Theodor Fontane: "Effi Briest"alte /neue Rechtschreibung Zur Übersicht Zur Synopse Zur Einzelebene Druck
Viertes Kapitel
Sprung zu Absatz01 Vetter Dagobert war am Bahnhof, als die Damen ihre Rückreise nach Hohen-Cremmen antraten. Es waren glückliche Tage gewesen, vor allem auch darin, daß man nicht unter unbequemer und beinahe unstandesgemäßer Verwandtschaft gelitten hatte. »Für Tante Therese,« so hatte Effi gleich nach der Ankunft gesagt, »müssen wir diesmal inkognito bleiben. Es geht nicht, daß sie hier ins Hotel kommt. Entweder Hotel du Nord oder Tante Therese; beides zusammen paßt nicht.« Die Mama hatte sich schließlich einverstanden damit erklärt, ja, dem Lieblinge zur Besiegelung des Einverständnisses einen Kuß auf die Stirn gegeben.
Sprung zu Absatz02 Mit Vetter Dagobert war das natürlich etwas ganz anderes gewesen, der hatte nicht bloß den Gardepli, der hatte vor allem auch mit Hülfe jener eigentümlich guten Laune, wie sie bei den Alexanderoffizieren beinahe traditionell geworden, sowohl Mutter wie Tochter von Anfang an anzuregen und aufzuheitern gewußt, und diese gute Stimmung dauerte bis zuletzt. »Dagobert,« so hieß es noch beim Abschied, »Du kommst also zu meinem Polterabend, und natürlich mit Cortège. Denn nach den Aufführungen (aber kommt mir nicht mit Dienstmann oder Mausefallenhändler) ist Ball. Und Du mußt bedenken, mein erster großer Ball ist vielleicht auch mein letzter. Unter sechs Kameraden - natürlich beste Tänzer - wird gar nicht angenommen. Und mit dem Frühzug könnt Ihr wieder zurück.« Der Vetter versprach alles, und so trennte man sich.
Sprung zu Absatz03 Gegen Mittag trafen beide Damen an ihrer havelländischen Bahnstation ein, mitten im Luch, und fuhren in einer halben Stunde nach Hohen-Cremmen hinüber. Briest war sehr froh, Frau und Tochter wieder zu Hause zu haben, und stellte Fragen über Fragen, deren Beantwortung er meist nicht abwartete. Statt dessen erging er sich in Mitteilung dessen, was er inzwischen erlebt. »Ihr habt mir da vorhin von der Nationalgalerie gesprochen und von der 'Insel der Seligen' - nun, wir haben hier, während Ihr fort wart, auch so 'was gehabt: Und Pink war sonst ein ungewöhnlich tüchtiger Mann, hier leider am unrechten Fleck. Aber lassen wir das; Wilke wird schon unruhig.«
Sprung zu Absatz04 Bei Tische hörte Briest besser zu; das gute Einvernehmen mit dem Vetter, von dem ihm viel erzählt wurde, hatte seinen Beifall, weniger das Verhalten gegen Tante Therese. Man sah aber deutlich, daß er inmitten seiner Mißbilligung sich eigentlich darüber freute; denn ein kleiner Schabernack entsprach ganz seinem Geschmack, und Tante Therese war wirklich eine lächerliche Figur. Er hob sein Glas und stieß mit Frau und Tochter an. Auch als nach Tisch einzelne der hübschesten Einkäufe von ihm ausgepackt und seiner Beurteilung unterbreitet wurden, verriet er viel Interesse, das selbst noch anhielt, oder wenigstens nicht ganz hinstarb, als er die Rechnung überflog. »Etwas teuer, oder sagen wir lieber sehr teuer; indessen es thut nichts. Es hat alles so viel chic, ich möchte sagen so viel Animierendes, daß ich deutlich fühle, wenn Du mir solchen Koffer und solche Reisedecke zu Weihnachten schenkst, so sind wir zu Ostern auch in Rom und machen nach achtzehn Jahren unsere Hochzeitsreise. Was meinst Du, Luise? Wollen wir nachexerzieren? Spät kommt ihr, doch ihr kommt.«
Sprung zu Absatz05 Frau von Briest machte eine Handbewegung, wie wenn sie sagen wollte: »unverbesserlich,« und überließ ihn im übrigen seiner eigenen Beschämung, die aber nicht groß war.
