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Erstes Kapitel
Fontanes Gestaltungsarbeit an "Effi Briest" beginnt bei den Namen. Die Hauptfigur sollte zunächst Betty von Ottersund heißen, später Betty von Pervenitz. Wenn schließlich Effi Briest daraus wurde, hat das offenbar hauptsächlich mit dem Klang dieses Namens zu tun. An den Herausgeber der "Deutschen Rundschau", Julius Rodenberg, der den Roman im Vorabdruck herausbringen wollte, schreibt Fontane im November 1893:
Titel: "Effi Briest", für mein Gefühl sehr hübsch, weil viel e und i darin ist: das sind die beiden feinen Vokale.
Dasselbe gilt für Geert von Innstetten, der zunächst Hugo von Treskow heißen sollte und für den auch die Vornamen Waldemar und Ralph erwogen wurden.
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Gleich die Eingangsszene mit ihrer Beschreibung des von drei Seiten umschlossenen Briest'schen Gartens ist einer sehr weitgehenden Deutung unterzogen worden. In der 1978 erschienenen Arbeit "Effi Briest - ein Leben nach christlichen Bildern" von Peter Klaus Schuster wird darin eine Anspielung auf mittelalterliche Marien-Darstellungen gesehen. Der Garten gleiche einem 'hortus conclusus', einem geschlossenen Garten, wie er auf mittelalterlichen Bildern oft zu sehen sei, und setze so Effi mit der jungfräulichen Maria gleich.
Maria mit Kind in einem Hortus conclusus - Mittelteil eines Tryptichons von Stefan von Lochner (1400-1451), Wallraf-Richartz-Museum Köln.
Ausgehend von dieser Deutung entwickelt Schuster die These, dass der gesamte Roman eigentlich eine Marien-Geschichte sei: Effis Leben entspreche dem Leben, der Passion und der Himmelfahrt Marias. Innstetten steht dabei für den allmächtigen Gott, Crampas für den Teufel und Annie für das Jesuskind. Fazit dieser Auslegung: Fontane habe mit seinem Roman die unchristliche Unterdrückung der Frau durch das männlich dominierte Christentum seiner Zeit brandmarken wollen. Dieses Christentum nehme die Unschuld der Jungfrau Maria nicht mehr wahr oder versündige sich gar 'teuflisch' an ihr, und sogar die Tochter Annie, sprich Jesus Christus, lasse sie im Stich. Immer wieder lägen 'christliche Bilder', von Schuster auch wiedergegeben, den Szenen des Romans zugrunde, so wie eben auch der Briest'sche Garten dem Hortus conclusus der Marienbilder entspreche.
Benutzte Literatur: Schuster, Peter Klaus
Was ist von dieser Deutung zu halten? Karl S. Guthke hat sie zu Recht eine Fata Morgana genannt, die sich mit ihren 'Beweisen' bis ins Komische hinein selbst bloßstelle. Und in der Tat: Effis Schaukel mit ihren Stricken als Galgen, das Haus in Kessin mit Haifisch und Krokodil als Stall von Bethlehem, Crampas mit lädiertem Arm statt klumpigem Fuß als Teufel usw. - über viele dieser Analogien kann man eigentlich nur lachen.
Benutzte Literatur: Guthke, Karl S.
Auf die diversen weiteren - vermeintlichen - Gestaltungselemente, die Schuster im Rahmen seiner Deutung benennt, soll deshalb hier nicht mehr eingegangen werden. Denn die nächstliegende Frage, warum Fontane sich eine so verdeckte und versteckte Kritik des Christentums ausgedacht haben soll, wo er es doch gleichzeitig ganz unverdeckt kritisiert, wird von Schuster erst gar nicht gestellt. Dabei ist grundsätzlich nicht unrichtig, dass Fontane sich durch die Bildende Kunst hat anregen und in seinem Blick auf die Welt hat beeinflussen lassen, und so mag auch die 'Geschlossenheit' des Briest'schen Gartens einer solchen Anregung zu danken sein. Es genügt aber auch, hier als symbolisches Element den Friedhof wahrzunehmen, insofern Friedhöfe dann auch in Kessin und noch wieder für Effis zweite Wohnung in Berlin in den Blick kommen. Der Gedanke an den Tod, so kann man dies deuten, soll Effis Lebensweg von Anfang an begleiten.