[Abschnitt 1]
Der einleitende Abschnitt bildet mit der Angabe, dass der Erzähler (naheliegend: Theodor Storm) die
nachfolgende Geschichte "vor reichlich einem halben Jahrhundert" im Hause seiner Urgroßmutter
kennengelernt habe, eine Art äußeren Rahmen, der allerdings am Ende nicht geschlossen wird, d.h. in
die Gegenwart von 1888, die Zeit der Veröffentlichung der Novelle, kehrt die Erzählung nicht zurück.
Der Rückbezug auf eine 'Quelle' von etwa 1835 ist aber nicht unwichtig. Er erklärt sich aus dem grundsätzlichen
Anspruch Storms, ein 'Realist' zu sein. Alles, was die Novelle an Irrationalem enthält, wird dadurch dem Erzähler der
Zeitschrift zugewiesen, und dieser bekommt die Schimmelreiter-Geschichte - und auch ihre Spuk-Elemente - noch wieder durch
den Schulmeister übermittelt. So wird alles nur wie vom Hörensagen mitgeteilt, und die vernünftig-aufgeklärte
Haltung des Erzählers Storm steht nicht in Frage.
Dass Storm tatsächlich auf eine solche Quelle zurückgreift, wird unter
ZITATE dargelegt.
[Abschnitt 2]
Es war im dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, an einem Oktobernachmittag - so begann der damalige Erzähler -, als ich bei starkem Unwetter ...
Dass der Erzähler von 1838 seine Erzählung mit einer solchen Zeitabstands-Formulierung beginnt, ist eigentlich unlogisch. Zu erwarten
wäre ein "Es ist jetzt drei Jahre her, dass ich ..." oder eine bestimmte 1830er Jahreszahl, so wie die Ursprungsgeschichte in den
'Pappeschen Lesefrüchten' ja auch einsetzt: "Es war in den ersten Tagen des Monats April, im Jahre 1829 ..." (siehe unter
ZITATE). Falls es sich hier nicht bloß um einen perspektivischen Fehler Storms handelt
(was das Nächstliegende ist), könnte hinter dieser Formulierung die Absicht stecken, die ganze Geschichte sofort in eine weit entfernte
Vergangenheit zu versetzen, so dass auch Wahrscheinlichkeits-Einwände nicht mehr aufgerufen werden.
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... mir war, als streifte mich der fliegende Mantel, und die Erscheinung war, wie das erste Mal, lautlos an mir vorübergestoben ...
Ein bemerkenswerter Unterschied zu der Ursprungsgeschichte ist, dass bei Storm die Erscheinung des Schimmelreiters lautlos kommt und
geht und insgesamt so wesenlos bleibt, dass auch das Pferd des Erzählers sie nicht wahrnimmt. Mit anderen Worten: es kann sich auch
um eine Einbildung handeln. Dort - in der Ursprungsgeschichte - jedoch ist diese Erscheinung nicht bloß zu hören, sondern auch das
Pferd scheut vor ihr zurück, es gibt also den gespenstischen Reiter wirklich (siehe unter
ZITATE).
So handfest wollte Storm die Existenz dieser Erscheinung aber offenbar nicht behaupten, sie hätte dann ja auch den Erzähler
mehr beunruhigen und beschäftigen müssen.
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Das Wasser war, trotz des schützenden Deiches, auffallend unbewegt; der Reiter konnte es nicht getrübt haben; ich sah nichts weiter von ihm.
Die Formulierung "trotz des Deiches ... unbewegt" hat dazu geführt, dass man auf einen Irrtum Storms geschlossen und den Text in
vielen Ausgaben in "trotz des Deiches ... bewegt" abgeändert hat. Da sowohl im Manuskript wie im Erstdruck 'unbewegt' steht, liegt
eine andere Erklärung jedoch näher. Die Formulierung soll offenbar bedeuten: 'Das Wasser war - auch in Anbetracht des schützenden Deiches -
auffallend unbewegt; der Reiter konnte es nicht getrübt, d.h. er konnte es nicht berührt haben (obwohl er gerade an dieser Stelle verschwunden war).'
