Erstes Kapitel
Wie aber denn die Sonne immer höher stieg, rings am Horizont schwere weiße Mittagswolken aufstiegen und alles in der Luft
und auf der weiten Fläche so leer und schwül und still wurde über den leise wogenden Kornfeldern, da fiel mir erst
wieder mein Dorf ein ...
Dass der Taugenichts an einem Frühjahrsmorgen, wo der Schnee noch vom Dach tropft und gepflügt wird, in seinem Heimatdorf aufbricht
und schon am Mittag in eine Gegend mit wogenden Kornfeldern kommt, ist mit einem Ortswechsel nicht zu erklären. Offensichtlich liegt hier
ein Zeitsprung von drei bis vier Monaten vor. Dieser Zeitsprung vollzieht sich allerdings so beiläufig, dass er sicherlich nichts besagen
oder bedeuten soll. Die Jahreszeiten werden bei Eichendorff einfach 'gesetzt', oder richtiger:
eine Jahreszeit wird gesetzt, denn es
ist in seinen Werken nahezu immer Sommer und Sommerwetter, allein auf diese Gegebenheiten kommt es ihm als Stimmungsgrundlage an.
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Als ich die Augen aufschlug, stand der Wagen still unter hohen Lindenbäumen, hinter denen eine breite Treppe zwischen
Säulen in ein prächtiges Schloss führte. Seitwärts durch die Bäume sah ich die Türme von Wien.
Da Eichendorff selbst zweieinhalb Jahre - von November 1810 bis April 1813 - in Wien gelebt hat, ist die
Ortsangabe hier nicht ganz inhaltlos. Allerdings bleibt sie so allgemein, dass auf einen bestimmten Schauplatz nicht
geschlossen werden kann. Aus den geographischen Gegebenheiten lässt sich allenfalls folgern, dass der
Taugenichts aus dem Wienerwald - westlich von Wien - kommt und in einem Schloss in der Gegend des Bisamberges
eintrifft, von wo aus man die Stadt und die Donau, wie beschrieben, vor sich sehen kann.
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Blick vom Bisamberg auf Wien
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Die Gemeinde Enzersdorf hat deshalb an dieser Stelle ein Eichendorff-Denkmal errichtet und es mit einigen Versen aus dem 9. Kapitel
des 'Taugenichts' versehen.
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Das Eichendorff-Denkmal am Bisamberg
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In der Erstausgabe wurde übrigens noch die Abkürzung 'W.' gebraucht, wäre Wien an dieser Stelle also nicht
zu identifizieren gewesen. Das war jedoch inkonsequent, da schon im 2. Kapitel die Donau und Wien genannt werden,
und so wird seit der Ausgabe von 1841 der Name auch hier ausgeschrieben.
Wenn darüber hinaus in dem Schloss, in das der Taugenichts kommt, das Schloss Seebarn bei Korneuburg 'erkannt' wird, das Eichendorff selbst
von Wien aus besucht hat (siehe unter
ENTSTEHUNG), so ist das jedoch nur noch in einer imaginativen,
nicht mehr in einer geographischen Anbindung möglich. Seebarn liegt zehn Kilometer nördlich des Bisamberges, sodass Wien
und die Donau von dort aus nicht zu sehen sind. Dasselbe gilt für das 'lange Dorf' mit der Mühle, aus dem der Taugenichts aufbricht.
Hier auf Sedlnitz in Mähren zu schließen, wie es in der Eichendorff-Literatur geschieht, weil Eichendorffs Familie dort einen Gutshof
besessen hat, ist ebenfalls nur unter Vernachlässigung der Geographie möglich. Sedlnitz (Sedlnice) liegt 300 km nördlich von
Wien und scheidet damit für eine Tagesreise von dort her als Bezugsort aus. Im übrigen sind auch die Konturen dieser Schauplätze
nicht deutlich genug, um auf bestimmte Orte und Stätten zu schließen. Selbst mit Wien ist mehr als eine lokale Stimmung
nicht gemeint.