Die Schauplätze Zur Übersicht Zur Synopse Zur Einzelebene Druck
Erstes Kapitel
Wo liegt Hohen-Cremmen mit dem Gut der Familie von Briest? Einen Ort dieses Namens gibt es nicht, aber doch mehrere Hinweise, die man für eine Lokalisierung aufgreifen kann. Es gibt 1. den Stammsitz der Familie von Plotho - also den Ardenne-Kontext - in Zerben an der Elbe, es gibt 2. das im Roman genannte Rathenow, aus dem man nach Hohen-Cremmen immer wieder zu Besuch kommt, es gibt 3. für Briefe aus Hohen-Cremmen den "Friesacker Poststempel" (Kapitel 22), also das Städtchen Friesack als nächste Poststation, es gibt 4. den vormaligen Stammsitz der Familie von Briest in Nennhausen, dem in Kapitel 4 auch noch die Stadt Nauen (etwa 25 km östlich von Nennhausen) zugeordnet ist, und es gibt 5. das namensverwandte Städtchen Kremmen nordwestlich von Berlin.
Das in Elbnähe gelegene Zerben, also der Herkunftsort des Effi-Vorbildes Elisabeth von Ardenne, scheidet als Bezugsort jedoch aus. Es liegt von Rathenow viel zu weit weg, als dass Instetten, wie er getan hat, des öfteren von dort nach Hohen-Cremmen herübergeritten kommen konnte. Aber auch Kremmen als Bezugsort scheidet wegen der zu großen Entfernung zu Rathenow aus, wenn schon sich Fontane mit 'Schwantikow' - dem Heimatort von Effis Mutter - noch an einen weiteren Namen aus dieser Gegend anlehnt: den des nahe bei Kremmen gelegenen Städtchens Schwante.
So ist der wahrscheinlichste Bezugspunkt für Hohen-Cremmen das zwischen Rathenow, Friesack und Nauen gelegene Dorf Nennhausen, in dem seit 1677 die märkische Adelsfamilie von Briest ansässig war. Der letzte Spross dieser Familie, eine geborene Caroline von Briest, in zweiter Ehe mit dem Schriftsteller Friedrich de la Motte Fouqué verheiratet und auch selbst Autorin, starb auf Schloss Nennhausen 1831. Dass Fontane sich dieses Hintergrundes auch bewusst war, zeigt ein Brief, den er 1895 an eine Leserin schrieb:
Ihnen für Ihr freundliches Interesse für meine arme Effi Briest bestens dankend, die ergebenste Mittheilung, daß der Name Briest einsylbig ist. Es ist der Name einer alten historischen, im Havellande ansässigen Familie, die sich zur Zeit des Großen Kurfürsten auszeichnete, seitdem aber ausgestorben ist.
Der Handlungsraum von Fontanes "Effi Briest" mit den möglichen Bezugsorten (nach: Diercke Weltatlas. Westermann Verlag 1957).
Da Fontane Nennhausen zweifellos kannte, nahm er sich die Schlossanlage mit dem einen Seitenflügel und dem Rondell vermutlich auch für Hohen-Cremmen zum Vorbild. Allerdings ist Nennhausen ein Barockschloss und deutlich größer, als man sich Effis Elternhaus vorstellen darf.
Das Schloss von Nennhausen heute (in Privatbesitz).
