Zehntes Kapitel
"... schlagt den seligen Mantel um euch, dass die ganze andere Welt rings um euch untergeht, liebt euch wie die Kaninchen
und seid glücklich! ..."
Mit dem Kaninchen-Vergleich geht der junge Graf weit über das hinaus, was bei einer solchen Gelegenheit zu sagen
erlaubt war (und ist). So ist seine Bemerkung nur als Erzähler-Ironie zu verstehen, die dieser literarisch schon abgenutzten
Happy-end-Situation die Sentimentalität nehmen soll.
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"... aber du hast wohl noch keinen Roman gelesen?" Ich verneinte es. - "Nun, so hast du doch einen mitgespielt
... Also zum Schluss, wie sichs von selbst versteht und einem wohlerzogenen Romane gebührt ...
Die formelhaft verkürzte Aufklärung über das Geschehen, verbunden mit dem Hinweis auf
das Romanhafte daran, ist ein Musterbeispiel für 'romantische Ironie', d.h. für eine Erzählweise, die auf das
Arrangierte der Geschichte in der Geschichte selbst hinweist.
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"Als ich vergangenen Sommer", setzte sie nach einer Weile hinzu, "mit der Gräfin aus Rom kam und wir
das Fräulein Flora glücklich gefunden hatten und mit zurückbrachten, von dir aber dort und hier nichts hörten ..."
Nähme man diese Mitteilung wörtlich, wäre der Taugenichts ein ganzes Jahr in Rom gewesen (und - beiläufig - die
ganze Zeit im Sommer), denn als er auf dem Schloss in den Bergen das Briefchen von Aurelie bekommt, ist diese noch auf der
Suche nach Flora und wähnt sie in diesem Schloss, kann sie also in Italien noch nicht gefunden haben. Ein Aufenthalt
von einem Jahr kann aus den beiden Rom-Kapiteln allerdings unter gar keinen Umständen abgeleitet werden. Auch hier liegt
also keine stimmige Zeit-Struktur vor.
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Ich war so recht seelenvergnügt und langte eine Handvoll Knackmandeln aus der Tasche ... Sie nahm auch davon, und wir
knackten nun und sahen zufrieden in die stille Gegend hinaus.
Statt des üblichen Liebesgeflüsters kommt es hier zum gemeinsamen Knacken von Mandeln - amüsanter lässt
sich eine solche Szene nicht ironisieren.
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"Gott segne den Portier", versetzte ich ganz entzückt, "dass er unser Onkel ist! Ich habe immer große
Stücke auf ihn gehalten."
Ist der Taugenichts mit dieser Lüge - denn als Einnehmer hätte er den 'abscheulichen Kerl' am liebsten verprügelt
(siehe
ZWEITES KAPITEL) - schon auf dem Wege zum Philister? Auch hier
soll die Unstimmigkeit wohl weiter nichts besagen, der Taugenichts nimmt es nur ein weiteres Mal mit seinen Erlebnissen nicht so genau.
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... und von fern schallte immerfort die Musik herüber ... und die Donau rauschte dazwischen herauf ...
Richard Alewyn hat in einer profunden Analyse aufgezeigt, dass es in den Eichendorff'schen Landschaftsdarstellungen immer
eine 'perspektivische Orientierung' gibt: Wälder und Felder, Berge und Flüsse sind nicht einfach nur da, sondern sie
sind auf einen Betrachter bezogen, wenden sich ihm zu, grüßen herüber oder herauf, blitzen oder rauschen durch
die Bäume usw., so dass das wahrnehmende Subjekt zur Hauptsache wird. Eichendorff kommt deshalb mit
wenigen und immer denselben Naturerscheinungen aus, der Lesers kann sich grundsätzlich angesprochen fühlen.