Mit anderen Worten: Eigentlich wäre eine bewegte Fläche zu erwarten gewesen, aber es ist das unheimliche Gegenteil der Fall. Der Reiter scheint
in dieses Wasser wie in ein Jenseits eingetaucht zu sein, zumal es nun sogar besonders ruhig daliegt.
Was den Ort seines Verschwindens angeht, so erklärt er sich erst aus dem Ende der Novelle. Es handelt sich genau um die Stelle, an der Hauke Haien beim
Deichbruch den Tod gefunden hat. Als nämlich später im Krug erneut berichtet wird, der Schimmelreiter sei gesehen worden, heißt es auf die
Frage 'Wo?': "Es ist ja nur die eine Wehle; in Jansens Fenne, wo der Hauke-Haien-Koog beginnt." (Siehe
Abschnitt 11,
Absatz 5). Damit verschwindet der Schimmelreiter in eben dem Wasserloch, das zurückgeblieben ist, als 1756 der alte Deich neben dem neuen
gebrochen ist, also dort, wo auch Hauke Haien mit Frau und Kind in den Fluten umkommt.
Da dieser Zusammenhang in der bloßen Lektüre sicherlich nicht wahrgenommen wird, eignet er sich gut für eine Aufgabe: Was bedeutet
das Verschwinden des Schimmelreiters in einer bestimmten Wehle (Abschnitt 2), wenn man berücksichtigt, wo diese Wehle liegt? (Abschnitte
11 und 23)? Das Fazit: Storm klärt den Spuk um den Schimmelreiter keineswegs auf, sondern er stützt ihn, indem er hinter dem Rücken
des Erzählers Dinge stattfinden lässt, die eigentlich erörtert werden müssten. Der Erzähler kommt ja auf sein Deicherlebnis
nicht mehr zurück, denn die spätere Aufklärung, die ursprünglich dazu erfolgen sollte, hat Storm gestrichen (sie unter GESTALTUNG
zu
Abschnitt 24).
[Abschnitt 3]
Er sah nicht um; aber er ging auch nicht schneller und kam erst spät nach
Hause; doch niemals soll er seinem Vater oder einem andern davon erzählt haben.
Der Schulmeister, der die Geschichte erzählt, tritt hier in die Rolle eines 'allwissenden Erzählers' ein und wird sie
auch im weiteren beibehalten. Er kennt mitunter die Gedanken und Empfindungen Hauke Haiens und kann sogar Erlebnisse mitteilen,
von denen dieser selbst 'niemals' zu jemandem gesprochen haben soll. Storm benutzt den gewissermaßen privaten
Blick auf seinen Helden jedoch nicht dazu, ihn dem Leser menschlich näher zu bringen, sondern es werden im Gegenteil nur die
unheimlichen Züge an ihm dadurch hervorgehoben. Insofern beteiligt sich der Schulmeister als Erzähler an der
Dämonisierung der Gestalt, die er vorgeblich gegen den Aberglauben in Schutz nehmen will.
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"Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, Deichgraf!", erwiderte der kleine
Erzähler, "ich habe ihn nicht geschmäht und hab auch dessen keine Ursach"; und er sah mit seinen kleinen,
klugen Augen zu ihm auf.
Auch hier lässt sich der Schulmeister auf den Aberglauben (oder eben auch Glauben) seiner Umgebung ein, dass
Hauke Haien als 'Schimmelreiter' in solchen Sturmnächten wiederkehrt. Eine 'aufgeklärte' Reaktion wäre es,
wenn er zu den Wahrnehmungen oder Befürchtungen der anderen nur den Kopf schüttelte.
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Ihr einer etwas hagerer Arm hing schlaff herab, die andere Hand schien im Rücken nach dem Eisenring zu greifen, von denen
je einer zu beiden Seiten der Tür in der Mauer war ... Die Dirne schien von dort ihre Augen über den Deich hinaus
nach dem Meer zu haben, wo an dem stillen Abend die Sonne eben in das Wasser hinabsank ...