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Sprung zu Absatz06 Ende August war da, der Hochzeitstag (3. Oktober) rückte näher, und sowohl im Herrenhause wie in der Pfarre und Schule war man unausgesetzt bei den Vorbereitungen zum Polterabend. Jahnke, getreu seiner Fritz Reuter -Passion, hatte sich's als etwas besonders »Sinniges« ausgedacht, Bertha und Hertha als Lining und Mining auftreten zu lassen, natürlich plattdeutsch, während Hulda das Käthchen von Heilbronn in der Hollunderbaumszene darstellen sollte, Leutnant Engelbrecht von den Husaren als Wetter vom Strahl. Niemeyer, der sich den Vater der Idee nennen durfte, hatte keinen Augenblick gesäumt, auch die verschämte Nutzanwendung auf Innstetten und Effi hinzuzudichten. Er selbst war mit seiner Arbeit zufrieden und hörte, gleich nach der Leseprobe, von allen Beteiligten viel Freundliches darüber, freilich mit Ausnahme seines Patronatsherrn und alten Freundes Briest, der, als er die Mischung von Kleist und Niemeyer mit angehört hatte, lebhaft protestierte, wenn auch keineswegs aus literarischen Gründen. »Hoher Herr und immer wieder Hoher Herr - was soll das? Das leitet in die Irre, das verschiebt alles. Innstetten, unbestritten, ist ein famoses Menschenexemplar, Mann von Charakter und Schneid', aber die Briest's - verzeih' den Berolinismus, Luise - die Briest's sind schließlich auch nicht von schlechten Eltern. Wir sind doch nun 'mal eine historische Familie, laß mich hinzufügen Gott sei Dank, und die Innstetten's sind es nicht; die Innstetten's sind bloß alt, meinetwegen Uradel, aber was heißt Uradel? Ich will nicht, daß eine Briest oder doch mindestens eine Polterabendfigur, in der jeder das Widerspiel unserer Effi erkennen muß - ich will nicht, daß eine Briest mittelbar oder unmittelbar in einem fort von 'Hoher Herr' spricht. Da müßte denn doch Innstetten wenigstens ein verkappter Hohenzoller sein, es giebt ja dergleichen. Das ist er aber nicht, und so kann ich nur wiederholen, es verschiebt die Situation.«
Sprung zu Absatz07 Und wirklich, Briest hielt mit besonderer Zähigkeit eine ganze Zeit lang an dieser Anschauung fest. Erst nach der zweiten Probe, wo das »Käthchen«, schon halb im Kostüm, ein sehr eng anliegendes Sammetmieder trug, ließ er sich - der es auch sonst nicht an Huldigungen gegen Hulda fehlen ließ - zu der Bemerkung hinreißen, »das Käthchen liege sehr gut da,« welche Wendung einer Waffenstreckung ziemlich gleichkam oder doch zu solcher hinüber leitete. Daß alle diese Dinge vor Effi geheim gehalten wurden, braucht nicht erst gesagt zu werden. Bei mehr Neugier auf Seiten dieser Letzteren wäre das nun freilich ganz unmöglich gewesen, aber Effi hatte so wenig Verlangen, in die Vorbereitungen und geplanten Überraschungen einzudringen, daß sie der Mama mit allem Nachdruck erklärte, »sie könne es abwarten«, und wenn diese dann zweifelte, so schloß Effi mit der wiederholten Versicherung: Es wäre wirklich so; die Mama könne es glauben. Und warum auch nicht? Es sei ja doch alles nur Theateraufführung und hübscher und poetischer als »Aschenbrödel«, das sie noch am letzten Abend in Berlin gesehen hätte, hübscher und poetischer könne es ja doch nicht sein. Da hätte sie wirklich selber mitspielen mögen, wenn auch nur, um dem lächerlichen Pensionslehrer einen Kreidestrich auf den Rücken zu machen. »Und wie reizend im letzten Akt 'Aschenbrödel's Erwachen als Prinzessin' oder wenigstens als Gräfin; wirklich, es war ganz wie ein Märchen.« In dieser Weise sprach sie oft, war meist ausgelassener als vordem und ärgerte sich bloß über das beständige Tuscheln und Geheimthun der Freundinnen. »Ich wollte, sie hätten sich weniger wichtig und wären mehr für mich da. Nachher bleiben sie doch bloß stecken, und ich muß mich um sie ängstigen und mich schämen, daß es meine Freundinnen sind.«
Sprung zu Absatz08 So gingen Effi's Spottreden, und es war ganz unverkennbar, daß sie sich um Polterabend und Hochzeit nicht allzusehr kümmerte. Frau von Briest hatte so ihre Gedanken darüber, aber zu Sorgen kam es nicht, weil sich Effi, was doch ein gutes Zeichen war, ziemlich viel mit ihrer Zukunft beschäftigte und sich, phantasiereich wie sie war, Viertelstunden lang in Schilderungen ihres Kessiner Lebens erging, Schilderungen, in denen sich nebenher und sehr zur Erheiterung der Mama, eine merkwürdige Vorstellung von Hinterpommern aussprach oder vielleicht auch, mit kluger Berechnung, aussprechen sollte. Sie gefiel sich nämlich darin, Kessin als einen halbsibirischen Ort aufzufassen, wo Eis und Schnee nie recht aufhörten.
