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[Einleitung]
Sprung zur Textstelle Wo ist die Hand so zart, dass ohne Irren ...
Trotz seiner altmodisch wirkenden, schwülstigen Form spricht das Einleitungs-Gedicht gerade das für jene Zeit Neue und sogar Moderne der 'Judenbuche' aus: dass man nämlich das Böse oder das Verbrechen nicht einfach verurteilen, sondern dass man es zu verstehen bemüht sein soll. Wer in behüteten Verhältnissen aufgewachsen sei ('von frommer Hand gepflegt'), solle sich erst einmal klar machen, was ein ungeschulter Verstand ('beschränkten Hirnes Wirren'), ärmliche Familienverhältnisse (ein 'arm verkümmert Sein'), problematische Erbanlagen ('eitlen Blutes Drang') und schlechte Beispiele ('jedes Wort, das unvergessen ...') mit sich bringen könnten. Dann werde er wohl den Stein ruhen lassen, den er sonst auf einen solchen Täter werfen wollte.
Mit diesem 'Programm' ist die "Judenbuche" ein Werk des Frührealismus, das sich neben Georg Büchners "Woyzeck" oder Gottfried Kellers "Grünen Heinrich" stellen lässt, ja sogar die naturalistischen Werke Gerhart Hauptmanns im Ansatz schon enthält. Und wie dieser Inhalt so zu Teilen auch die Form. In ihrer sachlichen, analytisch genauen Behandlung bestimmter westfälischer Verhältnisse ist die Novelle wirklich das 'Sittengemälde', das der Untertitel ankündigt, so wie sie ja für einen solchen Zusammenhang ursprünglich auch geplant war (siehe unter ENTSTEHUNG).
Diese realistische Schicht wird allerdings von einer zweiten, ganz anderen Schicht durchzogen, nämlich von einer Schicht romantischer und sogar schauerromantischer Elemente. Der Rachespruch der Juden, der Friedrich Mergel 28 Jahre nach seiner Flucht zurück an den Ort seiner Untat führt, ist ein solches schauerromantisches Element, aber auch die stürmisch-unheimliche Nacht, in der Friedrichs Vater tot aufgefunden wird, die düsteren Szenen im Brederholz, das Gewitter bei der Entdeckung der Leiche Aarons oder Mergels Selbstmord in den Tagen des Äquinoktiums gehören dazu.
Ebenso und mehr noch aber weist Annette von Droste-Hülshoffs Erzählweise romantische Momente auf. Den erkenntnissicheren Erzählpartien über die sozialen Verhältnisse stehen immer wieder verkürzte, verrätselte oder sogar irreführende Mitteilungen über einzelne Vorgänge gegenüber. Die ganze Anlage der 'Judenbuche' als Kriminalgeschichte hat eine romantische Wurzel, da sie von einem mit seinem Wissen spielenden und insoweit 'unzuverlässigen' Erzähler herstammt.
Benutzte Literatur: Booth,  Die Rhetorik der Erzählkunst,
                  1974
Dass diese beiden - im Grunde gegensätzlichen - Tendenzen sich zu einer Einheit zusammenfügen, wird gern behauptet, ist aber ebenso auch zu bestreiten, von diversen Einzelschwächen, die sich bei näherem Hinsehen zeigen, gar nicht gesprochen.
Benutzte Literatur: Woesler,  'Die Judenbuche' in literaturwissenschaftlicher Sicht.
                  2002
Doch müssen Werke, um eine Befassung mit ihnen zu lohnen, nicht perfekt sein, es genügt, dass sie aufschlussreich sind. In dieser Hinsicht verspricht aber gerade die Zweiseitigkeit der Novelle, also ihr realistischer Kern und seine romantische Einkleidung, interessante Befunde. Zu ihrer Erschließung führen im Wesentlichen zwei Aufgaben:
1. für die beiden Verbrechen aufzuhellen, was der Wahrscheinlichkeit nach geschehen ist;
2. für Friedrich Mergel aufzuhellen, warum es geschehen ist. Hier aber sind zu unterscheiden rationale Ursachen wie Friedrichs Charakter und sein familiäres Milieu und eine irrationale Ursache zu nennen Schicksal oder Bestimmung.
