[Fünfter Teil: Wie Michael Kohlhaas auf das 'freie Geleit' vertraute]
Kohlhaas hatte nicht sobald durch den Doktor Luther ein Exemplar dieses in allen Plätzen des Landes angeschlagenen Plakats erhalten, als er, so
bedingungsweise auch die darin geführte Sprache war, seinen ganzen Haufen schon mit Geschenken, Danksagungen und zweckmäßigen Ermahnungen
auseinandergehen ließ. Er legte alles, was er an Geld, Waffen und Gerätschaften erbeutet haben mochte, bei den Gerichten zu Lützen als kurfürstliches
Eigentum nieder; und nachdem er den Waldmann mit Briefen wegen Wiederkaufs seiner Meierei, wenn es möglich sei, an den Amtmann nach
Kohlhaasenbrück und den Sternbald zur Abholung seiner Kinder, die er wieder bei sich zu haben wünschte, nach Schwerin geschickt hatte, verließ
er das Schloss zu Lützen und ging unerkannt mit dem Rest seines kleinen Vermögens, das er in Papieren bei sich trug, nach Dresden.
Der Tag brach eben an, und die ganze Stadt schlief noch, als er
an die Tür der kleinen, in der Pirnaischen Vorstadt gelegenen Besitzung, die ihm
durch die Rechtschaffenheit des Amtmanns übrig geblieben war, anklopfte und Thomas, dem alten die Wirtschaft führenden Hausmann, der
ihm mit Erstaunen und Bestürzung aufmachte, sagte, er möchte dem Prinzen von Meißen auf dem Gubernium melden, dass er, Kohlhaas
der Rosshändler, da wäre. Der Prinz von Meißen, der auf diese Meldung für zweckmäßig hielt, augenblicklich sich selbst
von dem Verhältnis, in welchem man mit diesem Mann stand, zu unterrichten, fand, als er mit einem Gefolge von Rittern und Trossknechten bald
darauf erschien, in den Straßen, die zu Kohlhaasens Wohnung führten, schon eine unermessliche Menschenmenge versammelt. Die Nachricht,
dass der Würgengel da sei, der die Volksbedrücker mit Feuer und Schwert verfolgte, hatte ganz Dresden, Stadt und Vorstadt, auf die Beine
gebracht; man musste die Haustür vor dem Andrang des neugierigen Haufens verriegeln, und die Jungen kletterten an den Fenstern heran, um
den Mordbrenner, der darin frühstückte, in Augenschein zu nehmen. Sobald der Prinz mit Hilfe der ihm Platz machenden Wache ins Haus
gedrungen und in Kohlhaasens Zimmer getreten war, fragte er diesen, welcher halb entkleidet an einem Tische stand, ob er Kohlhaas, der
Rosshändler, wäre, worauf Kohlhaas, indem er eine Brieftasche mit mehreren über sein Verhältnis lautenden Papieren aus seinem
Gurt nahm und ihm ehrerbietig überreichte, antwortete: »Ja!«, und hinzusetzte, er finde sich nach Auflösung seines Kriegshaufens der ihm
erteilten landesherrlichen Freiheit gemäß in Dresden ein, um seine Klage der Rappen wegen gegen den Junker Wenzel von Tronka vor
Gericht zu bringen.
Der Prinz, nach einem flüchtigen Blick, womit er ihn von Kopf zu Fuß überschaute, durchlief die in der Brieftasche
befindlichen Papiere, ließ sich von ihm erklären, was es mit einem von dem Gericht zu Lützen ausgestellten Schein, den er darin fand,
über die zugunsten des kurfürstlichen Schatzes gemachte Deposition für eine Bewandtnis habe; und nachdem er die Art des Mannes
noch durch Fragen mancherlei Gattung, nach seinen Kindern, seinem Vermögen und der Lebensart, die er künftig zu führen denke,
geprüft und überall so, dass man wohl seinetwegen ruhig sein konnte, befunden hatte, gab er ihm die Briefschaften wieder und sagte, dass
seinem Prozess nichts im Wege stünde und dass er sich nur unmittelbar, um ihn einzuleiten, an den Großkanzler des Tribunals, Grafen Wrede,
selbst wenden möchte. Inzwischen sagte der Prinz nach einer Pause, indem er ans Fenster trat und mit großen Augen das Volk, das vor dem
Hause versammelt war, überschaute: »Du wirst auf die ersten Tage eine Wache annehmen müssen, die dich in deinem Hause sowohl, als wenn
du ausgehst, schütze!« - Kohlhaas sah betroffen vor sich nieder und schwieg. Der Prinz sagte: »Gleichviel!«, indem er das
Fenster wieder verließ,
»was daraus entsteht, du hast es dir selbst beizumessen«, und damit wandte er sich wieder nach der Tür in der Absicht, das Haus zu verlassen.