Sprung zu Absatz09 »Heute hat Goschenhofer das Letzte geschickt,« sagte Frau von Briest, als sie wie gewöhnlich in Front des Seitenflügels mit Effi am Arbeitstische saß, auf dem die Leinen- und Wäschevorräte beständig wuchsen, während der Zeitungen, die bloß Platz wegnahmen, immer weniger wurden. »Ich hoffe, Du hast nun alles, Effi. Wenn Du aber noch kleine Wünsche hegst, so mußt Du sie jetzt aussprechen, womöglich in dieser Stunde noch. Papa hat den Raps vorteilhaft verkauft und ist ungewöhnlich guter Laune.«
Sprung zu Absatz10 »Ungewöhnlich? Er ist immer in guter Laune.«
Sprung zu Absatz11 »In ungewöhnlich guter Laune,« wiederholte die Mama. »Und die muß benutzt werden. Sprich also. Mehrmals, als wir noch in Berlin waren, war es mir, als ob Du doch nach dem einen oder anderen noch ein ganz besonderes Verlangen gehabt hättest.«
Sprung zu Absatz12 »Ja, liebe Mama, was soll ich da sagen. Eigentlich habe ich ja alles, was man braucht, ich meine, was man hier braucht. Aber da mir's nun mal bestimmt ist, so hoch nördlich zu kommen ... ich bemerke, daß ich nichts dagegen habe, im Gegenteil, ich freue mich darauf, auf die Nordlichter und auf den helleren Glanz der Sterne ... da mir's nun 'mal so bestimmt ist, so hätte ich wohl gern einen Pelz gehabt.«
Sprung zu Absatz13 »Aber Effi, Kind, das ist doch alles bloß leere Thorheit. Du kommst ja nicht nach Petersburg oder nach Archangel.«
Sprung zu Absatz14 »Nein; aber ich bin doch auf dem Wege dahin ...«
Sprung zu Absatz15 »Gewiß, Kind. Auf dem Wege dahin bist Du; aber was heißt das? Wenn Du von hier nach Nauen fährst, bist Du auch auf dem Wege nach Rußland. Im übrigen, wenn Du's wünschst, so sollst Du einen Pelz haben. Nur das laß mich im voraus sagen, ich rate Dir davon ab. Ein Pelz ist für ältere Personen, selbst Deine alte Mama ist noch zu jung dafür, und wenn Du mit Deinen siebzehn Jahren in Nerz oder Marder auftrittst, so glauben die Kessiner, es sei eine Maskerade.«
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Sprung zu Absatz16 Das war am 2. September, daß sie so sprachen, ein Gespräch, das sich wohl fortgesetzt hätte, wenn nicht gerade Sedantag gewesen wäre. So aber wurden sie durch Trommel- und Pfeifenklang unterbrochen, und Effi, die schon vorher von dem beabsichtigten Aufzuge gehört, aber es wieder vergessen hatte, stürzte mit einemmale von dem gemeinschaftlichen Arbeitstische fort und an Rondell und Teich vorüber auf einen kleinen, an die Kirchhofsmauer angebauten Balkon zu, zu dem sechs Stufen, nicht viel breiter als Leitersprossen, hinaufführten. Im Nu war sie oben, und richtig, da kam auch schon die ganze Schuljugend heran, Jahnke gravitätisch am rechten Flügel, während ein kleiner Tambourmajor, weit voran, an der Spitze des Zuges marschierte, mit einem Gesichtsausdruck, als ob ihm obläge, die Schlacht bei Sedan noch einmal zu schlagen. Effi winkte mit dem Taschentuch, und der Begrüßte versäumte nicht, mit seinem blanken Kugelstock zu salutieren.