In der für Storm typischen Form werden hier die Empfindungen der Beteiligten nur in Andeutungen wiedergegeben. Elke Volkerts
bemerkt die Annäherung Hauke Haiens und sucht nach einem Halt, der ihr für die zu erwartende Begegnung die
richtige Fassung gibt. Gleichzeitig tut sie so, als interessiere sie sich für ihn nicht. Er aber durchschaut das und stellt
für sich fest, dass sie 'nicht dösig' sei, wie es vielleicht ihres Vaters wegen von ihr heißt, sondern dass sie wach
auf alles und zumal auf ihn reagiert. Seine Bemerkung, wohin sie denn mit ihren großen Augen gucke, ist ihr allerdings doch
ein bisschen zu kess, und so gibt sie ihm nicht nur eine würdig-belehrende Antwort, sondern taxiert ihn anschließend
auch noch als 'so was schlanterig', womit sie den Abstand zu ihm als dem Jüngeren wieder herstellt. Der gegenseitigen
Sympathie tut das aber keinen Abbruch.
[Abschnitt 8]
... schon weit vom Wurfplatz, verdeckten sie die Flügel einer Silbermöwe, die, ihren
Schrei ausstoßend, vom Deich herüberkam ...
Storm erweckt hier bewusst den Eindruck, dass es bei diesem Wurf nicht mit rechten Dingen zugehe - der Möwenschrei liest
sich wie ein Zeichen außerirdischer Kräfte, die mit Hauke Haien im Bunde sind. Da aus dem gewonnenen Wettkampf die
Verlobung mit Elke Volkerts folgt, die ihm dann wiederum das Deichgrafenamt einträgt, wird schon hier sein Deichbau
mit etwas Unheimlichem in Verbindung gebracht.
Ein Mövenschrei ertönt auch wieder in Abschnitt 11, als in der Gaststube davon berichtet wird, dass der Schimmelreiter
draußen unterwegs sei (siehe unter GESTALTUNG zu
Abschnitt 11).
Storm bündelt in diesem Abschnitt zwei Jahre der Handlung, sodass Hauke Haien nunmehr 20 Jahre alt ist.
Für eine Heirat oder auch nur Verlobung ist er damit aber noch immer zu jung, und es läge nahe, dass sich bei der
älteren Elke Heiratsgedanken anderer Art einstellen. Wegen der Zeitraffung kommen Fragen danach für
den Leser jedoch nicht auf.
Seit 1961 gibt es einen Hauke-Haien-Koog aber auch tatsächlich: südlich von Fahretoft (bei Husum) wurde ein neu eingedeichtes Stück
Land so benannt, um den vielen namenlosen Deichgrafen dieses Küstenstriches damit ein Denkmal zu setzen.
Die Formulierung 'mehr als zu oft' könnte kritisch gemeint sein: Hauke wiederholt sich die prophetische Idee
nicht bloß zu oft (was schon zu viel des Guten wäre), sondern sogar mehr als zu oft. Das passt allerdings nicht zu seiner
sonst eher nüchternen Art, und so meint es hier wohl: er wiederholte es sich 'nur gelegentlich, als dass er es sich zu oft wiederholte'.
Sprachlogisch ist die Formulierung aber problematisch.
Auch hier fällt wieder die Allwissenheit des Erzählers auf. Obwohl Hauke Haien seine Empfindungen so tief in sich
verschießt, dass nicht einmal Elke etwas davon bemerkt, kann der Schulmeister ein ganzes Jahrhundert später davon
Mitteilung machen.
Die 'mehreren Jahre', die der Erzähler zu Anfang dieses Abschnittes überspringt, werden im Selbstgespräch Hauke Haiens als sieben
Jahre näher bestimmt - wiederum ein Beispiel für die 'Allwissenheit' des Schulmeisters. Den Plan zum Bau des neuen Deiches fasst Hauke
Haien also mit 31 Jahren, und als er den Plan einreicht, im nachfolgenden Frühjahr, wird er 32 Jahre alt.
"... aber den Schimmel reit der Teufel!" - "Und ich!", setzte Hauke lachend hinzu.
