Als Gottfried Keller mit 36 Jahren aus Berlin nach Zürich zurückkehrte, war er zwar immer noch im Grunde erwerbslos, hatte es aber mit 
        dem 'Grünen Heinrich' und dem ersten Band der 'Leute von Seldwyla' zu einem beachteten deutschen Schriftsteller gebracht (siehe dazu die 
        Entstehungsgeschichte der Novelle  "Romeo und Julia auf dem Dorfe"). So wurde 
       er bald von verschiedenen Verlagen nach weiteren Werken gefragt, und vor allem Vieweg in Braunschweig drängte, die bereits vereinbarte zweite 
       Folge der Seldwyla-Geschichten abzuliefern. Doch sei es, dass Keller keine Verbindung mehr mit diesem Verleger wünschte, sei es, dass er 
       zu den ins Auge gefassten Geschichten den Zugang nicht fand - er beschäftigte sich mit anderen Projekten, dem "Sinngedicht" und 
       den  "Sieben Legenden", die er allerdings beide nicht abschloss. Erst 1860 trat er wieder mit einer Erzählung, dem "Fähnlein 
       der sieben Aufrechten", an die Öffentlichkeit, in diesem Falle von Berthold Auerbach für einen 'Deutschen Volkskalender' dazu aufgefordert. 
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                   Keller um 1865
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            Mehr denn je stellte sich deshalb aber die Frage, wovon er eigentlich leben wollte. Da ergab sich, dass in Zürich die Stelle des Staatsschreibers 
            frei wurde, und Keller bewarb sich. Sehr beflissen tat er das nicht. Er gab seine Bewerbung im September 1861 erst drei Tage vor 
            Ablauf der Frist ab und begnügte sich mit einem einzigen Satz. Doch er erhielt die Stelle. Trotz mehrerer bestausgewiesener Konkurrenten 
            wurde er mit fünf gegen drei Stimmen vom Züricher Regierungsrat gewählt. 
              
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                   Das Zürcher Rathaus
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            Die Tatsache, dass er als Schweizer Landsmann ein namhafter deutscher Schriftsteller geworden war, in seiner Heimat aber zu einem
            Sozialfall zu werden drohte, gab wohl den Ausschlag. Die Öffentlichkeit allerdings billigte die Entscheidung nicht. So schrieb die 
            'Eidgenössische Zeitung' am 18. September 1861:
           
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                   Zeitungskommentar
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       Die Bürger Zürichs konnten sich aber bald davon überzeugen, dass Keller in dem Amt am rechten Platz war. Er 
       bewährte sich bei der Abfassung der Ansprachen der Regierung, den sogenannten Bettagsmandaten, ebenso wie bei der Formulierung 
       von Gesetzentwürfen und Verordnungen, und auch der Schriftverkehr mit den Regierungen anderer Katone, das Ausstellen von 
       Bescheinigungen und Pässen und sonstige Sekretärsarbeiten waren bei ihm in guten Händen. Regelmäßig nahm er aber 
       auch an den Verhandlungen des Regierungsrates teil und verfasste die Protokolle.
           
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                   Der Regierungssratssaal im Züricher Rathaus
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       Wirtschaftlich war Keller damit gerettet. Er bekam nicht nur ein anständiges Gehalt, sondern konnte mit seiner Mutter und 
       seiner Schwester, die nach wie vor für ihn sorgten, auch eine Dienstwohnung im Hause der Staatskanzlei beziehen und war 
       ein etablierter Mann.
            
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                   Die Staatskanzlei 
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      Persönliches Glück war ihm allerdings weiterhin nicht beschieden. Sein ruppiges und zumal gegenüber Frauen ungelenkes
      Benehmen machten den gesellschaftlichen Verkehr mit ihm schwierig, von seinen Wirtshausbesuchen ganz abgesehen. Zu der 22-jährigen Pianistin 
      Luise Scheidegger, die Keller als  46-jähriger kennenlernte, konnte er aber doch ein persönliches Verhältnis entwickeln. Sie verlobte 
      sich mit ihm, doch schon wenige Wochen später nahm sich die zur Schwermut neigende junge Frau das Leben.  Man vermutet, dass man ihr 
      seitens ihrer Umgebung von der Verbindung abgeraten und ihr zumal Kellers Wirtshausbesuche warnend vor Augen gestellt hatte. 
      Keller verschloss sich daraufhin solchen Kontakten nur noch mehr. Die schlechten Erfahrungen, die er schon in früheren Jahren bei 
      seinen Werbungen um Frauen gemacht hatte (siehe unter ENTSTEHUNG zu "Romeo und 
      Julia auf dem Dorfe"), vermehrten sich nun noch um ein Gefühl der Schuld. Mancher harte und kalte Zug, den man an Kellers Frauengestalten wie 
      an denen keines anderen deutschen Autors bemerken kann, ist auf diese Erfahrungen zurückzuführen.
            
       Als Zeugnis von Kellers Wirtshausbesuchen hat sich in seinem Nachlass eine Polizeiverfügung erhalten - in diesem Falle aus der Zeit bald 
       nach dem Tod seiner Verlobten -, in der ihm wegen Trunkenheit und nächtlicher Ruhestörung ein Bußgeld von 15 Franken auferlegt 
       wird:
        
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                   Polizei-Verfügung
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      Zur Weiterführung seines literarischen Werkes kam Keller in den ersten Jahren seiner Amtstätigkeit fast überhaupt nicht. 
      Erst Ende der 1860er Jahre nahm er die Fortsetzung der 'Leute von Seldwyla' ernsthaft in Angriff, nachdem er zuvor noch die "Sieben 
      Legenden" - 1872 in Stuttgart bei Göschen erscheinend - fertiggestellt hatte. 
 
