Zweites Kapitel

Dicht am herrschaftlichen Garten ging die Landstraße vorüber, nur durch eine
hohe Mauer von derselben geschieden. Ein gar sauberes Zollhäuschen mit rotem
Ziegeldache war da erbaut und hinter demselben ein kleines, bunt umzäuntes
Blumengärtchen, das durch eine Lücke in der Mauer des Schlossgartens hindurch
an den schattigsten und verborgensten Teil des letzteren stieß. Dort war eben
der Zolleinnehmer gestorben, der das alles sonst bewohnte. Da kam eines Morgens
frühzeitig, da ich noch im tiefsten Schlafe lag, der Schreiber vom Schlosse
zu mir und rief mich schleunigst zum Herrn Amtmann. Ich zog mich geschwind
an und schlenderte hinter dem luftigen Schreiber her, der unterwegs bald da
bald dort eine Blume abbrach und vorn an den Rock steckte, bald mit seinem
Spazierstöckchen künstlich in der Luft herumfocht und allerlei zu mir in den
Wind hineinparlierte, wovon ich aber nichts verstand, weil mir die Augen und
Ohren noch voller Schlaf lagen. Als ich in die Kanzlei trat, wo es noch gar
nicht recht Tag war, sah der Amtmann hinter einem ungeheuren Tintenfasse und
Stößen von Papier und Büchern und einer ansehnlichen Perücke, wie die Eule
aus ihrem Nest, auf mich und hob an: »Wie heißt Er? Woher ist Er? Kann Er
schreiben, lesen und rechnen?« Da ich das bejahte, versetzte er: »Na, die
gnädige Herrschaft hat Ihm, in Betrachtung seiner guten Aufführung und
besondern Meriten, die ledige Einnehmerstelle zugedacht.« - Ich überdachte
in der Geschwindigkeit für mich meine bisherige Aufführung und Manieren,
und ich musste gestehen, ich fand am Ende selber, dass der Amtmann recht
hatte. - Und so war ich denn wirklich Zolleinnehmer, ehe ich michs versah.
Ich bezog nun sogleich meine neue Wohnung und war in kurzer Zeit eingerichtet.
Ich hatte noch mehrere Gerätschaften gefunden, die der selige Einnehmer seinem
Nachfolger hinterlassen, unter andern einen prächtigen roten Schlafrock mit
gelben Punkten, grüne Pantoffeln, eine Schlafmütze und einige Pfeifen mit
langen Röhren. Das alles hatte ich mir schon einmal gewünscht, als ich noch
zu Hause war, wo ich immer unsern Pfarrer so bequem herumgehen sah. Den
ganzen Tag (zu tun hatte ich weiter nichts) saß ich daher auf dem Bänkchen
vor meinem Hause in Schlafrock und Schlafmütze, rauchte Tabak aus dem
längsten Rohre, das ich von dem seligen Einnehmer vorgefunden hatte, und
sah zu, wie die Leute auf der Landstraße hin und her gingen, fuhren und
ritten. Ich wünschte nur immer, dass auch einmal ein paar Leute aus meinem
Dorfe, die immer sagten, aus mir würde mein Lebtage nichts, hier vorüberkommen
und mich so sehen möchten. Der Schlafrock stand mir schön zu Gesichte, und
überhaupt das alles behagte mir sehr gut. So saß ich denn da und dachte mir
mancherlei hin und her, wie aller Anfang schwer ist, wie das vornehmere
Leben doch eigentlich recht bequem sei, und fasste heimlich den Entschluss,
nunmehr alles Reisen zu lassen, auch Geld zu sparen wie die andern und es
mit der Zeit gewiss zu etwas Großem in der Welt zu bringen. Inzwischen
vergaß ich über meinen Entschlüssen, Sorgen und Geschäften die
allerschönste Frau keineswegs.

