Vetter Dagobert war am Bahnhof, als die Damen ihre Rückreise
nach Hohen-Cremmen antraten. Es waren glückliche Tage gewesen,
vor allem auch darin, daß man nicht unter unbequemer und
beinahe unstandesgemäßer Verwandtschaft gelitten hatte.
»Für Tante Therese,« so hatte Effi gleich nach
der Ankunft gesagt, »müssen wir diesmal inkognito bleiben.
Es geht nicht, daß sie hier ins Hotel kommt. Entweder Hotel
du Nord oder Tante Therese; beides zusammen paßt nicht.«
Die Mama hatte sich schließlich einverstanden damit erklärt,
ja, dem Lieblinge zur Besiegelung des Einverständnisses einen
Kuß auf die Stirn gegeben.
Mit Vetter Dagobert war das natürlich etwas ganz anderes
gewesen, der hatte nicht bloß den Gardepli, der hatte vor
allem auch mit Hülfe jener eigentümlich guten Laune, wie
sie bei den Alexanderoffizieren beinahe traditionell geworden,
sowohl Mutter wie Tochter von Anfang an anzuregen und aufzuheitern
gewußt, und diese gute Stimmung dauerte bis zuletzt. »Dagobert,«
so hieß es noch beim Abschied, »Du kommst also zu meinem
Polterabend, und natürlich mit Cortège. Denn nach
den Aufführungen (aber kommt mir nicht mit Dienstmann oder
Mausefallenhändler) ist Ball. Und Du mußt bedenken,
mein erster großer Ball ist vielleicht auch mein letzter.
Unter sechs Kameraden - natürlich beste Tänzer - wird
gar nicht angenommen. Und mit dem Frühzug könnt Ihr
wieder zurück.« Der Vetter versprach alles, und so trennte
man sich.
Gegen Mittag trafen beide Damen an ihrer havelländischen
Bahnstation ein, mitten im Luch, und fuhren in einer halben Stunde
nach Hohen-Cremmen hinüber. Briest war sehr froh, Frau und
Tochter wieder zu Hause zu haben, und stellte Fragen über
Fragen, deren Beantwortung er meist nicht abwartete. Statt dessen
erging er sich in Mitteilung dessen, was er inzwischen erlebt.
»Ihr habt mir da vorhin von der Nationalgalerie gesprochen
und von der 'Insel der Seligen' - nun, wir haben hier, während
Ihr fort wart, auch so 'was gehabt: Und Pink war sonst ein ungewöhnlich
tüchtiger Mann, hier leider am unrechten Fleck. Aber lassen
wir das; Wilke wird schon unruhig.«
Bei Tische hörte Briest besser zu; das gute Einvernehmen
mit dem Vetter, von dem ihm viel erzählt wurde, hatte seinen
Beifall, weniger das Verhalten gegen Tante Therese. Man sah aber
deutlich, daß er inmitten seiner Mißbilligung sich
eigentlich darüber freute; denn ein kleiner Schabernack entsprach
ganz seinem Geschmack, und Tante Therese war wirklich eine lächerliche
Figur. Er hob sein Glas und stieß mit Frau und Tochter an.
Auch als nach Tisch einzelne der hübschesten Einkäufe
von ihm ausgepackt und seiner Beurteilung unterbreitet wurden,
verriet er viel Interesse, das selbst noch anhielt, oder wenigstens
nicht ganz hinstarb, als er die Rechnung überflog. »Etwas
teuer, oder sagen wir lieber sehr teuer; indessen es thut nichts.
Es hat alles so viel chic, ich möchte sagen so viel Animierendes,
daß ich deutlich fühle, wenn Du mir solchen Koffer
und solche Reisedecke zu Weihnachten schenkst, so sind wir zu
Ostern auch in Rom und machen nach achtzehn Jahren unsere Hochzeitsreise.
Was meinst Du, Luise? Wollen wir nachexerzieren? Spät kommt
ihr, doch ihr kommt.«
Frau von Briest machte eine Handbewegung, wie wenn sie sagen wollte:
»unverbesserlich,« und überließ ihn im übrigen
seiner eigenen Beschämung, die aber nicht groß war.