      Den Anstoß zu "Kleider machen Leute" empfing er aber schon einige Jahre früher. 1863 war es zum wiederholten Mal im 
      russischen Teil Polens zu einem Aufstand gekommen, der zwar scheiterte, aber überall in Westeuropa Sammlungen zugunsten der polnischen 
      Widerstandsbewegung auslöste. Keller wurde Sekretär des Schweizerischen Zentralkomitees zur Unterstützung dieser Bewegung  
      und bekam es dabei auch mit Betrügern und russischen Agenten zu tun, die sich hochstaplerisch in die Sammelaktionen einmischten. 
      So war es einem gewissen Julius Schramm gelungen, sich in der Schweiz größere Summen für polnische Waffenkäufe  zu 
      ergaunern, bevor er als russischer Spion enttarnt wurde und floh. Am 11. Januar 1864 schreibt Keller an Ladislaus Graf Plater (im Original französisch):
      
 
      Um dieselbe Zeit wurde auch der Pole Julian Saminski in der Schweiz als russischer Spion enttarnt, und da Keller zunächst 
      den Vornamen Julian für seinen Wenzel Strapinski erwog, ist der Zusammenhang mit diesen Vorkommnissen nicht zu übersehen. Allerdings 
      weicht die Geschichte, die er nach mehreren Jahren aus dem Thema entwickelte, von der Ursprungsidee bis zur Unvergleichbarkeit ab, und ihre Ansiedlung 
      in der Zeit nach der polnische Revolution von 1831 ist beinahe noch die größte Verwandtschaft. Andere Anregungen, vom Märchen vom 
      'Tapferen Schneiderlein' bis zur 'Komödie von Wädensweil', einem Bühnenstück über einen Hochstapler-Fall der 1830er Jahre, 
      sind also sicherlich hinzugekommen, ohne dass sich jedoch weitere signifikante Übereinstimmungen mit seinem Werk daraus ergäben.
        
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                   Keller im Jahre 1872
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      Der Titel 'Kleider machen Leute' taucht in Kellers Korrespondenz mit dem Vieweg-Verlag erstmals im Dezember 1872 auf. Neuerliche Querelen mit diesem 
      Verlag veranlassten ihn dann aber,  sich der Göschen'schen Verlagshandlung zuzuwenden und eine Neuausgabe der Seldwyla-Geschichten in vier 
      Bänden mit ihr zu vereinbaren. Auch dieses Vorhaben zog sich aber noch bis Ende 1874 hin, weil er die fünf Geschichten der zweiten 
     Folge nicht so fertig hatte, wie es zunächst schien. Um den Kanzleibetrieb von sich fernzuhalten, reiste er in den Sommern 1873 und 1874 ins 
     Salzburger Land und nach Wien und Tirol,  eingeladen jeweils von den Geschwistern Exner, die er bei der Feier seiner Ernennung zum Ehrendoktor 
     1869 in Zürich kennengelernt hatte. Die heitere Stimmung, in die ihn die 'Exnerei' versetzte, beflügelte seine Lust am Schreiben, auch wenn ihn
     die junge Marie Exner (1844-1925) ebenso wieder davon ablenkte. Als er von ihrem heimlichen Brautstand erfuhr, war er aber besonnen genug, 
     seine Neigung zu zügeln und sie in eine herzliche Freundschaft einmünden zu lassen. Die Fertigstellung der Seldwyla-Geschichten ist jedenfalls 
     auch dem Geschwisterpaar Exner zuzurechnen.
             
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                   Die erweiterte Ausgabe der Seldwyla-Geschichten
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       Im Frühjahr 1876 legte Keller, von seinen schriftstellerischen Vorhaben immer mehr in Anspruch genommen, sein Staatsschreiber-Amt 
       nieder. Er veröffentlichte nun in rascher Folge seine wichtigsten Werke: 1878 die "Züricher Novellen", 1880 die 
       Neufassung des "Grünen Heinrich", 1881 den Novellen-Zyklus des "Sinngedichts" und 1886 den "Martin 
       Salander". Es gehe ihm nicht schlecht dabei, schrieb er im Dezember 1882 an Adolf Exner, ich verdiene, ohne 
       eigentlich viel zu tun, doppelt so viel Barschaft, als ich als Staatsschreiber einnahm, und bedaure nur, daß ich nicht anno 1869 ... 
       schon mit Pomp abgezogen bin.
             
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                   Keller im Jahre 1886
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     Als Keller am 15. Juli 1890 nach längerer Krankheit in Zürich starb, nahm die Schweiz mit großem Respekt von ihm Abschied. Er hatte 
      sich und  seiner Heimat für immer einen Platz in der deutschen Literaturgeschichte gesichert.
            
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                   Die Trauerfeier am Krematorium
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     Zum Dank dafür aber, was seine Heimat für ihn getan hatte, setzte er den Hochschulfonds des Kantons Zürich zum 
     Universalerben ein und zahlte auf diese Weise vielfach zurück, was er in der Zeit der Not erhalten hatte. 
            
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                   Gedenktafel in der Universität Zürich
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