[Dritter Teil: Wie Michael Kohlhaas Rache nahm]
Er fiel auch mit diesem kleinen Haufen schon beim
Einbruch der dritten Nacht, den Zollwärter und Torwächter, die im
Gespräch unter dem Tor standen, niederreitend, in die Burg, und während unter plötzlicher Aufprasselung aller
Baracken im Schlossraum, die sie mit Feuer bewarfen, Herse über die Wendeltreppe in den Turm der Vogtei eilte und den
Schlossvogt und Verwalter, die halb entkleidet beim Spiel saßen, mit Hieben und Stichen überfiel, stürzte
Kohlhaas zum Junker Wenzel ins Schloss. Der Engel des Gerichts fährt also vom Himmel herab; und der Junker, der eben
unter vielem Gelächter dem Tross junger Freunde, der bei ihm war, den Rechtsschluss, den ihm der Rosskamm übermacht
hatte, vorlas, hatte nicht sobald dessen Stimme im Schlosshof vernommen, als er den Herren schon plötzlich leichenbleich:
»Brüder, rettet euch!«, zurief und verschwand. Kohlhaas, der beim Eintritt in den Saal einen Junker Hans von
Tronka, der ihm entgegenkam, bei der Brust fasste und in den Winkel des Saals schleuderte, dass er sein Hirn an den Steinen
verspritzte, fragte, während die Knechte die anderen Ritter, die zu den Waffen gegriffen hatten, überwältigten
und zerstreuten, wo der Junker Wenzel von Tronka sei. Und da er bei der Unwissenheit der betäubten Männer die
Türen zweier Gemächer, die in die Seitenflügel des Schlosses führten, mit einem Fußtritt sprengte
und in allen Richtungen, in denen er das weitläufige Gebäude durchkreuzte, niemanden fand, so stieg er fluchend
in den Schlosshof hinab, um die Ausgänge besetzen zu lassen. Inzwischen war, vom Feuer der Baracken ergriffen, nun
schon das Schloss mit allen Seitengebäuden, starken Rauch gen Himmel qualmend, angegangen, und während Sternbald
mit drei geschäftigen Knechten alles, was nicht niet- und nagelfest war, zusammenschleppten und zwischen den Pferden
als gute Beute umstürzten, flogen unter dem Jubel Hersens aus den offenen Fenstern der Vogtei die Leichen des
Schlossvogts und Verwalters mit Weib und Kindern herab. Kohlhaas, dem sich, als er die Treppe vom Schloss niederstieg,
die alte, von der Gicht geplagte Haushälterin, die dem Junker die Wirtschaft führte, zu Füßen warf,
fragte sie, indem er auf der Stufe stehen blieb, wo der Junker Wenzel von Tronka sei. Und da sie ihm mit schwacher,
zitternder Stimme zur Antwort gab, sie glaube, er habe sich in die Kapelle geflüchtet, so rief er zwei Knechte
mit Fackeln, ließ in Ermangelung der Schlüssel den Eingang mit Brechstangen und Beilen eröffnen, kehrte
Altäre und Bänke um und fand gleichwohl zu seinem grimmigen Schmerz den Junker nicht. Es traf sich, dass ein
junger, zum Gesinde der Tronkenburg gehöriger Knecht in dem Augenblick, da Kohlhaas aus der Kapelle zurückkam,
herbeieilte, um aus einem weitläufigen, steinernen Stall, den die Flamme bedrohte, die Streithengste des Junkers
herauszuziehen. Kohlhaas, der in eben diesem Augenblick in einem kleinen mit Stroh bedeckten Schuppen seine beiden Rappen
erblickte, fragte den Knecht, warum er die Rappen nicht rette. Und da dieser, indem er den Schlüssel in die
Stalltür steckte, antwortete, der Schuppen stehe ja schon in Flammen, so warf Kohlhaas den Schlüssel, nachdem
er ihn mit Heftigkeit aus der Stalltüre gerissen, über die Mauer, trieb den Knecht mit hageldichten, flachen
Hieben der Klinge in den brennenden Schuppen hinein und zwang ihn unter entsetzlichem Gelächter der Umstehenden,
die Rappen zu retten. Gleichwohl, als der Knecht schreckenblass wenige Momente, nachdem der Schuppen hinter ihm
zusammenstürzte, mit den Pferden, die er an der Hand hielt, daraus hervortrat, fand er den Kohlhaas nicht mehr;
und da er sich zu den Knechten auf den Schlossplatz begab und den Rosshändler, der ihm mehrere Mal den Rücken
zukehrte, fragte, was er mit den Tieren nun anfangen solle, hob dieser plötzlich mit einer fürchterlichen
Gebärde den Fuß, dass der Tritt, wenn er ihn getan hätte, sein Tod gewesen wäre, bestieg, ohne
ihm zu antworten, seinen Braunen, setzte sich unter das Tor der Burg und erharrte, inzwischen die Knechte ihr Wesen
forttrieben, schweigend den Tag.