Die Kartoffeln und anderes Gemüse, das ich in meinem kleinen Gärtchen fand, warf
ich hinaus und bebaute es ganz mit den auserlesensten Blumen, worüber mich der
Portier vom Schlosse mit der großen kurfürstlichen Nase, der, seitdem ich hier
wohnte, oft zu mir kam und mein intimer Freund geworden war, bedenklich von der
Seite ansah und mich für einen hielt, den sein plötzliches Glück verrückt gemacht
hätte. Ich aber ließ mich das nicht anfechten. Denn nicht weit von mir im
herrschaftlichen Garten hörte ich feine Stimmen sprechen, unter denen ich die
meiner schönen Frau zu erkennen meinte, obgleich ich wegen des dichten Gebüsches
niemand sehen konnte. Da band ich denn alle Tage einen Strauß von den schönsten
Blumen, die ich hatte, stieg jeden Abend, wenn es dunkel wurde, über die Mauer
und legte ihn auf einen steinernen Tisch hin, der dort inmitten einer Laube stand;
und jeden Abend, wenn ich den neuen Strauß brachte, war der alte von dem Tische fort.

Eines Abends war die Herrschaft auf die Jagd geritten; die Sonne ging eben unter
und bedeckte das ganze Land mit Glanz und Schimmer, die Donau schlängelte sich
prächtig wie von lauter Gold und Feuer in die weite Ferne, von allen Bergen bis
tief ins Land hinein sangen und jauchzten die Winzer. Ich saß mit dem Portier
auf dem Bänkchen vor meinem Hause und freute mich in der lauen Luft, wie der
lustige Tag so langsam vor uns verdunkelte und verhallte. Da ließen sich auf
einmal die Hörner der zurückkehrenden Jäger von ferne vernehmen, die von den
Bergen gegenüber einander von Zeit zu Zeit lieblich Antwort gaben. Ich war
recht im innersten Herzen vergnügt und sprang auf und rief wie bezaubert und
verzückt vor Lust: »Nein, das ist mir doch ein Metier, die edle Jägerei!«
Der Portier aber klopfte sich ruhig die Pfeife aus und sagte: »Das denkt Ihr
Euch just so. Ich habe es auch mitgemacht, man verdient sich kaum die Sohlen,
die man sich abläuft; und Husten und Schnupfen wird man erst gar nicht los,
das kommt von den ewig nassen Füßen.« - Ich weiß nicht, mich packte da ein
närrischer Zorn, dass ich ordentlich am ganzen Leibe zitterte. Mir war auf
einmal der ganze Kerl mit seinem langweiligen Mantel, die ewigen Füße,
sein Tabaksschnupfen, die große Nase und alles abscheulich. - Ich fasste ihn,
wie außer mir, bei der Brust und sagte: »Portier, jetzt schert Euch nach Hause,
oder ich prügle Euch hier sogleich durch!« Den Portier überfiel bei diesen
Worten seine alte Meinung, ich wäre verrückt geworden. Er sah mich bedenklich
und mit heimlicher Furcht an, machte sich, ohne ein Wort zu sprechen, von mir
los und ging, immer noch unheimlich nach mir zurückblickend, mit langen
Schritten nach dem Schlosse, wo er atemlos aussagte, ich sei nun wirklich
rasend geworden.

Ich aber musste am Ende laut auflachen und war herzlich froh, den superklugen
Gesellen los zu sein, denn es war gerade die Zeit, wo ich den Blumenstrauß
immer in die Laube zu legen pflegte. Ich sprang auch heute schnell über die
Mauer und ging eben auf das steinerne Tischchen los, als ich in einiger
Entfernung Pferdetritte vernahm. Entspringen konnt ich nicht mehr, denn
schon kam meine schöne, gnädige Frau selber, in einem grünen Jagdhabit und
mit nickenden Federn auf dem Hute, langsam und, wie es schien, in tiefen
Gedanken die Allee herabgeritten. Es war mir nicht anders zumute, als da
ich sonst in den alten Büchern bei meinem Vater von der schönen Magelone
gelesen, wie sie so zwischen den immer näher schallenden Waldhornsklängen
und wechselnden Abendlichtern unter den hohen Bäumen hervorkam - ich
konnte nicht vom Fleck. Sie aber erschrak heftig, als sie mich auf einmal
gewahr wurde, und hielt fast unwillkürlich still. Ich war wie betrunken
vor Angst, Herzklopfen und großer Freude, und da ich bemerkte, dass sie
wirklich meinen Blumenstrauß von gestern an der Brust hatte, konnte ich
mich nicht länger halten, sondern sagte ganz verwirrt: »Schönste gnädige
Frau, nehmt auch noch diesen Blumenstrauß von mir und alle Blumen aus
meinem Garten und alles, was ich habe. Ach, könnt ich nur für Euch ins
Feuer springen!« - Sie hatte mich gleich anfangs so ernsthaft und fast
böse angeblickt, dass es mir durch Mark und Bein ging, dann aber hielt
sie, solange ich redete, die Augen tief niedergeschlagen. Soeben ließen
sich einige Reiter und Stimmen im Gebüsch hören. Da ergriff sie schnell
den Strauß aus meiner Hand und war bald, ohne ein Wort zu sagen, am
andern Ende des Bogenganges verschwunden.

