Theodor Fontane: "Effi Briest"alte /neue Rechtschreibung Zur Übersicht Zur Synopse Zur Einzelebene Druck
Einundzwanzigstes Kapitel
Sprung zu Absatz01n Innstetten war erst vier Tage fort, als Crampas von Stettin wieder eintraf und die Nachricht brachte, man hätte höheren Orts die Absicht, zwei Schwadronen nach Kessin zu legen, endgültig fallen lassen; es gäbe so viele kleine Städte, die sich um eine Kavallerie-Garnison, und nun gar um Blücher'sche Husaren, bewürben, dass man gewohnt sei, bei solchem Anerbieten einem herzlichen Entgegenkommen, aber nicht einem zögernden zu begegnen. Als Crampas das mitteilte, machte der Magistrat ein ziemlich verlegenes Gesicht; nur Gieshübler, weil er der Philisterei seiner Kollegen eine Niederlage gönnte, triumphierte. Seitens der kleinen Leute griff beim Bekanntwerden der Nachricht eine gewisse Verstimmung Platz, ja selbst einige Konsuls mit Töchtern waren momentan unzufrieden; im Ganzen aber kam man rasch über die Sache hin, vielleicht weil die nebenherlaufende Frage, was Innstetten in Berlin vorhabe, die Kessiner Bevölkerung oder doch wenigstens die Honoratiorenschaft der Stadt mehr interessierte. Diese wollte den überaus wohlgelittenen Landrat nicht gern verlieren, und doch gingen darüber ganz ausschweifende Gerüchte, die von Gieshübler, wenn er nicht ihr Erfinder war, wenigstens genährt und weiter verbreitet wurden. Unter anderem hieß es, Innstetten würde als Führer einer Gesandtschaft nach Marokko gehn, und zwar mit Geschenken, unter denen nicht bloß die herkömmliche Vase mit Sanssouci und dem neuen Palais, sondern vor allem auch eine große Eismaschine sei. Das letztere erschien mit Rücksicht auf die marokkanischen Temperaturverhältnisse so wahrscheinlich, dass das Ganze geglaubt wurde.
Sprung zu Absatz02n Effi hörte auch davon. Die Tage, wo sie sich darüber erheitert hätte, lagen noch nicht allzu weit zurück; aber in der Seelenstimmung, in der sie sich seit Schluss des Jahres befand, war sie nicht mehr fähig, unbefangen und ausgelassen über derlei Dinge zu lachen. Ihre Gesichtszüge hatten einen ganz anderen Ausdruck angenommen und das halb rührend, halb schelmisch Kindliche, was sie noch als Frau gehabt hatte, war hin. Die Spaziergänge nach dem Strand und der Plantage, die sie, während Crampas in Stettin war, aufgegeben hatte, nahm sie nach seiner Rückkehr wieder auf und ließ sich auch durch ungünstige Witterung nicht davon abhalten. Es wurde wie früher bestimmt, dass ihr Roswitha bis an den Ausgang der Reeperbahn oder bis in die Nähe des Kirchhofs entgegenkommen solle, sie verfehlten sich aber noch häufiger als früher. »Ich könnte dich schelten, Roswitha, dass du mich nie findest. Aber es hat nichts auf sich; ich ängstige mich nicht mehr, auch nicht einmal am Kirchhof, und im Wald bin ich noch keiner Menschenseele begegnet.«
Sprung zu Absatz03n Es war am Tage vor Innstettens Rückkehr von Berlin, dass Effi das sagte. Roswitha machte nicht viel davon und beschäftigte sich lieber damit, Girlanden über den Türen anzubringen; auch der Haifisch bekam einen Fichtenzweig und sah noch merkwürdiger aus als gewöhnlich. Effi sagte: »Das ist recht, Roswitha; er wird sich freuen über all das Grün, wenn er morgen wieder da ist. Ob ich heute wohl noch gehe? Doktor Hannemann besteht darauf und meint in einem fort, ich nähme es nicht ernst genug, sonst müsste ich besser aussehn; ich habe aber keine rechte Lust heut, es nieselt und der Himmel ist so grau.«
Sprung zu Absatz04n »Ich werde der gnäd'gen Frau den Regenmantel bringen.«
Sprung zu Absatz05n »Das tu! Aber komme heute nicht nach, wir treffen uns ja doch nicht«, und sie lachte. »Wirklich, du bist gar nicht findig, Roswitha. Und ich mag nicht, dass du dich erkältest und alles um nichts.«
Sprung zu Absatz06n Roswitha blieb denn auch zu Haus, und weil Annie schlief, ging sie zu Kruses, um mit der Frau zu plaudern. »Liebe Frau Kruse«, sagte sie, »Sie wollten mir ja das mit dem Chinesen noch erzählen. Gestern kam die Johanna dazwischen, die tut immer so vornehm, für die ist so was nicht. Ich glaube aber doch, dass es was gewesen ist, ich meine mit dem Chinesen und mit Thomsens Nichte, wenn es nicht seine Enkelin war.«
Sprung zu Absatz07n Die Kruse nickte.