Als der Morgen anbrach, war das ganze Schloss bis auf die Mauern
niedergebrannt, und niemand befand sich mehr darin als
Kohlhaas und seine sieben Knechte. Er stieg vom Pferde und untersuchte noch einmal beim hellen Schein der Sonne den ganzen,
in allen seinen Winkeln jetzt von ihr erleuchteten Platz, und da er sich, so schwer es ihm auch ward, überzeugen
musste, dass die Unternehmung auf die Burg fehlgeschlagen war, so schickte er die Brust voll Schmerz und Jammer Hersen
mit einigen Knechten aus, um über die Richtung, die der Junker auf seiner Flucht genommen, Nachricht einzuziehen.
Besonders beunruhigte ihn ein reiches Fräuleinstift namens Erlabrunn, das an den Ufern der Mulde lag und dessen
Äbtissin, Antonia von Tronka, als eine fromme, wohltätige und heilige Frau in der Gegend bekannt war; denn
es schien dem unglücklichen Kohlhaas nur zu wahrscheinlich, dass der Junker sich, entblößt von aller
Notdurft, wie er war, in dieses Stift geflüchtet hatte, in dem die Äbtissin seine leibliche Tante und die
Erzieherin seiner ersten Kindheit war. Kohlhaas, nachdem er sich von diesem Umstand unterrichtet hatte, bestieg den
Turm der Vogtei, in dessen Innerem sich noch ein Zimmer, zur Bewohnung brauchbar, darbot und verfasste ein sogenanntes
'Kohlhaasisches Mandat', worin er das Land aufforderte, dem Junker Wenzel von Tronka, mit dem er in einem gerechten
Krieg liege, keinen Vorschub zu tun, vielmehr jeden Bewohner, seine Verwandten und Freunde nicht ausgenommen,
verpflichtete, denselben bei Strafe des Leibes und des Lebens und unvermeidlicher Einäscherung alles dessen,
was ein Besitztum heißen mag, an ihn auszuliefern. Diese Erklärung streute er durch Reisende und Fremde
in der Gegend aus; ja, er gab Waldmann, dem Knecht, eine Abschrift davon mit dem bestimmten Auftrage, sie in die
Hände der Dame Antonia nach Erlabrunn zu bringen. Hierauf besprach er einige Tronkenburgische Knechte, die
mit dem Junker unzufrieden waren und, von der Aussicht auf Beute gereizt, in seine Dienste zu treten wünschten,
bewaffnete sie nach Art des Fußvolks mit Armbrüsten und Dolchen und lehrte sie, hinter den berittenen
Knechten aufsitzen; und nachdem er alles, was der Tross zusammengeschleppt hatte, zu Geld gemacht und das Geld
unter denselben verteilt hatte, ruhete er einige Stunden unter dem Burgtor von seinen jämmerlichen Geschäften
aus.
Gegen Mittag kam Herse und bestätigte ihm,
was ihm sein Herz, immer auf die trübsten Ahnungen gestellt, schon
gesagt hatte, nämlich, dass der Junker in dem Stift zu Erlabrunn bei der alten Dame Antonia von Tronka, seiner Tante,
befindlich sei. Es schien, er hatte sich durch eine Tür, die an der hinteren Wand des Schlosses in die Luft hinausging,
über eine schmale, steinerne Treppe gerettet, die unter einem kleinen Dach zu einigen Kähnen in die Elbe hinablief.