Seit diesem Abend hatte ich weder Ruh noch Rast mehr. Es war mir beständig
zumute wie sonst immer, wenn der Frühling anfangen sollte, so unruhig und
fröhlich, ohne dass ich es wusste warum, als stünde mir ein großes Glück oder
sonst etwas Außerordentliches bevor. Besonders das fatale Rechnen wollte mir
nun erst gar nicht mehr von der Hand, und ich hatte, wenn der Sonnenschein
durch den Kastanienbaum vor dem Fenster grüngolden auf die Ziffern fiel und
so fix vom Transport bis zum Latus und wieder hinauf- und hinabaddierte, gar
seltsame Gedanken dabei, sodass ich manchmal ganz verwirrt wurde und wahrhaftig
nicht bis drei zählen konnte. Denn die Acht kam mir immer vor wie meine dicke,
eng geschnürte Dame mit dem breiten Kopfputz, die böse Sieben war gar wie ein
ewig rückwärts zeigender Wegweiser oder Galgen. - Am meisten Spaß machte mir
noch die Neun, die sich mir so oft, eh ich michs versah, lustig als Sechs auf
den Kopf stellte, während die Zwei wie ein Fragezeichen so pfiffig dreinsah,
als wollte sie mich fragen: Wo soll das am Ende noch hinaus mit dir, du arme
Null? Ohne sie, diese schlanke Eins und alles, bleibst du doch ewig nichts!

Auch das Sitzen draußen vor der Tür wollte mir nicht mehr behagen. Ich nahm mir,
um es bequemer zu haben, einen Schemel mit heraus und streckte die Füße darauf,
ich flickte ein altes Parasol vom Einnehmer und steckte es gegen die Sonne wie
ein chinesisches Lusthaus über mich. Aber es half nichts. Es schien mir, wie
ich so saß und rauchte und spekulierte, als würden mir allmählich die Beine
immer länger vor Langeweile und die Nase wüchse mir vom Nichtstun, wenn ich
so stundenlang an ihr heruntersah. - Und wenn denn manchmal noch vor Tagesanbruch
eine Extrapost vorbeikam, und ich trat halb verschlafen in die kühle Luft hinaus,
und ein niedliches Gesichtchen, von dem man in der Dämmerung nur die funkelnden
Augen sah, bog sich neugierig zum Wagen hervor und bot mir freundlich einen guten
Morgen, in den Dörfern aber ringsumher krähten die Hähne so frisch über die leise
wogenden Kornfelder herüber, und zwischen den Morgenstreifen hoch am Himmel
schweiften schon einzelne zu früh erwachte Lerchen, und der Postillion nahm dann
sein Posthorn und fuhr weiter und blies und blies - da stand ich lange und sah
dem Wagen nach, und es war mir nicht anders, als müsste ich nur sogleich mit fort,
weit, weit in die Welt.

Meine Blumensträuße legte ich indes immer noch, sobald die Sonne unterging, auf
den steinernen Tisch in der dunkeln Laube. Aber das war es eben: damit war es nun
aus seit jenem Abend. Kein Mensch kümmerte sich darum: so oft ich des Morgens
frühzeitig nachsah, lagen die Blumen noch immer da wie gestern und sahen mich
mit ihren verwelkten, niederhängenden Köpfchen und daraufstehenden Tautropfen
ordentlich betrübt an, als ob sie weinten. - Das verdross mich sehr. Ich band
gar keinen Strauß mehr. In meinem Garten mochte nun auch das Unkraut treiben
wie es wollte, und die Blumen ließ ich ruhig stehen und wachsen, bis der Wind
die Blätter verwehte. War mirs doch ebenso wild und bunt und verstört im Herzen.

