Es war schon heller Tag, als Effi am andern Morgen erwachte. Sie
hatte Mühe, sich zurechtzufinden. Wo war sie? Richtig, in
Kessin, im Hause des Landrats von Innstetten, und sie war seine
Frau, Baronin Innstetten. Und sich aufrichtend, sah sie sich neugierig
um; am Abend vorher war sie zu müde gewesen, um alles, was
sie da halb fremdartig, halb altmodisch umgab, genauer in Augenschein
zu nehmen. Zwei Säulen stützten den Deckenbalken, und
grüne Vorhänge schlossen den alkovenartigen Schlafraum,
in welchem die Betten standen, von dem Rest des Zimmers ab; nur
in der Mitte fehlte der Vorhang oder war zurückgeschlagen,
was ihr von ihrem Bette aus eine bequeme Orientierung gestattete.
Da, zwischen den zwei Fenstern, stand der schmale, bis hoch hinaufreichende
Trumeau, während rechts daneben und schon an der Flurwand
hin der große schwarze Kachelofen aufragte, der noch (so viel
hatte sie schon am Abend vorher bemerkt) nach alter Sitte von
außen her geheizt wurde. Sie fühlte jetzt, wie seine
Wärme herüberströmte. Wie schön es
doch war, im eigenen Hause zu sein; so viel Behagen hatte sie
während der ganzen Reise nicht empfunden, nicht einmal in Sorrent.
Aber wo war Innstetten? Alles still um sie her, niemand da. Sie
hörte nur den Ticktackschlag einer kleinen Pendule und
dann und wann einen dumpfen Ton im Ofen, woraus sie schloss,
dass vom Flur her ein paar neue Scheite nachgeschoben würden.
Allmählich entsann sie sich auch, dass Geert am Abend
vorher von einer elektrischen Klingel gesprochen hatte, nach der
sie denn auch nicht lange mehr zu suchen brauchte; dicht neben
ihrem Kissen war der kleine weiße Elfenbeinknopf, auf den
sie nun leise drückte.
Effi fühlte, dass sie die Frage nicht hätte tun
und die Vermutung, Innstetten könne nicht auf sie gewartet
haben, lieber nicht hätte aussprechen sollen. Es lag ihr
denn auch daran, diesen ihren Fehler so gut es ging wieder auszugleichen,
und als sie sich erhoben und vor dem Trumeau Platz genommen hatte,
nahm sie das Gespräch wieder auf und sagte: »Der Herr
hat übrigens ganz Recht. Immer früh auf, das war auch
Regel in meiner Eltern Haus. Wo die Leute den Morgen verschlafen,
da gibt es den ganzen Tag keine Ordnung mehr. Aber der Herr wird
es so streng mit mir nicht nehmen; eine ganze Weile hab ich diese
Nacht nicht schlafen können und habe mich sogar ein wenig
geängstigt.«
Johanna, während das Gespräch so ging, sah über
die Schulter der jungen Frau fort in den hohen schmalen Spiegel
hinein, um die Mienen Effis besser beobachten zu können.
Dann sagte sie: »Ja, das ist oben im Saal. Früher hörten
wir es in der Küche auch. Aber jetzt hören wir es nicht
mehr; wir haben uns daran gewöhnt.«
»O Gott bewahre, nicht im geringsten. Eine Weile wusste
man nicht recht, woher es käme, und der Herr Prediger machte
ein verlegenes Gesicht, trotzdem Doktor Gieshübler immer
nur darüber lachte. Nun aber wissen wir, dass es die
Gardinen sind. Der Saal ist etwas multrig und stockig und deshalb
stehen immer die Fenster auf, wenn nicht gerade Sturm ist. Und
da ist denn fast immer ein starker Zug oben und fegt die alten,
weißen Gardinen, die außerdem viel zu lang sind, über
die Dielen hin und her. Das klingt dann so wie seidne Kleider
oder auch wie Atlasschuhe, wie die gnäd'ge Frau eben bemerkte.«
»Natürlich ist es das. Aber ich begreife nur nicht,
warum dann die Gardinen nicht abgenommen werden. Oder man könnte
sie ja kürzer machen. Es ist ein so sonderbares Geräusch,
das einem auf die Nerven fällt. Und nun, Johanna, bitte
geben Sie mir noch das kleine Tuch und tupfen Sie mir die Stirn.
