend, eine vollkommene Windstille versprachen das nächtliche Fest zu
begünstigen, als auf einmal ein entsetzliches Geschrei entstand.
Große Schollen hatten sich vom Damme losgetrennt, man sah mehrere Menschen ins Wasser stürzen.
Das Erdreich hatte nachgegeben unter dem Drängen und Treten der immer zunehmenden Menge.
Jeder wollte den besten Platz haben, und nun konnte niemand vorwärts noch zurück.

Jedermann sprang auf und hinzu, mehr um zu schauen als zu tun; denn was war da zu tun, wo niemand
hinreichen konnte. Nebst einigen Entschlossenen eilte der Hauptmann herbei, trieb sogleich die Menge
von dem Damm herunter nach den Ufern, um den hilfreichen freie Hand zu geben, welche die Versinkenden
herauszuziehen suchten. Schon waren alle teils durch eignes, teils durch fremdes Bestreben wieder auf dem
Trocknen, bis auf einen Knaben, der durch allzu ängstliches Bemühen, statt sich dem Damm zu
nähern, sich davon entfernt hatte. Die Kräfte schienen ihn zu verlassen, nur einige Mal kam
noch eine Hand, ein Fuß in die Höhe. Unglücklicherweise war der Kahn auf der andern Seite,
mit Feuerwerk gefüllt, nur langsam konnte man ihn ausladen, und die Hilfe verzögerte sich.
Des Hauptmanns Entschluss war gefasst, er warf die Oberkleider weg, aller Augen richteten sich
auf ihn, und seine tüchtige, kräftige Gestalt flößte jedermann Zutrauen ein; aber
ein Schrei der Überraschung drang aus der Menge hervor, als er sich ins Wasser stürzte,
jedes Auge begleitete ihn, der als geschickter Schwimmer den Knaben bald erreichte und ihn, jedoch
für tot, an den Damm brachte.

Indessen ruderte der Kahn herbei, der Hauptmann bestieg ihn und forschte genau von den Anwesenden,
ob denn auch wirklich alle gerettet seien. Der Chirurgus kommt und übernimmt den totgeglaubten
Knaben; Charlotte tritt hinzu, sie bittet den Hauptmann, nur für sich zu sorgen, nach dem
Schlosse zurückzukehren und die Kleider zu wechseln. Er zaudert, bis ihm gesetzte, verständige Leute,
die ganz nahe gegenwärtig gewesen, die selbst zur Rettung der Einzelnen beigetragen, auf das Heiligste
versichern, dass alle gerettet seien.

Charlotte sieht ihn nach Hause gehen, sie denkt, dass Wein und Tee und was sonst nötig wäre,
verschlossen ist, dass in solchen Fällen die Menschen gewöhnlich verkehrt handeln; sie eilt
durch die zerstreute Gesellschaft, die sich noch unter den Platanen befindet. Eduard ist beschäftigt,
jedermann zuzureden: man soll bleiben; in Kurzem gedenkt er das Zeichen zu geben, und das Feuerwerk
soll beginnen. Charlotte tritt hinzu und bittet ihn, ein Vergnügen zu verschieben, das jetzt nicht am
Platze sei, das in dem gegenwärtigen Augenblick nicht genossen werden könne; sie erinnert ihn,
was man dem Geretteten und dem Retter schuldig sei. »Der Chirurgus wird schon seine Pflicht tun«,
versetzte Eduard. »Er ist mit allem versehen, und unser Zudringen wäre nur eine hinderliche
Teilnahme.«

Charlotte bestand auf ihrem Sinne und winkte Ottilien, die sich sogleich zum Weggehen anschickte.
Eduard ergriff ihre Hand und rief: »Wir wollen diesen Tag nicht im Lazarett endigen!
Zur barmherzigen Schwester ist sie zu gut. Auch ohne uns werden die Scheintoten erwachen und die
Lebendigen sich abtrocknen.«

Charlotte schwieg und ging. Einige folgten ihr, andere diesen; endlich wollte niemand der Letzte sein,
und so folgten alle. Eduard und Ottilie fanden sich allein unter den Platanen.
Er bestand darauf zu bleiben, so dringend, so ängstlich sie ihn auch bat, mit ihr nach dem
Schlosse zurückzukehren. »Nein, Ottilie!«, rief er, »das Außerordentliche
geschieht nicht auf glattem, gewöhnlichem Wege. Dieser überraschende Vorfall von heute Abend
bringt uns schneller zusammen. Du bist die Meine! Ich habe dir's schon so oft gesagt und geschworen;
wir wollen es nicht mehr sagen und schwören, nun soll es werden.«

Der Kahn von der andern Seite schwamm herüber. Es war der Kammerdiener, der verlegen anfragte,
was nunmehr mit dem Feuerwerk werden sollte. »Brennt es ab!«, rief er ihm entgegen.
»Für dich allein war es bestellt, Ottilie, und nun sollst du es auch allein sehen!
Erlaube mir, an deiner Seite sitzend, es mit zu genießen.« Zärtlich bescheiden
setzte er sich neben sie, ohne sie zu berühren.