Die nachfolgende Kommentierung gilt vor allem diesen Aspekten.
[Erster Teil]
Sprung zur Textstelle Denn wer nach seiner Überzeugung handelt, und sei sie noch so mangelhaft, kann nie ganz zugrunde gehen, wogegen nichts seelentötender wirkt, als gegen das innere Rechtsgefühl das äußere Recht in Anspruch nehmen.
Mit diesem Urteil fasst die Erzählerin die ganze Problematik der Entwicklung Friedrich Mergels im Voraus zusammen. Bis zu dem Zeitpunkt, wo Friedrich den Förster einen falschen Weg schickt, handelt er noch in Übereinstimmung mit seiner Überzeugung, danach aber, als er den Anscheinsbeweis seiner Unschuld als äußeres Recht für sich in Anspruch nimmt, geht es mit seiner Moral bergab.
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Sprung zur Textstelle Margreth Semmler war eine brave, anständige Person, ... und so musste es jedem unbegreiflich sein, was sie zu diesem Schritte getrieben. Wir glauben den Grund eben in dieser ihrer selbstbewussten Vollkommenheit zu finden.
Das hochmütige Selbstbewusstsein der Mutter findet sich auch bei ihrem Sohn Friedrich, d.h. er hat es von ihr und wird deshalb seine Möglichkeiten ebenso überschätzen wie sie. Bereits seine Erbanlagen sind also an seiner unglücklichen Entwicklung mit schuld.
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Sprung zur Textstelle Sie hatten sich kaum niedergelegt, so erhob sich eine Windsbraut, als ob sie das Haus mitnehmen wollte. Die Bettstatt bebte, und im Schornstein rasselte es wie ein Kobold.
Die über vier Absätze ausgedehnte Beschreibung der unheimlichen Nacht ist unverkennbar ein Schauer-Element. Sie ist weder für die Handlung noch für die Lebenserfahrung der beiden Wartenden von besonderer Bedeutung, es hätte ebenso einfach mitgeteilt werden können, dass eines Nachts Friedrichs Vater tot im Brederholz aufgefunden wurde. Die Feststellung
Sprung zur Textstelle "Da bringen sie mir das Schwein wieder!"
zieht unter die ganze Unheimlichkeits-Atmosphäre ja auch einen drastischen Schlussstrich.
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Sprung zur Textstelle "Er hat neulich den Aaron geprügelt und ihm sechs Groschen genommen." - "Hat er dem Aaron Geld genommen, so hat ihn der verfluchte Jude gewiss zuvor darum betrogen ..."
Das allgemeine Vorurteil gegen die Juden war zu jener Zeit noch allein religiös begründet: sie hatten 'Christus ans Kreuz geschlagen' und waren damit die Urfeinde des Christentums. Friedrich Mergel erfährt früh, dass man den Juden ungestraft Gewalt antun darf; denn wenn jemand einen Juden verprügelt und ihm dabei lächerliche sechs Groschen wegnimmt, so wird ihn natürlich der Jude nicht zuvor um dieses Geld betrogen haben. Vielmehr dürfte es um eine Meinungsverschiedenheit wegen einer verkauften Ware gegangen sein, die aber üblicherweise nicht per Faustrecht entschieden werden durfte.
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Sprung zur Textstelle "Höre, Fritz, das Holz lässt unser Herrgott frei wachsen, und das Wild wechselt aus eines Herren Lande in das andere; die können niemand angehören. Doch das verstehst du noch nicht ..."
Der Gedanke, dass der Wald und das Wild allen gehören, leuchtet als Rechtfertigung für das Handeln der Bauern so unmittelbar ein, dass ihn jedes Kind - also auch Friedrich - versteht, und so hat er bald auch keine Skrupel, bei den Holzdiebstählen dabei zu sein.