Wenigstens berichtete Herse, dass er in einem Elbdorf zum Befremden der Leute, die wegen des Brandes in der Tronkenburg
versammelt gewesen, um Mitternacht in einem Nachen ohne Steuer und Ruder angekommen und mit einem Dorffuhrwerk nach
Erlabrunn weitergereiset sei. - Kohlhaas seufzte bei dieser Nachricht tief auf; er fragte, ob die Pferde gefressen
hätten, und da man ihm antwortete: »Ja«, so ließ er den Haufen aufsitzen und stand schon in drei
Stunden vor Erlabrunn. Eben, unter dem Gemurmel eines entfernten Gewitters am Horizont, mit Fackeln, die er sich vor dem
Ort angesteckt, zog er mit seiner Schar in den Klosterhof ein, und Waldmann, der Knecht, der ihm entgegentrat, meldete ihm,
dass das Mandat richtig abgegeben sei, als er die Äbtissin und den Stiftsvogt in einem verstörten Wortwechsel
unter das Portal des Klosters treten sah; und während jener, der Stiftsvogt, ein kleiner, alter, schneeweißer
Mann, grimmige Blicke auf Kohlhaas schießend, sich den Harnisch anlegen ließ und den Knechten, die ihn
umringten, mit dreister Stimme zurief, die Sturmglocke zu ziehn, trat jene, die Stiftsfrau, das silberne Bildnis des
Gekreuzigten in der Hand, bleich wie Linnenzeug von der Rampe herab und warf sich mit allen ihren Jungfrauen vor
Kohlhaasens Pferd nieder. Kohlhaas, während Herse und Sternbald den Stiftsvogt, der kein Schwert in der Hand
hatte, überwältigten und als Gefangenen zwischen die Pferde führten, fragte sie, wo der Junker Wenzel von
Tronka sei. Und da sie, einen großen Ring mit Schlüsseln von ihrem Gurt loslösend »In Wittenberg,
Kohlhaas, würdiger Mann!«, antwortete und mit bebender Stimme hinzusetzte: »Fürchte Gott und
tue kein Unrecht!«, - so wandte Kohlhaas, in die Hölle unbefriedigter Rache zurückgeschleudert, das Pferd
und war im Begriff: »Steckt an!«, zu rufen, als ein ungeheurer Wetterschlag dicht neben ihm zur Erde
niederfiel. Kohlhaas, indem er sein Pferd zu ihr zurückwandte, fragte sie, ob sie sein Mandat erhalten. Und da die
Dame mit schwacher, kaum hörbarer Stimme antwortete: »Eben jetzt!« - »Wann?« - »Zwei
Stunden, so wahr mir Gott helfe, nach des Junkers, meines Vetters, bereits vollzogener Abreise«, - und Waldmann,
der Knecht, zu dem Kohlhaas sich unter finsteren Blicken umkehrte, stotternd diesen Umstand bestätigte, indem er sagte,
dass die Gewässer der Mulde, vom Regen geschwellt, ihn verhindert hätten, früher als eben jetzt einzutreffen,
so sammelte sich Kohlhaas; ein plötzlich furchtbarer Regenguss, der die Fackeln verlöschend auf das Pflaster des
Platzes niederrauschte, löste den Schmerz in seiner unglücklichen Brust; er wandte, indem er kurz den Hut vor
der Dame rückte, sein Pferd, drückte ihm mit den Worten: »Folgt mir, meine Brüder; der Junker
ist in Wittenberg!«,die Sporen ein und verließ das Stift.
Er kehrte, da die Nacht einbrach, in einem Wirtshause auf der
Landstraße ein, wo er wegen großer
Ermüdung der Pferde einen Tag ausruhen musste, und da er wohl einsah, dass er mit einem Haufen von zehn Mann
(denn so stark war er jetzt) einem Platz, wie Wittenberg war, nicht trotzen konnte, so verfasste er ein zweites Mandat,
worin er nach einer kurzen Erzählung dessen, was ihm im Lande begegnet, jeden guten Christen,
wie er sich ausdrückte, unter Angelobung eines Handgelds und anderer kriegerischen Vorteile
aufforderte, seine Sache gegen den Junker von Tronka als dem allgemeinen Feind aller Christen zu ergreifen.