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Sprung zu Absatz17 Eine Woche später saßen Mutter und Tochter wieder am alten Fleck, auch wieder mit ihrer Arbeit beschäftigt. Es war ein wunderschöner Tag; der in einem zierlichen Beet um die Sonnenuhr herum stehende Heliotrop blühte noch, und die leise Brise, die ging, trug den Duft davon zu ihnen herüber.
Sprung zu Absatz18 »Ach, wie wohl ich mich fühle,« sagte Effi, »so wohl und so glücklich; ich kann mir den Himmel nicht schöner denken. Und am Ende, wer weiß, ob sie im Himmel so wundervollen Heliotrop haben.«
Sprung zu Absatz19 »Aber Effi, so darfst Du nicht sprechen; das hast Du von deinem Vater, dem nichts heilig ist, und der neulich sogar sagte: Niemeyer sähe aus wie Lot. Unerhört. Und was soll es nur heißen? Erstlich weiß er nicht, wie Lot ausgesehen hat, und zweitens ist es eine grenzenlose Rücksichtslosigkeit gegen Hulda. Ein Glück, daß Niemeyer nur die einzige Tochter hat, dadurch fällt es eigentlich in sich zusammen. In einem freilich hat er nur zu sehr recht gehabt, in all' und jedem, was er über 'Lots Frau', unsere gute Frau Pastorin, sagte, die uns denn auch wirklich wieder mit ihrer Thorheit und Anmaßung den ganzen Sedantag ruinierte. Wobei mir übrigens einfällt, daß wir, als Jahnke mit der Schule vorbei kam, in unserem Gespräch unterbrochen wurden - wenigstens kann ich mir nicht denken, daß der Pelz, von dem Du damals sprachst, Dein einziger Wunsch gewesen sein sollte. Laß mich also wissen, Schatz, was Du noch weiter auf dem Herzen hast.«
Sprung zu Absatz20 »Nichts, Mama.«
Sprung zu Absatz21 »Wirklich nichts?«
Sprung zu Absatz22 »Nein, wirklich nichts; ganz im Ernste ... Wenn es aber doch am Ende was sein sollte ...«
Sprung zu Absatz23 »Nun ...«
Sprung zu Absatz24 »... So müßt' es ein japanischer Bettschirm sein, schwarz und goldene Vögel darauf, alle mit einem langen Kranichschnabel ... Und dann vielleicht auch noch eine Ampel für unser Schlafzimmer, mit rotem Schein.«
Sprung zu Absatz25 Frau von Briest schwieg.