Sprung zu Absatz08n »Entweder«, fuhr Roswitha fort, »war es eine unglückliche Liebe (die Kruse nickte wieder), oder es kann auch eine glückliche gewesen sein und der Chinese konnte es bloß nicht aushalten, dass es alles mit einem Mal so wieder vorbei sein sollte. Denn die Chinesen sind doch auch Menschen, und es wird wohl alles ebenso mit ihnen sein wie mit uns.«
Sprung zu Absatz09n »Alles«, versicherte die Kruse und wollte dies eben durch ihre Geschichte bestätigen, als ihr Mann eintrat und sagte: »Mutter, du könntest mir die Flasche mit dem Lederlack geben; ich muss doch das Sielenzeug blank haben, wenn der Herr morgen wieder da ist; der sieht alles und wenn er auch nichts sagt, so merkt man doch, dass er's gesehn hat.«
Sprung zu Absatz10n »Ich bring es Ihnen raus, Kruse«, sagte Roswitha. »Ihre Frau will mir bloß noch was erzählen; aber es ist gleich aus, und dann komm ich und bring es.«
Sprung zu Absatz11n Roswitha, die Flasche mit dem Lack in der Hand, kam denn auch ein paar Minuten danach auf den Hof hinaus und stellte sich neben das Sielenzeug, das Kruse eben über den Gartenzaun gelegt hatte. »Gott«, sagte er, während er ihr die Flasche aus der Hand nahm, »viel hilft es ja nicht, es nieselt in einem weg, und die Blänke vergeht doch wieder. Aber ich denke, alles muss seine Ordnung haben.«
Sprung zu Absatz12n »Das muss es. Und dann, Kruse, es ist ja doch auch ein richtiger Lack, das kann ich gleich sehn, und was ein richtiger Lack ist, der klebt nicht lange, der muss gleich trocknen. Und wenn es dann morgen nebelt oder nass fällt, dann schadet es nich' mehr. Aber das muss ich doch sagen, das mit dem Chinesen is eine merkwürdige Geschichte.«
Sprung zu Absatz13n Kruse lachte. »Unsinn is es, Roswitha. Und meine Frau, statt aufs Richtige zu sehen, erzählt immer so was, un' wenn ich ein reines Hemd anziehen will, fehlt ein Knopp. Un' so is es nu' schon, so lange wir hier sind. Sie hat immer bloß solche Geschichten in ihrem Kopp und dazu das schwarze Huhn. Un das schwarze Huhn legt nich' mal Eier. Un' am Ende, wovon soll es auch Eier legen? Es kommt ja nich' 'raus und von's bloße Kikeriki kann doch so was nich' kommen. Das is von keinem Huhn nich' zu verlangen.«
Sprung zu Absatz14n »Hören Sie, Kruse, das werde ich Ihrer Frau wieder erzählen. Ich habe Sie immer für einen anständigen Menschen gehalten, und nun sagen Sie so was wie das da von Kikeriki. Die Mannsleute sind doch immer noch schlimmer als man denkt. Un' eigentlich müsst ich nu' gleich den Pinsel hier nehmen und Ihnen einen schwarzen Schnurrbart anmalen.«
Sprung zu Absatz15n »Nu' von Ihnen, Roswitha, kann man sich das schon gefallen lassen«, und Kruse, der meist den Würdigen spielte, schien in einen mehr und mehr schäkrigen Ton übergehen zu wollen, als er plötzlich der gnädigen Frau ansichtig wurde, die heute von der anderen Seite der Plantage herkam und in eben diesem Augenblicke den Gartenzaun passierte.