Raketen rauschten auf, Kanonenschläge donnerten, Leuchtkugeln stiegen, Schwärmer schlängelten
und platzten, Räder gischten, jedes erst einzeln, dann gepaart, dann alle zusammen und immer gewaltsamer
hintereinander und zusammen. Eduard, dessen Busen brannte, verfolgte mit lebhaft zufriedenem Blick diese
feurigen Erscheinungen. Ottiliens zartem, aufgeregtem Gemüt war dieses rauschende, blitzende Entstehen
und Verschwinden eher ängstlich als angenehm. Sie lehnte sich schüchtern an Eduard, dem diese
Annäherung, dieses Zutrauen das volle Gefühl gab, dass sie ihm ganz angehöre.

Die Nacht war kaum in ihre Rechte wieder eingetreten, als der Mond aufging und die Pfade der beiden
Rückkehrenden beleuchtete. Eine Figur, den Hut in der Hand, vertrat ihnen den Weg und sprach sie um ein
Almosen an, da es an diesem festlichen Tage versäumt worden sei. Der Mond schien ihm ins Gesicht, und Eduard
erkannte die Züge jenes zudringlichen Bettlers. Aber so glücklich wie er war, konnte er nicht
ungehalten sein, konnte es ihm nicht einfallen, dass besonders für heute das Betteln höchlich
verpönt worden. Er forschte nicht lange in der Tasche und gab ein Goldstück hin.
Er hätte jeden gern glücklich gemacht, da sein Glück ohne Grenzen schien.

Zu Hause war indes alles erwünscht gelungen. Die Tätigkeit des Chirurgen, die Bereitschaft
alles Nötigen, der Beistand Charlottens, alles wirkte zusammen, und der Knabe ward wieder zum
Leben hergestellt. Die Gäste zerstreuten sich, sowohl um noch etwas vom Feuerwerk aus der Ferne zu
sehen, als auch um nach solchen verworrnen Szenen ihre ruhige Heimat wieder zu betreten.

Auch hatte der Hauptmann, geschwind umgekleidet, an der nötigen Vorsorge tätigen Anteil genommen;
alles war beruhigt, und er fand sich mit Charlotten allein. Mit zutraulicher Freundlichkeit erklärte
er nun, dass seine Abreise nahe bevorstehe. Sie hatte diesen Abend so viel erlebt, dass diese Entdeckung
wenig Eindruck auf sie machte; sie hatte gesehen, wie der Freund sich aufopferte, wie er rettete und selbst gerettet war.
Diese wunderbaren Ereignisse schienen ihr eine bedeutende Zukunft, aber keine unglückliche zu weissagen.

Eduarden, der mit Ottilien hereintrat, wurde die bevorstehende Abreise des Hauptmanns gleichfalls angekündigt.
Er argwohnte, dass Charlotte früher um das Nähere gewusst habe, war aber viel zu sehr mit sich und
seinen Absichten beschäftigt, als dass er es hätte übel empfinden sollen.

Im Gegenteil vernahm er aufmerksam und zufrieden die gute und ehrenvolle Lage, in die der Hauptmann
versetzt werden sollte. Unbändig drangen seine geheimen Wünsche den Begebenheiten vor.
Schon sah er jenen mit Charlotten verbunden, sich mit Ottilien. Man hätte ihm zu diesem Fest kein
größeres Geschenk machen können.

Aber wie erstaunt war Ottilie, als sie auf ihr Zimmer trat und den köstlichen kleinen Koffer auf ihrem Tische fand!
Sie säumte nicht, ihn zu eröffnen. Da zeigte sich alles so schön gepackt und geordnet, dass sie es
nicht auseinander zu nehmen, ja kaum zu lüften wagte. Musselin, Batist, Seide, Schals und Spitzen wetteiferten
an Feinheit, Zierlichkeit und Kostbarkeit. Auch war der Schmuck nicht vergessen.
Sie begriff wohl die Absicht, sie mehr als einmal vom Kopf bis auf den Fuß zu kleiden; es war aber
alles so kostbar und fremd, dass sie sich's in Gedanken nicht zuzueignen getraute.