In diesen kritischen Zeitläuften geschah es denn, dass einmal, als ich eben zu
Hause im Fenster liege und verdrießlich in die leere Luft hinaussehe, die
Kammerjungfer vom Schlosse über die Straße dahergetrippelt kommt. Sie lenkte,
da sie mich erblickte, schnell zu mir ein und blieb am Fenster stehen. -
»Der gnädige Herr ist gestern von seiner Reise zurückgekommen«, sagte sie
eilfertig. -»So?«, entgegnete ich verwundert - denn ich hatte mich schon
seit einigen Wochen um nichts bekümmert und wusste nicht einmal, dass der
Herr auf Reisen war -, »da wird seine Tochter, die junge gnädige Frau,
auch große Freude gehabt haben.« - Die Kammerjungfer sah mich kurios von
oben bis unten an, sodass ich mich ordentlich selber besinnen musste, ob
ich was Dummes gesagt hätte. -»Er weiß aber auch gar nichts«, sagte sie
endlich und rümpfte das kleine Näschen. »Nun«, fuhr sie fort, »es soll
heute Abend dem Herrn zu Ehren Tanz im Schlosse sein und Maskerade.
Meine gnädige Frau wird auch maskiert sein, als Gärtnerin - versteht Er
auch recht - als Gärtnerin. Nun hat die gnädige Frau gesehen, dass Er
besonders schöne Blumen hat in Seinem Garten.« - Das ist seltsam, dachte
ich bei mir selbst, man sieht doch jetzt fast keine Blume mehr vor Unkraut. -
Sie aber fuhr fort: »Da nun die gnädige Frau schöne Blumen zu ihrem Anzuge
braucht, aber ganz frische, die eben vom Beete kommen, so soll Er ihr welche
bringen und damit heute Abend, wenn's dunkel geworden ist, unter dem großen
Birnbaum im Schlossgarten warten, da wird sie dann kommen und die Blumen abholen.«

Ich war ganz verblüfft vor Freude über diese Nachricht und lief in meiner
Entzückung vom Fenster zu der Kammerjungfer hinaus.

»Pfui, der garstige Schlafrock!«, rief sie aus, da sie mich auf einmal so
in meinem Aufzuge im Freien sah. Das ärgerte mich, ich wollte auch nicht
dahinter bleiben in der Galanterie und machte einige artige Kapriolen, um
sie zu erhaschen und zu küssen. Aber unglücklicherweise verwickelte sich
mir dabei der Schlafrock, der mir viel zu lang war, unter den Füßen, und
ich fiel der Länge nach auf die Erde. Als ich mich wieder zusammenraffte,
war die Kammerjungfer schon weit fort, und ich hörte sie noch von fern
lachen, dass sie sich die Seiten halten musste.

Nun aber hatt' ich was zu sinnen und mich zu freuen. Sie dachte ja noch
immer an mich und meine Blumen! Ich ging in mein Gärtchen und riss hastig
alles Unkraut von den Beeten und warf es hoch über meinen Kopf weg in die
schimmernde Luft, als zög ich alle Übel und Melancholie mit der Wurzel
heraus. Die Rosen waren nun wieder wie ihr Mund, die himmelblauen Winden
wie ihre Augen, die schneeweiße Lilie mit ihrem schwermütig gesenkten
Köpfchen sah ganz aus wie sie. Ich legte alle sorgfältig in einem Körbchen
zusammen. Es war ein stiller, schöner Abend und kein Wölkchen am Himmel.
Einzelne Sterne traten schon am Firmamente hervor, von Weitem rauschte die
Donau über die Felder herüber, in den hohen Bäumen im herrschaftlichen
Garten neben mir sangen unzählige Vögel lustig durcheinander. Ach, ich war
so glücklich!

Als endlich die Nacht hereinbrach, nahm ich mein Körbchen an den Arm und
machte mich auf den Weg nach dem großen Garten. In dem Körbchen lag alles
so bunt und anmutig durcheinander, weiß, rot, blau und duftig, dass mir
ordentlich das Herz lachte, wenn ich hineinsah.