Sprung zu Absatz16n »Guten Tag, Roswitha, du bist ja so ausgelassen. Was macht denn Annie?«
Sprung zu Absatz17n »Sie schläft, gnäd'ge Frau.«
Sprung zu Absatz18n Aber Roswitha, als sie das sagte, war doch rot geworden und ging, rasch abbrechend, auf das Haus zu, um der gnädigen Frau beim Umkleiden behilflich zu sein. Denn ob Johanna da war, das war die Frage. Die steckte jetzt viel auf dem 'Amt' drüben, weil es zu Haus weniger zu tun gab und Friedrich und Christel waren ihr zu langweilig und wussten nie was.
Sprung zu Absatz19n Annie schlief noch. Effi beugte sich über die Wiege, ließ sich dann Hut und Regenmantel abnehmen und setzte sich auf das kleine Sofa in ihrer Schlafstube. Das feuchte Haar strich sie langsam zurück, legte die Füße auf einen niedrigen Stuhl, den Roswitha herangeschoben, und sagte, während sie sichtlich das Ruhebehagen nach einem ziemlich langen Spaziergange genoss: »Ich muss dich darauf aufmerksam machen, Roswitha, dass Kruse verheiratet ist.«
Sprung zu Absatz20n »Ich weiß, gnäd'ge Frau.«
Sprung zu Absatz21n »Ja, was weiß man nicht alles und handelt doch, als ob man es nicht wüsste. Das kann nie was werden.«
Sprung zu Absatz22n »Es soll ja auch nichts werden, gnäd'ge Frau ...«
Sprung zu Absatz23n »Denn wenn du denkst, sie sei krank, da machst du die Rechnung ohne den Wirt. Die Kranken leben am längsten. Und dann hat sie das schwarze Huhn. Vor dem hüte dich, das weiß alles und plaudert alles aus. Ich weiß nicht, ich habe einen Schauder davor. Und ich wette, dass das alles da oben mit dem Huhn zusammenhängt.«
Sprung zu Absatz24n »Ach, das glaub ich nicht. Aber schrecklich ist es doch. Und Kruse, der immer gegen seine Frau ist, kann es mir nicht ausreden.«
Sprung zu Absatz25n »Was sagte der?«
Sprung zu Absatz26n »Er sagte, es seien bloß Mäuse.«
Sprung zu Absatz27n »Nun, Mäuse, das ist auch gerade schlimm genug. Ich kann keine Mäuse leiden. Aber ich sah ja deutlich, wie du mit dem Kruse schwatztest und vertraulich tatest, und ich glaube sogar, du wolltest ihm einen Schnurrbart anmalen. Das ist doch schon sehr viel. Und nachher sitzest du da. Du bist ja noch eine schmucke Person und hast so was. Aber sieh dich vor, so viel kann ich dir bloß sagen. Wie war es denn eigentlich das erste Mal mit dir? Ist es so, dass du mir's erzählen kannst?«
Sprung zu Absatz28n »Ach, ich kann schon. Aber schrecklich war es. Und weil es so schrecklich war, drum können gnäd'ge Frau auch ganz ruhig sein von wegen dem Kruse. Wem es so gegangen ist wie mir, der hat genug davon und passt auf. Mitunter träume ich noch davon, und dann bin ich den andern Tag wie zerschlagen. Solche grausame Angst ...«
Sprung zu Absatz29n Effi hatte sich aufgerichtet und stützte den Kopf auf ihren Arm. »Nun erzähle. Wie kann es denn gewesen sein? Es ist ja mit euch, das weiß ich noch von Hause her, immer dieselbe Geschichte ...«
Sprung zu Absatz30n »Ja, zuerst is es wohl immer dasselbe, und ich will mir auch nicht einbilden, dass es mit mir was Besonderes war, ganz und gar nicht. Aber wie sie's mir dann auf den Kopf zusagten und ich mit einem Male sagen musste: 'Ja, es ist so', ja, das war schrecklich. Die Mutter, na, das ging noch, aber der Vater, der die Dorfschmiede hatte, der war streng und wütend, und als er's hörte, da kam er mit einer Stange auf mich los, die er eben aus dem Feuer genommen hatte, und wollte mich umbringen. Und ich schrie laut auf und lief auf den Boden und versteckte mich, und da lag ich und zitterte und kam erst wieder nach unten, als sie mich riefen und sagten, ich solle nur kommen. Und dann hatte ich noch eine jüngere Schwester, die wies immer auf mich hin und sagte 'Pfui'. Und dann, wie das Kind kommen sollte, ging ich in eine Scheune nebenan, weil ich mir's bei uns nicht getraute. Da fanden mich fremde Leute halb tot und trugen mich ins Haus und in mein Bett. Und den dritten Tag nahmen sie mir das Kind fort, und als ich nachher fragte, wo es sei, da hieß es, es sei gut aufgehoben. Ach, gnädigste Frau, die heilge Mutter Gottes bewahre Sie vor solchem Elend.«
