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[Fünfter Teil]
Sprung zur Textstelle ... verließ er das Schloss zu Lützen und ging unerkannt mit dem Rest seines kleinen Vermögens ... nach Dresden.
Die gesamte nachfolgende Entwicklung des Geschehens bis zu Kohlhaasens Hinrichtung wird von Kleist den historischen Vorgängen hinzugefügt. Der Textmenge nach ist das mehr als die Hälfte der Novelle, der erzählten Zeit nach kaum weniger - was hat Kleist bewogen, so weit über die geschichtlichen Vorgaben hinauszugehen? Die Antwort ist leicht zu finden: Er wollte den eigentlich gescheiterten Kohlhaas am Ende triumphieren lassen, ohne dabei an dem Ausgang, seiner Hinrichtung, etwas zu ändern.
Zu diesem Zweck wird ihm ein zweiter, weit größerer Widersacher als der Junker von Tronka gegenübergestellt, der sächsische Kurfürst, und der Kampf gegen ihn lässt den gegen den Junker immer mehr zurücktreten. Im Grunde erzählt Kleist in diesem zweiten Teil die Kohlhaas-Geschichte noch einmal, nur mit einem von dessen Seite her anderen Streitziel. Kohlhaas kämpft jetzt nicht mehr darum, Recht zu bekommen oder sonst ein Zugeständnis zu erlangen, sondern er will den Kurfürsten, der ihm hinsichtlich des 'freien Geleits' sein Wort gebrochen hat, nur noch peinigen, ihm durch das Verschweigen eines bestimmten Wissens den größtmöglichen seelischen Schmerz zufügen.
Weil es der sächsische Kurfürst ist, auf den sich der Hass von Kohlhaas richtet, hat man einen politischen Hintergrund für diese zweite Kampf-Ansage vermutet: Sachsen war im Jahre 1806 auf die Seite des Kleist verhassten Napoleon getreten, während Preußen auf die Stunde der Erhebung gegen diesen wartete. Kann dies jedoch die umfangreiche Erweiterung des historischen Kohlhaas-Stoffes erklären? Ja, kann man dieses Motiv überhaupt hier erschließen, wo doch der sächsische Kurfürst, der 1806 dem Rheinbund beitrat und dafür von Napoleon die Königswürde erhielt (Friedrich August III.), gerade kein Nachkomme des Kurfürsten war, der zur Zeit von Kohlhaas in Sachsen die Macht hatte, sondern ein Nachkomme von dessen Gegner?
Will man sich hier nicht auf ein 'Sachse ist Sachse' zurückziehen, so kann man nur folgern, dass es auf das Sächsische an diesem Kurfürsten nicht ankommt. Vielmehr scheint er nur allgemein ein Repräsentant fürstlicher Macht zu sein, und eine solche Macht soll gedemütigt, sie soll durch Kohlhaas der äußersten seelischen Marter ausgesetzt werden. Das aber bedeutet: es ist das Ich Kleists, das hinter diesem Verletzungs- und Rachebedürfnis steht, es ist seine Vorstellung davon, wie er es den Mächtigen, die ihn nicht anerkannt haben, heimzahlen wird.
Benutzte Literatur: Gallas,  Das Textbegehren des Michael Kohlhaas,
				  1981.
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Sprung zur Textstelle Inzwischen war auch der Junker seiner Haft in Wittenberg entlassen ...
Kleist hat offenbar vergessen, dass der Junker, also Wenzel von Tronka, bereits nach den Wittenberger Brandstiftungen aus dieser Stadt weggebracht worden ist. Kohlhaas belagert deshalb ja die Pleißenburg, wo man den Junker vermutet, bis die Nachricht kommt, er befinde sich in Dresden (siehe DRITTER TEIL).
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Sprung zur Textstelle Der Rosshändler, dessen Wille durch den Vorfall, der sich auf dem Markt zugetragen, in der Tat gebrochen war, wartete auch nur dem Rat des Großkanzlers gemäß auf eine Eröffnung vonseiten des Junkers oder seiner Angehörigen, um ihnen mit völliger Bereitwilligkeit und Vergebung alles Geschehenen entgegenzukommen ...
Der in Dresden ohnehin schon wie verwandelte Kohlhaas wird mit dieser schlichten Mitteilung von allen Hassgefühlen gegen den Junker von Tronka freigesprochen - eine Wendung so jenseits aller Wahrscheinlichkeit, dass man sieht, wie schon hier der Übergang zu einer neuen Gegnerschaft vorbereitet wird. Eigentlich hätte Kohlhaas beim Anblick seiner heruntergebrachten Pferde erneut in Wut gegen den Junker geraten sollen oder, wenn er ihre tatsächliche Wertlosigkeit in diesem Moment begriff, sich jedenfalls daran erinnern müssen, dass von seinem juristischen Kampf um diese Pferde sein gesamtes Schicksal jetzt abhing. Jede Andeutung, dass es ihm um die Pferde selbst gar nicht gegangen sei, sondern nur um ein rechtliches Prinzip, würde in einem Gerichtsverfahren seinen Untergang bedeutet haben. Wegen zweier Pferde ganze Städte in Brand zu stecken war problematisch genug, es eines Prinzips wegen getan zu haben konnte ihm niemals nachgesehen werden.
Tatsächlich jedoch scheint Kohlhaas vollauf damit zufrieden zu sein, dass man ihn in Dresden so ebenbürtig behandelt, gerade wie jemand, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Auch hier möchte man eher an die Selbstwahrnehmung von Kleist als an die eines Michael Kohlhaas denken.