Kohlhaas, der sich besonnen hatte, sprach: »Gnädigster Herr! Tut, was Ihr wollt! Gebt mir Euer Wort, die Wache, sobald ich es wünsche, wieder
aufzuheben, so habe ich gegen diese Maßregel nichts einzuwenden!« Der Prinz erwiderte, das bedürfe der Rede nicht, und nachdem er drei
Landsknechten, die man ihm zu diesem Zweck vorstellte, bedeutet hatte, dass der Mann, in dessen Hause sie zurückblieben, frei wäre und
dass sie ihm bloß zu seinem Schutz, wenn er ausginge, folgen sollten, grüßte er den Rosshändler mit einer herablassenden Bewegung der
Hand und entfernte sich.
Gegen Mittag begab sich Kohlhaas, von seinen drei Landsknechten begleitet,
unter dem Gefolge einer unabsehbaren Menge, die ihm aber auf
keine Weise, weil sie durch die Polizei gewarnt war, etwas zuleide tat, zu dem Großkanzler des Tribunals, Grafen Wrede. Der Großkanzler,
der ihn mit Milde und Freundlichkeit in seinem Vorgemach empfing, unterhielt sich während zwei ganzer Stunden mit ihm, und nachdem er sich den
ganzen Verlauf der Sache von Anfang bis zu Ende hatte erzählen lassen, wies er ihn zur unmittelbaren Abfassung und Einreichung der Klage an
einen bei dem Gericht angestellten berühmten Advokaten der Stadt. Kohlhaas, ohne weiteren Verzug, verfügte sich in dessen Wohnung;
und nachdem die Klage ganz der ersten niedergeschlagenen gemäß auf Bestrafung des Junkers nach den Gesetzen, Wiederherstellung
der Pferde in den vorigen Stand und Ersatz seines Schadens sowohl als auch dessen, den sein bei Mühlberg gefallener Knecht Herse erlitten
hatte, zugunsten der alten Mutter desselben aufgesetzt war, begab er sich wieder unter Begleitung des ihn immer noch angaffenden Volks nach
Hause zurück, wohl entschlossen, es anders nicht als nur, wenn notwendige Geschäfte ihn riefen, zu verlassen.
Inzwischen war auch der Junker seiner Haft in Wittenberg entlassen und
nach Herstellung von einer gefährlichen Rose, die seinen Fuß
entzündet hatte, von dem Landesgericht unter peremtorischen Bedingungen aufgefordert worden, sich zur Verantwortung auf die von dem
Rosshändler Kohlhaas gegen ihn eingereichte Klage wegen widerrechtlich abgenommener und zugrunde gerichteter Rappen in Dresden zu
stellen. Die Gebrüder Kämmerer und Mundschenk von Tronka, Lehnsvettern des Junkers, in deren Hause er abtrat, empfingen ihn mit
der größesten Erbitterung und Verachtung; sie nannten ihn einen Elenden und Nichtswürdigen, der Schande und Schmach über
die ganze Familie bringe, kündigten ihm an, dass er seinen Prozess nunmehr unfehlbar verlieren würde, und forderten ihn auf, nur gleich
zur Herbeischaffung der Rappen, zu deren Dickfütterung er zum Hohngelächter der Welt verdammt werden werde, Anstalt zu machen.