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Sprung zur Textstelle Es war ihm äußerst empfindlich, wenn, solange er Kind war, jemand des Verstorbenen nicht allzu löblich gedachte; ein Kummer, den ihm das Zartgefühl der Nachbarn nicht ersparte. ... Der alte Mergel war das Gespenst des Brederholzes geworden.
Die Hänseleien wegen seines Vaters machen Friedrich Mergel zum Außenseiter und heizen sein Geltungsbedürfnis zusätzlich an.
[Zweiter Teil]
Sprung zur Textstelle ... und wie Friedrich so langsam seinem Führer nachtrat, ... erinnerte er unwillkürlich an jemand, der in einem Zauberspiegel das Bild seiner Zukunft mit verstörter Aufmerksamkeit betrachtet.
Die symbolisch angelegte Szene - Friedrich 'in den Fußstapfen' seines Onkels - deutet auf eine schicksalhafte Bestimmung hin; es scheint für Friedrich gar keine andere Möglichkeit zu geben, als sich zu einem so gottlosen Menschen zu entwickeln, wie es sein Onkel ist.
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Sprung zur Textstelle Es war jetzt ganz finster; das erste Mondviertel stand am Himmel, aber seine schwachen Schimmer dienten nur dazu, den Gegenständen, die sie zuweilen durch eine Lücke der Zweige berührten, ein fremdartiges Ansehen zu geben.
Da Friedrich immer wieder gehört hat, dass der Geist seines Vaters im Brederholz umgeht, packt ihn in der Nähe von dessen Sterbeort die Angst. Der Onkel scheint sie auch noch absichtlich zu schüren, wenn er ihm die Stelle sogar zeigt und ihn daran erinnert, dass der Vater
Sprung zur Textstelle "... in der Betrunkenheit ohne Buße und Ölung zum Teufel gefahren war."
Die Anspannung Friedrichs wird jedoch ganz banal aufgelöst mit der Bemerkung des Onkels, Hermann Mergel sei eine "gute Seele" gewesen und Gott werde es "nicht so genau mit ihm nehmen". Mit anderen Worten: auch hier wird eine schaurige Situation erzeugt, ohne dass etwas Bedrohliches dann eintritt.
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Sprung zur Textstelle Als sie wieder in die dunkle Küche trat, stand Friedrich am Herde; er hatte sich vornüber gebeugt und wärmte die Hände an den Kohlen.
Da es sich nicht um Friedrich, sondern um Johannes handelt, liegt hier eine bewusste Irreführung des Lesers vor, er soll wie Margreth erst allmählich erkennen, dass er sich getäuscht hat. Die Erzählerin geht mit ihrer 'Unzuverlässigkeit' hier selbst über das noch hinaus, was E.T.A.Hoffmann dem Leser an spielerischen Irritierungen zugemutet hat. Bei diesem wird einem gelegentlich 'die Welt' unverständlich, Annette von Droste-Hülshoff riskiert, dass einem ihr Text unverständlich wird.
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Sprung zur Textstelle ... während ... sein Auge in fast glasartiger Klarheit zum ersten Male bestimmt den Ausdruck jenes ungebändigten Ehrgeizes und Hanges zum Großtun zeigte, der nachher als so starkes Motiv seiner meisten Handlungen hervortrat.
Ganz anders als in den Verwirr- und Schauer-Situationen scheint die Erzählerin hier über den Zusammenhang des Geschehens sogar mehr noch zu wissen, als sie mitteilt; denn von Friedrich Mergels 'meisten Handlungen' ist im Weiteren gar nicht die Rede. Nur noch in drei, vier Szenen tritt er überhaupt auf, und er feiert darin gerade keine Triumphe, sondern erleidet Niederlagen.
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Sprung zur Textstelle ... jetzt fing sie an, stolz auf ihn zu werden und sogar eine Art Hochachtung vor ihm zu fühlen, da sie den jungen Menschen so ganz ohne ihr Zutun sich entwickeln sah, sogar ohne ihren Rat, den sie ... für unschätzbar hielt und deshalb die Fähigkeiten nicht hoch genug anzuschlagen wusste, die eines so kostbaren Förderungsmittels entbehren konnten.