Sprung zu Absatz26 »Nun siehst Du, Mama, Du schweigst und siehst aus, als ob ich etwas besonders Unpassendes gesagt hätte.«
Sprung zu Absatz27 »Nein, Effi, nichts Unpassendes. Und vor Deiner Mutter nun schon gewiß nicht. Denn ich kenne Dich ja. Du bist eine phantastische kleine Person, malst Dir mit Vorliebe Zukunftsbilder aus, und je farbenreicher sie sind, desto schöner und begehrlicher erscheinen sie Dir. Ich sah das so recht, als wir die Reisesachen kauften. Und nun denkst Du Dir's ganz wundervoll, einen Bettschirm mit allerhand fabelhaftem Getier zu haben, alles im Halblicht einer roten Ampel. Es kommt Dir vor wie ein Märchen, und Du möchtest eine Prinzessin sein.«
Sprung zu Absatz28 Effi nahm die Hand der Mama und küßte sie. »Ja, Mama, so bin ich.«
Sprung zu Absatz29 »Ja, so bist Du. Ich weiß es wohl. Aber meine liebe Effi, wir müssen vorsichtig im Leben sein, und zumal wir Frauen. Und wenn Du nun nach Kessin kommst, einem kleinen Ort, wo nachts kaum eine Laterne brennt, so lacht man über dergleichen. Und wenn man bloß lachte. Die, die Dir ungewogen sind, und solche giebt es immer, sprechen von schlechter Erziehung, und manche sagen auch wohl noch Schlimmeres.«
Sprung zu Absatz30 »Also nichts Japanisches und auch keine Ampel. Aber ich bekenne Dir, ich hatte es mir so schön und poetisch gedacht, alles in einem roten Schimmer zu sehen.«
Sprung zu Absatz31 Frau von Briest war bewegt. Sie stand auf und küßte Effi. »Du bist ein Kind. Schön und poetisch. Das sind so Vorstellungen. Die Wirklichkeit ist anders, und oft ist es gut, daß es statt Licht und Schimmer ein Dunkel giebt.«
Sprung zu Absatz32 Effi schien antworten zu wollen, aber in diesem Augenblicke kam Wilke und brachte Briefe. Der eine war aus Kessin von Innstetten. »Ach, von Geert,« sagte Effi, und während sie den Brief bei Seite steckte, fuhr sie in ruhigem Ton fort: »Aber das wirst Du doch gestatten, daß ich den Flügel schräg in die Stube stelle. Daran liegt mir mehr als an einem Kamin, den mir Geert versprochen hat. Und das Bild von Dir, das stell' ich dann auf eine Staffelei; ganz ohne Dich kann ich nicht sein. Ach, wie werd' ich mich nach Euch sehnen, vielleicht auf der Reise schon und dann in Kessin ganz gewiß. Es soll ja keine Garnison haben, nicht einmal einen Stabsarzt, und ein Glück, daß es wenigstens ein Badeort ist. Vetter Briest, und daran will ich mich aufrichten, dessen Mutter und Schwester immer nach Warnemünde gehen - nun, ich sehe doch wirklich nicht ein, warum der die lieben Verwandten nicht auch einmal nach Kessin hin dirigieren sollte. Dirigieren, das klingt ohnehin so nach Generalstab, worauf er, glaub' ich, ambiert. Und dann kommt er natürlich mit und wohnt bei uns. Übrigens haben die Kessiner, wie mir neulich erst wer erzählt hat, ein ziemlich großes Dampfschiff, das zweimal die Woche nach Schweden hinüberfährt. Und auf dem Schiffe ist dann Ball (sie haben da natürlich auch Musik), und er tanzt sehr gut ...«
Sprung zu Absatz33 »Wer?«
Sprung zu Absatz34 »Nun, Dagobert.«
Sprung zu Absatz35 »Ich dachte, Du meintest Innstetten. Aber jedenfalls ist es an der Zeit, endlich zu wissen, was er schreibt ... Du hast ja den Brief noch in der Tasche.«
Sprung zu Absatz36 »Richtig. Den hätt' ich fast vergessen.« Und sie öffnete den Brief und überflog ihn.
Sprung zu Absatz37 »Nun, Effi, kein Wort? Du strahlst nicht und lachst nicht einmal, und er schreibt doch immer so heiter und unterhaltlich und gar nicht väterlich weise.«
Sprung zu Absatz38 »Das würd' ich mir auch verbitten. Er hat sein Alter, und ich habe meine Jugend. Und ich würde ihm mit dem Finger drohen und ihm sagen: 'Geert, überlege, was besser ist'.«
Sprung zu Absatz39 »Und dann würde er Dir antworten: 'Was Du hast, Effi, das ist das Bessere'. Denn er ist nicht nur ein Mann der feinsten Formen, er ist auch gerecht und verständig und weiß recht gut, was Jugend bedeutet. Er sagt sich das immer und stimmt sich auf das Jugendliche hin, und wenn er in der Ehe so bleibt, so werdet ihr eine Musterehe führen.«