Der Junker sagte mit schwacher, zitternder Stimme, er sei der bejammernswürdigste Mensch von der Welt. Er verschwor sich, dass er von
dem ganzen verwünschten Handel, der ihn ins Unglück stürze, nur wenig gewusst und dass der Schlossvogt und der Verwalter an
allem schuld wären, indem sie die Pferde ohne sein entferntestes Wissen und Wollen bei der Ernte gebraucht und durch unmäßige
Anstrengungen zum Teil auf ihren eigenen Feldern zugrunde gerichtet hätten. Er setzte sich, indem er dies sagte, und bat, ihn nicht durch
Kränkungen und Beleidigungen in das Übel, von dem er nur soeben erst erstanden sei, mutwillig zurückzustürzen.
Am andern Tage schrieben die Herren Hinz und Kunz, die in der Gegend der eingeäscherten Tronkenburg Güter besaßen, auf Ansuchen des
Junkers, ihres Vetters, weil doch nichts anders übrig blieb, an ihre dort befindlichen Verwalter und Pächter um Nachricht über die
an jenem unglücklichen Tage abhanden gekommenen und seitdem gänzlich verschollenen Rappen einzuziehn. Aber alles, was sie bei der
gänzlichen Verwüstung des Platzes und der Niedermetzelung fast aller Einwohner erfahren konnten, war, dass ein Knecht sie, von den
flachen Hieben des Mordbrenners getrieben, aus dem brennenden Schuppen, in welchem sie standen, gerettet, nachher aber auf die Frage, wo
er sie hinführen und was er damit anfangen solle, von dem grimmigen Wüterich einen Fußtritt zur Antwort erhalten habe. Die alte,
von der Gicht geplagte Haushälterin des Junkers, die sich nach Meißen geflüchtet hatte, versicherte demselben auf eine schriftliche
Anfrage, dass der Knecht sich am Morgen jener entsetzlichen Nacht mit den Pferden nach der brandenburgischen Grenze gewandt habe; doch
alle Nachfragen, die man daselbst anstellte, waren vergeblich, und es schien dieser Nachricht ein Irrtum zum Grunde zu liegen, indem der Junker
keinen Knecht hatte, der im Brandenburgischen oder auch nur auf der Straße dorthin zu Hause war.
Männer aus Dresden, die wenige
Tage nach dem Brande der Tronkenburg in Wilsdruff gewesen waren, sagten aus, dass um die benannte Zeit ein Knecht mit zwei an der Halfter
gehenden Pferden dort angekommen und die Tiere, weil sie sehr elend gewesen wären und nicht weiter fortgekonnt hätten, im Kuhstall
eines Schäfers, der sie wieder hätte aufbringen wollen, stehen gelassen hätte. Es schien mancherlei Gründe wegen sehr
wahrscheinlich, dass dies die in Untersuchung stehenden Rappen waren; aber der Schäfer aus Wilsdruff hatte sie wie Leute, die dorther
kamen, versicherten, schon wieder, man wusste nicht an wen, verhandelt; und ein drittes Gerücht, dessen Urheber unentdeckt blieb, sagte
gar aus, dass die Pferde bereits in Gott verschieden und in der Knochengrube zu Wilsdruff begraben wären. Die Herren Hinz und Kunz,
denen diese Wendung der Dinge, wie man leicht begreift, die erwünschteste war, indem sie dadurch bei des Junkers, ihres Vetters,
Ermangelung eigener Ställe der Notwendigkeit, die Rappen in den ihrigen aufzufüttern, überhoben waren, wünschten
gleichwohl völliger Sicherheit wegen diesen Umstand zu bewahrheiten. Herr Wenzel von Tronka erließ demnach als
Erb-, Lehns- und Gerichtsherr ein Schreiben an die Gerichte zu Wilsdruff, worin er dieselben nach einer weitläufigen Beschreibung der Rappen, die, wie er
sagte, ihm anvertraut und durch einen Unfall abhanden gekommen wären, dienstfreundlichst ersuchte, den dermaligen Aufenthalt derselben
zu erforschen und den Eigner, wer er auch sei, aufzufordern und anzuhalten, sie gegen reichliche Wiedererstattung aller Kosten in den
Ställen des Kämmerers Herrn Kunz zu Dresden abzuliefern. Demgemäß erschien auch wirklich wenige Tage darauf der Mann,
an den sie der Schäfer aus Wilsdruff verhandelt hatte, und führte sie, dürr und wankend an die Runge seines Karrens gebunden,
auf den Markt der Stadt; das Unglück aber Herrn Wenzels und noch mehr des ehrlichen Kohlhaas wollte, dass es der Abdecker aus
Döbeln war.
