Der Entschluß, die Welt zu verlassen, hatte in dieser
Zeit, unter solchen Umständen in Werthers Seele immer
mehr Kraft gewonnen. Seit der Rückkehr zu Lotten war
es immer seine letzte Aussicht und Hoffnung gewesen; doch hatte er
sich gesagt, es solle keine übereilte, keine rasche Tat sein,
er wolle mit der besten Überzeugung, mit der möglichst
ruhigen Entschlossenheit diesen Schritt tun.
Ich danke deiner Liebe, Wilhelm, daß du das Wort so
aufgefangen hast. Ja, du hast recht: mir wäre besser, ich
ginge. Der Vorschlag, den du zu einer Rückkehr zu euch
tust, gefällt mir nicht ganz; wenigstens möchte ich noch
gern einen Umweg machen, besonders da wir anhaltenden
Frost und gute Wege zu hoffen haben. Auch ist mir es sehr
lieb, daß du kommen willst, mich abzuholen; verziehe
nur noch vierzehn Tage, und erwarte noch einen Brief von
mir mit dem Weiteren. Es ist nötig, daß nichts gepflückt
werde, ehe es reif ist. Und vierzehn Tage auf oder ab tun
viel. Meiner Mutter sollst du sagen: daß sie für ihren Sohn
beten soll und daß ich sie um Vergebung bitte, wegen alles
Verdrusses, den ich ihr gemacht habe. Das war nun mein
Schicksal, die zu betrüben, denen ich Freude schuldig
war. Leb' wohl, mein Teuerster! Allen Segen des Himmels über
dich! Leb' wohl!«
Was in dieser Zeit in Lottens Seele vorging, wie ihre Gesinnungen gegen
ihren Mann, gegen ihren unglücklichen Freund gewesen, getrauen wir
uns kaum mit Worten auszudrücken, ob wir uns gleich davon, nach der
Kenntnis ihres Charakters, wohl einen stillen Begriff machen können
und eine schöne weibliche Seele sich in die ihrige denken und mit ihr
empfinden kann.
So viel ist gewiß, sie war fest bei sich entschlossen, alles
zu tun, um Werthern zu entfernen, und wenn sie zauderte, so war es
eine herzliche freundschaftliche Schonung, weil sie wußte, wie viel es
ihm kosten, ja daß es ihm beinahe unmöglich sein würde.
Doch ward sie in dieser Zeit mehr gedrängt, Ernst zu machen; es schwieg ihr
Mann ganz über dies Verhältnis, wie sie auch immer darüber
geschwiegen hatte, und um so mehr war ihr angelegen, ihm durch die Tat zu
beweisen, wie ihre Gesinnungen der seinigen wert seien.