Sprung zu Absatz40 »Ja, das glaube ich auch, Mama. Aber kannst Du Dir vorstellen, und ich schäme mich fast, es zu sagen, ich bin nicht so sehr für das, was man eine Musterehe nennt.«
Sprung zu Absatz41 »Das sieht Dir ähnlich. Und nun sage mir, wofür bist Du denn eigentlich?«
Sprung zu Absatz42 »Ich bin ... nun, ich bin für gleich und gleich und natürlich auch für Zärtlichkeit und Liebe. Und wenn es Zärtlichkeit und Liebe nicht sein können, weil Liebe, wie Papa sagt, doch nur ein Papperlapapp ist (was ich aber nicht glaube), nun, dann bin ich für Reichtum und ein vornehmes Haus, ein ganz vornehmes, wo Prinz Friedrich Karl zur Jagd kommt, auf Elchwild oder Auerhahn, oder wo der alte Kaiser vorfährt, und für jede Dame, auch für die jungen, ein gnädiges Wort hat. Und wenn wir dann in Berlin sind, dann bin ich für Hofball und Galaoper, immer dicht neben der großen Mittelloge.«
Sprung zu Absatz43 »Sagst Du das so bloß aus Übermut und Laune?«
Sprung zu Absatz44 »Nein, Mama, das ist mein völliger Ernst. Liebe kommt zuerst, aber gleich hinterher kommt Glanz und Ehre, und dann kommt Zerstreuung - ja, Zerstreuung, immer 'was neues, immer 'was, daß ich lachen oder weinen muß. Was ich nicht aushalten kann, ist Langeweile.«
Sprung zu Absatz45 »Wie bist Du da nur mit uns fertig geworden?«
Sprung zu Absatz46 »Ach, Mama, wie Du nur so 'was sagen kannst. Freilich, wenn im Winter die liebe Verwandtschaft vorgefahren kommt und sechs Stunden bleibt oder wohl auch noch länger, und Tante Gundel und Tante Olga mich mustern und mich naseweis finden - und Tante Gundel hat es mir auch 'mal gesagt - ja, da macht sich's mitunter nicht sehr hübsch, das muß ich zugeben. Aber sonst bin ich hier immer glücklich gewesen, so glücklich ...«
Sprung zu Absatz47 Und während sie das sagte, warf sie sich heftig weinend vor der Mama auf die Knie und küßte ihre beiden Hände.
Sprung zu Absatz48 »Steh auf, Effi. Das sind so Stimmungen, die über einen kommen, wenn man so jung ist wie Du und vor der Hochzeit steht und vor dem Ungewissen. Aber nun lies mir den Brief vor, wenn er nicht 'was ganz Besonderes enthält oder vielleicht Geheimnisse.«
Sprung zu Absatz49 »Geheimnisse,« lachte Effi und sprang in plötzlich veränderter Stimmung wieder auf. »Geheimnisse! Ja, er nimmt immer einen Anlauf, aber das meiste könnt' ich auf dem Schulzenamt anschlagen lassen, da, wo immer die landrätlichen Verordnungen stehen. Nun, Geert ist ja auch Landrat.«
Sprung zu Absatz50 »Lies, lies.«
Sprung zu Absatz51 »'Liebe Effi ...' So fängt es nämlich immer an, und manchmal nennt er mich auch seine 'kleine Eva'.«
Sprung zu Absatz52 »Lies, lies ... Du sollst ja lesen.«
Sprung zu Absatz53 »Also: Liebe Effi! Je näher wir unsrem Hochzeitstage kommen, je sparsamer werden Deine Briefe. Wenn die Post kommt, suche ich immer zuerst nach Deiner Handschrift, aber wie Du weißt (und ich hab' es ja auch nicht anders gewollt) in der Regel vergeblich. Im Hause sind jetzt die Handwerker, die die Zimmer, freilich nur wenige, für Dein Kommen herrichten sollen. Das beste wird wohl erst geschehen, wenn wir auf der Reise sind. Tapezierer Madelung, der alles liefert, ist ein Original, von dem ich Dir mit nächstem erzähle, vor allem aber, wie glücklich ich bin über Dich, über meine süße, kleine Effi. Mir brennt hier der Boden unter den Füßen, und dabei wird es in unserer guten Stadt immer stiller und einsamer. Der letzte Badegast ist gestern abgereist; er badete zuletzt bei neun Grad, und die Badewärter waren immer froh, wenn er wieder heil heraus war. Denn sie fürchteten einen Schlaganfall, was dann das Bad in Mißkredit bringt, als ob die Wellen hier schlimmer wären als wo anders. Ich juble, wenn ich denke, daß ich in vier Wochen schon mit Dir von der Piazzetta aus nach dem Lido fahre oder nach Murano hin, wo sie Glasperlen machen und schönen Schmuck. Und der schönste sei für Dich. Viele Grüße den Eltern und den zärtlichsten Kuß Dir von Deinem Geert.«
Sprung zu Absatz54 Effi faltete den Brief wieder zusammen, um ihn in das Kouvert zu stecken.