Sobald Herr Wenzel in Gegenwart des Kämmerers, seines Vetters, durch
ein unbestimmtes Gerücht vernommen hatte, dass ein Mann mit
zwei schwarzen, aus dem Brande der Tronkenburg entkommenen Pferden in der Stadt angelangt sei, begaben sich beide in Begleitung einiger aus
dem Hause zusammengerafften Knechte auf den Schlossplatz, wo er stand, um sie demselben, falls es die dem Kohlhaas zugehörigen wären,
gegen Erstattung der Kosten abzunehmen und nach Hause zu führen. Aber wie betreten waren die Ritter, als sie bereits einen von Augenblick zu
Augenblick sich vergrößernden Haufen von Menschen, den das Schauspiel herbeigezogen, um den zweirädrigen Karren, an dem die
Tiere befestigt waren, erblickten, unter unendlichem Gelächter einander zurufend, dass die Pferde schon, um derenthalben der Staat wanke, an
den Schinder gekommen wären! Der Junker, der um den Karren herumgegangen war und die jämmerlichen Tiere, die alle Augenblicke sterben
zu wollen schienen, betrachtet hatte, sagte verlegen, das wären die Pferde nicht, die er dem Kohlhaas abgenommen; doch Herr Kunz, der
Kämmerer, einen Blick sprachlosen Grimms voll auf ihn werfend, der, wenn er von Eisen gewesen wäre, ihn zerschmettert hätte, trat,
indem er seinen Mantel, Orden und Kette entblößend zurückschlug, zu dem Abdecker heran und fragte ihn, ob das die Rappen wären,
die der Schäfer von Wilsdruff an sich gebracht und der Junker Wenzel von Tronka, dem sie gehörten, bei den Gerichten daselbst requiriert
hätte. Der Abdecker, der einen Eimer Wasser in der Hand beschäftigt war, einen dicken, wohlbeleibten Gaul, der seinen Karren zog, zu
tränken, sagte: »Die schwarzen?« - Er streifte dem Gaul, nachdem er den Eimer niedergesetzt, das Gebiss aus dem Maul und sagte, die Rappen,
die an die Runge gebunden wären, hätte ihm der Schweinehirte von Hainichen verkauft. Wo der sie her hätte und ob sie von dem
Wilsdruffer Schäfer kämen, das wisse er nicht. Ihm hätte, sprach er, während er den Eimer wieder aufnahm und zwischen
Deichsel und Knie anstemmte, ihm hätte der Gerichtsbote aus Wilsdruff gesagt, dass er sie nach Dresden in das Haus derer von Tronka bringen
solle, aber der Junker, an den er gewiesen sei, heiße Kunz. Bei diesen Worten wandte er sich mit dem Rest des Wassers, den der Gaul im Eimer
übriggelassen hatte, und schüttete ihn auf das Pflaster der Straße aus.
Der Kämmerer, der, von den Blicken der hohnlachenden
Menge umstellt, den Kerl, der mit empfindungslosem Eifer seine Geschäfte betrieb, nicht bewegen konnte, dass er ihn ansah, sagte, dass er der
Kämmerer Kunz von Tronka wäre, die Rappen aber, die er an sich bringen solle, müssten dem Junker, seinem Vetter, gehören,
von einem Knecht, der bei Gelegenheit des Brandes aus der Tronkenburg entwichen, an den Schäfer zu Wilsdruff gekommen und ursprünglich
zwei dem Rosshändler Kohlhaas zugehörige Pferde sein! Er fragte den Kerl, der mit gespreizten Beinen dastand und sich die Hosen in die
Höhe zog, ob er davon nichts wisse und ob sie der Schweinehirte von Hainichen nicht vielleicht, auf welchen Umstand alles ankomme, von dem
Wilsdruffer Schäfer oder von einem Dritten, der sie seinerseits von demselben gekauft, erstanden hätte. - Der Abdecker, der sich an den
Wagen gestellt und sein Wasser abgeschlagen hatte, sagte, er wäre mit den Rappen nach Dresden bestellt, um in dem Hause derer von Tronka
sein Geld dafür zu empfangen. Was er da vorbrächte, verstände er nicht, und ob sie vor dem Schweinehirten aus Hainichen Peter oder
Paul besessen hätte oder der Schäfer aus Wilsdruff, gelte ihm, da sie nicht gestohlen wären, gleich. Und damit ging er, die Peitsche
quer über seinen breiten Rücken, nach einer Kneipe, die auf dem Platze lag, in der Absicht, hungrig wie er war, ein Frühstück
einzunehmen.
