
Unmut und Unlust hatten in Werthers Seele immer tiefer Wurzel
geschlagen, sich fester untereinander verschlungen und sein
ganzes Wesen nach und nach eingenommen. Die Harmonie seines
Geistes war völlig zerstört, eine innerliche Hitze
und Heftigkeit, die alle Kräfte seiner Natur durcheinander
arbeitete, brachte die widrigsten Wirkungen hervor und ließ ihm zuletzt
nur eine Ermattung übrig, aus der er noch ängstlicher empor
strebte, als er mit allen Übeln bisher gekämpft hatte. Die
Beängstigung seines Herzens zehrte die übrigen Kräfte
seines Geistes, seine Lebhaftigkeit, seinen Scharfsinn auf,
er ward ein trauriger Gesellschafter, immer unglücklicher,
und immer ungerechter, je unglücklicher er ward.
Wenigstens sagen dies Alberts Freunde; sie behaupten,
daß Werther einen reinen ruhigen Mann, der nun eines
lang gewünschten Glücks teilhaftig geworden, und sein
Betragen, sich dieses Glück auch auf die Zukunft zu
erhalten, nicht habe beurteilen können, er, der gleichsam
mit jedem Tage sein ganzes Vermögen verzehrte, um an
dem Abend zu leiden und zu darben. Albert, sagen sie,
hatte sich in so kurzer Zeit nicht verändert, er war noch
immer derselbige, den Werther so vom Anfang her
kannte, so sehr schätzte und ehrte. Er liebte Lotten über
alles, er war stolz auf sie und wünschte sie auch von
jedermann als das herrlichste Geschöpf anerkannt zu
wissen. War es ihm daher zu verdenken, wenn er auch
jeden Schein des Verdachtes abzuwenden wünschte,
wenn er in dem Augenblicke mit niemand diesen köstlichen
Besitz auch auf die unschuldigste Weise zu teilen
Lust hatte? Sie gestehen ein, daß Albert oft das Zimmer
seiner Frau verlassen, wenn Werther bei ihr war, aber
nicht aus Haß noch Abneigung gegen seinen Freund,
sondern nur weil er gefühlt habe, daß dieser von seiner
Gegenwart gedrückt sei.