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Drittes Kapitel
Anders als für den Schauplatz Hohen-Cremmen, der als solcher erfunden ist und folglich an der Realität nicht gemessen werden kann, ist für den Schauplatz Berlin von der realen Bestimmtheit natürlich nicht abzusehen. So namensgenau, wie Fontane ihn in Szene setzt, geht er über das zu seiner Zeit Übliche aber weit hinaus. Er ist tatsächlich der in dieser Hinsicht realistischste deutsche Autor dieser Epoche. Sämtliche in "Effi Briest" auftauchenden Ortshinweise zu Berlin sind nicht nur über den Stadtplan zu verifizieren, sondern es sind die betreffenden Stellen auch noch mit einer Vielzahl von Einzelheiten wirklichkeitsgerecht einbezogen. Wer die Handlung des Romans im vollen Sinne verstehen will, darf an diesem Anteil von 'Welt' an ihm nicht vorbeigehen. Auch für ein Großteil der zeitgenössischen Leser hat dieser Realitätsbezug mit zu seiner Wirkung beigetragen.
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... als der Vater darein gewilligt hatte, im Hotel du Nord Wohnung zu nehmen.
Hotel du Nord: Unter den Linden 35, nächst der Charlottenstraße, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eines der vornehmsten Berliner Hotels. Als veraltetet wurde es nach der Jahrhundertwende abgerissen und an seiner Stelle ein Bankhaus errichtet.
Rechts das Hotel du Nord um 1890 (Landesarchiv Berlin). Links anschließend das Niederländische Palais, dann das Kaiserpalais und das Opernhaus, dahinter die Kuppel des Schlosses.
Heute bietet sich dort ein noch immer ähnliches Bild. Das im Krieg zerstörte Niederländische Palais wurde 1964 durch eine Kopie des Gouverneurshauses aus der Jüdenstraße ersetzt, und die kleine Lindengasse, an deren Ecke das Hotel vormals stand, in den 1920er-Jahren überbaut. Deshalb reicht die Front von zwei Bankhäusern bis zur Ecke der Charlottenstraße.
Die Straßenfront zwischen Oper und Charlottenstraße heute
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... als mit Spinn und Mencke, Goschenhofer und ähnlichen Firmen, die vorläufig notiert worden waren.
Spinn und Mencke: Möbel- und Einrichtungsgeschäft in der Leipziger Straße 83.
Das Möbelhaus Spinn & Mencke
Goschenhofer: Bettwaren- und Wäschegeschäft in der Leipziger Straße 58
Eine Zeitungsanzeige der Firma Goschenhofer & Roesicke aus dem Jahr 1878.
Blick in die Leipziger Straße (Ecke Friedrichstraße) nach Osten. (Foto von Waldemar Titzenthaler, 1898)
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... und so saßen sie denn mit ihm bei Kranzler am Eckfenster oder zu statthafter Zeit auch wohl im Café Bauer ...
Kranzler: berümte Konditorei Unter den Linden 25, Ecke Friedrichstraße.
Café Bauer: 1878 eröffnetes luxuriöses Wiener Caféhaus Unter den Linden 26, Ecke Friedrichstraße, also der Konditorei Kranzler genau gegenüber. Das Café war für Damen, die auf sich hielten, allerdings nur tagsüber ein schicklicher Aufenthaltsort.
Unter den Linden Ecke Friedrichstraße, Blickrichtung Süden: die Cafés Bauer und Kranzler (Postkarte aus der Sammlung der Berliner Stadtbibliothek)
Die Friedrichstraße (Ecke Leipziger Straße) in Blickrichtung Linden 1878 (Foto von Lucien Levy)
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... und fuhren nachmittags in den Zoologischen Garten ...
Zoologischer Garten: mit seiner parkartigen Anlage und seinen exotisch gestalteten Tierhäusern zu dieser Zeit eine der Hauptattraktionen von Berlin.
Das Freigelände des Zoologischen Gartens von Berlin im Jahre 1880
Das Elefantenhaus im Zoologischen Garten von Berlin 1879
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... am dritten oder vierten Tag gingen sie, wie vorgeschrieben, in die Nationalgalerie ...
Nationalgalerie: 1876 eröffnete Galerie zur Sammlung der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts. Nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg hat sie über mehrere Restaurierungs-Stufen im Jahre 2002 ihr ursprüngliches Aussehen weitgehend wiedererhalten.
Die Nationalgalerie auf der Museumsinsel in einer Aufnahme von 1879.
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... wenn sie mit der Mama die Linden hinauf- und hinunterging und nach Musterung der schönsten Schaufenster in den Demuth'schen Laden eintrat ...
Demuth: ein Geschäft für Reisebedarf, das sich bis 1885 an der Schlossfreiheit 1, dann Unter den Linden 3a befand (neben dem Berliner Hotel Royal, später Adlon, also dicht am Brandenburger Tor). Die Formulierung Fontanes legt es nahe, dass das Geschäft hier als eines an den 'Linden' vorgestellt wird, d.h. Fontane registrierte 1894 offenbar nicht mehr, dass er für den Zeitpunkt der Handlung eine andere Stelle hätte annehmen müssen. Dasselbe gilt aber auch schon für die damaligen Leser. In einer Rezension des BERLINER TAGEBLATTs wird im Oktober 1895 die Frage gestellt,
ob Fontane gut daran thut, bei Gelegenheit und sogar recht häufig bekannte Berliner Geschäftsfirmen mit ihren wirklichen Namen zu nennen. Ich glaube, daß diese Uebung dem Realismus, wie ihn Fontane versteht, gerade widerspricht. ... Der Realismus besteht doch darin, daß der Schein des wirklichen Lebens erzeugt wird durch die Mittel der betreffenden Kunst; führt mich so eine Firma plötzlich leibhaftig zu dem Geschäft in der Leipzigerstraße, so wird der Schein des wirklichen Lebens durch ein falsches Mittel erzeugt, etwa so, wie im Wachsfigurenkabinett der Realismus der Bildhauerkunst durch mechanische Bewegungen erhöht wird.
Einen Fehler in der zeit-räumlichen Zuordnung des Namens Demuth bemerkt der Rezensent jedoch nicht, offenbar genügt es, dass sich das Geschäft schon seit zehn Jahren an der angedeuteten Stelle befindet. Fontane stimmte der Kritik am "Firmen-Citiren" übrigens höflich zu und räumte den 'falschen Realismus' ein, machte aber zugleich einen Witz daraus, indem er hinzufügte, von 'Naturalismus' möge er nicht sprechen, "weil mir Demuth ganz unnaturalistisch vorkommt" (Brief an Fritz Mauthner vom 14.11.1895). Auch in den nachfolgenden Romanen hat er authentische Firmennamen noch wieder verwendet.
Der Adressbucheintrag der Firma Demuth aus dem Jahr 1888.
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Die Berliner Innenstadt um 1880 mit der Nationalgalerie (1), dem Hotel du Nord (2), dem Café Bauer (3), dem Demuth'schen Laden (4) und den Firmen Spinn & Mencke (5) und Goschenhofer (6).