Der Kämmerer, der auf der Welt Gottes nicht wusste, was er mit Pferden, die der Schweinehirte von Hainichen an den Schinder
in Döbeln verkauft, machen solle, falls es nicht diejenigen wären, auf welchen der Teufel durch Sachsen ritt,
forderte den Junker auf, ein Wort zu sprechen; doch da dieser mit bleichen, bebenden Lippen erwiderte, das Ratsamste wäre, dass man die Rappen kaufe, sie
möchten dem Kohlhaas gehören oder nicht, so trat der Kämmerer, Vater und Mutter, die ihn geboren, verfluchend, indem er sich
den Mantel zurückschlug, gänzlich unwissend, was er zu tun oder zu lassen habe, aus dem Haufen des Volks zurück. Er rief den
Freiherrn von Wenk, einen Bekannten, der über die Straße ritt, zu sich heran und trotzig, den Platz nicht zu verlassen, eben weil das
Gesindel höhnisch auf ihn einblickte und mit vor dem Mund zusammengedrückten Schnupftüchern nur auf seine Entfernung zu warten
schien, um loszuplatzen, bat er ihn, bei dem Großkanzler, Grafen Wrede, abzusteigen und durch dessen Vermittelung den Kohlhaas zur
Besichtigung der Rappen herbeizuschaffen.
Es traf sich, dass Kohlhaas eben, durch einen Gerichtsboten herbeigerufen, in dem Gemach des
Großkanzlers gewisser, die Deposition in Lützen betreffenden Erläuterungen wegen, die man von ihm bedurfte, gegenwärtig
war, als der Freiherr in der eben erwähnten Absicht zu ihm ins Zimmer trat; und während der Großkanzler sich mit einem
verdrießlichen Gesicht vom Sessel erhob und den Rosshändler, dessen Person jenem unbekannt war, mit den Papieren, die er in der
Hand hielt, zur Seite stehen ließ, stellte der Freiherr ihm die Verlegenheit, in welcher sich die Herren von Tronka befanden, vor. Der
Abdecker von Döbeln sei auf mangelhafte Requisition der Gerichte mit Pferden erschienen, deren Zustand so heillos beschaffen wäre,
dass der Junker Wenzel anstehen müsse, sie für die dem Kohlhaas gehörigen anzuerkennen, dergestalt, dass, falls man sie
gleichwohl dem Abdecker abnehmen solle, um in den Ställen der Ritter zu ihrer Wiederherstellung einen Versuch zu machen, vorher eine
Okular-Inspektion des Kohlhaas, um den besagten Umstand außer Zweifel zu setzen, notwendig sei. »Habt demnach die Güte«,
schloss er, »den Rosshändler durch eine Wache aus seinem Hause abholen und auf den Markt, wo die Pferde stehen, hinführen zu lassen.«
Der Großkanzler, indem er sich eine Brille von der Nase nahm, sagte, dass er in einem doppelten Irrtum stünde; einmal, wenn er glaube,
dass der in Rede stehende Umstand anders nicht als durch eine Okular-Inspektion des Kohlhaas auszumitteln sei, und dann, wenn er sich einbilde,
er, der Kanzler, sei befugt, den Kohlhaas durch eine Wache, wohin es dem Junker beliebe, abführen zu lassen. Dabei stellte er ihm den
Rosshändler, der hinter ihm stand, vor und bat ihn, indem er sich niederließ und seine Brille wieder aufsetzte, sich in dieser Sache an ihn
selbst zu wenden. -
Kohlhaas, der mit keiner Miene, was in seiner Seele vorging, zu erkennen gab, sagte, dass er bereit wäre, ihm zur
Besichtigung der Rappen, die der Abdecker in die Stadt gebracht, auf den Markt zu folgen. Er trat, während der Freiherr sich betroffen zu