Ich ging voller fröhlicher Gedanken bei dem schönen Mondschein durch die
stillen, reinlich mit Sand bestreuten Gänge über die kleinen weißen Brücken,
unter denen die Schwäne eingeschlafen auf dem Wasser saßen, an den zierlichen
Lauben und Lusthäusern vorüber. Den großen Birnbaum hatte ich gar bald aufgefunden,
denn es war derselbe, unter dem ich sonst, als ich noch Gärtnerbursche war,
an schwülen Nachmittagen gelegen.

Hier war es so einsam dunkel. Nur eine hohe Espe zitterte und flüsterte mit
ihren silbernen Blättern in einem fort. Vom Schlosse schallte manchmal die
Tanzmusik herüber. Auch Menschenstimmen hörte ich zuweilen im Garten, die
kamen oft ganz nahe an mich heran, dann wurde es auf einmal wieder ganz still.

Mir klopfte das Herz. Es war mir schauerlich und seltsam zumute, als wenn ich
jemand bestehlen wollte. Ich stand lange Zeit stockstill an den Baum gelehnt
und lauschte nach allen Seiten, da aber immer niemand kam, konnte ich es nicht
länger aushalten. Ich hing mein Körbchen an den Arm und kletterte schnell auf
den Birnbaum hinauf, um wieder im Freien Luft zu schöpfen.

Da droben schallte mir die Tanzmusik erst recht über die Wipfel entgegen.
Ich übersah den ganzen Garten und gerade in die hellerleuchteten Fenster
des Schlosses hinein. Dort drehten sich die Kronleuchter langsam wie Kränze
von Sternen, unzählige geputzte Herren und Damen, wie in einem Schattenspiele,
wogten und walzten und wirrten da bunt und unkenntlich durcheinander, manchmal
legten sich welche ins Fenster und sahen hinunter in den Garten. Draußen vor
dem Schlosse aber waren der Rasen, die Sträucher und die Bäume von den vielen
Lichtern aus dem Saale wie vergoldet, sodass ordentlich die Blumen und die
Vögel aufzuwachen schienen. Weiterhin um mich herum und hinter mir lag der
Garten so schwarz und still.

Da tanzt sie nun, dacht ich in dem Baume droben bei mir selber, und hat gewiss
lange dich und deine Blumen wieder vergessen. Alles ist so fröhlich, um dich
kümmert sich kein Mensch. - Und so geht es mir überall und immer. Jeder hat
sein Plätzchen auf der Erde ausgesteckt, hat seinen warmen Ofen, seine Tasse
Kaffee, seine Frau, sein Glas Wein zu Abend und ist so recht zufrieden; selbst
dem Portier ist ganz wohl in seiner langen Haut. - Mir ist's nirgends recht.
Es ist, als wäre ich überall eben zu spät gekommen, als hätte die ganze Welt
gar nicht auf mich gerechnet.

Wie ich eben so philosophiere, höre ich auf einmal unten im Grase etwas
einherrascheln. Zwei feine Stimmen sprachen ganz nahe und leise miteinander.
Bald darauf bogen sich die Zweige in dem Gesträuch auseinander, und die
Kammerjungfer steckte ihr kleines Gesichtchen, sich nach allen Seiten umsehend,
zwischen der Laube hindurch. Der Mondschein funkelte recht auf ihren pfiffigen
Augen, wie sie hervorguckten. Ich hielt den Atem an und blickte unverwandt
hinunter. Es dauerte auch nicht lange, so trat wirklich die Gärtnerin ganz
so, wie sie die Kammerjungfer gestern beschrieben hatte, zwischen den Bäumen
heraus. Mein Herz klopfte mir zum Zerspringen. Sie aber hatte eine Larve vor
und sah sich, wie mir schien, verwundert auf dem Platz um. - Da wollts mir
vorkommen, als wäre sie gar nicht recht schlank und niedlich. - Endlich trat
sie ganz nahe an den Baum und nahm die Larve ab. - Es war wahrhaftig die
andere, ältere gnädige Frau!

Wie froh war ich nun, als ich mich vom ersten Schreck erholt hatte, dass ich
mich hier oben in Sicherheit befand. Wie in aller Welt, dachte ich, kommt die
nur jetzt hierher? Wenn nun die liebe schöne gnädige Frau die Blumen abholt -
das wird eine schöne Geschichte werden! Ich hätte am Ende weinen mögen vor
Ärger über den ganzen Spektakel.