Die Kritik am Verhalten der Mutter, nämlich dass sie es an der gebotenen Strenge Friedrich gegenüber fehlen lässt, schlägt hier um in offene Ironie. Ihre nur scheinbar frommen Ratschläge haben die Bezeichnung 'kostbares Förderungsmittel' nicht verdient.
[Dritter Teil]
Sprung zur Textstelle Als einer nach dem andern im Dickicht verschwunden war, trat Brandis dicht vor den Knaben: "Friedrich", sagte er mit dem Ton unterdrückter Wut, "meine Geduld ist zu Ende." ... Friedrich griff krampfhaft nach einem Aste. Er war totenbleich ...
Der kurze Wortwechsel scheint die Erregung, die er auslöst, kaum zu rechtfertigen. Aus den handschriftlichen Entwürfen der Novelle ergibt sich, dass hier zunächst eine umfangreichere Auseinandersetzung mit gegenseitigen familiären Vorwürfen geplant war. Aus dem verbliebenen Rest lässt sich nur wiederum Friedrich Mergels Empfindlichkeit gegen jede Art der Herabsetzung ableiten. Von Brandis als 'Lumpenpack' bezeichnet, "dem kein Ziegel auf dem Dach gehört", kann er sich kaum beherrschen, den Förster nicht niederzuschlagen.
Benutzte Literatur: Rölleke,  A.v.D.-H. Die Judenbuche,
                  1972
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Sprung zur Textstelle Friedrichs Gesicht hatte während dieses allmählichen Verschwindens den Ausdruck seiner Kälte verloren, und seine Züge schienen zuletzt unruhig bewegt. Gereute es ihn vielleicht, den Förster nicht um Verschweigung seiner Angaben gebeten zu haben?
In dieser Frage liegt wiederum eine bewusste Irreführung des Lesers vor. Die Erzählerin weiß natürlich, dass Friedrich nicht beunruhigt ist, weil er Brandis zu bitten versäumt hat, seinen Hinweis auf die Blaukittel zu verschweigen, sondern weil er ahnt, dass er den Förster vielleicht in den Tod schickt. Um zu verstehen, wie das möglich ist, muss man sich die Situation folgendermaßen verdeutlichen:
1. Friedrich Mergel hat für die Blaukittel Wache gestanden und sie mit seinem Pfiff gewarnt; wahrscheinlich hat ein zweiter oder dritter Wächter seinen Pfiff bis zum Platz der Holzfäller weitergegeben.
2. Er hat gesehen, dass die Forstleute den Weg dorthin eingeschlagen haben, weiß aber, dass sie die Blaukittel am Holzplatz nicht mehr vorfinden werden.
3. Er kennt den Weg, auf dem die Blaukittel sich zurückziehen und schickt Brandis in diese Richtung. Er nimmt in Kauf oder erwartet sogar, dass sie mit Brandis kurzen Prozess machen werden, wenn er im Wald auf sie trifft.
Wie man sich diese Konstellation räumlich vorstellen kann, zeigt die Karte unter SCHAUPLÄTZE.
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Sprung zur Textstelle Aus der Kammer drang ein schweres Stöhnen. Margreth eilte hin, und der Schreiber folgte ihr. Friedrich saß aufrecht im Bette, das Gesicht in die Hände gedrückt und ächzte wie ein Sterbender.
Das schlechte Gewissen, das Friedrich sogar körperlich leiden lässt, zeigt zwar, dass er noch nicht ganz abgestumpft ist, bestätigt aber auch seine Mitschuld am Tod des Försters.
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Sprung zur Textstelle Denjenigen, die vielleicht auf den Ausgang dieser Begebenheit gespannt sind, muss ich sagen, dass diese Geschichte nie aufgeklärt wurde ... Es würde in einer erdichteten Geschichte unrecht sein, die Neugier des Lesers so zu täuschen. Aber dies alles hat sich wirklich zugetragen; ich kann nichts davon oder dazu tun.