In einem anderen Mandat, das bald darauf erschien, nannte er sich »einen reichs- und weltfreien, Gott allein
unterworfenen Herrn«, eine Schwärmerei krankhafter und missgeschaffener Art, die ihm gleichwohl bei dem Klang
seines Geldes und der Aussicht auf Beute unter dem Gesindel, das der Friede mit Polen außer Brot gesetzt hatte,
Zulauf in Menge verschaffte, dergestalt, dass er in der Tat dreißig und etliche Köpfe zählte, als er
sich zur Einäscherung von Wittenberg auf die rechte Seite der Elbe zurückbegab. Er lagerte sich mit
Pferden und Knechten unter dem Dache einer alten verfallenen Ziegelscheune in der Einsamkeit eines finsteren
Waldes, der damals diesen Platz umschloss, und hatte nicht sobald durch Sternbald, den er mit dem Mandat verkleidet
in die Stadt schickte, erfahren, dass das Mandat daselbst schon bekannt sei, als er auch mit seinen Haufen schon
am heiligen Abend vor Pfingsten aufbrach und den Platz, während die Bewohner im tiefsten Schlaf lagen, an
mehreren Ecken zugleich in Brand steckte. Dabei klebte er, während die Knechte in der Vorstadt plünderten,
ein Blatt an den Türpfeiler einer Kirche an des Inhalts: Er, Kohlhaas, habe die Stadt in Brand gesteckt
und werde sie, wenn man ihm den Junker nicht ausliefere, dergestalt einäschern, dass er, wie er sich
ausdrückte, hinter keiner Wand werde zu sehen brauchen, um ihn zu finden. -
Das Entsetzen der
Einwohner über diesen unerhörten Frevel war unbeschreiblich, und die Flamme, die bei einer zum Glück
ziemlich ruhigen Sommernacht zwar nicht mehr als neunzehn Häuser, worunter gleichwohl eine Kirche war, in den
Grund gelegt hatte, war nicht sobald gegen Anbruch des Tages einigermaßen gedämpft worden, als der alte
Landvogt, Otto von Gorgas, bereits ein Fähnlein von fünfzig Mann aussandte, um den entsetzlichen
Wüterich aufzuheben. Der Hauptmann aber, der es führte, namens Gerstenberg, benahm sich so schlecht dabei,
dass die ganze Expedition Kohlhaasen, statt ihn zu stürzen, vielmehr zu einem höchst gefährlichen
kriegerischen Ruhm verhalf; denn da dieser Kriegsmann sich in mehrere Abteilungen auflösete, um ihn, wie er meinte,
zu umzingeln und zu erdrücken, ward er von Kohlhaas, der seinen Haufen zusammenhielt, auf vereinzelten Punkten
angegriffen und geschlagen, dergestalt, dass schon am Abend des nächstfolgenden Tages kein Mann mehr von dem
ganzen Haufen, auf den die Hoffnung des Landes gerichtet war, gegen ihm im Felde stand. Kohlhaas, der durch diese
Gefechte einige Leute eingebüßt hatte, steckte die Stadt am Morgen des nächsten Tages von Neuem
in Brand, und seine mörderischen Anstalten waren so gut, dass wiederum eine Menge Häuser und fast alle
Scheunen der Vorstadt in die Asche gelegt wurden. Dabei plackte er das bewusste Mandat wieder, und zwar an die
Ecken des Rathauses selbst, an und fügte eine Nachricht über das Schicksal des von dem Landvogt
abgeschickten und von ihm zugrunde gerichteten Hauptmanns von Gerstenberg bei. Der Landvogt, von diesem Trotz
aufs Äußerste entrüstet, setzte sich selbst mit mehreren Rittern an die Spitze eines Haufens
von hundertundfünfzig Mann. Er gab dem Junker Wenzel von Tronka auf seine schriftliche Bitte eine Wache,
die ihn vor der Gewalttätigkeit des Volks, das ihn platterdings aus der Stadt entfernt wissen wollte,
schützte; und nachdem er auf allen Dörfern in der Gegend Wachen ausgestellt, auch die Ringmauer der
Stadt, um sie vor einem Überfall zu decken, mit Posten besetzt hatte, zog er am Tage des heiligen
Gervasius selbst aus, um den Drachen, der das Land verwüstete, zu fangen.
