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Siebentes Kapitel
Sprung zur Textstelle Die Nacht war schon wieder lange hereingebrochen, und der Mond schien prächtig, als ich endlich auf einem Hügel aus dem Walde heraustrat und auf einmal die Stadt in der Ferne vor mir sah. - Das Meer leuchtete von weitem, der Himmel blitzte und funkelte unübersehbar mit unzähligen Sternen, darunter lag die heilige Stadt ...
Die Rom-Beschreibung im 'Taugenichts' hat zu Irritationen geführt: weder ist die Stadt von Bergen umgeben, noch kann man bei einem Blick auf sie zugleich das Meer sehen, das mehr als 30 km weit weg ist. So wurde gefolgert, dass Eichendorff gar nicht 'Rom' meine, sondern das christliche Paradies oder wie er sich das Paradies vorstelle (zum Aspekt des Christentums siehe unter GESTALTUNG).
Benutzte Literatur: Seidlin, Oskar: Versuche über Eichendorff, 1965.
Diese Deutung ist jedoch abwegig. Auf den damals noch weit verbreiteten reliefähnlich gezeichneten Karten nehmen sich kleine Erhebungen oft wie Berge aus, und auch die Entfernungen sind nicht immer richtig erkennbar. So konnte sich aus dem Wissen von 'sieben Hügeln' und Meeresnähe leicht eine solche Vorstellung ergeben. Auch in den Beschreibungen von Rom werden die realen Proportionen gern überzeichnet. So schreibt z.B. der 35jährige Wilhelm Heinse 1781:
Nichts aber hat einen so starken Eindruck auf mich gemacht als Rom ... Die triumphierende Lage, ungeheuer lang und breit, um den wilden Tiberstrom herum, mit den gebietrischen Hügeln voll stolzer Paläste in babylonischen Gärten und despotischer Tempel mit himmelhohen Kuppeln, an dem prächtigen Amphitheater der Gebürge von Frescati und Tivoli; die Brückengewölbe, türmenden Tore, flammenden Obelisken, bemoosten und mit Grün überzognen Ruinen alter Herrlichkeit und das kühle Rauschen von Schritt zu Schritt von tausend und abertausend lebendigen Springbrunnen wie in den quellenreichen Alpen und manche männliche und weibliche antike Gestalt mit heißem Blick und warmen Gebärden in Helden- und Siegerinnengang auf den weiten Plätzen und in den unabsehlichen Straßen erweckten eine Wunderempfindung von einer neuen Natur in mir, die ich noch nicht gehabt hatte.
Benutzte Literatur: Deutsche Briefe aus Italien, 1971.
Hier finden sich dieselben Elemente wieder, mit denen Eichendorff 'sein' Rom kennzeichnet, und Beschreibungen wie diese gab es zahlreich. Wie suggestiv aber dieses Rom-Bild im 19. Jahrhundert gewesen ist, sieht man daran, dass selbst die Illustratoren damals noch Berge und Meer um Rom herum abbilden. Nur wenigen Lesern dieser Zeit wird aufgefallen sein, dass daran etwas nicht stimmt.
Rom in einer 'Taugenichts'-Ausgabe von 1886