ihm umkehrte, wieder an den Tisch des Großkanzlers heran, und nachdem er demselben noch aus den Papieren seiner Brieftasche mehrere
die Deposition in Lützen betreffende Nachrichten gegeben hatte, beurlaubte er sich von ihm; der Freiherr, der über das ganze Gesicht rot
ans Fenster getreten war, empfahl sich ihm gleichfalls, und beide gingen, begleitet von den drei durch den Prinzen von Meißen eingesetzten
Landsknechten, unter dem Tross einer Menge von Menschen nach dem Schlossplatz hin. Der Kämmerer, Herr Kunz, der inzwischen den
Vorstellungen mehrerer Freunde, die sich um ihn eingefunden hatten, zum Trotz seinen Platz dem Abdecker von Döbeln gegenüber
unter dem Volke behauptet hatte, trat, sobald der Freiherr mit dem Rosshändler erschien, an den Letzteren heran und fragte ihn, indem er
sein Schwert mit Stolz und Ansehen unter dem Arm hielt, ob die Pferde, die hinter dem Wagen stünden, die seinigen wären? Der
Rosshändler, nachdem er mit einer bescheidenen Wendung gegen den die Frage an ihn richtenden Herrn, den er nicht kannte, den Hut
gerückt hatte, trat, ohne ihm zu antworten, im Gefolge sämtlicher Ritter an den Schinderkarren heran; und die Tiere, die, auf wankenden
Beinen, die Häupter zur Erde gebeugt, dastanden und von dem Heu, das ihnen der Abdecker vorgelegt hatte, nicht fraßen, flüchtig
aus einer Ferne von zwölf Schritt, in welcher er stehen blieb, betrachtet: »Gnädigster Herr!«, wandte er sich wieder zu dem Kämmerer
zurück, »der Abdecker hat ganz recht, die Pferde, die an seinen Karren gebunden sind, gehören mir!« Und damit, indem er sich in dem
ganzen Kreise der Herren umsah, rückte er den Hut noch einmal und begab sich, von seiner Wache begleitet, wieder von dem Platz hinweg.
Bei diesen Worten trat der Kämmerer mit einem raschen, seinen Helmbusch erschütternden Schritt zu dem Abdecker heran und warf ihm
einen Beutel mit Geld zu; und während dieser sich, den Beutel in der Hand, mit einem bleiernen Kamm die Haare über die Stirn
zurückkämmte und das Geld betrachtete, befahl er einem Knecht, die Pferde abzulösen und nach Hause zu führen. Der Knecht,
der auf den Ruf des Herrn einen Kreis von Freunden und Verwandten, die er unter dem Volke besaß, verlassen hatte, trat auch in der Tat ein
wenig rot im Gesicht über eine große Mistpfütze, die sich zu ihren Füßen gebildet hatte, zu den Pferden heran; doch kaum
hatte er ihre Halfter erfasst, um sie loszubinden, als ihn Meister Himboldt, sein Vetter, schon beim Arm ergriff und mit den Worten: »Du rührst die
Schindmähren nicht an!«, von dem Karren hinwegschleuderte. Er setzte, indem er sich mit ungewissen Schritten über die Mistpfütze
wieder zu dem Kämmerer, der über diesen Vorfall sprachlos dastand, zurückwandte, hinzu, dass er sich einen Schinderknecht anschaffen
müsse, um ihm einen solchen Dienst zu leisten! Der Kämmerer, der, vor Wut schäumend, den Meister auf einen Augenblick betrachtet
hatte, kehrte sich um und rief über die Häupter der Ritter, die ihn umringten, hinweg nach der Wache; und sobald auf die Bestellung des
Freiherrn von Wenk ein Offizier mit einigen kurfürstlichen Trabanten aus dem Schloss erschienen war, forderte er denselben unter einer kurzen
Darstellung der schändlichen Aufhetzerei, die sich die Bürger der Stadt erlaubten, auf, den Rädelsführer, Meister Himboldt, in