Schon früh ist bemerkt worden, dass es sich bei dem Kauf des Schimmels um eine Art Teufelspakt handelt: Hauke Haien schlägt in
die 'Kralle' des Slowaken ein und erwirbt ein Pferd, das 'des Teufels' ist. In Verbindung mit dem Thema des Deichbaues lässt sich daraus
leicht eine Parallele zu Goethes 'Faust' gewinnen Auch dieser baut am Ende seines Lebens einen Deich und wird mit der Erfüllung, die er
darin findet, fast eine Beute des Teufels. Er hatte in seinem Pakt dem Teufel - Mephisto - ja zugesagt, dass dieser ihn 'in Fesseln schlagen'
dürfte, wenn er zu irgend einem 'Augenblick' sagen würde: "Verweile doch, du bist so schön!". Seine letzten
Worte bei der Fertigstellung des Deiches lauten:
Im Innern hier ein paradiesisch Land,
Da rase draußen Flut bis auf zum Rand,
Und wie sie nascht, gewaltsam einzuschießen,
Gemeindrang eilt, die Lücke zu verschließen.
Ja! diesem Sinne bin ich ganz ergeben,
Das ist der Weisheit letzter Schluss:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich sie erobern muss.
Und so verbringt, umrungen von Gefahr,
Hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr.
Solch ein Gewimmel möcht' ich sehn,
Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.
Zum Augenblicke dürft' ich sagen:
Verweile doch, du bist so schön!
Es kann die Spur von meinen Erdetagen
Nicht in Äonen untergehn. -
Im Vorgefühl von solchem hohem Glück
Genieß' ich jetzt den höchsten Augenblick.
(Goethe, Faust II, 5. Akt)
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Faust wird dank Gretchens Fürsprache noch gerettet - aber ist auch Hauke Haien ein Faust? Selbst wenn Storm mit dem Kauf des
Schimmels einen Teufelspakt für ihn andeutet - mit Goethes Faust ist er kaum verwandt. Dieser handelt aus Erkenntnisdrang,
er will wissen, 'was die Welt im Innersten zusammenhält', und um seine Seele ringen Himmel und Hölle. Hauke Haien jedoch
handelt aus Ehrgeiz. Er will sich mit dem neuen Deich hauptsächlich einen Namen machen und nebenher wohlhabend werden, ein
über seine soziale Umwelt hinausreichendes Ziel hat er nicht. Allenfalls ist er ein 'Faust ohne Transzendenz', wie Ernst Loeb
ihn genannt hat, und deshalb trotz des angedeuteten Teufelspaktes weder für die Hölle noch für den Himmel bestimmt.

Der Pakt ist vielmehr nur ein erzählerisches Mittel, uns seine Gestalt unheimlich werden zu lassen. Würden Schulmeister
wie Rahmenerzähler irgendwelche Teufelsgedanken offen als Gerede abtun, hätte man weiter keinen Grund, sich zu beunruhigen.
So aber, da sie - vorgeblich vernünftig - solche Gedanken selbst nahelegen, erhält die Gestalt des Schimmelreiters
einen geheimnisvoll-abgründigen Zug. Dies ist jedoch keineswegs bloß ein Schauer-Element. Die Erwägung,
dass der Deichbau vom Teufel sein könnte, drückt durchaus etwas von Storms eigenen Befürchtungen in dieser Hinsicht aus.
Das Meer ist in vielen seiner Novellen eine unkalkulierbare, dämonisch-göttliche Naturgewalt,
und es könnte eben auch frevelhaft sein und sich eines Tages rächen, dass man ihm durch Deiche hat Einhalt gebieten wollen.
Nichts mit Storms Intentionen zu tun hat, was eine jüngere 'dekonstruktivistische' Deutung aus dem Teufelspakt macht. Nach Volker Hoffmanns
1990 erschienener Interpretation ist das gesamte Leben Hauke Haiens ein Teufelspakt, weil es eine "Fortpflanzungsverhinderung zugunsten der
eigenen Werkschöpfung" zum Ziel hat. Die 'drei Männererzähler' der Novelle hätten sich miteinander verbündet, diese lebens-
und frauenfeindliche Geschichte mit teuflischer Kunstfertigkeit als Erfolgsgeschichte darzustellen, um - ja, um letztlich Storms eigenes
schlechtes Gewissen als Werkstifter dahinter zu verstecken. Jedoch: eine der 'natürlichen Lebenslaufnorm' zuwider laufende
Werkstifter- oder Künstlerexistenz, die Storm damit angeblich hat tarnen wollen, wäre das letzte gewesen, was dieser sich
vorzuwerfen gehabt hätte - er war zweimal verheiratet und hatte acht Kinder.