Diesen Haufen war der Rosskamm
klug genug zu vermeiden; und nachdem er den Landvogt durch geschickte Märsche fünf Meilen von der
Stadt hinweggelockt und vermittelst mehrerer Anstalten, die er traf, zu dem Wahn verleitet hatte, dass er sich,
von der Übermacht gedrängt, ins Brandenburgische werfen würde, wandte er sich plötzlich beim
Einbruch der dritten Nacht, kehrte in einem Gewaltritt nach Wittenberg zurück und steckte die Stadt zum
dritten Mal in Brand. Herse, der sich verkleidet in die Stadt schlich, führte dieses entsetzliche
Kunststück aus; und die Feuersbrunst war wegen eines scharf wehenden Nordwindes so verderblich und um sich
fressend, dass in weniger als drei Stunden zweiundvierzig Häuser, zwei Kirchen, mehrere Klöster und
Schulen und das Gebäude der kurfürstlichen Landvogtei selbst in Schutt und Asche lagen. Der Landvogt,
der seinen Gegner beim Anbruch des Tages im Brandenburgischen glaubte, fand, als er von dem, was vorgefallen,
benachrichtigt, in bestürzten Märschen zurückkehrte, die Stadt in allgemeinem Aufruhr; das Volk
hatte sich zu Tausenden vor dem mit Balken und Pfählen versammelten Hause des Junkers gelagert und
forderte mit rasendem Geschrei seine Abführung aus der Stadt. Zwei Bürgermeister, namens Jenkens
und Otto, die in Amtskleidern an der Spitze des ganzen Magistrats gegenwärtig waren, bewiesen vergebens,
dass man platterdings die Rückkehr eines Eilboten abwarten müsse, den man wegen Erlaubnis, den Junker
nach Dresden bringen zu dürfen, wohin er selbst aus mancherlei Gründen abzugehen wünsche, an den
Präsidenten der Staatskanzlei geschickt habe; der unvernünftige, mit Spießen und Stangen
bewaffnete Haufen gab auf diese Worte nichts, und eben war man unter Misshandlung einiger zu kräftigen
Maßregeln auffordernden Räte im Begriff, das Haus, worin der Junker war, zu stürmen und der
Erde gleichzumachen, als der Landvogt, Otto von Gorgas, an der Spitze seines Reuterhaufens in der Stadt erschien.
Diesem würdigen Herrn, der schon durch seine bloße Gegenwart dem Volk Ehrfurcht und Gehorsam
einzuflößen gewohnt war, war es gleichsam zum Ersatz für die fehlgeschlagene Unternehmung, von
welcher er zurückkam, gelungen, dicht vor den Toren der Stadt drei zersprengte Knechte von der Bande des
Mordbrenners aufzufangen; und da er, inzwischen die Kerle vor dem Angesicht des Volks mit Ketten belastet wurden,
den Magistrat in einer klugen Anrede versicherte, den Kohlhaas selbst denke er in Kurzem, indem er ihm auf der
Spur sei, gefesselt einzubringen, so glückte es ihm durch die Kraft aller dieser beschwichtigenden Umstände,
die Angst des versammelten Volks zu entwaffnen und über die Anwesenheit des Junkers bis zur Zurückkunft
des Eilboten aus Dresden einigermaßen zu beruhigen.