Verhaft zu nehmen. Er verklagte den Meister, indem er ihn bei der Brust fasste, dass er seinen die Rappen auf seinen Befehl losbindenden Knecht
von dem Karren hinwegeschleudert und misshandelt hätte. Der Meister, indem er den Kämmerer mit einer geschickten Wendung, die ihn
befreite, zurückwies, sagte: »Gnädigster Herr, einem Burschen von zwanzig Jahren bedeuten, was er zu tun hat, heißt nicht, ihn
verhetzen! Befragt ihn, ob er sich gegen Herkommen und Schicklichkeit mit den Pferden, die an die Karre gebunden sind, befassen will; will er es,
nachdem, was ich gesagt, tun, sei's! Meinethalb mag er sie jetzt abludern und häuten!« Bei diesen Worten wandte sich der Kämmerer zu
dem Knecht herum und fragte ihn, ob er irgend Anstand nähme, seinen Befehl zu erfüllen und die Pferde, die dem Kohlhaas gehörten,
loszubinden und nach Hause zu führen. Und da dieser schüchtern, indem er sich unter die Bürger mischte, erwiderte, die Pferde
müssten erst ehrlich gemacht werden, bevor man ihm das zumute, so folgte ihm der Kämmerer von hinten, riss ihm den Hut ab, der mit
seinem Hauszeichen geschmückt war, zog, nachdem er den Hut mit Füßen getreten, vom Leder und jagte den Knecht mit wütenden
Hieben der Klinge augenblicklich vom Platz weg und aus seinen Diensten. Meister Himboldt rief: »Schmeißt den Mordwüterich doch gleich zu
Boden!«, und während die Bürger, von diesem Auftritt empört, zusammentraten und die Wache hinwegdrängten, warf er den
Kämmerer von hinten nieder, riss ihm Mantel, Kragen und Helm ab, wand ihm das Schwert aus der Hand und schleuderte es in einem grimmigen
Wurf weit über den Platz hinweg. Vergebens rief der Junker Wenzel, indem er sich aus dem Tumult rettete, den Rittern zu, seinem Vetter
beizuspringen; ehe sie noch einen Schritt dazu getan hatten, waren sie schon von dem Andrang des Volks zerstreut, dergestalt, dass der
Kämmerer, der sich den Kopf beim Fallen verletzt hatte, der ganzen Wut der Menge preisgegeben war. Nichts als die Erscheinung eines
Trupps berittener Landsknechte, die zufällig über den Platz zogen und die der Offizier der kurfürstlichen Trabanten zu seiner
Unterstützung herbeirief, konnte den Kämmerer retten. Der Offizier, nachdem er den Haufen verjagt, ergriff den wütenden Meister,
und während derselbe durch einige Reiter nach dem Gefängnis gebracht ward, hoben zwei Freunde den unglücklichen, mit Blut
bedeckten Kämmerer vom Boden auf und führten ihn nach Hause.
Einen so heillosen Ausgang nahm der wohlgemeinte und redliche
Versuch, dem Rosshändler wegen des Unrechts, das man ihm zugefügt, Genugtuung zu verschaffen. Der Abdecker von Döbeln,
dessen Geschäft abgemacht war und der sich nicht länger aufhalten wollte, band, da sich das Volk zu zerstreuen anfing, die Pferde an
einen Laternenpfahl, wo sie den ganzen Tag über, ohne dass sich jemand um sie bekümmerte, ein Spott der Straßenjungen und
Tagediebe, stehen blieben, dergestalt, dass in Ermangelung aller Pflege und Wartung die Polizei sich ihrer annehmen musste und gegen Einbruch
der Nacht den Abdecker von Dresden herbeirief, um sie bis auf weitere Verfügung auf der Schinderei vor der Stadt zu besorgen.