Indem hub die verkappte Gärtnerin unten an: »Es ist so stickend heiß droben
im Saale, ich musste gehen, mich ein wenig abzukühlen in der freien, schönen
Natur.« Dabei fächelte sie sich mit der Larve in einem fort und blies die
Luft von sich. Bei dem hellen Mondschein konnte ich deutlich erkennen, wie
ihr die Flechsen am Halse ordentlich aufgeschwollen waren; sie sah ganz
erbost aus und ziegelrot im Gesicht. Die Kammerjungfer suchte unterdes hinter
allen Hecken herum, als hätte sie eine Stecknadel verloren.

»Ich brauche so notwendig noch frische Blumen zu meiner Maske«, fuhr die
Gärtnerin von neuem fort, »wo er auch stecken mag!« - Die Kammerjungfer suchte
und kicherte dabei immerfort heimlich in sich selbst hinein. - »Sagtest du was,
Rosette?« fragte die Gärtnerin spitzig. - »Ich sage, was ich immer gesagt habe«,
erwiderte die Kammerjungfer und machte ein ganz ernsthaftes, treuherziges Gesicht,
»der ganze Einnehmer ist und bleibt ein Lümmel, er liegt gewiss irgendwo hinter
einem Strauche und schläft.«

Mir zuckte es in allen meinen Gliedern, herunterzuspringen und meine Reputation
zu retten - da hörte man auf einmal ein großes Pauken und Musizieren und Lärmen
vom Schlosse her.

Nun hielt sich die Gärtnerin nicht länger. »Da bringen die Menschen«, fuhr sie
verdrießlich auf, »dem Herrn das Vivat. Komm, man wird uns vermissen!« - Und
hiermit steckte sie die Larve schnell vor und ging wütend mit der Kammerjungfer
nach dem Schlosse zu fort. Die Bäume und Sträucher wiesen kurios, wie mit
langen Nasen und Fingern, hinter ihr drein, der Mondschein tanzte noch fix,
wie über eine Klaviatur, über ihre breite Taille auf und nieder, und so
nahm sie, so recht wie ich auf dem Theater manchmal die Sängerinnen gesehn,
unter Trompeten und Pauken schnell ihren Abzug.

Ich aber wusste in meinem Baume droben eigentlich gar nicht recht, wie mir
geschehen, und richtete nunmehr meine Augen unverwandt auf das Schloss hin; denn
ein Kreis hoher Windlichter unten an den Stufen des Einganges warf dort einen
seltsamen Schein über die blitzenden Fenster und weit in den Garten hinein.
Es war die Dienerschaft, die soeben ihrer jungen Herrschaft ein Ständchen
brachte. Mitten unter ihnen stand der prächtig aufgeputzte Portier wie ein
Staatsminister vor einem Notenpulte und arbeitete sich emsig an einem Fagott ab.

Wie ich mich soeben zurechtsetzte, um der schönen Serenade zuzuhören, gingen
auf einmal oben auf dem Balkone des Schlosses die Flügeltüren auf. Ein hoher Herr,
schön und stattlich in Uniform und mit vielen funkelnden Sternen, trat auf den
Balkon heraus und an seiner Hand - die schöne junge gnädige Frau, in ganz weißem
Kleide, wie eine Lilie in der Nacht oder wie wenn der Mond über das klare Firmament zöge.

Ich konnte keinen Blick von dem Platze wenden, und Garten, Bäume und Felder gingen
unter vor meinen Sinnen, wie sie so wundersam beleuchtet von den Fackeln hoch und
schlank dastand und bald anmutig mit dem schönen Offizier sprach, bald wieder
freundlich zu den Musikanten herunter nickte. Die Leute unten waren außer sich
vor Freude, und ich hielt mich am Ende auch nicht mehr und schrie immer aus
Leibeskräften Vivat mit.

Als sie aber bald darauf wieder von dem Balkon verschwand, unten eine Fackel
nach der andern verlöschte und die Notenpulte weggeräumt wurden und nun der
Garten ringsumher auch wieder finster wurde und rauschte wie vorher - da merkt
ich erst alles - da fiel es mir auf einmal auf's Herz, dass mich wohl eigentlich
nur die Tante mit den Blumen bestellt hatte, dass die Schöne gar nicht an mich
dachte und lange verheiratet ist, und dass ich selber ein großer Narr war.

