Die Ardenne-Geschichte Zur Übersicht Zur Synopse Zur Einzelebene Druck
Fünfzehntes Kapitel
Zu der Ardenne'schen Tafelrunde in Schloss Benrath gehört auch der Amtsrichter Emil Hartwich. Geboren 1843 und also fünf Jahre älter als Ardenne, haben sich beide samt ihren Ehefrauen schon bei Ardennes erstem Düsseldorfer Aufenthalt kennen gelernt. Der Anlass damals: ein geselliger Abend im 'Malkasten', dem Haus der Düsseldorfer Künstler-Gesellschaft, der Hartwich als begabter Maler selbst angehört. Noch sechs Jahre später erinnert er sich in einem Brief an Elisabeth genau des Tages, des 6. Januar 1879, an dem "jener denkwürdige Malkasten-Abend" stattfand, "den das Schicksal dazu ausersehen hatte, die Familie v. Ardenne mit Hero und mir zusammenzuführen". Sicherlich hat er sich also vom ersten Moment an zu ihr hingezogen gefühlt und ebenso sie sich zu ihm, so wie auch Effi sich an die erste Begegnung mit Crampas später genau erinnert (siehe Kap.24, Abs.101).
Der Amtsrichter Emil Hartwich - das Pendant zu Crampas
Im Unterschied zu Crampas, dem außer seinem Verführ-Talent nichts Auffälliges anhaftet, ist Emil Hartwich ein vielseitiger und weit über sein Berufsfeld hinaus engagierter Mann. Er malt nicht nur, sondern spielt auch Cello und ist auf eine für die damaligen Verhältnisse ungewöhnliche Weise sportlich. In einer 40 Jahre nach seinem Tod erschienenen Schrift, in der Erinnerungen an ihn zusammengetragen sind, heißt es:
Er war ein Freund jeder körperlicher Übung. Er turnte, ruderte und lief Schlittschuh, er schwamm, er ritt und wanderte; in allen Übungen war er Meister.
Den Dauerlauf, jene herrlichste Leibesübung, schätzte er schon damals außerordentlich. Mit seinen Freunden lief er oft von seiner Wohnung im Dauerlauf zum Dienst und wieder zurück ... In vornehmer Gesellschaft erlaubte er sich oft, entgegen der meist dort herrschenden Steifheit, den Scherz, auf den Händen in die Festräume hineinzulaufen. - Man war zu jener Zeit noch so stark befangen, daß das Baden im offenen Rhein verboten war. Hartwich, der Sonnenfreund, schwamm deshalb an verborgenen Stellen.
Benutzte Literatur: Schellens, Franz
Wenn Crampas noch bei neun Grad in der Ostsee badet und allerlei Unkonventionelles äußert, mag das also von Hartwich übernommen sein. Aber dessen Engagement für die Körperertüchtigung geht viel weiter. Er verfasst 1881 eine Schrift mit dem Titel "Woran wir leiden. Freie Betrachtungen und praktische Vorschläge über unsere moderne Geistes- und Körperpflege in Volk und Schule". Leidenschaftlich tritt er darin für die Einführung eines regelmäßigen Turn- und Sportunterrichtes ein, da ihm die Überfrachtung der Schuljugend mit bloßem Buchwissen zu einer Schädigung der Volksgesundheit zu führen scheint. Er dringt mit diesen Vorschlägen bis in das preußische Königshaus vor, und in Düsseldorf werden mehrere Sportbünde auf seine Initiative hin gegründet. Als "geistig, leiblich und seelisch außergewöhnlich begabt" bezeichnet ihn noch die 90-jährige Elisabeth von Ardenne in einem Brief an ihren Enkel Manfred, als Menschen von einer "lebenswarmen, begeisternden, hinreißenden Manneskraft".
Seiner Familie fühlt sich Hartwich allerdings wohl weniger verbunden. Seine Frau Hero, zwei Jahre jünger als er, hat ihm zwar drei Söhne und eine Tochter geboren, aber sie ist durch die Kinder ans Haus gebunden (die Tochter stirbt mit zwei Jahren), kränkelt auch leicht und kann an seinem nach außen gewendeten Leben kaum teilnehmen. Die 'gute Hero' nennt er sie jedes Mal, wenn er sie für eine Geselligkeit entschuldigen muss. Wenn Effi an ihre Mutter schreibt, mit Frau von Crampas könne es "nichts werden. Sie ist immer verstimmt, beinahe melancholisch" (Kap.13, Abs.3), so mag dies also auch eine Reminsizenz an die Ardenne-Geschichte sein.