Die hier behauptete Unklarheit über das Vorgefallene läuft auch wiederum auf eine Irreführung des Lesers hinaus. Die Erzählerin müsste natürlich aus den Indizien, die sie selbst angesammelt hat, den Schluss ziehen, dass Simon Semmler (oder einer seiner Leute) den Förster erschlagen hat, auch wenn die amtliche Untersuchung so weit nicht kommt. Dass sie erklärt, sie könne nur berichten, was sich 'wirklich zugetragen' habe, steht in deutlichem Kontrast zu ihrem Wissen z.B. von dem Gespräch zwischen Friedrich und Brandis, das ohne Zeugen stattgefunden hat und dann von ihr gar nicht mitgeteilt werden könnte. Auch hier liegt also wieder eine 'unzuverlässige' Erzähler-Aussage vor.
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Sprung zur Textstelle "Wo ist Eure Axt?" - "Meine Axt? Auf der Tenne." - "Habt Ihr einen neuen Stiel hineingemacht? Wo ist der alte?"
Die Unterscheidung von Axt und Stil ist - vermutlich unabsichtlich - auch wiederum irreführend. Das 'corpus delicti' ist die Axt, nicht bloß der Stiel, auch wenn er wahrscheinlich bestimmtere Merkmale aufweist als der Eisenkeil. Simon Semmler müsste sich also eine neue Axt besorgt haben, wenn ihm seine alte als Mordwerkzeug abhanden gekommen ist, nicht bloß für den alten Keil einen neuen Stiel.
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Sprung zur Textstelle Und in Friedrich lagen Eigenschaften, die dies nur zu sehr erleichterten: Leichtsinn, Erregbarkeit und vor allem ein grenzenloser Hochmut ...
Noch einmal werden hier die Wesensmerkmale genannt, die Friedrich gänzlich unter den schlechten Einfluss seines Onkels geraten lassen. Dass sie ihm als Schuld anzurechnen sind, kann nach seinem Verzicht auf die Beichte allerdings keine Frage sein.
[Vierter Teil]
Sprung zur Textstelle ... Branntwein und Kaffee in Überfluss, alle Gäste von Schweiß triefend; kurz, es war ein köstliches Fest.
Der ironische Abstand der Erzählerin zu dieser Volksbelustigung ist unverkennbar. Er erklärt sich zum einen mit Annette von Droste-Hülshoffs Zugehörigkeit zum Adel, zum anderen und mehr noch aber daraus, dass sie an solchen Festen (auch ihrer Kreise) wegen ihrer schwachen Gesundheit selten richtig teilnehmen konnte.
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Sprung zur Textstelle Er kehrte niedergeschlagen zurück; seine Würde war verletzt, das allgemeine Gelächter schnitt ihm durch die Seele ...
Die Kränkung seines Hochmutes, der als Erbteil seiner Mutter der bedenklichste Zug seines Wesens ist, trifft ihn schon in dieser Situation schwer. Um so mehr muss es ihn mit Hass erfüllen, dass auch Aaron ihn noch bloßstellt.
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Sprung zur Textstelle Eine große, unerträgliche Schmach hatte ihn getroffen, da der Jude Aaron ... ihn laut vor allen Leuten um den Betrag von zehn Talern für eine schon um Ostern gelieferte Uhr gemahnt hatte.
Nachdem er sich mit dem Vorzeigen der Uhr Respekt hatte verschaffen wollen, ist Friedrich durch die Geldforderung des Juden auf eine nicht wieder gutzumachende Weise blamiert. Zehn Taler sind keine kleine Summe, man kann sie mit mehreren hundert Euro gleichsetzen.
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Sprung zur Textstelle Drei Tage später tobte ein furchtbarer Sturm. Es war Mitternacht, aber alles im Schlosse außer dem Bett.
