Heinrich von Kleist: "Michael Kohlhaas" (1810) Zur Übersicht Zur Synopse Zur Einzelebene Druck
[Vierter Teil: Wie sich Doktor Luther einschaltete]
Unter diesen Umständen übernahm der Doktor Martin Luther das Geschäft, den Kohlhaas durch die Kraft beschwichtigender Worte von dem Ansehn, das ihm seine Stellung in der Welt gab, unterstützt, in den Damm der menschlichen Ordnung zurückzudrücken, und auf ein tüchtiges Element in der Brust des Mordbrenners bauend, erließ er ein Plakat folgenden Inhalts an ihn, das in allen Städten und Flecken des Kurfürstentums angeschlagen ward:
»Kohlhaas, der du dich gesandt zu sein vorgibst, das Schwert der Gerechtigkeit zu handhaben, was unterfängst du dich, Vermessener, im Wahnsinn stockblinder Leidenschaft, du, den Ungerechtigkeit selbst vom Wirbel bis zur Sohle erfüllt? Weil der Landesherr dir, dem du untertan bist, dein Recht verweigert hat, dein Recht in dem Streit um ein nichtiges Gut, erhebst du dich, Heilloser, mit Feuer und Schwert und brichst wie der Wolf der Wüste in die friedliche Gemeinheit, die er beschirmt. Du, der die Menschen mit dieser Angabe voll Unwahrhaftigkeit und Arglist verführt, meinst du, Sünder, vor Gott dereinst an dem Tage, der in die Falten aller Herzen scheinen wird, damit auszukommen? Wie kannst du sagen, dass dir dein Recht verweigert worden ist, du, dessen grimmige Brust, vom Kitzel schnöder Selbstrache gereizt, nach den ersten, leichtfertigen Versuchen, die dir gescheitert, die Bemühung gänzlich aufgegeben hat, es dir zu verschaffen? Ist eine Bank voll Gerichtsdienern und Schergen, die einen Brief, der gebracht wird, unterschlagen oder ein Erkenntnis, das sie abliefern sollen, zurückhalten, deine Obrigkeit? Und muss ich dir sagen, Gottvergessener, dass deine Obrigkeit von deiner Sache nichts weiß - was sag ich, dass der Landesherr, gegen den du dich auflehnst, auch deinen Namen nicht kennt dergestalt, dass wenn dereinst du vor Gottes Thron trittst, in der Meinung, ihn anzuklagen, er, heiteren Antlitzes, wird sprechen können: 'Diesem Mann, Herr, tat ich kein Unrecht, denn sein Dasein ist meiner Seele fremd?' Das Schwert, wisse, das du führst, ist das Schwert des Raubes und der Mordlust, ein Rebell bist du und kein Krieger des gerechten Gottes, und dein Ziel auf Erden ist Rad und Galgen und jenseits die Verdammnis, die über die Missetat und die Gottlosigkeit verhängt ist.
Wittenberg, usw.
Martin Luther.«
Kohlhaas wälzte eben auf dem Schlosse zu Lützen einen neuen Plan, Leipzig einzuäschern, in seiner zerrissenen Brust herum - denn auf die in den Dörfern angeschlagene Nachricht, dass der Junker Wenzel in Dresden sei, gab er nichts, weil sie von niemand, geschweige denn vom Magistrat, wie er verlangt hatte, unterschrieben war -, als Sternbald und Waldmann das Plakat, das zur Nachtzeit an den Torweg des Schlosses angeschlagen worden war, zu ihrer großen Bestürzung bemerkten. Vergebens hofften sie durch mehrere Tage, dass Kohlhaas, den sie nicht gern deshalb antreten wollten, es erblicken würde; finster und in sich gekehrt in der Abendstunde erschien er zwar, aber bloß, um seine kurzen Befehle zu geben, und sah nichts, dergestalt, dass sie an einem Morgen, da er ein paar Knechte, die in der Gegend wider seinen Willen geplündert hatten, aufknöpfen lassen wollte, den Entschluss fassten, ihn darauf aufmerksam zu machen. Eben kam er, während das Volk von beiden Seiten schüchtern auswich, in dem Aufzuge, der ihm seit seinem letzten Mandat gewöhnlich war, von dem Richtplatz zurück, ein großes Cherubsschwert auf einem rotledernen Kissen mit Quasten von Gold verziert ward ihm vorangetragen und zwölf Knechte mit brennenden Fackeln folgten ihm, da traten die beiden Männer, ihre Schwerter unter dem Arm so, dass es ihn befremden musste, um den Pfeiler, an welchen das Plakat angeheftet war, herum. Kohlhaas, als er mit auf dem Rücken zusammengelegten Händen, in Gedanken vertieft, unter das Portal kam, schlug die Augen auf und stutzte; und da die Knechte bei seinem Anblick ehrerbietig auswichen, so trat er, indem er sie zerstreut ansah, mit einigen raschen Schritten an den Pfeiler heran. Aber wer beschreibt, was in seiner Seele vorging, als er das Blatt, dessen Inhalt ihn der Ungerechtigkeit zieh, daran erblickte, unterzeichnet von dem teuersten und verehrungswürdigsten Namen, den er kannte, von dem Namen Martin Luthers! Eine dunkle Röte stieg in sein Antlitz empor; er durchlas es, indem er den Helm abnahm, zweimal von Anfang bis zu Ende, wandte sich mit ungewissen Blicken mitten unter die Knechte zurück, als ob er etwas sagen wollte, und sagte nichts, löste das Blatt von der Wand los, durchlas es noch einmal und rief: »Waldmann! Lass mir mein Pferd satteln!«, sodann: »Sternbald, folge mir ins Schloss!«, und verschwand. Mehr als dieser wenigen Worte bedurfte es nicht, um ihn in der ganzen Verderblichkeit, in der er dastand, plötzlich zu entwaffnen. Er warf sich in die Verkleidung eines thüringischen Landpächters, sagte Sternbald, dass ein Geschäft von bedeutender Wichtigkeit ihn nach Wittenberg zu reisen nötige, übergab ihm in Gegenwart einiger der vorzüglichsten Knechte die Anführung des in Lützen zurückbleibenden Haufens und zog unter der Versicherung, dass er in drei Tagen, binnen welcher Zeit kein Angriff zu fürchten sei, wieder zurück sein werde, nach Wittenberg ab.