Oder nehmen Sie lieber den Refraichisseur aus meiner Reisetasche
... Ach, das ist schön und erfrischt mich. Nun werde ich
hinübergehen. Er ist doch noch da, oder war er schon aus?«
Innstetten schüttelte den Kopf. »Wie werd ich das?«
Effi fand aber ein Gefallen daran, sich anzuklagen, und wollte
von den Versicherungen ihres Mannes, dass sein »schon«
ganz aufrichtig gemeint gewesen sei, nichts hören. »Du
musst noch von der Reise her wissen, dass ich morgens nie
habe warten lassen. Im Laufe des Tages, nun ja, da ist es etwas
anderes. Es ist wahr, ich bin nicht sehr pünktlich, aber
ich bin keine Langschläferin. Darin, denk ich, haben mich
die Eltern gut erzogen.«
»Das sagst du so, weil wir noch in den Flitterwochen sind,
... aber nein, wir sind ja schon heraus. Ums Himmels willen, Geert,
daran habe ich noch gar nicht gedacht, wir sind ja schon über
sechs Wochen verheiratet, sechs Wochen und einen Tag. Ja, das
ist etwas anderes; da nehme ich es nicht mehr als Schmeichelei,
da nehme ich es als Wahrheit.«
»Der Kaffee ist ja vorzüglich«, sagte Effi, während sie zugleich
das Zimmer und seine Einrichtung musterte. »Das ist noch
Hotel-Kaffee oder wie der bei Bottegone, ... erinnerst du dich noch,
in Florenz mit dem Blick auf den Dom. Davon muss ich der
Mama schreiben, solchen Kaffee haben wir in Hohen-Cremmen nicht.
Überhaupt, Geert, ich sehe nun erst, wie vornehm ich mich
verheiratet habe. Bei uns konnte alles nur so gerade passieren.«
»Und dann, wie du wohnst. Als Papa sich den neuen Gewehrschrank
angeschafft und über seinem Schreibtisch einen Büffelkopf
und dicht darunter den alten Wrangel angebracht hatte (er war
nämlich mal Adjutant bei dem Alten), da dacht er Wunder, was
er getan; aber wenn ich mich hier umsehe, daneben ist unsere ganze
Hohen-Cremmener Herrlichkeit ja bloß dürftig und alltäglich.
Ich weiß gar nicht, womit ich das alles vergleichen soll;
schon gestern abend, als ich nur so flüchtig darüber
hinsah, kamen mir allerhand Gedanken.«
»Ja, welche. Du darfst aber nicht drüber lachen. Ich
habe mal ein Bilderbuch gehabt, wo ein persischer oder indischer
Fürst (denn er trug einen Turban) mit untergeschlagenen Beinen
auf einem roten Seidenkissen saß, und in seinem Rücken
war außerdem noch eine große rote Seidenrolle, die
links und rechts ganz bauschig zum Vorschein kam, und die Wand
hinter dem indischen Fürsten starrte von Schwertern und Dolchen
und Parderfellen und Schilden und langen türkischen Flinten.