Die schaurigen Umstände, unter denen der Tote aufgefunden wird - nach Ablauf von drei Tagen, bei Sturm und Gewitter und um die Mitternachtsstunde - lassen das Mordgeschehen noch unheimlicher wirken, als wenn es selbst erzählt worden wäre.
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Sprung zur Textstelle Der Anklage bedurfte es nicht, da Herr von S. selbst Zeuge eines Auftritts gewesen war, der den dringendsten Verdacht auf ihn werfen musste; zudem die Gespenstergeschichte von jenem Abende, das Aneinanderschlagen der Stäbe im Brederholz, der Schrei aus der Höhe.
Auch hier muss im Nachhinein erschlossen werden, was sich zugetragen hat: Friedrich Mergel ist nach dem Auftritt im Hochzeitshaus dem Juden nachgegangen und hat ihn im Brederholz angegriffen. Aaron hat sich mit einem Stock verteidigt und Friedrich ihn mit einem Stock erschlagen. Damit der Tote nicht gleich entdeckt werden konnte, hat er ihn in ein Gebüsch gezogen. So sind drei Tage vergangen, bis die Leiche gefunden wurde.
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Sprung zur Textstelle "Und wo hielten wir? Dicht an der Heerser Tiefe und den Turm von Heerse gerade unter uns. Wären wir noch zwanzig Schritt weiter gefahren, wir wären alle Kinder des Todes gewesen.«
Die Ausführlichkeit, mit der diese anscheinend nebensächliche Situation erzählt wird, lässt auf eine Bedeutung für die Hauptgeschichte schließen. Wie sich im fünften Teil - 28 Jahre später - herausstellt, folgt aus ihr aber weiter nichts, als dass Friedrich Mergel und Johannes sich unterhalb dieser Stelle versteckt hatten und die Geräusche über sich als Spuk deuteten. Es handelt sich also wiederum bloß um ein Schauer-Element.
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Sprung zur Textstelle Am nächsten Morgen stand an der Buche mit dem Beil eingehauen ...
Das Mysteriöse der Inschrift, deren Inhalt bewusst erst am Schluss aufgedeckt wird, lässt an einen geheimnisvollen Zauber denken - auch wiederum ein darstellerisches Mittel, eine Atmosphäre der Unheimlichkeit zu erzeugen.
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Sprung zur Textstelle "Wissen Sie wohl, dass Ihr lieber Getreuer, Friedrich Mergel, den Juden mag ebenso wenig erschlagen haben als ich oder Sie? Leider fehlen die Beweise, aber die Wahrscheinlichkeit ist groß."
Mit dieser scheinbaren Aufklärung führt die Erzählerin den Leser ein weiteres Mal in die Irre. Sie weiß natürlich, dass dies eine Fehlspur ist, gibt es aber mit keinem Wort zu erkennen.
[Fünfter Teil]
Sprung zur Textstelle Der Heimgekehrte ward als Johannes Niemand erkannt, und er selbst bestätigte, dass er derselbe sei, der einst mit Friedrich Mergel entflohen.
Durch diese Angabe bleibt bis zum Schluss - wenn auch durchschaubar - offen, dass der Zurückgekehrte Friedrich Mergel ist. Es kommt deshalb auch nicht dazu, dass er den Mord an dem Juden gesteht. Nur mit seinem Selbstmord an derselben Stelle gibt er die Tat von damals zu.
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Sprung zur Textstelle ... und horchte gespannt auf, als man ihm erzählte, was der Gutsherr geflissentlich verbreitet hatte, um den Fleck von Mergels Namen zu löschen ... Dennoch hatte sie nicht eigentlich Not gelitten; die Gutsherrschaft sorgte sehr für sie, schickte ihr täglich das Essen ...
Die Fürsorge, die die Gutsherrschaft der heruntergekommenen und auch sonst eigentlich nicht wichtigen Frau Mergel angedeihen lässt, wirft ein sicher besseres Licht auf die alten Verhältnisse, als sie es verdient haben. Vielleicht wollte Annette von Droste-Hülshoff der zu ihrer Zeit schon verbreiteten Kritik an der Adelsherrschaft hier ein positives Beispiel entgegenhalten.