Er kehrte unter einem fremden Namen in ein Wirtshaus ein, wo er, sobald die Nacht angebrochen war, in seinem Mantel und mit einem Paar Pistolen versehen, die er in der Tronkenburg erbeutet hatte, zu Luthern ins Zimmer trat. Luther, der unter Schriften und Büchern an seinem Pulte saß und den fremden besonderen Mann die Tür öffnen und hinter sich verriegeln sah, fragte ihn, wer er sei und was er wolle; und der Mann, der seinen Hut ehrerbietig in der Hand hielt, hatte nicht so bald mit dem schüchternen Vorgefühl des Schreckens, den er verursachen würde, erwidert, dass er Michael Kohlhaas, der Rosshändler sei, als Luther schon: »Weiche fern hinweg!«, ausrief und, indem er vom Pult erstehend nach einer Klingel eilte, hinzusetzte: »Dein Odem ist Pest und deine Nähe Verderben!« Kohlhaas, indem er, ohne sich vom Platz zu regen, sein Pistol zog, sagte: »Hochwürdiger, dies Pistol, wenn Ihr die Klingel rührt, streckt mich leblos zu Euren Füßen nieder! Setzt Euch und hört mich an; unter den Engeln, deren Psalmen Ihr aufschreibt, seid Ihr nicht sicherer als bei mir.« Luther, indem er sich niedersetzte, fragte: »Was willst du?« Kohlhaas erwiderte: »Eure Meinung von mir, dass ich ein ungerechter Mann sei, widerlegen! Ihr habt mir in Eurem Plakat gesagt, dass meine Obrigkeit von meiner Sache nichts weiß; wohlan, verschafft mir freies Geleit, so gehe ich nach Dresden und lege sie ihr vor.« - »Heilloser und entsetzlicher Mann!«, rief Luther, durch diese Worte verwirrt zugleich und beruhigt: »Wer gab dir das Recht, den Junker von Tronka in Verfolg eigenmächtiger Rechtsschlüsse zu überfallen und, da du ihn auf seiner Burg nicht fandst, mit Feuer und Schwert die ganze Gemeinschaft heimzusuchen, die ihn beschirmt?« Kohlhaas erwiderte: »Hochwürdiger Herr, niemand fortan! Eine Nachricht, die ich aus Dresden erhielt, hat mich getäuscht, mich verführt! Der Krieg, den ich mit der Gemeinheit der Menschen führe, ist eine Missetat, sobald ich aus ihr nicht, wie Ihr mir die Versicherung gegeben habt, verstoßen war!« - »Verstoßen!«, rief Luther, indem er ihn ansah. »Welch eine Raserei der Gedanken ergriff dich? Wer hätte dich aus der Gemeinschaft des Staats, in welchem du lebtest, verstoßen? Ja, wo ist, so lange Staaten bestehen, ein Fall, dass jemand, wer es auch sei, daraus verstoßen worden wäre?« - »Verstoßen«, antwortete Kohlhaas, indem er die Hand zusammendrückte, »nenne ich den, dem der Schutz der Gesetze versagt ist! Denn dieses Schutzes zum Gedeihen meines friedlichen Gewerbes bedarf ich; ja, er ist es, dessenhalb ich mich mit dem Kreis dessen, was ich erworben, in diese Gemeinschaft flüchte; und wer mir ihn versagt, der stößt mich zu den Wilden der Einöde hinaus; er gibt mir, wie wollt Ihr das leugnen, die Keule, die mich selbst schützt, in die Hand.« - »Wer hat dir den Schutz der Gesetze versagt?«, rief Luther. »Schrieb ich dir nicht, dass die Klage, die du eingereicht, dem Landesherrn, dem du sie eingereicht, fremd ist? Wenn Staatsdiener hinter seinem Rücken Prozesse unterschlagen oder sonst seines geheiligten Namens in seiner Unwissenheit spotten, wer anders als Gott darf ihn wegen der Wahl solcher Diener zur Rechenschaft ziehen, und bist du, gottverdammter und entsetzlicher Mensch, befugt, ihn deshalb zu richten?« - »Wohlan«, versetzte Kohlhaas, »wenn mich der Landesherr nicht verstößt, so kehre ich auch wieder in die Gemeinschaft, die er beschirmt, zurück. Verschafft mir, ich wiederhol es, freies Geleit nach Dresden, so lasse ich den Haufen, den ich im Schloss zu Lützen versammelt, auseinandergehen und bringe die Klage, mit der ich abgewiesen worden bin, noch einmal bei dem Tribunal des Landes vor.« -
