Vorgestern kam der Medikus hier aus der Stadt hinaus zum Amtmanne und
fand mich auf der Erde unter Lottens Kindern, wie einige auf mir
herumkrabelten, andere mich nekten und wie ich sie küzzelte, und ein
grosses Geschrey mit ihnen verführte. Der Doktor, der eine sehr
dogmatische Dratpuppe ist, und im Diskurs seine Manschetten in Falten
legt, und den Kräusel bis zum Nabel herauszupft, fand dieses unter der
Würde eines gescheuten Menschen, das merkte ich an seiner Nase. Ich
lies mich aber in nichts stören, lies ihn sehr vernünftige Sachen
abhandeln, und baute den Kindern ihre Kartenhäuser wieder, die sie
zerschlagen hatten. Auch gieng er darauf in der Stadt herum und
beklagte: des Amtmanns Kinder wären schon ungezogen genug, der Werther
verdürbe sie nun völlig.
Ja, lieber Wilhelm, meinem Herzen sind die Kinder am nächsten auf der
Erde. Wenn ich so zusehe und in dem kleinen Dinge die Keime aller
Tugenden, aller Kräfte sehe, die sie einmal so nöthig brauchen werden,
wenn ich in dem Eigensinne, alle die künftige Standhaftigkeit und
Festigkeit des Charakters, in dem Muthwillen, allen künftigen guten
Humor und die Leichtigkeit, über alle die Gefahren der Welt
hinzuschlüpfen, erblikke, alles so unverdorben, so ganz! Immer, immer
wiederhol ich die goldnen Worte des Lehrers der Menschen: wenn ihr
nicht werdet wie eines von diesen! Und nun, mein Bester, sie, die
unsers gleichen sind, die wir als unsere Muster ansehen sollten;
behandeln wir als Unterthanen. Sie sollen keinen Willen haben! - Haben
wir denn keinen? und wo liegt das Vorrecht? - Weil wir älter sind und
gescheuter? - Guter Gott von deinem Himmel, alte Kinder siehst du, und
junge Kinder und nichts weiter, und an welchen du mehr Freude hast,
das hat dein Sohn schon lange verkündigt. Aber sie glauben an ihn und
hören ihn nicht, das ist auch was alt's, und bilden ihre Kinder nach
sich und - Adieu, Wilhelm, ich mag darüber nicht weiter radotiren.