Und sieh, ganz so sieht es hier bei dir aus, und wenn du noch
die Beine unterschlägst, ist die Ähnlichkeit vollkommen.«
»Das muss ich mir doch noch überlegen. Oder lieber,
lassen wir's überhaupt. Ich spreche nicht gern von Tod, ich
bin für Leben. Und nun sage mir, wie leben wir hier? Du hast
mir unterwegs allerlei Sonderbares von Stadt und Land erzählt,
aber wie wir selber hier leben werden, davon kein Wort. Dass
hier alles anders ist als in Hohen-Cremmen und Schwantikow, das
seh ich wohl, aber wir müssen doch in dem 'guten Kessin',
wie du's immer nennst, auch etwas wie Umgang und Gesellschaft
haben können. Habt ihr denn Leute von Familie in der Stadt?«
Innstetten lachte. »Ja, Honoratioren, die gibt es. Aber bei
Lichte besehen ist es nicht viel damit. Natürlich haben wir
einen Prediger und einen Amtsrichter und einen Rektor und einen
Lotsenkommandeur, und von solchen beamteten Leuten findet sich
schließlich wohl ein ganzes Dutzend zusammen, aber die meisten
davon: gute Menschen und schlechte Musikanten. Und was dann noch
bleibt, das sind bloß Konsuln.«
»Sogar gewiss. Es sind kleine, pfiffige Kaufleute, die,
wenn fremdländische Schiffe hier einlaufen und in irgendeiner
Geschäftsfrage nicht recht aus noch ein wissen, die dann mit
ihrem Rate zur Hand sind, und wenn sie diesen Rat gegeben und irgendeinem
holländischen oder portugiesischen Schiff einen Dienst geleistet
haben, so werden sie zuletzt zu beglaubigten Vertretern solcher
fremder Staaten, und gerade so viele Botschafter und Gesandte,
wie wir in Berlin haben, so viele Konsuln haben wir auch in Kessin,
und wenn irgendein Festtag ist, und es gibt hier viel Festtage,
dann werden alle Wimpel gehisst, und haben wir gerad eine
grelle Morgensonne, so siehst du an solchem Tage ganz Europa von
unsern Dächern flaggen und das Sternenbanner und den chinesischen
Drachen dazu.«
»Du bist in einer spöttischen Laune, Geert, und magst
auch wohl Recht haben. Aber ich, für meine kleine Person,
muss dir gestehen, dass ich dies alles entzückend
finde, und dass unsere havelländischen Städte daneben
verschwinden. Wenn sie da Kaisers Geburtstag feiern, so flaggt
es immer bloß schwarz und weiß und allenfalls ein
bisschen rot dazwischen, aber das kann sich doch nicht vergleichen
mit der Welt von Flaggen, von der du sprichst. überhaupt,
wie ich dir schon sagte, ich finde immer wieder und wieder, es
hat alles so was Fremdländisches hier, und ich habe noch
nichts gehört und gesehen, was mich nicht in eine gewisse
Verwunderung gesetzt hätte, gleich gestern abend das merkwürdige
Schiff draußen im Flur und dahinter der Haifisch und das
Krokodil und hier dein eigenes Zimmer. Alles so orientalisch,
und ich muss es wiederholen, alles wie bei einem indischen
Fürsten ...«
»Nichts, als was ich dir eben gesagt habe. Wohl eine Stunde
lang, als ich in der Nacht aufwachte, war es mir, als ob ich Schuhe
auf der Erde schleifen hörte und als würde getanzt und
fast auch wie Musik. Aber alles ganz leise. Und das hab ich dann
heute früh an Johanna erzählt, bloß um mich zu
entschuldigen, dass ich hinterher so lange geschlafen. Und
da sagte sie mir, das sei von den langen Gardinen oben im Saal.
Ich denke, wir machen kurzen Prozess damit und schneiden
die Gardinen etwas ab oder schließen wenigstens die Fenster;
es wird ohnehin bald stürmisch genug werden. Mitte November
ist ja die Zeit.«
Innstetten sah in einer kleinen Verlegenheit vor sich hin und
schien schwankend, ob er auf all das antworten solle. Schließlich
entschied er sich für Schweigen. »Du hast ganz Recht,
Effi, wir wollen die langen Gardinen oben kürzer machen.
Aber es eilt nicht damit, umso weniger, als es nicht sicher ist,
ob es hilft. Es kann auch was anderes sein, im Rauchfang oder
der Wurm im Holz oder ein Iltis. Wir haben nämlich hier Iltisse.
Jedenfalls aber, eh wir Änderungen vornehmen, musst
du dich in unserem Hauswesen erst umsehen, natürlich unter
meiner Führung; in einer Viertelstunde zwingen wir's. Und
dann machst du Toilette, nur ein ganz klein wenig, denn eigentlich
bist du so am reizendsten, - Toilette für unseren Freund Gieshübler;
es ist jetzt zehn vorüber, und ich müsste mich
sehr in ihm irren, wenn er nicht um elf oder doch spätestens
um die Mittagsstunde hier antreten und dir seinen Respekt devotest
zu Füßen legen sollte. Das ist nämlich die Sprache,
drin er sich ergeht. Übrigens, wie ich dir schon sagte, ein
kapitaler Mann, der dein Freund werden wird, wenn ich ihn und
dich recht kenne.«
