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Drittes Kapitel
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... Vetter Briest, der die 'Fliegenden Blätter' hielt und über die besten Witze Buch führte ...
Fliegende Blätter: ein seit 1848 in München erscheinendes humoristisches Wochenblatt, dessen Niveau Effis Vetter jedoch ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis ausstellt. Nahezu ausschließlich macht es sich über menschliche Schwächen lustig, besonders über die von Frauen (aller Schichten), und bei Durchsicht selbst eines ganzen Jahrganges fällt es schwer, Witze auszumachen, die es wert sein könnten, dass über sie Buch geführt wird. Als Beispiel folgen hier sechs der acht Seiten - das ist der Standard-Umfang - der Nummer 1711 von Mitte Mai 1878.
Die Titelseite der Nr. 1711 von Mitte Mai 1878 (Bildunterschrift hier vergrößert).
Die Seite 4 (die Seiten 2 und 3 enthalten eine Fortsetzungsgeschichte mit dem Titel "Fräulein Dirndl", in der ein Mädchen vom Land in der Stadt zur Dame umerzogen werden soll, was jedoch misslingt).
Die Seite 5.
Die Seiten 6 und 7 enthalten einen satirischen Artikel auf Gemälde im Stil von Arnold Böcklin mit dem Titel "Nur viel Farbe!"
Die Seite 7 (die Malerei der Zeit ist auch in anderen Nummern ein Gegenstand des Spottes).
Die letzte der acht Seiten dieser Nummer.
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... gingen sie, wie vorgeschrieben, in die Nationalgalerie, weil Vetter Dagobert seiner Kousine die »Insel der Seligen« zeigen wollte.
Die Gefilde der Seligen: Gemälde von Arnold Böcklin (1827-1901), das bei seiner Erstausstellung 1878 so viel öffentlichen Unmut erregte, dass sich sogar das Preußische Abgeordnetenhaus mit dem Ankauf beschäftigte. Der Zentrums-Abgeordnete August Reichensperger führte am 12. Februar 1880 vor seinen Kollegen aus:
Meine Herren, das war die erste Sculptur, die mir da zu Gesichte kam [eine nackte Bacchantin auf einem Panther]; und nun die nächste Malerei, die gleich daneben hing. Sie ist betitelt, auch in dem Bericht, der mir hier vorliegt, das "Gefilde der Seligen". Die Farben sind derart schreiend, daß ich versucht war, mir die Ohren zuzuhalten. (Heiterkeit.)
Und worin besteht die "Seligkeit" der betreffenden Dargestellten? Sie zeigt sich in der Art, daß 6 bis 7 unbekleidete Persönlichkeiten beiderlei Geschlechts, wenn ich nicht irre, theilweise mit Bocksfüßen versehen, auf und ab spazieren, während im Vordergrund, in einem Wasser auf einem centaurartigen Scheusal eine ebenfalls unbekleidete Person reitet, - wohin, ist nicht recht zu sehen. (Große Heiterkeit.)
Benutzte Literatur: Reichensperger, August
Allgemein sah man in Böcklins Gemälde weiter nicht als die Absicht, um jeden Preis Aufsehen zu erregen, und mehr als dieses Aufsehen - verbunden mit dem anspielungsreichen Titel - scheint auch Fontane hier nicht in Erinnerung bringen zu wollen. - Da das Bild ist seit 1945 verschollen ist, gibt es von ihm nur eine Schwarz-Weiß-Fotografie.
Arnold Böcklin: Die Gefilde der Seligen (1878).
Verschiedentlich wird die Nennung des Böcklin-Bildes zur Bestimmung der Handlungszeit herangezogen und daraus für Effis Berlin-Aufenthalt auf das Jahr 1878 geschlossen. Das ist jedoch nicht korrekt. Böcklins Bild war erst ab Ende September dieses Jahres in der Berliner Nationalgalerie zu sehen, kann also für den hier angegebenen Handlungsmonat Juli noch nicht vorausgesetzt werden.
Benutzte Literatur: Wesenberg, Angelika
Es käme hier also frühestens das Jahr 1879 infrage, und dies erst recht, als das Bild bereits öffentlich bekannt ist, mithin seit seiner Erstausstellung eine gewisse Zeit schon vergangen sein muss. Wie sich aus anderen Datierungen ergibt (siehe unter LEBENSWELT zu Kapitel 24), ist hier aber doch das Jahr 1878 vorauszusetzen und insofern das Bildzitat unstimmig. Nur muss in solchen Fällen immer gefragt werden, wie signifikant eine solche Andeutung für eine Jahreszahlwahrnehmung ist, und hier ist für 1895, als Fontanes Roman erscheint, von einem genauen Zeitbezug natürlich nicht mehr auszugehen. Ohne Hilfsmittel hätte die große Mehrzahl der Leser den Handlungszeitpunkt auch damals schon nur ungefähr aus ihm bestimmen können, und so sollte man von einem Datierungselement hier nicht ausgehen.