Sprung zu Absatz31n Effi fuhr auf und sah Roswitha mit großen Augen an. Aber sie war doch mehr erschrocken als empört. »Was du nur sprichst! Ich bin ja doch eine verheiratete Frau. So was darfst du nicht sagen, das ist ungehörig, das passt sich nicht.«
Sprung zu Absatz32n »Ach, gnädigste Frau ...«
Sprung zu Absatz33n »Erzähle mir lieber, was aus dir wurde. Das Kind hatten sie dir genommen. Soweit warst du ...«
Sprung zu Absatz34n »Und dann, nach ein paar Tagen, da kam wer aus Erfurt, der fuhr bei dem Schulzen vor und fragte, ob da nicht eine Amme sei. Da sagte der Schulze 'ja'. Gott lohne es ihm, und der fremde Herr nahm mich gleich mit, und von da an hab ich bessre Tage gehabt; selbst bei der Registratorin war es doch immer noch zum Aushalten, und zuletzt bin ich zu Ihnen gekommen, gnädigste Frau. Und das war das Beste, das Allerbeste.« Und als sie das sagte, trat sie an das Sofa heran und küsste Effi die Hand.
Sprung zu Absatz35n »Roswitha, du musst mir nicht immer die Hand küssen, ich mag das nicht. Und nimm dich nur in Acht mit dem Kruse. Du bist doch sonst eine so gute und verständige Person ... Mit einem Ehemann ... das tut nie gut.«
Sprung zu Absatz36n »Ach, gnäd'ge Frau, Gott und seine Heiligen führen uns wunderbar, und das Unglück, das uns trifft, das hat doch auch sein Glück. Und wen es nicht bessert, dem is nich' zu helfen ... Ich kann eigentlich die Mannsleute gut leiden ...«
Sprung zu Absatz37n »Siehst du, Roswitha, siehst du.«
Sprung zu Absatz38n »Aber wenn es mal wieder so über mich käme, mit dem Kruse, das is ja nichts, und ich könnte nicht mehr anders, da lief ich gleich ins Wasser. Es war zu schrecklich. Alles. Und was nur aus dem armen Wurm geworden is? Ich glaube nicht, dass es noch lebt; sie haben es umkommen lassen, aber ich bin doch schuld.« Und sie warf sich vor Annies Wiege nieder und wiegte das Kind hin und her und sang in einem fort ihr 'Buhküken von Halberstadt'.
Sprung zu Absatz39n »Lass«, sagte Effi. »Singe nicht mehr; ich habe Kopfweh. Aber bringe mir die Zeitungen. Oder hat Gieshübler vielleicht die Journale geschickt?«
Sprung zu Absatz40n »Das hat er. Und die Modezeitung lag obenauf. Da haben wir drin geblättert, ich und Johanna, eh sie rüber ging. Johanna ärgert sich immer, dass sie so was nicht haben kann. Soll ich die Modezeitung bringen?«
Sprung zu Absatz41n »Ja, die bringe und bring auch die Lampe.«
Sprung zu Absatz42n Roswitha ging, und Effi, als sie allein war, sagte: »Womit man sich nicht alles hilft? Eine hübsche Dame mit einem Muff und eine mit einem Halbschleier; Modepuppen. Aber es ist das Beste, mich auf andre Gedanken zu bringen.«
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Sprung zu Absatz
Sprung zu Absatz43n Im Laufe des andern Vormittags kam ein Telegramm von Innstetten, worin er mitteilte, dass er erst mit dem zweiten Zuge kommen, also nicht vor Abend in Kessin eintreffen werde. Der Tag verging in ewiger Unruhe; glücklicherweise kam Gieshübler im Laufe des Nachmittags und half über eine Stunde weg. Endlich um sieben Uhr fuhr der Wagen vor, Effi trat hinaus, und man begrüßte sich. Innstetten war in einer ihm sonst fremden Erregung, und so kam es, dass er die Verlegenheit nicht sah, die sich in Effis Herzlichkeit mischte. Drinnen im Flur brannten die Lampen und Lichter, und das Teezeug, das Friedrich schon auf einen der zwischen den Schränken stehenden Tische gestellt hatte, reflektierte den Lichterglanz.