Die Lage des Herrenhauses der Briests neben einem Kirchhof und zugleich einem Teich ist etwas problematisch. Zum einen hat man Kirchhöfe normalerweise nicht neben Gewässern angelegt, zum anderen wurden Herrenhäuser im 17. Jahrhundert nicht unmittelbar neben Kirchhöfe gesetzt oder hätten Gutsherren die Anlage eines Kirchhofes so in ihrer Nachbarschaft gestattet. So liegt es nahe, für diese Gegebenheiten auf einen symbolischen Sinn zu schließen. (Näheres siehe unter GESTALTUNG zu Kapitel 1)
Das Briest'sche Herrenhaus wird aber auch ohne die für solche Gutshäuser charakteristische Wirtschaftsumgebung gezeigt. Normalerweise lag von der Straße her vor dem Gutshaus der Hof mit Ställen, Scheunen, Gesindehäusern usw., doch ist von einer Bewirtschaftung hier so gut wie nichts wahrnehmbar. Die Briests leben wie Pensionäre, nur ganz am Rande kommt der Wirtschaftsbereich in den Blick. In Kapitel 2 erinnert Effi Hulda daran, dass sie einmal bei ihnen auf dem Scheunendach entlanggerutscht sei, und in Kapitel 4 äußert Briest, dass er seinen Inspektor habe entlassen müssen, ausgerechnet während der Erntezeit, auf welche dann noch mit der Bemerkung Bezug genommen wird, Briest habe 'den Raps gut verkauft'. In Kapitel 5 schließlich steht in einem Brief Effis von ihrer Hochzeitsreise der Satz, sie gäbe etwas darum, wenn sie "auf unserem Hof auf einer Wagendeichsel sitzen und unsere Tauben füttern könnte". Ein bewirtschafteter Hofteil ist also vorhanden, ist dem Gutshaus aber nur vage zuzuordnen.
Das Herrenhaus Hohen-Cremmen und seine Umgebung
Wenn das Briest'sche Herrenhaus schon aus der Zeit des Kurfürsten Georg Wilhelm stammt, ist es - auch für die damalige Zeit - sehr alt. Georg Wilhelm, Vater des 'Großen Kurfürsten', war Kurfürst von Brandenburg von 1619 bis 1640, d.h. das Herrenhaus wäre schon im 30-jährigen Krieg erbaut worden. So alte Häuser haben sich aber zumeist bis ins 19. Jahrhundert gar nicht erhalten, sie wurden schon im 18. Jahrhundert durch Neubauten ersetzt. Eine Vorstellung vom Aussehen eines solchen Hauses lässt sich deshalb auch nur über ein Gutshaus aus dem 18. Jahrhundert vermitteln.
Benutzte Literatur: Helmigk, Hans Joachim
Die Vorderfront eines preußischen Herrenhauses aus dem 18. Jahrhundert. (Aufnahme von 1929)
Die Gartenfront des Hauses. (Aufnahme von 1929)
~~~~~~~~~~~~
Sprung zum Absatz 39 des Romantextes
"Als er noch keine zwanzig war, stand er drüben bei den Rathenowern ..."
Rathenower: von 1860 bis 1919 war das Brandenburgische Husaren-Regiment Nr. 3 (die sogenannten Zieten-Husaren) in Rathenow stationiert.
Sprung zum Absatz 39 des Romantextes
"... am liebsten war er in Schwantikow drüben bei meinem Großvater Belling."
Schwantikow: erfundener Name, angelehnt wohl an den Ort Schwante bei Kremmen.
Belling: spielt als Mädchenname von Effis Mutter vielleicht an auf Welling, den Mädchennamen von Elisabeth von Plothos Mutter. Es gab in Preußen aber auch eine Adelsfamilie Belling.
Sprung zum Absatz 45 des Romantextes
"... als der Siebziger Krieg kam, trat er wieder ein, aber bei den Perlebergern ..."
Perleberger: das 1860 aufgestellte 2. Brandenburgischen Ulanen-Regiment Nr. 11, das zu dieser Zeit in Perleberg stationiert war.
Sprung zum Absatz 45 des Romantextes
"... und so kam es denn, daß er Landrat wurde, Landrat im Kessiner Kreise."
Kessin: der Name kommt zwar als Ortsname - in Mecklenburg - vor, aber einen pommerschen Badeort Kessin gibt es nicht. Zu den Einzelheiten der Ortsbestimmung siehe SCHAUPLÄTZE zu Kapitel 6.