Alles das versenkte mich recht in einen Abgrund von Nachsinnen. Ich wickelte mich,
gleich einem Igel, in die Stacheln meiner eigenen Gedanken zusammen; vom Schlosse
schallte die Tanzmusik nur noch seltner herüber, die Wolken wanderten einsam über
den dunkeln Garten weg. Und so saß ich auf dem Baume droben, wie die Nachteule,
in den Ruinen meines Glücks die ganze Nacht hindurch.

Die kühle Morgenluft weckte mich endlich aus meinen Träumereien. Ich erstaunte
ordentlich, wie ich so auf einmal um mich her blickte. Musik und Tanz war lange
vorbei, im Schlosse und rings um das Schloss herum auf dem Rasenplatze und den
steinernen Stufen und Säulen sah alles so still, kühl und feierlich aus; nur
der Springbrunnen vor dem Eingange plätscherte einsam in einem fort. Hin und
her in den Zweigen neben mir erwachten schon die Vögel, schüttelten ihre
bunten Federn und sahen, die kleinen Flügel dehnend, neugierig und verwundert
ihren seltsamen Schlafkameraden an. Fröhlich schweifende Morgenstrahlen funkelten
über den Garten weg auf meine Brust.

Da richtete ich mich in meinem Baume auf und sah seit langer Zeit zum ersten Male
wieder einmal so recht weit in das Land hinaus, wie da schon einzelne Schiffe
auf der Donau zwischen den Weinbergen herabfuhren und die noch leeren Landstraßen
wie Brücken über das schimmernde Land sich fern über die Berge und Täler
hinausschwangen.

Ich weiß nicht, wie es kam - aber mich packte da auf einmal wieder meine ehemalige
Reiselust: alle die alte Wehmut und Freude und große Erwartung. Mir fiel dabei
zugleich ein, wie nun die schöne Frau droben auf dem Schlosse zwischen Blumen
und unter seidnen Decken schlummerte und ein Engel bei ihr auf dem Bette säße
in der Morgenstille. - Nein, rief ich aus, fort muss ich von hier und immer
fort, so weit als der Himmel blau ist!

Und hiermit nahm ich mein Körbchen und warf es hoch in die Luft, sodass es
recht lieblich anzusehen war, wie die Blumen zwischen den Zweigen und auf
dem grünen Rasen unten bunt umherlagen. Dann stieg ich selber schnell herunter
und ging durch den stillen Garten auf meine Wohnung zu. Gar oft blieb ich da
noch stehen auf manchem Plätzchen, wo ich sie sonst wohl einmal gesehen oder
im Schatten liegend an sie gedacht hatte.

In und um mein Häuschen sah alles noch so aus, wie ich es gestern verlassen
hatte. Das Gärtchen war geplündert und wüst, im Zimmer drin lag noch das
große Rechnungsbuch aufgeschlagen, meine Geige, die ich schon fast ganz
vergessen hatte, hing verstaubt an der Wand. Ein Morgenstrahl aber aus
dem gegenüberstehenden Fenster fuhr gerade blitzend über die Saiten. Das
gab einen rechten Klang in meinem Herzen. Ja, sagt ich, komm nur her, du
getreues Instrument! Unser Reich ist nicht von dieser Welt!

Und so nahm ich die Geige von der Wand, ließ Rechnungsbuch, Schlafrock,
Pantoffeln, Pfeifen und Parasol liegen und wanderte, arm wie ich gekommen
war, aus meinem Häuschen und auf der glänzenden Landstraße von dannen.

Ich blickte noch oft zurück; mir war gar seltsam zumute, so traurig und
doch auch wieder so überaus fröhlich, wie ein Vogel, der aus seinem Käfig
ausreißt. Und als ich schon eine weite Strecke gegangen war, nahm ich
draußen im Freien meine Geige vor und sang:
Den lieben Gott lass ich nur walten;
Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
Und Erd und Himmel tut erhalten,
Hat auch mein Sach aufs best bestellt!
|

Das Schloss, der Garten und die Türme von Wien waren schon hinter mir im
Morgenduft versunken, über mir jubilierten unzählige Lerchen hoch in der
Luft; so zog ich zwischen den grünen Bergen und an lustigen Städten und
Dörfern vorbei gen Italien hinunter.