Sprung zu Absatz44n »Das sieht ja ganz so aus wie damals, als wir hier ankamen. Weißt du noch, Effi?«
Sprung zu Absatz45n Sie nickte.
Sprung zu Absatz46n »Nur der Haifisch mit seinem Fichtenzweig verhält sich heute ruhiger, und auch Rollo spielt den Zurückhaltenden und legt mir nicht mehr die Pfoten auf die Schulter. Was ist das mit dir, Rollo?«
Sprung zu Absatz47n Rollo strich an seinem Herrn vorbei und wedelte.
Sprung zu Absatz48n »Der ist nicht recht zufrieden, entweder mit mir nicht oder mit andern. Nun, ich will annehmen, mit mir. Jedenfalls lass uns eintreten.« Und er trat in sein Zimmer und bat Effi, während er sich aufs Sofa niederließ, neben ihm Platz zu nehmen. »Es war so hübsch in Berlin, über Erwarten; aber in all meiner Freude habe ich mich immer zurückgesehnt. Und wie gut du aussiehst! Ein bisschen blass und auch ein bisschen verändert, aber es kleidet dich.«
Sprung zu Absatz49n Effi wurde rot.
Sprung zu Absatz50n »Und nun wirst du auch noch rot. Aber es ist, wie ich dir sage. Du hattest so was von einem verwöhnten Kind, mit einem Mal siehst du aus wie eine Frau.«
Sprung zu Absatz51n »Das hör ich gern, Geert, aber ich glaube, du sagst es nur so.«
Sprung zu Absatz52n »Nein, nein, du kannst es dir gut schreiben, wenn es etwas Gutes ist ...«
Sprung zu Absatz53n »Ich dächte doch.«
Sprung zu Absatz54n »Und nun rate, von wem ich dir Grüße bringe.«
Sprung zu Absatz55n »Das ist nicht schwer, Geert. Außerdem, wir Frauen, zu denen ich mich, seitdem du wieder da bist, ja rechnen darf (und sie reichte ihm die Hand und lachte), wir Frauen wir raten leicht. Wir sind nicht so schwerfällig wie ihr.«
Sprung zu Absatz56n »Nun von wem?«
Sprung zu Absatz57n »Nun natürlich von Vetter Briest. Er ist ja der Einzige, den ich in Berlin kenne, die Tanten abgerechnet, die du nicht aufgesucht haben wirst und die viel zu neidisch sind, um mich grüßen zu lassen. Hast du nicht auch gefunden, alle alten Tanten sind neidisch?«
Sprung zu Absatz58n »Ja, Effi, das ist wahr. Und dass du das sagst, das ist ganz meine alte Effi wieder. Denn du musst wissen, die alte Effi, die noch aussah, wie ein Kind, nun, die war auch nach meinem Geschmack. Grad' so wie die jetzige gnäd'ge Frau.«
Sprung zu Absatz59n »Meinst du? Und wenn du dich zwischen beiden entscheiden solltest ...«
Sprung zu Absatz60n »Das ist eine Doktorfrage, darauf lasse ich mich nicht ein. Aber da bringt Friedrich den Tee. Wie hat's mich nach dieser Stunde verlangt! Und hab es auch ausgesprochen, sogar zu deinem Vetter Briest, als wir bei Dressel saßen und in Champagner dein Wohl tranken ... Die Ohren müssen dir geklungen haben ... Und weißt du, was dein Vetter dabei sagte?«
Sprung zu Absatz61n »Gewiss etwas Albernes. Darin ist er groß.«
Sprung zu Absatz62n »Das ist der schwärzeste Undank, den ich all mein Lebtag erlebt habe. 'Lassen wir Effi leben', sagte er, 'meine schöne Kusine ... Wissen Sie, Innstetten, dass ich Sie am liebsten fordern und totschießen möchte? Denn Effi ist ein Engel, und Sie haben mich um diesen Engel gebracht'. Und dabei sah er so ernst und wehmütig aus, dass man's beinah hätte glauben können.«
Sprung zu Absatz63n »O, diese Stimmung kenn ich an ihm. Bei der wievielten wart ihr?«
Sprung zu Absatz64n »Ich hab es nicht mehr gegenwärtig, und vielleicht hätte ich es auch damals nicht mehr sagen können. Aber das glaub ich, dass es ihm ganz ernst war. Und vielleicht wäre es auch das Richtige gewesen. Glaubst Du nicht, dass du mit ihm hättest leben können?«
