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Neuntes Kapitel
Sprung zum Absatz 01 des Romantextes
... mittelmäßige Menschen, die, während sie vorgaben, über Bismarck und die Kronprinzessin zu sprechen, eigentlich nur Effi's Toilette musterten ...
Kronprinzessin Victoria (1840-1901), Tochter der britischen Königin Victoria, war seit 1858 mit Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen, dem späteren Kaiser Friedrich III. (siehe unter LEBENSWELT zu Kapitel 35), verheiratet und eine scharfe Gegnerin Bismarcks. Die Hoffnungen der liberalen Opposition richteten sich für die künftige Regentschaft Friedrichs III. vor allem auf sie, was aber für die Kreise, in denen Effi hier verkehrt, nur vorgeblich von Interesse ist.
Die Kronprinzessin Victoria im Jahre 1880 (Gemälde von H. von Angeli)
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Allerdings hatte die alte Frau von Grasenabb ... einen schwachen Versuch gemacht, Effi wenigstens für den Deismus zu retten ...
Deismus: Der für die europäische Aufklärung bestimmend gewordene Deismus vertrat die Auffassung, Gott habe die Welt zwar geschaffen, mische sich aber nicht mehr in sie ein, sondern es seien die Menschen selbst für das Gelingen des Weltlaufes verantwortlich. Effi wirkt auf die adligen Damen also eigentlich ungläubig.
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Sprung zum Absatz 02 des Romantextes
"... da war auch ein 2. Dezember und der gute Louis und Napoleons-Neffe -  w e n n  er so 'was war und nicht ganz wo anders herstammte, der kartätschte damals auf die Pariser Kanaille."
Napoleons-Neffe: Louis Napoleon Bonaparte (1808-1873), Sohn eines Bruders von Napoleon I., setzte am 2. Dezember 1851 als Präsident der Zweiten Republik die Verfassung außer Kraft und ernannte sich ein Jahr später zum Kaiser. Proteste gegen den Staatsstreich wurden in Paris in einem Blutbad erstickt. Da Louis Napoleon keinerlei Ähnlichkeit mit den korsischen Bonapartes hatte, wurde gemunkelt, dass er ein außereheliches Kind seiner französischen Mutter, der für ihre Liebesverhältnisse bekannten Hortense (de Beauharnais), gewesen sei.
"Aber daß er ... anno siebzig auch mit  u n s  anbinden wollte, ... das war eine Insolenz. Es ist ihm aber auch heimgezahlt worden. Unser Alter da oben läßt sich nicht spotten ..."
Der Protest Frankreichs gegen die mögliche Nachfolge eines Hohenzollernprinzen auf dem spanischen Thron und die kalte Abfuhr, die Bismarck in der "Emser Depesche" diesem Protest erteilte, veranlassten Frankreich am 19. Juli 1870 zur Kriegserklärung an Preußen. Die 'Insolenz', d.h. Anmaßung Napoleons war demnach, sich nach außen genauso herrisch aufzuspielen wie nach innen. Doch hat der 'Alte da oben', Bismarck, es ihm heimgezahlt, Frankreich geschlagen und seiner Herrschaft ein Ende gemacht.
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"... der Held und Eroberer von Saarbrücken wußte nicht, was er that."
Die Einnahme von Saarbrücken durch französische Truppen zu Beginn des Deutsch-Französischen Krieges wurde in Frankreich als großer Sieg Napoleons III. gefeiert, war aber militärisch bedeutungslos.
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"... Louis Napoleon, nun, der war vollends ein Stück Wachs in den Händen seiner katholischen Frau, oder sagen wir lieber, seiner jesuitischen Frau." ... "Diese Eugenie - über deren Verhältnis zu dem jüdischen Bankier ich hier gern hingehe, denn ich hasse Tugendhochmut - hatte 'was vom Café chantant, und wenn die Stadt, in der sie lebte, das Babel war, so war sie das Weib von Babel."
Die mit Napoleon III. seit 1853 verheiratete Eugenie Gräfin von Teba (1826-1920), eine leidenschaftliche spanische Katholikin, hatte großen Einfluss auf die französische Politik und zumal auch auf die Kriegserklärung an Preußen im Jahre 1870. Gerüchte um ein Verhältnis mit dem Baron Rothschild trugen ihr ebenso wie ihr extravagater Lebensstil den Ruf einer hemmungslosen Lebedame ein. Die Kritik, wie sie die preußische Herrenrunde hier äußert (und an der sich Innstetten nicht recht beteiligt), soll allerdings auch diese selbst kennzeichnen: als eng, nationalistisch-eingebildet, Menschen ohne Lebensart.
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"So war die Unterhaltung gegangen, nachdem man vorher von Wahl, Nobiling und Raps gesprochen hatte ..."
