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[Vierter Abschnitt]
Sprung zur Textstelle Der Petersburger Freund, den der Vater plötzlich so gut kannte, ergriff ihn, wie noch nie. Verloren im weiten Russland sah er ihn.
Der Freund als ein Ausgesetzter, Einsamer, Verlorener - das ist Georgs Wahrnehmung einer Existenz ohne Braut, ohne Geschäft, ohne Familie, aber immerhin doch einer Existenz, die dem Vater zusagen würde, weil er ihm dann nicht im Weg wäre.
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Sprung zur Textstelle " ... weil sie die Röcke so und so und so gehoben hat, hast du dich an sie herangemacht, ... den Freund verraten und deinen Vater ins Bett gesteckt, damit er sich nicht rühren kann."
Die Verunglimpfung der Braut bestätigt ein weiteres Mal, dass der Vater in Georgs Heiratsabsicht vor allem den Versuch sieht, ihm im Geschäft nachzufolgen und ihn zur Seite zu drängen. Die gehässige Form der Äußerung hat zugleich aber einen persönlichen Hintergrund. Acht Jahre später wird Kafka in seinem "Brief an den Vater" Klage darüber führen, dass dieser ihn bei seinen Heiratsvorhaben immer auf das Beleidigendste abgewiesen habe. Meine Entscheidung für ein Mädchen bedeutete Dir gar nichts, wirft er ihm dort vor, sie habe ihm nur den Rat eingetragen, für solche Bedürfnisse in ein Bordell zu gehen (siehe auch unter ENTSTEHUNG).
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Sprung zur Textstelle "... Wie hast du mich doch heute unterhalten, als du kamst und fragtest, ob du deinem Freund von der Verlobung schreiben sollst ... Seit Jahren passe ich schon auf, dass du mit dieser Frage kämest!"
Beide Aussagen des Vaters sind sonderbar. Erstens hat Georg nicht gefragt, ob er schreiben solle, sondern dem Vater nur mitteilen wollen, dass er geschrieben habe (dieselbe Umdeutung nimmt der Vater auch schon im ZWEITEN ABSCHNITT vor), und zweitens hat er sich nicht schon vor drei Jahren, sondern nur erst vor einem Monat mit Frieda Brandenfeld verlobt.
Das macht endgültig klar, dass die Unterrichtung des Freundes von der Verlobung weit wichtiger ist als die Verlobung selbst, dass sie erst durch sie zur Tatsache wird. Das aber kann nur heißen, dass der Freund ein anderer Teil von Georg ist, ein alternatives Lebenskonzept, dem die Verlobung 'beigebracht' werden muss, weil es sich damit endgültig für ihn erledigt hätte.
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Sprung zur Textstelle "... Wie lange hast du gezögert, ehe du reif geworden bist! ... Jetzt weißt du also, was es noch außer dir gab, bisher wusstest du nur von dir!"
In diesen Vorwürfen steckt, was Georg sich selbst vorzuwerfen hat - eben deshalb nimmt er die Verurteilung des Vaters zum Tod auch an. Das 'Urteil' handelt also nicht lediglich von einem tyrannischen Vater und einem misshandelten Sohn, sondern auch von der Unfähigkeit dieses Sohnes, sich männlich für einen bestimmten Weg zu entscheiden. Auch seine Verlobung ist keine solche Entscheidung, wie an seiner Unentschlossenheit zu erkennen ist, sie dem Freund (oder dem anderen Teil seines Ichs) mitzuteilen.
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Sprung zur Textstelle Georg fühlte sich aus dem Zimmer gejagt, den Schlag, mit dem der Vater hinter ihm aufs Bett stürzte, trug er noch in den Ohren davon.
Das Niederstürzen des Vaters deutet an, dass auch er an dem Konflikt mit dem Sohn leidet oder gar an ihm zugrunde geht, was für ihn jedoch nur die gerechte Strafe ist.
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Sprung zur Textstelle Schon hielt er das Geländer fest, wie ein Hungriger die Nahrung. Er schwang sich über, als der ausgezeichnete Turner, der er in seinen Jugendjahren zum Stolz seiner Eltern gewesen war.
Am Ende des inneren Konfliktes steht der Wunsch nach dem Tod oder einer Erlösung oder einer Befreiung - die nahezu heitere Stimmung, mit der Georg das Urteil des Vaters vollzieht, enthält durchaus auch ein Moment der Hoffnung. Ein logisches Ende (nach Art einer Parabel) ist das allerdings nicht. Das hätte darin bestehen können, dass Georg entweder wie der Freund nach Russland ginge, also gleichsam mit diesem eins werden würde, oder - weit weniger in der Geschichte angelegt - dass er sich an seine Braut hielte. So entschieden ist Georg jedoch nicht, die Lösung seines Konfliktes ist für ihn ungewiss. Das zunächst Wichtigste ist ihm, den Vater hinter sich zu lassen, auch deshalb seine geradezu euphorische Bereitschaft, sich dem Urteil zu unterwerfen. Dass der Sprung in den Fluss nicht notwendig den Tod bedeuten muss, kann man aber aus dem 'ausgezeichneten Turner' folgern, der Georg einmal gewesen ist. Warum nicht auch ein ausgezeichneter Schwimmer? Kafka ging oft in die Moldau zum Schwimmen, besaß auch ein Ruderboot, der Sprung in den Fluss könnte auch Georgs Hoffnung andeuten, ein anderes Ufer zu erreichen.
Sprung zur Textstelle ... rief leise: "Liebe Eltern, ich habe euch doch immer geliebt", und ließ sich hinabfallen.
Der letzte Gedanke Georgs gilt den Eltern, nicht der Braut, sie kommt im Gespräch mit dem Vater in seinen Gedanken gar nicht mehr vor. Das zeigt noch einmal, wie wenig ihn diese Frau oder seine Verlobung eigentlich angeht oder - auf Kafka übertragen - wie wenig dieser die Verbindung mit Felice Bauer wirklich wünscht.