
Werthers Leidenschaft hatte den Frieden zwischen Alberten und
seiner Frau allmählig untergraben, dieser liebte sie mit
der ruhigen Treue eines rechtschafnen Manns, und der freundliche Umgang mit ihr
subordinirte sich nach und nach seinen Geschäften.
Zwar wollte er sich nicht den Unterschied gestehen, der die gegenwärtige Zeit den
Bräutigams-Tagen so ungleich machte: doch fühlte er innerlich einen gewissen Widerwillen gegen
Werthers Aufmerksamkeiten für Lotten, die ihn zugleich ein Eingriff in seine Rechte und ein
stiller Vorwurf zu seyn scheinen mußten. Dadurch ward der üble Humor vermehrt, den ihm seine
überhäuften, gehinderten, schlecht belohnten Geschäfte manchmal gaben, und da denn Werthers
Lage auch ihn zum traurigen Gesellschafter machte, indem die Beängstigung seines Herzens, die
übrige Kräfte seines Geistes, seine Lebhaftigkeit, seinen Scharfsinn aufgezehrt hatte; so
konnte es nicht fehlen daß Lotte zulezt selbst mit angestekt wurde, und in eine Art von Schwermuth
verfiel, in der Albert eine wachsende Leidenschaft für ihren Liebhaber, und Werther einen
tiefen Verdruß über das veränderte Betragen ihres Mannes zu entdekken glaubte. Das
Mistrauen, womit die beyden Freunde einander ansahen, machte ihnen ihre wechselseitige
Gegenwart höchst beschwerlich. Albert mied das Zimmer seiner Frau, wenn Werther bey ihr war,
und dieser, der es merkte, ergriff nach einigen fruchtlosen Versuchen ganz von ihr zu lassen,
die Gelegenheit, sie in solchen Stunden zu sehen, da ihr Mann von seinen Geschäften gehalten wurde.
Daraus entstund neue Unzufriedenheit, die Gemüther verhezten sich immer mehr gegen einander,
bis zulezt Albert seiner Frau mit ziemlich troknen Worten sagte: sie möchte, wenigstens um der
Leute willen, dem Umgange mit Werthern eine andere Wendung geben, und seine allzuöfteren Besuche
abschneiden.