[Abschnitt 16]
... aber den Deich, den Hauke Haien nach ihm von Gott verliehener Einsicht projektiert und bei der Herrschaft für
euch durchgesetzt hat, den wird niemand von euch Lebenden brechen sehen ...
Im Gegensatz zu der Andeutung, dass Hauke Haien mit dem Teufel im Bunde steht, wird hier - wenn auch nur von einem Beteiligten - die Mithilfe
Gottes bei dem Deichprojekt betont. In dieser Ambivalenz steht die ganze Schimmelreiter-Geschichte: der Deichbau könnte - als Eingriff in
Gottes Schöpfung - ein Werk des Teufels sein, er ist aber auch vielleicht ein Werk nach Gottes Willen im Sinne des Bibelwortes, dass der
Mensch sich die Erde untertan machen solle (1. Buch Mose, 1,28).
Dieselbe Ambivalenz hat in politisch-weltanschaulicher Hinsicht Jost Hermand herausgestellt. Für ihn ist Hauke Haien
der typische gründerzeitliche 'Übermensch', der große Einzelne, der der Welt seinen Willen aufzwingt und sich
mit einer genialen Leistung in der Geschichte einen Namen macht. Sein Stolz, seine Beharrlichkeit, sein Gefühl, ein Berufener zu sein, seine
Unnahbarkeit und sein überlegener Wille - dies alles kennzeichnet ihn als eine Kraftnatur, wie sie in dieser Zeit zumal in Bismarck
den Menschen vor Augen stand. Gleichzeitig sieht Hermand ihn aber auch kritisch beurteilt, denn für jedes Phänomen
werden dem Leser zwei Erklärungen nahegelegt: eine idealistisch-heroisierende und eine realistisch-analytische, wodurch
Hauke Haien und das in ihm verkörperte Heldenbild in ein eigenartiges Zwielicht geraten. Es zeigen sich auch Rücksichtslosigkeit,
Jähzorn, Hass, Berechnung und in entscheidenden Momenten Irrtümer, sodass man durchaus zu einer anderen
Meinung über ihn kommen kann. Die Andeutung des Teufelspaktes ist für Hermand nur die letzte Zuspitzung dieser kritischen
Sicht, so wie Storm ja auch Bismarck immer kritisch gegenüber stand.

[Abschnitt 17]
... Ich weiß ja wohl, du kannst nicht allezeit, wie du willst, auch du nicht ...
Mit der Wiedergabe dieses Gebetes wird ein weiteres Mal mit der Möglichkeit gespielt, dass Hauke Haien
mit dem Teufel im Bunde ist. Denn wer außer dem Teufel könnte die Allmacht Gottes begrenzen?
Oder soll damit ausgedrückt werden, dass Hauke Haien die Gesetzmäßigkeiten des Lebens, so wie Gott
es geschaffen hat, für nicht beliebig aufhebbar hält? Dann würde aus diesem Gebet gerade Ehrfurcht vor Gottes
Schöpfung sprechen. Wie immer - eine eindeutige Antwort ist nicht zu geben.
[Abschnitt 20]
... Du strafst ihn, Gott der Herr! Ja, ja, du strafst ihn! ...
Der Eindruck, dass das schwachsinnige Kind eine Strafe Gottes für Hauke Haiens Hochmut (oder seinen Pakt mit dem Teufel) ist, wird
nicht nur an dieser Stelle erweckt. Mit seiner Auflehnung gegen die Menschen, aber auch gegen die Natur, von der er sagt, sie
könne nichts Rechtes - siehe Abschnitt 3, Absatz 1 -, scheint er Gottes Allmacht
geradezu herauszufordern. Und ist es nicht eine durch und durch ironische Wendung in dieser Geschichte, dass die 'geborenen Rechner', als
die Hauke Haien und Elke Volkerts bezeichnet werden (siehe Abschnitt 5, Absatz 1), ein
Kind haben, das nicht bis drei zählen kann? Storm kennzeichnet Hauke Haien zwar nicht als gottlos, aber doch als nicht demütig, und
so soll sich auch an ihm erweisen, dass 'Hochmut vor dem Fall' kommt.
