Die Ardenne-Geschichte Zur Übersicht Zur Synopse Zur Einzelebene Druck
Achtundzwanzigstes Kapitel
So nahezu selbstverständlich, wie Ardennes Verhalten nach Entdeckung der Untreue seiner Frau ist, so erklärungsbedürftig ist die Bereitschaft Hartwichs, sich dem Duell ohne jedes Zögern auch zu stellen. Kaum dass ihn die Forderung erreicht, fährt er nach Berlin und tritt am 27. November 1886 am frühen Morgen in der Hasenheide seinem Herausforderer gegenüber. Man mag dies für ein 'ungeschriebenes Gesetz' halten, aber ein solches Gesetz gab es nicht. Hartwich ist weder Offizier noch adlig, er braucht auf seinen Ruf innerhalb seines 'Standes' keineswegs strenge Rücksicht zu nehmen. Es würde Wochen, ja Monate dauern, bevor seine Weigerung, sich einer solchen Herausforderung zu stellen, in seiner Düsseldorfer Umgebung die Runde machte, und nicht einmal das müsste ihm, der ohnehin für unkonventionell gilt, schaden. Davon abgesehen ist er Richter, also zur Beachtung von Recht und Gesetz besonders verpflichtet, seine Vorgesetzten dürften die Letzten sein, ihm sein Verhalten zum Vorwurf zu machen. Und da er sowieso am 1. Dezember sein Urlaubsjahr antreten will - zeitweilig schwebt ihm Italien vor -, könnte er sich für längere Zeit überhaupt allen Konsequenzen entziehen. Warum geht er also auf die Forderung Ardennes ein?
Die Antwort kann nur lauten: Er hat sich in eine für ihn aussichtslose Lage hineinmanövriert, er weiß nicht weiter, das Duell ist für ihn der einzige Ausweg. Sein Wunschtraum, sich die Ehe mit Elisabeth von Ardenne in einer beiderseitigen Scheidung zu ermöglichen, steht mit der Entdeckung ihres Verhältnisses zwar ihrerseits unmittelbar vor der Erfüllung - denn dass Ardenne sich scheiden lassen wird, steht außer Frage -, doch er seinerseits kann auf nichts dieser Art hoffen. In seinem Falle müsste seine Frau die Scheidung beantragen oder in sie einwilligen, und dazu würde sie ohne eine großzüge materielle Absicherung nicht bereit sein. Wie die aber ermöglichen? Sein Einkommen reicht kaum aus, die gewöhnliche Versorgung seiner Familie sicherzustellen, wie soll er da seiner Frau eine Scheidung schmackhaft machen? Solange davon auszugehen war, dass sich Elisabeth von Ardenne von ihrem Mann einvernehmlich trennen würde, schien immerhin ihre materielle Unabhängigkeit gesichert. Doch jetzt, wo sie nicht einmal mehr mit den Unterhaltszahlungen für ihre Kinder rechnen kann? Einer mittellosen geschiedenen Frau hat Hartwich nichts anzubieten, wirklich gar nichts, die Entdeckung ihres Verhältnisses macht allen Zukunfts-Träumen ein Ende. So bleibt ihm als einzig anständiger Ausweg nur, sich für sie zu schlagen und hoffentlich dabei zu sterben. Bei dem Duell schießt er, der als guter Pistolenschütze gilt, in die Luft, bevor ihn Ardenne mit einem Schuss in den Unterleib schwer verletzt. Die Ärzte im Königlichen Klinikum versuchen noch durch eine Operation sein Leben zu retten, doch vergeblich. Emil Hartwich stirbt, 43 Jahre alt, am 1. Dezember 1886, dem ersten Tag des ihm bewilligten Urlaubsjahres.
Wenn es in "Effi Briest" heißt, Crampas habe beim Eintreffen der Duell-Forderung das Gefühl erkennen lassen, aus der Sache nicht heil herauszukommen, und er wolle es auch nicht, so kann man sich fragen, was diesen Lebemann hinsichtlich einer mehr als sechs Jahre zurückliegenden Affäre so opferbereit stimmt. Kann er sich Effis wegen wirklich so schuldig fühlen, dass er nicht mehr weiter leben will? Indem Fontane Hartwichs Verhalten, von dem er natürlich gewusst hat, auf Crampas überträgt, macht er ihn vielleicht doch edler, als man ihn bis dahin kennen gelernt hat. Hartwichs Motive sind nicht ganz so edel. Zwar opfert er sich, aber er entzieht sich auch. Dass er die Frau, mit der er ein Verhältnis angeknüpft hat, nach ihrer Scheidung nicht würde heiraten können, wollte er nicht erleben.
Und tut er damit nicht auch etwas für sie? In Friedrich Spielhagens Version der Ardenne-Geschichte, dem Roman "Zum Zeitvertreib" (Näheres siehe unter WIRKUNG) , fällt auf die weibliche Protagonistin, hier Klotilde von Sorbitz geheißen, ein äußerst ungünstiges Licht. Sie ist eine eitle, oberflächliche Salondame, die einen ihr in keiner Weise gewachsenen Gymnasialprofessor und Familienvater in eine Affäre verwickelt, die dieser dann im Duell mit dem Leben bezahlt. Tatsächlich hat sie mit diesem gutmütigen Idealisten gar nichts im Sinn, befasst sich mit ihm nur 'zum Zeitvertreib', und dass ihr Mann sich von ihr scheiden lässt, erscheint als Strafe für sie noch zu gering. Da Spielhagen Frau von Ardenne gut kannte - in ihren ersten Berliner Jahren hatten sie auch familiär miteinander verkehrt -, bietet dieser Roman gegen den idealen Schimmer, der durch "Effi Briest" auf sie fällt, ein nicht zu vernachlässigendes Korrektiv. Zwar hat Spielhagen Fontane gegenüber erklärt, dass die wirkliche Frau Ardenne von den hässlichen Zügen seiner Klotilde von Sorbitz "frei war und ist", aber die Ehebruchs-Konstellation als solche ist, wie hier dargestellt, für das Bild von ihr fatal genug. Doch selbst, wenn dies nicht die Wahrheit wäre - Emil Hartwich erweist ihr mit seinem Duell-Tod unzweifelhaft einen Dienst: sie bleibt als das Opfer zurück, dem das Schicksal den Liebhaber und künftigen Ehemann genommen hat, nicht schuldlos zwar, aber doch durch ein besonderes Unglück geadelt.
Die Duell-Nachricht in der Vossischen Zeitung vom 3. Dezember 1886