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Sprung zur Textstelle "... und wie wir eine Weile gesessen hatten, hörten wir mit einem Male über uns schnauben und stampfen und sahen lange Feuerstrahlen in der Luft gerade über dem Heerser Kirchturm."
Der Bericht knüpft hier an das im vierten Teil erzählte Erlebnis des Amtsschreibers Kapp an, der sich im Wald oberhalb des Heerser Kirchturmes seine Pfeife angezündet und die Pferde zurückgehalten hat (siehe VIERTER TEIL). Für erstaunlich darf man es allerdings halten, dass sich der Gutsherr noch nach 28 Jahren an diese nebensächliche Mitteilung sofort erinnert.
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Sprung zur Textstelle "Die Leute sagten mir, der Wald sei gefällt, und jetzt seien so viele Kreuz- und Querwege darin, da fürchtete ich, nicht wieder hinauszukommen.
Die Erklärung ergibt keinen rechten Sinn, insofern man sich in einem Wald, den es nicht mehr gibt, eigentlich nicht verirren kann. Es soll hier also wohl kenntlich gemacht werden, dass der Heimgekehrte aus einem ganz anderen Grund den Weg durch das vormalige Brederholz scheut.
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Sprung zur Textstelle Auch Johannes schien unter dem Einflusse des nahen Äquinoktiums zu leiden; die ihn in diesen Tagen sahen, sagen, er habe auffallend verstört ausgesehen ...
Sprung zur Textstelle Es schien, er hatte sich immer um das Brederholz herumgetrieben.
Die Tag- und Nachtgleiche als die Zeit, in der nach abergläubischen Vorstellungen alle möglichen Geister aufstehen und ihr Unwesen treiben (siehe z.B. die Hexenszene mit Veronika in E.T.A. Hoffmanns 'GOLDENEM TOPF'), lässt an einen geheimnisvollen Zwang durch die Inschrift an der Buche - oder den umgehenden Geist Aarons - denken, d.h. sie ist ein romantisches Element.
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Sprung zur Textstelle Totenbleich kam er auf dem Schlosse an: in der Judenbuche hänge ein Mensch; er habe die Beine gerade über seinem Gesichte hängen sehen ...
Die Frage, wie sich der verkrüppelte Friedrich Mergel in der Buche erhängen konnte, ist als 'Ungereimtheit' beanstandet worden, fällt aber sicherlich weniger störend auf als einige der Irreführungen durch die Erzählerin.
Benutzte Literatur: Woesler,  'Die Judenbuche' in literaturwissenschaftlicher Sicht.
                  2002
Zur wirklichen Absurdität gerät dieser Ausgang jedoch in der Verfilmung. Die Judenbuche ist hier ein entlaubter hoher Baum, an dem in einer Höhe von fünf Metern oder mehr dann Friedrich Mergel hängt - und das, nachdem man ihn soundso oft sich an Krücken durch die Szene schleppen sah. Das Erstaunen darüber, wie er auf diesen Baum kommen konnte, löscht hier jeden Gedanken an Sühne aus, sein Tod ist nichts als ein makabrer Witz.
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Sprung zur Textstelle "Mein Gott!", sagte er; er beugte sich wieder über die Leiche, betrachtete die Narbe mit großer Aufmerksamkeit und schwieg eine Weile in tiefer Erschütterung.
Die Narbe wird hier nicht nur das erste Mal genannt - schon dies eigentlich eine erzählerische Nachlässigkeit -, sie ist auch als Indiz höchst sonderbar. Dass ein Gutsherr seine Dorfbewohner selbst noch an ihren Narben unterscheiden kann, liegt außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit, es sei denn, er wäre Zeuge der Verletzung gewesen, von der die Narbe stammt. Dann allerdings hätte es nahe gelegen, schon beim Eintreffen des 'Doppelgängers' auf die Narbe zu achten und sich so Gewissheit zu verschaffen.