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Fielen zufällig Haukes und Elkes Augen auf dies wunderliche Vierblatt, das nur durch einen
gleichen Mangel am selben Stängel festgehalten wurde ...
Auch in dieser Formulierung schwingt ein gewisser Sarkasmus mit: Trin Jans, Wienke, der Hund und die Taube bilden
ein Kleeblatt, das der Mangel an Verstand verbindet.
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... aber du kannst doch alles, Vater?" - Ein ferner Donner rollte gegen den Wind herauf "Hoho?", rief
Hauke, "da kommt es!
Es ist die schwachsinnige Tochter, die sagt und glaubt, ihr Vater 'könne alles'. Und wie zur Antwort kommt der Donner
vom Himmel, der von Hauke freilich wiederum nicht in Demut, sondern mit einem 'Hoho' aufgenommen wird. Auch hier wird so wieder das
Frevelhafte seiner Haltung angedeutet.
[Abschnitt 21]
Ja, Kind, das alles ist lebig, so wie wir; es gibt nichts anderes; aber der liebe Gott ist überall.
Im Unterschied zu gewissen Andeutungen zuvor wird hier wieder auf die Gottgläubigkeit Hauke Haiens hingewiesen.
Vor allem aber dient der Abschnitt dazu, dem Aberglauben abzusagen, der sich in der volkstümlichen Überlieferung vorfindet.
[Abschnitt 23]
... der Schimmel ist wie toll; die Zügel könnten reißen ...
Hier und im weiteren wird wieder der Hintergrund des Teufelspaktes angedeutet: für den Schimmel (oder den Teufel) scheint
die Stunde der Abrechnung mit Hauke Haien gekommen.
[Abschnitt 24]
... einen tüchtigen Kerl, nur weil er uns um Kopfeslänge überwachsen war, zum Spuk und Nachtgespenst
zu machen das geht noch alle Tage.«
An dieser Stelle folgte ursprünglich noch eine längere Passage zur Beurteilung des Deichgrafen durch die Nachwelt, die Storm
jedoch aus dem für die 'Deutsche Rundschau' schon gesetzten Text wieder herausnahm. Sie lautet:
Es soll nämlich, und ich darf das nicht vergessen, damals doch noch einer auf dem neuen Deich zurückgeblieben sein,
während die Übrigen südwärts nach der Stadt und von dort nach ihrem Kirchdorf auf der Geest zurückgeflohen waren,
wo sie außer ihrem Deichgrafen nebst Weib und Kind die ganze Marsch beisammenfanden.
Der Zurückgebliebene aber sollte jener Carsten, der frühere Dienstjunge des Deichgrafen, gewesen sein, ein ebenso
abergläubiger als, wenn seine Neugierde ins Spiel kam, waghalsiger Geselle, und derzeit noch im Dienst des Ole Peters.
Er wollte an der Binnenkante des Deiches dem letzten Ritte seines früheren Herrn gefolgt sein; und einen ganzen
Sack voll hatte er bei seiner Rückkehr auszukramen. 'Hu aber, Frau Vollina', sagte er zu seiner Wirtin,
und das Weib kreuzte schon in behaglichem Schauder die Hände über ihren Leib, 'da begab sich etwas! Ich lag
dicht hinter ihm am Deich; da stieß er dem Schimmel die Sporen in die Seiten und riss das Maul auf und schrie; verstehen
konnt' ich's nicht, der Lärm umher war gar zu grauslich! Aber es wird wohl sein dummes 'Vorwärts!' gewesen sein, womit er
allezeit sein Tier zu treiben pflegte. Ja, vorwärts! Was meint Ihr, Frau Vollina?'
'Ja, was mein' ich?' plapperte das Weib. 'So sprich doch Carsten! '
'Da ist nicht gut zu sprechen, Frau!' fuhr Carsten fort: 'So arg ich meine Augen aufriss, ich sah itzt weder
den Schimmel noch ein ander Pferd; nur den Reiter sah ich, und es war noch, als ritte er mit seinen Beinen in der Luft;
aber ein schwarzes Unding war über ihm und hielt ihn in seinen Krallen. Dann begann ein fürchterliches Hülfsgeschrei, das
lauter war als Sturm und Wasser; aber, Frau, wen der Teufel in den Krallen hat, dem kann nur Gott zu
Hülfe kommen!'