Er stieg in Begleitung einiger Ritter vom Pferde und
verfügte sich nach Wegräumung der Palisaden und Pfähle in das Haus, wo er den Junker, der aus
einer Ohnmacht in die andere fiel, unter den Händen zweier Ärzte fand, die ihn mit Essenzen und
Irritanzen wieder ins Leben zurückzubringen suchten; und da Herr Otto von Gorgas wohl fühlte,
dass dies der Augenblick nicht war, wegen der Aufführung, die er sich zuschulden kommen lasse, Worte
mit ihm zu wechseln, so sagte er ihm bloß mit einem Blick stiller Verachtung, dass er sich ankleiden
und ihm zu seiner eigenen Sicherheit in die Gemächer der Ritterhaft folgen möchte. Als man dem
Junker ein Wams angelegt und einen Helm aufgesetzt hatte und er, die Brust wegen Mangels an Luft noch halb
offen, am Arm des Landvogts und seines Schwagers, des Grafen von Gerschau, auf der Straße erschien,
stiegen gotteslästerliche und entsetzliche Verwünschungen gegen ihn zum Himmel auf. Das Volk, von
den Landsknechten nur mühsam zurückgehalten, nannte ihn einen Blutegel, einen elenden Landplager
und Menschenquäler, den Fluch der Stadt Wittenberg und das Verderben von Sachsen; und nach einem
jämmerlichen Zuge durch die in Trümmern liegende Stadt, während welchem er mehrere Mal, ohne
ihn zu vermissen, den Helm verlor, den ihm ein Ritter von hinten wieder aufsetzte, erreichte man endlich das
Gefängnis, wo er in einem Turm unter dem Schutz einer starken Wache verschwand. Mittlerweile setzte die
Rückkehr des Eilboten mit der kurfürstlichen Resolution die Stadt in neue Besorgnis. Denn die
Landesregierung, bei welcher die Bürgerschaft von Dresden in einer dringenden Supplik unmittelbar
eingekommen war, wollte vor Überwältigung des Mordbrenners von dem Aufenthalt des Junkers in der
Residenz nichts wissen; vielmehr verpflichtete sie den Landvogt, denselben da, wo er sei, weil er irgendwo
sein müsse, mit der Macht, die ihm zu Gebote stehe, zu beschirmen, wogegen sie der guten Stadt
Wittenberg zu ihrer Beruhigung meldete, dass bereits ein Heerhaufen von fünfhundert Mann unter
Anführung des Prinzen Friedrich von Meißen im Anzuge sei, um sie vor den ferneren Belästigungen
desselben zu beschützen.
Der Landvogt, der wohl einsah, dass eine Resolution dieser Art das Volk
keineswegs beruhigen konnte, denn nicht nur, dass mehrere kleine Vorteile, die der Rosshändler an
verschiedenen Punkten vor der Stadt erfochten, über die Stärke, zu der er herangewachsen,
äußerst unangenehme Gerüchte verbreiteten; der Krieg, den er in der Finsternis der Nacht
durch verkleidetes Gesindel mit Pech, Stroh und Schwefel führte, hätte, unerhört und beispiellos
wie er war, selbst einen größeren Schutz, als mit welchem der Prinz von Meißen heranrückte,
unwirksam machen können; der Landvogt, nach einer kurzen Überlegung, entschloss sich, die Resolution,
die er empfangen, ganz und gar zu unterdrücken. Er plackte bloß einen Brief, in welchem ihm der Prinz
von Meißen seine Ankunft meldete, an die Ecken der Stadt an;
ein verdeckter Wagen, der beim Anbruch des
Tages aus dem Hofe des Herrenzwingers kam, fuhr, von vier schwer bewaffneten Reitern begleitet, auf die Straße
nach Leipzig hinaus, wobei die Reiter auf eine unbestimmte Art verlauten ließen, dass es nach der
Pleißenburg gehe; und da das Volk über den heillosen Junker, an dessen Dasein Feuer und Schwert gebunden,
dergestalt beschwichtigt war, brach er selbst mit einem Haufen von dreihundert Mann auf, um sich mit dem Prinzen
Friedrich von Meißen zu vereinigen.
