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[Vorrede zum Ersten Band]
Sprung zur Vorrede Absatz 1 des Novellentextes Seldwyla bedeutet nach der älteren Sprache einen wonnigen und sonnigen Ort, und so ist auch in der Tat die kleine Stadt dieses Namens gelegen irgendwo in der Schweiz.
nach der älteren Sprache = das mittelhochdeutsche 'saelde' bedeutet Glück oder Gunst (verwandt mit 'selig'), sodass die Stadt sinngemäß 'Glücksweiler' heißt, ein bei den Verhältnissen dort folglich ironischer Name.
irgendwo in der Schweiz = Ein Seldwyla gibt es in der Schweiz nicht, der Name ist erfunden, wie schon das 'irgendwo' erkennen lässt. Das hat die Schweizer freilich nicht gehindert, nach einem Vorbild für das Städtchen zu suchen, so wenig mit einer Identifizierung in diesem Falle gewonnen ist, weil die einzelnen Novellen ja ersichtlich andere und verschiedene Ursprünge haben. Kellers Angaben sind für solche Rückfragen auch nicht genau genug. Auch eine 1920 erschienene Schrift, die Kellers Heimatgemeinde Glattfelden als das Romeo-und-Julia-Dorf und die nahe gelegene Stadt Bülach als Seldwyla bestimmt, bleibt den Beweis dafür letztlich schuldig.
Benutzte Literatur: Held,  Auf goldenen Spuren,
                   1920
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Sprung zur Vorrede Absatz 2 des Novellentextes Der Kern und der Glanz des Volkes besteht aus den jungen Leuten von etwa zwanzig bis fünf, sechsunddreißig Jahren ...
Die sozialen und politischen Verhältnisse Seldwylas kennzeichnet Keller ganz nach dem Bild, das er sich von Zürich gemacht hatte. Der Gegensatz von öffentlichem Reichtum und privater Armut, der 'treffliche Schuldenverkehr', das Auswandern, die Verdingung in fremde Militärdienste, der richtungslose Oppositionsgeist - das alles hat er in seinem Geburtsort kennengelernt und auch in anderen Zusammenhängen diesem Gemeinwesen nachgesagt. Die Tatsache, dass sich eine ganze Anzahl von Schweizer Städten mit der Zeit darum bewarben, mit Seldwyla gemeint zu sein (siehe unter KLEIDER MACHEN LEUTE), zeigt aber zugleich das Landestypische dieser Kennzeichnungen an. Die ganze Partie ist, wie richtig festgestellt wurde, eine zwar karikierende, aber höchst ernsthafte und belangvolle Widerspiegelung wirklicher Zustände.
Benutzte Literatur: Richter,  Seldwyla und die Wirklichkeit, 1958
Mit den Novellen hat diese Kennzeichnung allerdings nichts zu tun, so oft auch das Gegenteil zu beweisen versucht wurde. Der einzige - epochentypische - Zusammenhang besteht darin, dass die Novellen 'poetische' Begebenheiten erzählen und damit im Kontrast zur 'Prosa' der üblichen Verhältnisse von Seldwyla stehen (siehe unter GESTALTUNG).
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Sprung zur Vorrede Absatz 3 des Novellentextes ... und wenn sie eine recht verrückte Motion ausgeheckt haben und durch ihr Großratsmitglied stellen lassen ...
Motion = Antrag, eine Verordnung oder ein Gesetz zu erlassen.
Sprung zur Vorrede Absatz 1 des Novellentextes ... indem sie ... seine gedruckten Traktätchen und Berichte der Baseler Missionsgesellschaft umherbieten ...
Baseler Missionsgesellschaft = Die Evangelische Missionsgesellschaft Basel (Basler Mission) ist eine der ältesten Missionsgesellschaften Europas. 1815 gegründet, entsandte sie schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Missionare nach Zentralasien, Afrika, Indien und China und berichtete regelmäßig darüber.
Sprung zur Vorrede Absatz 3 des Novellentextes ... so laufen sie flugs dem nächstwohnenden Sozialisten zu und ärgern die Regierung, indem sie denselben in den Rat wählen ...
Sozialisten = in der Schweiz waren dies vor allem die Anhänger des Franzosen Charles Fourier (1772-1836), eines Utopisten, der landwirtschaftliche und industrielle Produktionsgenossenschaften von 2.000 bis 3.000 Menschen gründen wollte, in denen alle nach gleichen Bedingungen leben sollten.
Sprung zur Vorrede Absatz 3 des Novellentextes ... ein halbes Dutzend alte Stillständer, die vor dreißig Jahren falliert und sich seither stillschweigend rehabilitiert haben ...
fallieren = in Konkurs gehen, also ein Geschäft unter Zurücklassung von Schulden auflösen.
Sprung zur Vorrede Absatz 1 des Novellentextes ... dass man Anno achtundvierzig nicht gänzliche Einheit hergestellt habe; heute sind sie ganz versessen auf die Kantonalsouveränität ...
Anno achtundvierzig = Nachdem im Jahre 1847 mehrere abtrünnige katholische Kantone im 'Sonderbundskrieg' daran gehindert worden waren, sich abzuspalten, wurde 1848 aus dem Schweizer Staatenbund ein Bundesstaat, der die kantonale Selbstständigkeit aber nicht aufhob.
Mit der Nennung des Jahres 1848 ist zugleich klar, dass die Seldwyla-Geschichten in Kellers Gegenwart, d.h. nicht lange vor 1855, dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung, spielen.