Dieser Vorfall, so wenig der Rosshändler ihn in der Tat verschuldet hatte,
erweckte gleichwohl auch bei den Gemäßigtern und
Besseren eine dem Ausgang seiner Streitsache höchst gefährliche Stimmung im Lande. Man fand das Verhältnis desselben zum
Staat ganz unerträglich, und in Privathäusern und auf öffentlichen Plätzen erhob sich die Meinung, dass es besser sei, ein
offenbares Unrecht an ihm zu verüben und die ganze Sache von Neuem niederzuschlagen, als ihm Gerechtigkeit, durch Gewalttaten ertrotzt,
in einer so nichtigen Sache zur bloßen Befriedigung seines rasenden Starrsinns zukommen zu lassen. Zum völligen Verderben des armen
Kohlhaas musste der Großkanzler selbst aus übergroßer Rechtlichkeit und einem davon herrührenden Hass gegen die
Familie von Tronka beitragen, diese Stimmung zu befestigen und zu verbreiten. Es war höchst unwahrscheinlich, dass die Pferde, die der
Abdecker von Dresden jetzt besorgte, jemals wieder in den Stand, wie sie aus dem Stall zu Kohlhaasenbrück gekommen waren, hergestellt
werden würden; doch gesetzt, dass es durch Kunst und anhaltende Pflege möglich gewesen wäre: die Schmach, die zufolge der
bestehenden Umstände dadurch auf die Familie des Junkers fiel, war so groß, dass bei dem staatsbürgerlichen Gewicht, den
sie als eine der ersten und edelsten im Lande hatte, nichts billiger und zweckmäßiger schien, als eine Vergütigung der Pferde in
Geld einzuleiten. Gleichwohl, auf einen Brief, in welchem der Präsident Graf Kallheim im Namen des Kämmerers, den seine Krankheit abhielt,
dem Großkanzler einige Tage darauf diesen Vorschlag machte, erließ derselbe zwar ein Schreiben an den Kohlhaas, worin er ihn ermahnte,
einen solchen Antrag, wenn er an ihn ergehen sollte, nicht von der Hand zu weisen; den Präsidenten selbst aber bat er in einer kurzen,
wenig verbindlichen Antwort, ihn mit Privataufträgen in dieser Sache zu verschonen und forderte den Kämmerer auf, sich an den
Rosshändler selbst zu wenden, den er ihm als einen sehr billigen und bescheidenen Mann schilderte. Der Rosshändler, dessen Wille
durch den Vorfall, der sich auf dem Markt zugetragen, in der Tat gebrochen war, wartete auch nur dem Rat des Großkanzlers
gemäß auf eine Eröffnung vonseiten des Junkers oder seiner Angehörigen, um ihnen mit völliger Bereitwilligkeit und
Vergebung alles Geschehenen entgegenzukommen; doch eben diese Eröffnung war den stolzen Rittern zu tun empfindlich, und schwer
erbittert über die Antwort, die sie von dem Großkanzler empfangen hatten, zeigten sie dieselbe dem Kurfürsten, der am
Morgen des nächstfolgenden Tages den Kämmerer krank, wie er an seinen Wunden daniederlag, in seinem Zimmer besucht hatte.
Der Kämmerer mit einer durch seinen Zustand schwachen und rührenden Stimme fragte ihn, ob er, nachdem er sein Leben daran
gesetzt, um diese Sache seinen Wünschen gemäß beizulegen, auch noch seine Ehre dem Tadel der Welt aussetzen und mit
einer Bitte um Vergleich und Nachgiebigkeit vor einem Manne erscheinen solle, der alle nur erdenkliche Schmach und Schande über ihn
und seine Familie gebracht habe. Der Kurfürst, nachdem er den Brief gelesen hatte, fragte den Grafen Kallheim verlegen, ob das
Tribunal nicht befugt sei, ohne weitere Rücksprache mit dem Kohlhaas auf den Umstand, dass die Pferde nicht wiederherzustellen wären,
zu fußen und demgemäß das Urteil gleich, als ob sie tot wären, auf bloße Vergütigung derselben in Geld abzufassen.
Der Graf antwortete: »Gnädigster Herr, sie
sind tot, sind in staatsrechtlicher Bedeutung
tot, weil sie keinen Wert haben, und werden es
physisch sein, bevor man sie aus der Abdeckerei in die Ställe der Ritter gebracht hat«, worauf der Kurfürst, indem er den Brief einsteckte,
sagte, dass er mit dem Großkanzler selbst darüber sprechen wolle, den Kämmerer, der sich halb aufrichtete und seine Hand
dankbar ergriff, beruhigte und, nachdem er ihm noch empfohlen hatte, für seine Gesundheit Sorge zu tragen, mit vieler Huld sich von
seinem Sessel erhob und das Zimmer verließ.