Die Quelle

1818 veröffentlichte August von Haxthausen (1792-1866), ein Onkel Annette von Droste-Hülshoffs, in der Göttinger Zeitschrift
"Wünschelruthe" die Geschichte eines Mörders und späteren Selbstmörders, die sich zwischen
1782 und 1807 in der Gegend um Bellersen zugetragen hatte. Sie hat folgenden Inhalt:
Ein Knecht aus Bellersen, Hermann Winkelhannes, hatte 1782 von einem Juden in Vörden Stoff zu einem Vorhemd erworben, jedoch
den halben Taler, den es kosten sollte, bei ihm anschreiben lassen. Als der Jude ihn mahnte, das Geld zu bezahlen, bestritt er die
Preisvereinbarung und erklärte, er wolle sich lieber den kleinen Finger abbeißen, als ihm so viel Geld zu geben.

Der Jude verklagte ihn daraufhin bei dem zuständigen Gutsherren, August von Haxthausens Vater (und Drostes Großvater),
und erhielt Recht. Hermann Winkelhannes jedoch reagierte mit Drohungen, sodass der Verdacht sofort auf ihn fiel, als der Jude
zwei Tage später erschlagen im Wald aufgefunden wurde. Der Versuch allerdings, ihn festzunehmen, misslang, er war geflohen. Nach der
Beerdigung des Juden wurde in den Baum, unter dem man diesen gefunden hatte, von seiner Gemeinde die hebräische Inschrift
eingeschlagen, dass der, der ihn umgebracht habe, keines natürlichen Todes sterben werde.

25 Jahre später tauchte der Geflohene verkrüppelt und ausgezehrt in Bellersen wieder auf und erzählte, dass er
als Seefahrer in algerische Sklaverei geraten und 17 Jahre lang unter schwersten Entbehrungen gelitten habe. Auf seine Bestrafung
wurde deshalb verzichtet, doch konnte er in seiner Heimat nicht mehr Fuß fassen. Ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr
hängte er sich im Wald bei Bellersen auf.

Vergleicht man diese Geschichte mit der 'Judenbuche', so sieht man, dass es im Wesentlichen nur die Ermordung eines Juden und die
nach vielen Jahren sich erfüllende Prophezeiung einer Inschrift ist, die Annette von Droste-Hülshoff übernimmt.
Das ganze Jugendschicksal von Friedrich Mergel einschließlich des 'Doppelgängers' Johannes findet sich in der Ursprungsgeschichte
nicht, während umgekehrt die dort breit ausgeführte Zeit der Sklaverei - deshalb auch der Titel "Geschichte eines
Algierer-Sklaven" - in der 'Judenbuche' entfällt. Das große Interesse, das jene Ursprungs-Geschichte in der Literatur über
Annette von Droste-Hülshoff findet, läuft also auf eine Überbewertung hinaus, es hat mehr heimatkundliche als literarische
Gründe. Dennoch wird auf einzelne Parallelen nachfolgend hingewiesen, insofern sich gerade der eher freie Umgang der Dichterin mit
dem Stoff an ihnen zeigt.


Annette von Droste-Hülshoff war sich der Eigenständigkeit ihrer Novelle gegenüber der "Geschichte eines
Algierer-Sklaven" auch bewusst, und sie hat sie keineswegs nur als Vorteil angesehen. Dass der Charakter ihres Mörders ein
ganz anderer sei, so schrieb sie am 24. August 1839 an Christoph Bernhard Schlüter, zwinge sie leider,
mitunter das Frappanteste zu
übergehen, weil es durchaus nicht zu meinem
Mergel passen will. Im Übrigen sei es ein Glück, dass man Geschichte aus der 'Wünschelruthe' schon vergessen habe:
So fürchte ich die Vergleichung nicht, die sonst jedenfalls zu meinem Nachteile ausfallen würde, denn die einfache Wahrheit ist
immer schöner als die beste Erfindung.

Das allerdings hat sie
vor der eigentlichen
Ausführung ihres Werkes geschrieben, und es fällt nicht schwer, es jedenfalls für diesen Fall und ihre Art der Erfindung nicht
gelten zu lassen.
[Erster Teil]
Lass ruhn den Stein - er trifft dein eignes Haupt!
Die Formulierung erinnert an die Stelle im Neuen Testament, wo Jesus zu den Männern, die eine Ehebrecherin steinigen wollen, sagt: "Wer unter
euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie." (Johannes Kapitel 8, Vers 7).
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Friedrich Mergel, geboren 1738, war der einzige Sohn eines sogenannten Halbmeiers oder Grundeigentümers geringerer Klasse im Dorfe B. ...
Die Zurückverlegung der Handlung gegenüber der "Geschichte eines Algierer-Sklaven" um rund 20 Jahre, die mit
dieser Jahresangabe eingeleitet wird, scheint hauptsächlich den Zweck zu haben, eine Gleichsetzung mit dieser nicht infrage kommen zu lassen.
Die Betonung der Andersartigkeit der Sitten und Verhältnisse damals wird nämlich durch Annette von Droste-Hülshoff selbst
widerlegt, wenn sie am 24. August 1839 in dem schon zitierten Brief an Schlüter aus Abbenburg nach Münster schreibt:
Das Wilddieben und Holzstehlen geht überhaupt noch seinen alten Gang ... man kann nach Sonnenuntergang nicht spazierengehn,
ohne Banditengesichtern mit Säcken zu begegnen, die einen scheu ansehen und vorantraben, was die Beine vermögen. ... niemand
bekümmert sich darum, gerade wie vor sechzig Jahren. Man muß gestehn, daß Volk und Gegend hier unendlich romantischer
sind als bei uns, doch wollen wir lieber behalten, was wir haben.
... wo noch ein fremdes Gesicht Aufsehen erregte und eine Reise von dreißig Meilen selbst den Vornehmeren zum Ulysses seiner Gegend machte ...
Ulysses = lateinische Form von 'Odysseus', des Titelhelden von Homers 'Odyssee', der erst nach einer zehnjährigen Irrfahrt aus dem Trojanischen
Krieg in seine griechische Heimat zurückkehrt.
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"Margreth, zieh dir das nicht zu Gemüt; wir wollen jeder drei Messen lesen lassen, und um Ostern gehen wir zusammen
eine Bittfahrt zur Mutter Gottes von Werl."
Bittfahrt nach Werl = In der Geschichte des 'Algierer-Sklaven' ist es der als Mörder gesuchte Hermann Winkelhannes, der gelobt, barfuß
nach Werl zu laufen, wenn es ihm gelingt, unbehelligt aus Bellersen herauszukommen. Das geschieht auch so, und nach einer Beichte dort macht er sich
mit frischem Mut nach Holland auf.
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... die Hirtenknaben... hörten zuweilen in abgebrochenen Tönen ganz deutlich dazwischen sein "Hör mal an, feins
Liseken" ...
Der Liedtitel wird kaum erfunden sein, ließ sich aber bisher nicht nachweisen.