Erstes Kapitel

Schon damit, dass Eichendorff seinem Helden den Namen Taugenichts gibt, bekennt er sich demonstrativ
zu der Hauptschwäche, die man dem romantischen Menschen nachsagt: für das gewöhnliche Leben nicht
zu taugen. Von Ludwig Tieck über Novalis bis zu E.T.A. Hoffmann gibt es eine ganze Reihe von literarischen Figuren,
die auch eigentlich dem Leben nicht gewachsen sind, die aber als Träumer, Schwärmer, Künstler
eine höhere Idee vertreten und deshalb so abfällig nicht bezeichnet werden. Eichendorff als Spätromantiker
kann auf eine solche Idee verzichten. Unbekümmert erklärt er das 'Untüchtige' zu einem Wert an sich
und lässt die Anforderungen des gewöhnlichen Lebens dagegen nicht gelten.

Das Übermütige und zugleich Unrealistische an dieser Alternative wird allerdings von Anfang an eingestanden.
Die Geschichte dieses Troubadours - 'Der neue Troubadour' sollte das Werk ursprünglich auch heißen - wird erzählt wie
ein Scherz, sie ist gar nicht darauf angelegt, dass wir sie glauben. Es ist deshalb auch fragwürdig, wie
es seit Georg Lukács' marxistischer Auslegung immer wieder geschieht, aus dem Taugenichts einen Opponenten
gegen die kapitalistische Ausbeutung oder die bürgerliche Gesellschaft zu machen und dem Werk wer weiß
welche Widerstandsabsichten nachzusagen.
Die darin gescholtenen Bürger oder 'Philister' haben sich von Anfang an bestens mit ihm unterhalten, eben weil
es die Lebenseinstellung dieses Romantikers gerade nicht in vollem Ernst für richtig erklärt. In einer der ersten Rezensionen,
erschienen 1826 in den 'Blättern für literarische Unterhaltung', heißt es:
Wer einmal Lust empfindet, ein ewiges Sonntagsleben mitlebend zu genießen, der vergnüge sich bei dieser von
Frühlingsluft durchhauchten Novelle. Von 'Sorgen, Last und Noth um Brot' ist darin keine Spur zu treffen; es ist die Schilderung eines
Schlaraffenlandes und -Lebens ... Wir können uns doch auch einmal in einem solchen sorglosen gemüthlichen Leben freuen,
zumal wenn es, so durch und durch harmlos, nur die liebenswürdige Seite des menschlichen Charakters hervorhebt. ... Die Wahrheit ... ist,
daß jeder in der Regel das Leben so findet, wie er es sucht; der Argwöhnische sieht Alles schwarz, Mistrauen begegnet ihm,
dem Fröhlichen wird auch die Welt außer ihm fröhlich erscheinen.


Zum Unernst und zur Leichtigkeit gehören auch die verschiedentlich auftretenden Undeutlichkeiten oder
Widersprüche, die in der Handlung begegnen. 'Wer wird so kleinlich sein', hört man den Erzähler zwischen
den Zeilen gewissermaßen sagen, es kommt ja nicht auf die Geschichte, sondern nur auf die durch sie vermittelte Stimmung
an. Im weiteren wird auf solche Unstimmigkeiten allerdings doch hingewiesen, weil sie Eichendorffs besondere Erzählweise auch
erhellen.
"... Der Frühling ist vor der Tür, geh auch einmal hinaus in die Welt und erwirb dir selber dein Brot."
Mit diesem Satz und der gesamten Einführung ahmt Eichendorff den Erzählton der Grimmschen
"Kinder- und Hausmärchen" (1812-15) nach: der Leser soll über das Märchenhafte des Geschehens sofort
im Bilde sein. Auch dass der Ich-Erzähler nur 'Taugenichts' heißt und weiter keinen Namen hat, ist
ein Märchen-Element, 'Aschenputtel', 'Daumesdick' oder das 'Tapfere Schneiderlein' sind ebenso benannt.
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Die Trägen, die zu Hause liegen ...
Mit der zweiten Strophe des Liedes werden die eigentlich Arbeitenden, die der Taugenichts in dem Dorf zurücklässt,
zu 'Trägen' erklärt, weil sie zu Hause bleiben, immer dasselbe tun, nichts Neues zu erfahren suchen. Fleiß und Trägheit
sind also keine gegensätzlichen, sondern sich durchaus vertragende Haltungen. Munter ist nur, wer aufbricht, etwas riskiert, das
Gewohnte hinter sich lässt.
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Wie aber denn die Sonne immer höher stieg ... und alles in der Luft und auf der weiten Fläche so leer und
schwül und still wurde über den leise wogenden Kornfeldern ...
Zum Zeitsprung vom Frühjahr in den Sommer, der hier vorliegt, siehe unter
SCHAUPLÄTZE.
so leer = das verstärkende, emphatische 'so' ist typisch für Eichendorffs Beschreibungen. Es lässt das
genaue Ausmaß der Leere, Schwüle, Stille usw. unbestimmt und setzt ein persönliches Empfinden an seine Stelle.
So kann sich der Leser selbst zu den benannten Erscheinungen die für ihn passende Ausdehnung vorstellen.
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... sie nahm auch die Gitarre in den weißen Arm und sang dazu so wundersam über den Garten hinaus, dass sich mir
noch das Herz umwenden will vor Wehmut, wenn mir eins von den Liedern bisweilen einfällt - und ach, das alles ist schon lange her.
lange her = der hier erklärte große Zeitabstand zwischen dem Erlebten und seiner Wiedergabe in dieser Erzählung
wird im weiteren Verlauf nicht bestätigt. Da die 1826 erschienene Novelle in der Zeit nach 1822 spielt (siehe unter
LEBENSWELT zu Kapitel 8), gibt es so gut wie keinen Zeitabstand zwischen dem
Erzählzeitpunkt und den mitgeteilten Erlebnissen. Man käme auch zu heiklen Fragen, wenn man einen solchen Abstand
unterstellte: Hat die Liebe zu der 'Schönen Frau' sich also bald abgekühlt? Oder hat sie ihn verlassen oder ist sie
gestorben? Eichendorff hat solche Fragen aber bestimmt nicht bezweckt. Das melancholische 'Lang, lang ist's her' ist einfach ein
Stil-Element und hat hier weiter nichts zu bedeuten.
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... es fiel mir jetzt auf einmal alles recht ein, wie sie so schön und ich so arm bin und verspottet und verlassen von der
Welt - und als sie alle hinter Büschen verschwunden waren, da konnt ich mich nicht länger halten, ich warf mich in
das Gras hin und weinte bitterlich.
Mit dem Märchen- und Bibelton an dieser Stelle wird der Kummer des Taugenichts so pathetisch formuliert, dass er nicht mehr
ganz ernst genommen werden kann. Es handelt sich nicht um eine Klage, sondern nur um ein Klage-Zitat. Ganz ins Ironische schlägt
die Formulierung jedoch nicht um, da sie sich mit der Naivität des Taugenichts noch halbwegs verträgt.