Ende August war da, der Hochzeitstag (3. Oktober) rückte
näher, und sowohl im Herrenhause wie in der Pfarre und Schule
war man unausgesetzt bei den Vorbereitungen zum Polterabend. Jahnke,
getreu seiner Fritz Reuter -Passion, hatte sich's als etwas besonders
»Sinniges« ausgedacht, Bertha und Hertha als Lining
und Mining auftreten zu lassen, natürlich plattdeutsch, während
Hulda das Käthchen von Heilbronn in der Hollunderbaumszene
darstellen sollte, Leutnant Engelbrecht von den Husaren als Wetter
vom Strahl. Niemeyer, der sich den Vater der Idee nennen durfte,
hatte keinen Augenblick gesäumt, auch die verschämte
Nutzanwendung auf Innstetten und Effi hinzuzudichten. Er selbst
war mit seiner Arbeit zufrieden und hörte, gleich nach der
Leseprobe, von allen Beteiligten viel Freundliches darüber,
freilich mit Ausnahme seines Patronatsherrn und alten Freundes
Briest, der, als er die Mischung von Kleist und Niemeyer mit angehört
hatte, lebhaft protestierte, wenn auch keineswegs aus literarischen
Gründen. »Hoher Herr und immer wieder Hoher Herr - was
soll das? Das leitet in die Irre, das verschiebt alles. Innstetten,
unbestritten, ist ein famoses Menschenexemplar, Mann von Charakter
und Schneid', aber die Briest's - verzeih' den Berolinismus, Luise -
die Briest's sind schließlich auch nicht von schlechten Eltern.
Wir sind doch nun 'mal eine historische Familie, laß mich
hinzufügen Gott sei Dank, und die Innstetten's sind es nicht;
die Innstetten's sind bloß alt, meinetwegen Uradel, aber
was heißt Uradel? Ich will nicht, daß eine Briest
oder doch mindestens eine Polterabendfigur, in der jeder das Widerspiel
unserer Effi erkennen muß - ich will nicht, daß eine
Briest mittelbar oder unmittelbar in einem fort von 'Hoher Herr'
spricht. Da müßte denn doch Innstetten wenigstens ein
verkappter Hohenzoller sein, es giebt ja dergleichen. Das ist er
aber nicht, und so kann ich nur wiederholen, es verschiebt die
Situation.«
Und wirklich, Briest hielt mit besonderer Zähigkeit eine
ganze Zeit lang an dieser Anschauung fest. Erst nach der zweiten
Probe, wo das »Käthchen«, schon halb im Kostüm,
ein sehr eng anliegendes Sammetmieder trug, ließ er sich
- der es auch sonst nicht an Huldigungen gegen Hulda fehlen ließ
- zu der Bemerkung hinreißen, »das Käthchen liege sehr
gut da,« welche Wendung einer Waffenstreckung ziemlich gleichkam
oder doch zu solcher hinüber leitete. Daß alle diese
Dinge vor Effi geheim gehalten wurden, braucht nicht erst gesagt
zu werden. Bei mehr Neugier auf Seiten dieser Letzteren wäre
das nun freilich ganz unmöglich gewesen, aber Effi hatte
so wenig Verlangen, in die Vorbereitungen und geplanten Überraschungen
einzudringen, daß sie der Mama mit allem Nachdruck erklärte,
»sie könne es abwarten«, und wenn diese dann zweifelte, so
schloß Effi mit der wiederholten Versicherung: Es wäre
wirklich so; die Mama könne es glauben. Und warum auch nicht?
Es sei ja doch alles nur Theateraufführung und hübscher
und poetischer als »Aschenbrödel«, das sie noch
am letzten Abend in Berlin gesehen hätte, hübscher und
poetischer könne es ja doch nicht sein. Da hätte sie
wirklich selber mitspielen mögen, wenn auch nur, um dem lächerlichen
Pensionslehrer einen Kreidestrich auf den Rücken zu machen.
»Und wie reizend im letzten Akt 'Aschenbrödel's Erwachen
als Prinzessin' oder wenigstens als Gräfin; wirklich, es
war ganz wie ein Märchen.« In dieser Weise sprach sie
oft, war meist ausgelassener als vordem und ärgerte sich
bloß über das beständige Tuscheln und Geheimthun
der Freundinnen. »Ich wollte, sie hätten sich weniger
wichtig und wären mehr für mich da. Nachher bleiben
sie doch bloß stecken, und ich muß mich um sie ängstigen
und mich schämen, daß es meine Freundinnen sind.«
So gingen Effi's Spottreden, und es war ganz unverkennbar, daß
sie sich um Polterabend und Hochzeit nicht allzusehr kümmerte.