'Und dann? Und dann?' rief Frau Vollina.
'Ja Frau; dann sah ich weiter nichts; ich hörte nur die großen Wasser, die in unsren Koog hinabstürzten, und
lief - denn mir war plötzlich die Angst ins Gemüt gefahren - auf dem Deich zur Stadt hinunter, um nur mein eigen bisschen
Leben aus dieser schreckbaren Einsamkeit zu retten. Aber - und er dämpfte seine Stimme und Frau
Vollina neigte ihren runden Kopf zu seinen Lippen - das Schrecklichste sah ich gestern Abend;
ich war bei hellem Mondschein auf den Deich hinaus, bis gerad vor Jeverssand - - das weiße
Pferdsgerippe, das fort war, so lang der Schimmel in des Deichgrafs Stall gestanden - es liegt wieder dort!
Geht nur hin und sehet selbst!'
Aber Frau Vollina stieß einen Schrei aus: 'Herr Gott und Jesus, seid uns gnädig!'
- - Das«, sagte nach einer Weile der Schulmeister, »ist das Ende von Hauke Haiens Geschichte, wenn
Sie sich dieselbe im Dorfe wollen erzählen lassen. Und so ist es immer weiter gegangen, und der arme Deichgraf,
der tüchtigsten einer, die wir hier gehabt haben, ist allmählich zu einer Schreckgestalt erniedrigt worden: bei
Hochfluten müssen seine verstäubten Atome sich zu einem Scheinbild wiederum zusammenfinden; das muss auf seinem
Schimmel über die Deiche galoppiren und, wenn Unheil kommen soll, sich in den alten Bruch hinabstürzen. Credat judaeus
Apella! [Das möge der Judäer Apelles glauben!] pflegten wir auf der Universität zu sagen.«
Meines eignen Abenteuers gedenkend, wollte ich für den Gespensterglauben einen bescheidenen Vorbehalt erbitten;
aber mein Gastfreund fiel mir in die Rede: »Ja, ja, werter Herr«, sagte er, »Sie wollen einwenden,
Sie haben ihn selbst gesehen! Was Sie gesehen haben, weiß ich nicht: es könnte auch ein Leibhaftiger, das heißt,
ein Mensch gewesen sein; dort draußen auf dem Sophienhof, der Besitzer hat einen Bruder bei sich, einen alten
wunderlichen Junggesellen; die Leute halten ihn für einen Narren, er selbst treibt Astronomie und hält sich für
einen großen Wetterkundigen. Der hat ein hager Angesicht und ein paar tiefliegende Augen und reitet am liebsten
im fliegenden Sturm auf den Deichen hin und wieder. Ob er einen Schimmel hat, weiß ich nicht zu sagen; unmöglich
ist das nicht. Aber - einerlei, mag reiten, wer da will, nur den Deichgraf Hauke Haien lasst mir aus dem Spiel; der hat wie kaum
ein Andrer seine Ruh' verdient!«

Durch die Streichung dieser schon in Druck gegebenen Abschnitte hat Storm in zwei entscheidenden Punkten die
eigentlich beabsichtigte Lüftung des Geheimnisses um den Schimmelreiter wieder zurückgenommen:

1. Der Bericht des Knechtes über das Ende Hauke Haiens, d.h. dass dieser auf dem Deich buchstäblich vom
Teufel geholt worden sei, ist so ersichtlich eine Fantasie, dass damit auch die früheren Andeutungen eines Paktes
mit dem Teufel unglaubwürdig geworden wären.

2. Die Mitteilung von dem wunderlichen Junggesellen auf dem Sophienhof, der am liebsten bei Sturm auf den Deichen
herumreitet, ließe auch von der Spukerscheinung nichts übrig.
So weit wollte Storm mit der Aufklärung aber nicht gehen, d.h. die irrationalen Momente sind ein gewollter
Bestandteil dieser Novelle und sollten bei ihrer Behandlung nicht außer Acht gelassen oder gar aus ihr herausinterpretiert werden.
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