Inzwischen war Kohlhaas in der Tat durch die sonderbare Stellung, die
er in der Welt einnahm, auf hundertundneun Köpfe herangewachsen; und da er auch in Jessen einen Vorrat an
Waffen aufgetrieben und seine Schar auf das Vollständigste damit ausgerüstet hatte, so fasste er von
dem doppelten Ungewitter, das auf ihn heranzog, benachrichtigt, den Entschluss, demselben mit der Schnelligkeit
des Sturmwinds, ehe es über ihn zusammenschlüge, zu begegnen. Demnach griff er schon Tags darauf den
Prinzen von Meißen in einem nächtlichen Überfall bei Mühlberg an, bei welchem Gefechte er
zwar zu seinem großen Leidwesen den Herse einbüßte, der gleich durch die ersten Schüsse
an seiner Seite zusammenstürzte, durch diesen Verlust erbittert aber in einem drei Stunden langen Kampfe
den Prinzen, unfähig sich in dem Flecken zu sammeln, so zurichtete, dass er beim Anbruch des Tages mehrerer
schwerer Wunden und einer gänzlichen Unordnung seines Haufens wegen genötigt war, den Rückweg nach
Dresden einzuschlagen. Durch diesen Vorteil tollkühn gemacht, wandte er sich, ehe derselbe noch davon
unterrichtet sein konnte, zu dem Landvogt zurück, fiel ihn bei dem Dorfe Damerow am hellen Mittag auf
freiem Felde an und schlug sich unter mörderischem Verlust zwar, aber mit gleichen Vorteilen bis in die
sinkende Nacht mit ihm herum. Ja, er würde den Landvogt, der sich in den Kirchhof zu Damerow geworfen hatte,
am andern Morgen unfehlbar mit dem Rest seines Haufens wieder angegriffen haben, wenn derselbe nicht durch
Kundschafter von der Niederlage, die der Prinz bei Mühlberg erlitten, benachrichtigt worden wäre
und somit für ratsamer gehalten hätte, gleichfalls bis auf einen besseren Zeitpunkt nach Wittenberg
zurückzukehren. Fünf Tage nach Zersprengung dieser beiden Haufen stand er vor Leipzig und steckte
die Stadt an drei Seiten in Brand. - Er nannte sich in dem Mandat, das er bei dieser Gelegenheit ausstreute,
einen Statthalter Michaels des Erzengels, der gekommen sei, an allen, die in dieser Streitsache des
Junkers Partei ergreifen würden, mit Feuer und Schwert die Arglist, in welcher die ganze Welt versunken
sei, zu bestrafen. Dabei rief er von dem Lützner Schloss aus, das er überrumpelt und worin
er sich festgesetzt hatte, das Volk auf, sich zur Errichtung einer besseren Ordnung der Dinge an ihn
anzuschließen; und das Mandat war mit einer Art von Verrückung unterzeichnet: »Gegeben auf dem
Sitz unserer provisorischen Weltregierung, dem Erzschlosse zu Lützen.«
Das Glück der Einwohner von
Leipzig wollte, dass das Feuer wegen eines anhaltenden Regens, der vom Himmel fiel, nicht um sich griff, dergestalt,
dass bei der Schnelligkeit der bestehenden Löschanstalten nur einige Kramläden, die um die
Pleißenburg lagen, in Flammen aufloderten. Gleichwohl war die Bestürzung in der Stadt über
das Dasein des rasenden Mordbrenners und den Wahn, in welchem derselbe stand, dass der Junker in Leipzig sei,
unaussprechlich; und da ein Haufen von hundertundachtzig Reisigen, den man gegen ihn ausschickte, zersprengt
in die Stadt zurückkam, so blieb dem Magistrat, der den Reichtum der Stadt nicht aussetzen wollte, nichts
anderes übrig, als die Tore gänzlich zu sperren und die Bürgerschaft Tag und Nacht außerhalb
der Mauern wachen zu lassen. Vergebens ließ der Magistrat auf den Dörfern der umliegenden Gegend
Deklarationen anheften mit der bestimmten Versicherung, dass der Junker nicht in der Pleißenburg sei;
der Rosskamm in ähnlichen Blättern bestand darauf, dass er in der Pleißenburg sei und erklärte,
dass, wenn derselbe nicht darin befindlich wäre, er mindestens verfahren würde, als ob er darin wäre,
bis man ihm den Ort mit Namen genannt werde angezeigt haben, worin er befindlich sei. Der Kurfürst, durch einen
Eilboten von der Not, in welcher sich die Stadt Leipzig befand, benachrichtigt, erklärte, dass er bereits einen
Heerhaufen von zweitausend Mann zusammenzöge und sich selbst an dessen Spitze setzen würde, um den Kohlhaas
zu fangen. Er erteilte dem Herrn Otto von Gorgas einen schweren Verweis wegen der zweideutigen und unüberlegten
List, die er angewendet, um des Mordbrenners aus der Gegend von Wittenberg loszuwerden; und niemand beschreibt die
Verwirrung, die ganz Sachsen und insbesondere die Residenz ergriff, als man daselbst erfuhr, dass auf den Dörfern
bei Leipzig, man wusste nicht von wem, eine Deklaration an den Kohlhaas angeschlagen worden sei des Inhalts:
Wenzel, der Junker, befinde sich bei seinen Vettern Hinz und Kunz in Dresden.