Frau von Briest hatte so ihre Gedanken darüber, aber zu Sorgen
kam es nicht, weil sich Effi, was doch ein gutes Zeichen war,
ziemlich viel mit ihrer Zukunft beschäftigte und sich, phantasiereich
wie sie war, Viertelstunden lang in Schilderungen ihres Kessiner
Lebens erging, Schilderungen, in denen sich nebenher und sehr
zur Erheiterung der Mama, eine merkwürdige Vorstellung von
Hinterpommern aussprach oder vielleicht auch, mit kluger Berechnung,
aussprechen sollte. Sie gefiel sich nämlich darin, Kessin
als einen halbsibirischen Ort aufzufassen, wo Eis und Schnee nie
recht aufhörten.
»Heute hat Goschenhofer das Letzte geschickt,« sagte
Frau von Briest, als sie wie gewöhnlich in Front des Seitenflügels
mit Effi am Arbeitstische saß, auf dem die Leinen- und Wäschevorräte
beständig wuchsen, während der Zeitungen, die bloß
Platz wegnahmen, immer weniger wurden. »Ich hoffe, Du hast
nun alles, Effi. Wenn Du aber noch kleine Wünsche hegst,
so mußt Du sie jetzt aussprechen, womöglich in dieser
Stunde noch. Papa hat den Raps vorteilhaft verkauft und ist ungewöhnlich
guter Laune.«
»Ja, liebe Mama, was soll ich da sagen. Eigentlich habe ich
ja alles, was man braucht, ich meine, was man hier braucht.
Aber da mir's nun mal bestimmt ist, so hoch nördlich zu kommen
... ich bemerke, daß ich nichts dagegen habe, im Gegenteil,
ich freue mich darauf, auf die Nordlichter und auf den helleren
Glanz der Sterne ... da mir's nun 'mal so bestimmt ist, so hätte
ich wohl gern einen Pelz gehabt.«
»Gewiß, Kind. Auf dem Wege dahin bist Du; aber was
heißt das? Wenn Du von hier nach Nauen fährst, bist
Du auch auf dem Wege nach Rußland. Im übrigen, wenn
Du's wünschst, so sollst Du einen Pelz haben. Nur das laß
mich im voraus sagen, ich rate Dir davon ab. Ein Pelz ist für
ältere Personen, selbst Deine alte Mama ist noch zu jung
dafür, und wenn Du mit Deinen siebzehn Jahren in Nerz oder
Marder auftrittst, so glauben die Kessiner, es sei eine Maskerade.«
Das war am 2. September, daß sie so sprachen, ein Gespräch,
das sich wohl fortgesetzt hätte, wenn nicht gerade Sedantag
gewesen wäre. So aber wurden sie durch Trommel- und Pfeifenklang
unterbrochen, und Effi, die schon vorher von dem beabsichtigten
Aufzuge gehört, aber es wieder vergessen hatte, stürzte
mit einemmale von dem gemeinschaftlichen Arbeitstische fort und
an Rondell und Teich vorüber auf einen kleinen, an die Kirchhofsmauer
angebauten Balkon zu, zu dem sechs Stufen, nicht viel breiter
als Leitersprossen, hinaufführten. Im Nu war sie oben, und
richtig, da kam auch schon die ganze Schuljugend heran, Jahnke
gravitätisch am rechten Flügel, während ein kleiner
Tambourmajor, weit voran, an der Spitze des Zuges marschierte,
mit einem Gesichtsausdruck, als ob ihm obläge, die Schlacht
bei Sedan noch einmal zu schlagen. Effi winkte mit dem Taschentuch,
und der Begrüßte versäumte nicht, mit seinem blanken
Kugelstock zu salutieren.
»Aber Effi, so darfst Du nicht sprechen; das hast Du von
deinem Vater, dem nichts heilig ist, und der neulich sogar sagte:
Niemeyer sähe aus wie Lot. Unerhört. Und was soll es
nur heißen? Erstlich weiß er nicht, wie Lot ausgesehen
hat, und zweitens ist es eine grenzenlose Rücksichtslosigkeit
gegen Hulda. Ein Glück, daß Niemeyer nur die einzige
Tochter hat, dadurch fällt es eigentlich in sich zusammen.
