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[Vierter Teil]
Sprung zur Textstelle Unter diesen Umständen übernahm der Doktor Martin Luther das Geschäft, den Kohlhaas ... in den Damm der menschlichen Ordnung zurückzudrücken.
Martin Luther (1483-1546) hat Kohlhaas tatsächlich zum Einlenken zu bewegen versucht, als dieser ihn 1534 in einem (verloren gegangenen) Brief um Rat in seiner Angelegenheit fragte. Ob Kleist den Antwortbrief Luthers gekannt hat, ist ungewiss. Er lautet:
Luther an Hans Kohlhase, Bürger zu Cöln an der Spree
"Gnad und Fried in Christo! Mein guter Freund! Es ist mir fürwahr Euer Unfall leid gewesen, und [ist es] noch, das weiß Gott; und wäre wohl zuerst besser gewesen, die Rache nicht furzunehmen, dieweil dieselbe ohne Beschwerung des Gewissens nicht furgenommen werden mag, weil sie ein selbs eigen Rache ist, welche von Gott verboten ist, Deut. 32. Röm. 12.: Die Rach ist mein, spricht der Herr, ich will vergelten etc., und nicht anders sein kann; denn wer sich darein begibt, der muß sich in die Schanz geben [= muss inkauf nehmen], viel wider Gott und Menschen zu tun, welchs ein christlich Gewissen nicht kann billigen.
Und ist ja wahr, daß Euch Euer Schaden und infamia [= Schmach] billig wehe tun soll, und schuldig seid, dieselbige zu retten und zu erhalten, aber nicht mit Sunden oder Unrecht. Quod iustum est, iuste persequeris [= Was recht ist, danach sollst du streben], sagt Moses; Unrecht wird durch ander Unrecht nicht zurecht bracht. Nu ist Selbsrichter sein und Selbsrichten gewißlich unrecht, und Gottes Zorn läßt es nicht ungestraft. Was Ihr mit Recht ausführen moget, da tut ihr wohl; könnt Ihr das Recht nicht erlangen, so ist kein ander Rat da, denn Unrecht leiden. Und Gott, der Euch also läßt Unrecht leiden, hat wohl Ursach zu Euch. Er meinet es auch nicht übel noch böse mit Euch, kann auch solchs wohl redlich wieder erstatten in einem andern, und seid drumb unverlassen.
Und was wollt Ihr tun, wenn er wohl anders wollt strafen, an Weib, Kind, Leib und Leben? Hie müsset Ihr dennoch, so Ihr ein Christ sein wollt, sagen: Mein lieber Herr Gott, ich hab's wohl verdienet, du bist gerecht, und tust nur allzuwenig nach meinen Sunden. Und was ist unser aller Leiden gegen seins Sohns unsers Herrn Christi Leiden? Demnach, so Ihr meines Rats begehret (wie Ihr schreibet), so rate ich, nehmet Friede an, wo er Euch werden kann, und leidet lieber an Gut und Ehre Schaden, denn daß Ihr Euch weiter sollt begeben in solch Fürnehmen, darin Ihr müsset aller der Sünden und Büberei auf Euch nehmen, so Euch dienen würden zur Fehde; die sind doch nicht fromm, und meinen Euch mit keinen Treuen, suchen ihren Nutz; zuletzt werden sie Euch selbs verraten, so habt Ihr denn wohl gefischet. Malet Ihr ja nicht den Teufel uber die Tür und bittet ihn nicht zu Gevattern, er kömmet dennoch wohl; denn solche Gesellen sind des Teufels Gesindlin, nehmen auch gemeiniglich ihr Ende nach ihren Werken.
Aber Euch ist zu bedenken, wie schwerlich Euer Gewissen ertragen will, so Ihr wissentlich sollet so viel Leute verderben, da Ihr kein Recht zu habet. Setzt Ihr Euch zufrieden, Gott zu Ehren, und lasset Euch Euern Schaden von Gott zugefüget sein und verbeißet's umb seinetwillen, so werdet Ihr sehen, er wird wiederumb Euch segenen und Euer Erbeit [Arbeit, Mühe] reichlich belohnen, daß Euch lieb sei Euer Geduld, so Ihr getragen habt. Dazu helfe Euch Christus unser Herr, Lehrer und Exempel aller Geduld und Helfer in Not, Amen.
[Wittenberg,] Dienstag nach Nicolai 1534."
Benutzte Literatur: Hamacher,  Michael Kohlhaas,
				  Erläuterungen und Dokumente, 2003.
Anders als bei Kleist, wo Luther Kohlhaas auf den Rechtsweg verweist und beim sächsischen Kurfürsten freies Geleit für ihn erwirkt, hat der historische Luther Kohlhaas also nur gemahnt, das erfahrene Unrecht als gottgewollt in Demut anzunehmen, so wie Christus sogar seinen Tod am Kreuz demütig erduldet habe.
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Sprung zur Textstelle Er kehrte unter einem fremden Namen in ein Wirtshaus ein, wo er, sobald die Nacht angebrochen war, ... zu Luthern ins Zimmer trat.
Dieser von Hafftitz erzählte Besuch hat wahrscheinlich nicht stattgefunden. Kleist wandelt ihn seiner Quelle gegenüber auch stark ab, insofern dort Luther gleich mehrere Theologen zu einer Konferenz zu sich holt, um gemeinschaftlich mit ihnen Kohlhaasens Fall zu beraten. Das erschien Kleist offenbar ebenso unwahrscheinlich wie die Kohlhaas am Schluss erteilte Absolution, die deshalb in seiner Darstellung von Luther diesem gerade verweigert wird. Besonders hier zeigt sich, dass Kleist seinen Quellen gegenüber keineswegs unkritisch war.
Sprung zur Textstelle Kohlhaas antwortete: "Kann sein!", indem er ans Fenster trat, "kann sein auch nicht! Hätte ich gewusst, dass ich sie mit Blut aus dem Herzen meiner lieben Frau würde auf die Beine bringen müssen, kann sein, ich hätte getan, wie Ihr gesagt ..."
Kleist knüpft hier - sicherlich unbewusst - an eine Stelle aus Schillers "Wallensteins Tod" an. Im 5. Akt, 5. Szene sagt Wallenstein bezüglich seines Abfalls vom Kaiser zu Gordon:
Hätt' ich vorher gewusst, was nun geschehn,
Dass es den liebsten Freund mir würde kosten,
und hätte mir das Herz wie jetzt gesprochen -
Kann sein, ich hätte mich bedacht - kann sein
Auch nicht -
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Sprung zur Textstelle ... so entschloss sich der Kurfürst ohne weiteren Anstand den Rat, den ihm der Doktor Luther erteilt, anzunehmen.
Abgesehen davon, dass Luther dem sächsischen Kurfürsten keinen solchen Rat erteilt hat (der hätte auch wohl an dessen Verstand gezweifelt), hat überhaupt die ganze bei Kleist nun folgende Entwicklung keinerlei Entsprechung in der historischen Kohlhaas-Geschichte.