Sprung zu Absatz55 »Das ist ein sehr hübscher Brief,« sagte Frau von Briest, »und daß er in allem das richtige Maß hält, das ist ein Vorzug mehr.«
Sprung zu Absatz56 »Ja, das rechte Maß, das hält er.«
Sprung zu Absatz57 »Meine liebe Effi, laß mich eine Frage thun; wünschtest Du, daß der Brief nicht das richtige Maß hielte, wünschtest Du, daß er zärtlicher wäre, vielleicht überschwenglich zärtlich?«
Sprung zu Absatz58 »Nein, nein, Mama. Wahr und wahrhaftig nicht, das wünsche ich nicht. Da ist es doch besser so.«
Sprung zu Absatz59 »Da ist es doch besser so. Wie das nun wieder klingt. Du bist so sonderbar. Und daß Du vorhin weintest. Hast Du was auf Deinem Herzen? Noch ist es Zeit. Liebst Du Geert nicht?«
Sprung zu Absatz60 »Warum soll ich ihn nicht lieben? Ich liebe Hulda, und ich liebe Bertha, und ich liebe Hertha. Und ich liebe auch den alten Niemeyer. Und daß ich Euch liebe, davon spreche ich gar nicht erst. Ich liebe alle, die's gut mit mir meinen und gütig gegen mich sind und mich verwöhnen. Und Geert wird mich auch wohl verwöhnen. Natürlich auf seine Art. Er will mir ja schon Schmuck schenken in Venedig. Er hat keine Ahnung davon, daß ich mir nichts aus Schmuck mache. Ich klettere lieber und ich schaukle mich lieber, und am liebsten immer in der Furcht, daß es irgendwo reißen oder brechen und ich niederstürzen könnte. Den Kopf wird es ja nicht gleich kosten.«
Sprung zu Absatz61 »Und liebst Du vielleicht auch Deinen Vetter Briest?«
Sprung zu Absatz62 »Ja, sehr. Der erheitert mich immer.«
Sprung zu Absatz63 »Und hättest Du Vetter Briest heiraten mögen?«
Sprung zu Absatz64 »Heiraten? Um Gottes willen nicht. Er ist ja noch ein halber Junge. Geert ist ein Mann, ein schöner Mann, ein Mann, mit dem ich Staat machen kann und aus dem was wird in der Welt. Wo denkst Du hin, Mama.«
Sprung zu Absatz65 »Nun, das ist recht, Effi, das freut mich. Aber Du hast noch was auf der Seele.«
Sprung zu Absatz66 »Vielleicht.«
Sprung zu Absatz67 »Nun, sprich.«
Sprung zu Absatz68 »Sieh, Mama, daß er älter ist als ich, das schadet nichts, das ist vielleicht recht gut: Er ist ja doch nicht alt und ist gesund und frisch und so soldatisch und so schneidig. Und ich könnte beinah' sagen, ich wäre ganz und gar für ihn, wenn er nur ... ja, wenn er nur ein bißchen anders wäre.«
Sprung zu Absatz69 »Wie denn, Effi?«
Sprung zu Absatz70 »Ja, wie. Nun, Du darfst mich nicht auslachen. Es ist etwas, was ich erst ganz vor kurzem aufgehorcht habe, drüben im Pastorhause. Wir sprachen da von Innstetten, und mit einemmale zog der alte Niemeyer seine Stirn in Falten, aber in Respekts- und Bewunderungsfalten, und sagte: 'Ja, der Baron! Das ist ein Mann von Charakter, ein Mann von Prinzipien'.«
Sprung zu Absatz71 »Das ist er auch, Effi.«
Sprung zu Absatz72 »Gewiß. Und ich glaube, Niemeyer sagte nachher sogar, er sei auch ein Mann von Grundsätzen. Und das ist, glaub' ich, noch etwas mehr. Ach, und ich ... ich habe keine. Sieh', Mama, da liegt etwas, was mich quält und ängstigt. Er ist so lieb und gut gegen mich und so nachsichtig, aber ... ich fürchte mich vor ihm.«