In einem freilich hat er nur zu sehr recht gehabt, in all' und jedem,
was er über 'Lots Frau', unsere gute Frau Pastorin, sagte,
die uns denn auch wirklich wieder mit ihrer Thorheit und Anmaßung
den ganzen Sedantag ruinierte. Wobei mir übrigens einfällt,
daß wir, als Jahnke mit der Schule vorbei kam, in unserem
Gespräch unterbrochen wurden - wenigstens kann ich mir nicht
denken, daß der Pelz, von dem Du damals sprachst, Dein einziger
Wunsch gewesen sein sollte. Laß mich also wissen, Schatz,
was Du noch weiter auf dem Herzen hast.«
»Nein, Effi, nichts Unpassendes. Und vor Deiner Mutter nun
schon gewiß nicht. Denn ich kenne Dich ja. Du bist eine
phantastische kleine Person, malst Dir mit Vorliebe Zukunftsbilder
aus, und je farbenreicher sie sind, desto schöner und begehrlicher
erscheinen sie Dir. Ich sah das so recht, als wir die Reisesachen
kauften. Und nun denkst Du Dir's ganz wundervoll, einen Bettschirm
mit allerhand fabelhaftem Getier zu haben, alles im Halblicht
einer roten Ampel. Es kommt Dir vor wie ein Märchen, und
Du möchtest eine Prinzessin sein.«
»Ja, so bist Du. Ich weiß es wohl. Aber meine liebe
Effi, wir müssen vorsichtig im Leben sein, und zumal wir
Frauen. Und wenn Du nun nach Kessin kommst, einem kleinen Ort,
wo nachts kaum eine Laterne brennt, so lacht man über dergleichen.
Und wenn man bloß lachte. Die, die Dir ungewogen sind, und
solche giebt es immer, sprechen von schlechter Erziehung, und manche
sagen auch wohl noch Schlimmeres.«
Effi schien antworten zu wollen, aber in diesem Augenblicke kam
Wilke und brachte Briefe. Der eine war aus Kessin von Innstetten.
»Ach, von Geert,« sagte Effi, und während sie den
Brief bei Seite steckte, fuhr sie in ruhigem Ton fort: »Aber das
wirst Du doch gestatten, daß ich den Flügel
schräg in die Stube stelle. Daran liegt mir mehr als an einem
Kamin, den mir Geert versprochen hat. Und das Bild von Dir, das
stell' ich dann auf eine Staffelei; ganz ohne Dich kann ich nicht
sein. Ach, wie werd' ich mich nach Euch sehnen, vielleicht auf
der Reise schon und dann in Kessin ganz gewiß. Es soll ja
keine Garnison haben, nicht einmal einen Stabsarzt, und ein Glück,
daß es wenigstens ein Badeort ist. Vetter Briest, und daran
will ich mich aufrichten, dessen Mutter und Schwester immer nach
Warnemünde gehen - nun, ich sehe doch wirklich nicht ein,
warum der die lieben Verwandten nicht auch einmal nach Kessin
hin dirigieren sollte. Dirigieren, das klingt ohnehin so nach
Generalstab, worauf er, glaub' ich, ambiert. Und dann kommt er
natürlich mit und wohnt bei uns. Übrigens haben die
Kessiner, wie mir neulich erst wer erzählt hat, ein ziemlich
großes Dampfschiff, das zweimal die Woche nach Schweden
hinüberfährt. Und auf dem Schiffe ist dann Ball (sie
haben da natürlich auch Musik), und er tanzt sehr gut ...«
»Und dann würde er Dir antworten: 'Was Du hast, Effi,
das ist das Bessere'. Denn er ist nicht nur ein Mann der feinsten
Formen, er ist auch gerecht und verständig und weiß
recht gut, was Jugend bedeutet. Er sagt sich das immer und stimmt
sich auf das Jugendliche hin, und wenn er in der Ehe so bleibt,
so werdet ihr eine Musterehe führen.«
»Ich bin ... nun, ich bin für gleich und gleich und natürlich
auch für Zärtlichkeit und Liebe. Und wenn es Zärtlichkeit
und Liebe nicht sein können, weil Liebe, wie Papa sagt, doch
nur ein Papperlapapp ist (was ich aber nicht glaube), nun, dann