Sprung zu Absatz65n »Leben können? Das ist wenig, Geert. Aber beinah möchte ich sagen, ich hätte auch nicht einmal mit ihm leben können.«
Sprung zu Absatz66n »Warum nicht? Er ist wirklich ein liebenswürdiger und netter Mensch und auch ganz gescheit.«
Sprung zu Absatz67n »Ja, das ist er ...«
Sprung zu Absatz68n »Aber ...«
Sprung zu Absatz69n »Aber er ist dalbrig. Und das ist keine Eigenschaft, die wir Frauen lieben, auch nicht einmal dann, wenn wir noch halbe Kinder sind, wohin du mich immer gerechnet hast und vielleicht trotz meiner Fortschritte auch jetzt noch rechnest. Das Dalbrige, das ist nicht unsre Sache. Männer müssen Männer sein.«
Sprung zu Absatz70n »Gut, dass du das sagst. Alle Teufel, da muss man sich ja zusammennehmen. Und ich kann von Glück sagen, dass ich von so was, das wie Zusammennehmen aussieht, oder wenigstens ein Zusammennehmen in Zukunft fordert, so gut wie direkt herkomme ... Sag, wie denkst du dir ein Ministerium?«
Sprung zu Absatz71n »Ein Ministerium? Nun, das kann zweierlei sein. Es können Menschen sein, kluge, vornehme Herren, die den Staat regieren, und es kann auch bloß ein Haus sein, ein Palazzo, ein Palazzo Strozzi oder Pitti oder, wenn die nicht passen, irgendein andrer. Du siehst, ich habe meine italienische Reise nicht umsonst gemacht.«
Sprung zu Absatz72n »Und könntest du dich entschließen, in solchem Palazzo zu wohnen? Ich meine in solchem Ministerium?«
Sprung zu Absatz73n »Um Gotteswillen, Geert, sie haben dich doch nicht zum Minister gemacht? Gieshübler sagte so was. Und der Fürst kann alles. Gott, der hat es am Ende durchgesetzt, und ich bin erst achtzehn.«
Sprung zu Absatz74n Innstetten lachte. »Nein, Effi, nicht Minister, so weit sind wir noch nicht. Aber vielleicht kommen noch allerhand Gaben in mir heraus, und dann ist es nicht unmöglich.«
Sprung zu Absatz75n »Also jetzt noch nicht, noch nicht Minister?«
Sprung zu Absatz76n »Nein. Und wir werden, die Wahrheit zu sagen, auch nicht einmal in einem Ministerium wohnen, aber ich werde täglich ins Ministerium gehen, wie ich jetzt in unser Landratsamt gehe, und werde dem Minister Vortrag halten und mit ihm reisen, wenn er die Provinzialbehörden inspiziert. Und du wirst eine Ministerialrätin sein und in Berlin leben, und in einem halben Jahre wirst du kaum noch wissen, dass du hier in Kessin gewesen bist und nichts gehabt hast, als Gieshübler und die Dünen und die Plantage.«
Sprung zu Absatz77n Effi sagte kein Wort, und nur ihre Augen wurden immer größer; um ihre Mundwinkel war ein nervöses Zucken, und ihr ganzer zarter Körper zitterte. Mit einem Male aber glitt sie von ihrem Sitze vor Innstetten nieder, umklammerte seine Knie und sagte in einem Tone, wie wenn sie betete: »Gott sei Dank!«
Sprung zu Absatz78n Innstetten verfärbte sich. Was war das? Etwas, was seit Wochen flüchtig, aber doch immer sich erneuernd über ihn kam, war wieder da und sprach so deutlich aus seinem Auge, dass Effi davor erschrak. Sie hatte sich durch ein schönes Gefühl, das nicht viel was andres als ein Bekenntnis ihrer Schuld war, hinreißen lassen und dabei mehr gesagt, als sie sagen durfte. Sie musste das wieder ausgleichen, musste was finden, irgendeinen Ausweg, es koste, was es wolle.