Der Name von Dr. Karl Nobiling an dieser Stelle ist ein markanter Fixpunkt für die Datierung der Handlung. Nobiling hatte am 2. Juni 1878 aus dem Haus Unter den Linden 18 auf Wilhelm I. eine Schrotladung abgefeuert und damit für großes Aufsehen gesorgt. Nicht nur wurde der 81-jährige Kaiser bei diesem bereits zweiten Anschlag innerhalb weniger Wochen erheblich verletzt, es war auch dieser Täter kein vorbestrafter Außenseiter wie der erste, sondern ein 30-jähriger promovierter Landwirt, bei dem man folglich auf ernst zu nehmende politische Motive schloss. Geklärt werden konnten diese allerdings nicht, da Nobiling nach der Tat die Waffe gegen sich selbst richtete und - nicht mehr vernehmungsfähig - bald danach starb. Allgemein bestand aber das Gefühl, dass Krone und Staat in Gefahr seien, und von vielen wurde die aufkommende Sozialdemokratie dafür verantwortlich gemacht. Bismarck nahm dieses Attentat deshalb zum Anlass, den Reichstag aufzulösen und sich durch Neuwahlen am 30. Juli 1878 eine Mehrheit für das Verbot der Sozialdemokratie zu beschaffen. Mit den Stichworten 'Wahl' und 'Nobiling' gibt Fontane also einen deutlichen Zeithinweis. Für die Zeitgenossen war klar, dass hier nur das Jahr 1878 gemeint sein konnte, mithin die Handlung des Romans mit diesem Jahr beginnt.
Das Nobiling-Attentat in einer Zeichnung des "Neu-Ruppiner Bilderbogens".
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Innstetten, in kurzem Hausrock und Saffianschuhen ...
Saffianschuhe: Schuhe aus gelbem Ziegenleder, auch Marokko-Leder genannt.
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"Ei, sieh, Herr von Innstetten, auch medisant! ..."
medisant: spöttelnd, klatschsüchtig. - Innstettens Bemerkung, das Gespräch über die Gattin Napoleons III. hätte einen "sehr edlen und reinen Eindruck" auf ihn gemacht, rückt ihn enger an diese Adelsgesellschaft heran, als in der Szene selbst wahrzunehmen. Effi mit mehr Abstand registriert ironisch, dass Innstetten für Klatsch und Tratsch offenbar nicht unempfänglich ist.
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"... wie stehst Du zu den Kessiner Stadthonoratioren? wie stehst Du zur Ressource?
Ressource: eigentl. Vorrat, Quelle, hier: Honoratiorenclub. Fontane übernimmt den Begriff aus der Realität von Swinemünde, wo sich einst der Geselligkeits-Verein so bezeichnete (vgl. seine Erinnerungen "Meine Kinderjahre", Kapitel 6).
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"... wenn er nur endlich von der Vorstellung los könnte, die Wiedereroberung von Le Bourget durch sein Erscheinen in der Flanke zustande gebracht zu haben."
Le Bourget: Dorf bei Paris, das im Deutsch-Französischen Krieg von deutschen Truppen schon besetzt war, am 28. Oktober 1870 von den Franzosen wieder eingenommen und am 30. Oktober in einem verlustreichen Kampf zurückerobert wurde.
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"... sie gilt als die beste Bostonspielerin und hat auch die hübschesten Anlegemarken."
Boston: im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg entstandenes Kartenspiel, das sich auf die Ereignisse dieses Krieges bezieht.
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Der Fürst hatte noch von Versailles her eine Vorliebe für ihn ... und der Landrat stand ebenso in Gunst bei der Fürstin.
Versailles: Dass Innstetten sich im Krieg 1870/71 ausgezeichnet hat, wird schon in Kapitel 1 gesagt. Hier wird angedeutet, dass er in Versailles stationiert war, wo sich seit dem 20. September 1870 das deutsche Hauptquartier befand. Die Nähe zu Fürst Bismarck und seiner Frau Johanna von Puttkamer (1824-1894) führt sich also auf seinen Dienst bei Bismarck in Versailles zurück.
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... und die beiden isabellfarbenen Graditzer jagten im Fluge durch die Stadt hin ...
isabellfarbene Graditzer: Pferde von bräunlichgelber Farbe aus dem preußischen Gestüt Graditz bei Torgau.
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... bemerkte sie, daß Friedrich still und geräuschlos ein Kouvert gelegt und ein Kabarett auf den Sofatisch gestellt hatte.
Kouvert / Kabarett: Gedeck und Platte mit kleinen Fächern für verschiedene Speisen.
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Das Gefährliche sind bloß immer die Karten; aber vor diesem Augenpulver ... werd' ich mich schon hüten.
Augenpulver: kleine Druckschriften.
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... und (Rollo) strich mit seinem Behang an ihrer Hand hin.
Behang: die Ohren des Hundes
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... so jetzt ihre Hochzeitsreise zu rekapitulieren ..., und als sie bis Verona war und nach dem Hause der Julia Capulet suchte, fielen ihr schon die Augen zu.
Julia Capulet: Titelfigur aus Shakespeares "Romeo und Julia", für dessen Schauplatz Verona in dieser Stadt ein Haus in der Via Cappello als das ihre ausgewiesen wird.
Das Haus der Julia in Verona