bin ich für Reichtum und ein vornehmes Haus, ein ganz vornehmes,
wo Prinz Friedrich Karl zur Jagd kommt, auf Elchwild oder Auerhahn,
oder wo der alte Kaiser vorfährt, und für jede Dame,
auch für die jungen, ein gnädiges Wort hat. Und wenn
wir dann in Berlin sind, dann bin ich für Hofball und Galaoper,
immer dicht neben der großen Mittelloge.«
»Ach, Mama, wie Du nur so 'was sagen kannst. Freilich, wenn
im Winter die liebe Verwandtschaft vorgefahren kommt und sechs
Stunden bleibt oder wohl auch noch länger, und Tante Gundel
und Tante Olga mich mustern und mich naseweis finden - und Tante
Gundel hat es mir auch 'mal gesagt - ja, da macht sich's mitunter
nicht sehr hübsch, das muß ich zugeben. Aber sonst
bin ich hier immer glücklich gewesen, so glücklich ...«
»Also: Liebe Effi! Je näher wir unsrem Hochzeitstage
kommen, je sparsamer werden Deine Briefe. Wenn die Post kommt,
suche ich immer zuerst nach Deiner Handschrift, aber wie Du weißt
(und ich hab' es ja auch nicht anders gewollt) in der Regel vergeblich.
Im Hause sind jetzt die Handwerker, die die Zimmer, freilich nur
wenige, für Dein Kommen herrichten sollen. Das beste wird
wohl erst geschehen, wenn wir auf der Reise sind. Tapezierer Madelung,
der alles liefert, ist ein Original, von dem ich Dir mit nächstem
erzähle, vor allem aber, wie glücklich ich bin über
Dich, über meine süße, kleine Effi. Mir brennt
hier der Boden unter den Füßen, und dabei wird es in
unserer guten Stadt immer stiller und einsamer. Der letzte Badegast
ist gestern abgereist; er badete zuletzt bei neun Grad, und die
Badewärter waren immer froh, wenn er wieder heil heraus war.
Denn sie fürchteten einen Schlaganfall, was dann das Bad
in Mißkredit bringt, als ob die Wellen hier schlimmer wären
als wo anders. Ich juble, wenn ich denke, daß ich in vier
Wochen schon mit Dir von der Piazzetta aus nach dem Lido fahre
oder nach Murano hin, wo sie Glasperlen machen und schönen
Schmuck. Und der schönste sei für Dich. Viele Grüße
den Eltern und den zärtlichsten Kuß Dir von Deinem
Geert.«
»Warum soll ich ihn nicht lieben? Ich liebe Hulda, und ich
liebe Bertha, und ich liebe Hertha. Und ich liebe auch den alten
Niemeyer. Und daß ich Euch liebe, davon spreche ich gar
nicht erst. Ich liebe alle, die's gut mit mir meinen und gütig
gegen mich sind und mich verwöhnen. Und Geert wird mich auch
wohl verwöhnen. Natürlich auf seine Art. Er will mir
ja schon Schmuck schenken in Venedig. Er hat keine Ahnung davon,
daß ich mir nichts aus Schmuck mache. Ich klettere lieber
und ich schaukle mich lieber, und am liebsten immer in der Furcht,
daß es irgendwo reißen oder brechen und ich niederstürzen
könnte. Den Kopf wird es ja nicht gleich kosten.«
»Ja, wie. Nun, Du darfst mich nicht auslachen. Es ist etwas,
was ich erst ganz vor kurzem aufgehorcht habe, drüben im
Pastorhause. Wir sprachen da von Innstetten, und mit einemmale
zog der alte Niemeyer seine Stirn in Falten, aber in Respekts-
und Bewunderungsfalten, und sagte: 'Ja, der Baron! Das ist ein
Mann von Charakter, ein Mann von Prinzipien'.«
»Gewiß. Und ich glaube, Niemeyer sagte nachher sogar,
er sei auch ein Mann von Grundsätzen. Und das ist, glaub'
ich, noch etwas mehr. Ach, und ich ... ich habe keine. Sieh', Mama,
da liegt etwas, was mich quält und ängstigt. Er ist
so lieb und gut gegen mich und so nachsichtig, aber ... ich fürchte
mich vor ihm.«