Sprung zu Absatz79n »Steh auf, Effi. Was hast du?«
Sprung zu Absatz80n Effi erhob sich rasch. Aber sie nahm ihren Platz auf dem Sofa nicht wieder ein, sondern schob einen Stuhl mit hoher Lehne heran, augenscheinlich, weil sie nicht Kraft genug fühlte, sich ohne Stütze zu halten.
Sprung zu Absatz81n »Was hast du?«, wiederholte Innstetten. »Ich dachte, du hättest hier glückliche Tage verlebt. Und nun rufst du 'Gott sei Dank', als ob dir hier alles nur ein Schrecknis gewesen wäre. War ich dir ein Schrecknis? Oder war es was andres? Sprich?«
Sprung zu Absatz82n »Dass du noch fragen kannst, Geert«, sagte sie, während sie mit einer äußersten Anstrengung das Zittern ihrer Stimme zu bezwingen suchte. »Glückliche Tage! Ja, gewiss, glückliche Tage, aber doch auch andre. Nie bin ich die Angst hier ganz los geworden, nie. Noch keine vierzehn Tage, dass es mir wieder über die Schulter sah, dasselbe Gesicht, derselbe fahle Teint. Und diese letzten Nächte, wo du fort warst, war es auch wieder da, nicht das Gesicht, aber es schlurrte wieder, und Rollo schlug wieder an, und Roswitha, die's auch gehört, kam an mein Bett und setzte sich zu mir, und erst, als es schon dämmerte, schliefen wir wieder ein. Es ist ein Spukhaus, und ich hab es auch glauben sollen, das mit dem Spuk, - denn du bist ein Erzieher. Ja, Geert, das bist du. Aber lass es sein, wie's will, so viel weiß ich, ich habe mich ein ganzes Jahr lang und länger in diesem Hause gefürchtet, und wenn ich von hier fortkomme, so wird es, denke ich, von mir abfallen, und ich werde wieder frei sein.«
Sprung zu Absatz83n Innstetten hatte kein Auge von ihr gelassen und war jedem Worte gefolgt. Was sollte das heißen: »Du bist ein Erzieher?«, und dann das andre, was vorausging: »Und ich hab es auch glauben sollen, das mit dem Spuk.« Was war das alles? Wo kam das her? Und er fühlte seinen leisen Argwohn sich wieder regen und fester einnisten. Aber er hatte lange genug gelebt, um zu wissen, dass alle Zeichen trügen und dass wir in unsrer Eifersucht trotz ihrer hundert Augen oft noch mehr in die Irre gehen als in der Blindheit unsres Vertrauens. Es konnte ja so sein, wie sie sagte. Und wenn es so war, warum sollte sie nicht ausrufen: »Gott sei Dank!«
Sprung zu Absatz84n Und so, rasch alle Möglichkeiten ins Auge fassend, wurde er seines Argwohns wieder Herr und reichte ihr die Hand über den Tisch hin: »Verzeih mir, Effi, aber ich war so sehr überrascht von dem allen. Freilich wohl meine Schuld. Ich bin immer zu sehr mit mir beschäftigt gewesen. Wir Männer sind alle Egoisten. Aber das soll nun anders werden. Ein Gutes hat Berlin gewiss: Spukhäuser gibt es da nicht. Wo sollen die auch herkommen? Und nun lass uns hinübergehen, dass ich Annie sehe; Roswitha verklagt mich sonst als einen unzärtlichen Vater.«
Sprung zu Absatz85n Effi war unter diesen Worten allmählich ruhiger geworden, und das Gefühl, aus einer selbst geschaffenen Gefahr sich glücklich befreit zu haben, gab ihr ihre Spannkraft und gute Haltung wieder zurück.