Arme Effi. Wie sollte sie den Abend verbringen?
Die Anrede einer Romanfigur durch den Autor gehört eigentlich einer älteren
Romantradition an und galt dem Realismus als nicht mehr zeitgemäß. Friedrich
Spielhagen hat in einem Aufsatz "Ueber Objektivetät im Roman" (Vermischte Schriften, 1864)
jedes Hineinreden des Autors in die Vorstellungswelt seiner Figuren als nicht objektiv
verworfen und damit eine allgemeine Tendenz der Romanentwicklung des 19. Jahrhunderts
formuliert. Fontane war damit jedoch zunächst nicht einverstanden. Am 14. Januar
1879 schreibt er an Wilhelm Hertz:
... die Stelle, daß der Erzähler nicht mitsprechen darf,
weil es gegen das 'epische Stilgesetz' sei, erscheint mir als reine
Quackelei. Gerade die besten, berühmtesten, entzückensten Erzähler,
besonders unter den Engländern, haben es immer gethan. Dies
beständige Vorspringen des Puppenspielers in Person, hat für mich
einen außerordentlichen Reiz und ist recht eigentlich das, was jene
Ruhe und Behaglichkeit schafft, die sich beim Epischen einstellen
soll. Die jetzt modische 'dramatische' Behandlung der Dinge hat
zum Sensationellen geführt.
Von dieser Meinung kam Fontane im Wege seines Romanschaffens aber immer
mehr ab und gab schließlich Spielhagen weitgehend Recht. Am 15.
Februar 1896 schreibt er an ihn:
Das Hineinreden des Schriftstellers ist fast immer vom Uebel, mindestens
überflüssig. Und was überflüssig ist, ist falsch. Allerdings wird es
mitunter schwer festzustellen sein, wo das Hineinreden beginnt; der
Schriftsteller muß doch auch, als er, eine Menge thun und sagen, sonst geht
es eben nicht, oder wird Künstelei. Nur des Urtheilens, des Predigens, des
klug- und weiseseins muß er sich enthalten. Vielleicht liegt es so wie mit
Finanzfragen; nachdem man sich für Handelsfreiheit begeistert, erkennt
man widerwillig, daß es ohne einen kleinen Schutzzoll nicht geht.
Das "Arme Effi", das sich auch am Schluss noch einmal findet (
Kap.36, Abs.6),
ist ein solcher kleiner Schutzzoll, der allerdings nur deutlich macht, was auch
sonst offenkundig ist: dass Fontane Effi gegenüber nicht 'objektiv' sein will.
Vielmehr, wie er an Colmar Grünhagen am 10. Oktober 1895 schreibt, hat er zu
ihr und überhaupt zu seinen Frauenfiguren schon beinahe ein Liebesverhältnis:
Dies Natürliche hat es mir seit lange angetan, ich lege nur darauf
Gewicht, fühle mich nur dadurch angezogen, und dies ist wohl der
Grund, warum meine Frauengestalten alle einen Knacks weghaben.
Gerade dadurch sind sie mir lieb, ich verliebe mich in sie, nicht um
ihrer Tugenden, sondern um ihrer Menschlichkeiten, d.h. um ihrer
Schwächen und Sünden willen ... Dies alles, um Cecile und Effi ein
wenig zu erklären.