Luther, mit einem verdrießlichen Gesicht, warf die Papiere, die auf seinem Tisch lagen, übereinander und schwieg. Die trotzige Stellung, die dieser seltsame Mensch im Staat einnahm, verdross ihn; und den Rechtsschluss, den er von Kohlhaasenbrück aus an den Junker erlassen, erwägend, fragte er, was er denn von dem Tribunal zu Dresden verlange. Kohlhaas antwortete: »Bestrafung des Junkers, den Gesetzen gemäß Wiederherstellung der Pferde in den vorigen Stand und Ersatz des Schadens, den ich sowohl als mein bei Mühlberg gefallener Knecht Herse durch die Gewalttat, die man an uns verübte, erlitten.« - Luther rief: »Ersatz des Schadens! Summen zu Tausenden bei Juden und Christen auf Wechseln und Pfändern hast du zur Bestreitung deiner wilden Selbstrache aufgenommen. Wirst du den Wert auch auf der Rechnung, wenn es zur Nachfrage kommt, ansetzen?« - »Gott behüte!«, erwiderte Kohlhaas. »Haus und Hof und den Wohlstand, den ich besessen, fordere ich nicht zurück, so wenig als die Kosten des Begräbnisses meiner Frau! Hersens alte Mutter wird eine Berechnung der Heilkosten und eine Spezifikation dessen, was ihr Sohn in der Tronkenburg eingebüßt, beibringen; und den Schaden, den ich wegen Nichtverkaufs der Rappen erlitten, mag die Regierung durch einen Sachverständigen abschätzen lassen.« - Luther sagte: »Rasender, unbegreiflicher und entsetzlicher Mensch!«, und sah ihn an. »Nachdem dein Schwert sich an dem Junker Rache, die grimmigste, genommen, die sich erdenken lässt, was treibt dich, auf ein Erkenntnis gegen ihn zu bestehen, dessen Schärfe, wenn es zuletzt fällt, ihn mit einem Gewicht von so geringer Erheblichkeit nur trifft?« - Kohlhaas erwiderte, indem ihm eine Träne über die Wangen rollte: »Hochwürdiger Herr! Es hat mich meine Frau gekostet; Kohlhaas will der Welt zeigen, dass sie in keinem ungerechten Handel umgekommen ist. Fügt Euch in diesen Stücken meinem Willen und lasst den Gerichtshof sprechen; in allem anderen, was sonst noch streitig sein mag, füge ich mich Euch.« -
Luther sagte: »Schau her, was du forderst, wenn anders die Umstände so sind, wie die öffentliche Stimme hören lässt, ist gerecht; und hättest du den Streit, bevor du eigenmächtig zur Selbstrache geschritten, zu des Landesherrn Entscheidung zu bringen gewusst, so wäre dir deine Forderung, zweifle ich nicht, Punkt vor Punkt bewilligt worden. Doch hättest du nicht, alles wohl erwogen, besser getan, du hättest um deines Erlösers willen dem Junker vergeben, die Rappen, dürre und abgehärmt, wie sie waren, bei der Hand genommen, dich aufgesetzt und zur Dickfütterung in deinen Stall nach Kohlhaasenbrück heimgeritten?« - Kohlhaas antwortete: »Kann sein!«, indem er ans Fenster trat, »kann sein auch nicht! Hätte ich gewusst, dass ich sie mit Blut aus dem Herzen meiner lieben Frau würde auf die Beine bringen müssen, kann sein, ich hätte getan, wie Ihr gesagt, hochwürdiger Herr, und einen Scheffel Hafer nicht gescheut! Doch weil sie mir einmal so teuer zu stehen gekommen sind, so habe es denn, meine ich, seinen Lauf; lasst das Erkenntnis, wie es mir zukömmt, sprechen und den Junker mir die Rappen auffüttern.« -
Luther sagte, indem er unter mancherlei Gedanken wieder zu seinen Papieren griff, er wolle mit dem Kurfürsten seinethalben in Unterhandlung treten. Inzwischen möchte er sich auf dem Schlosse zu Lützen still halten; wenn der Herr ihm freies Geleit bewillige, so werde man es ihm auf dem Wege öffentlicher Anplackung bekannt machen. - »Zwar«, fuhr er fort, da Kohlhaas sich herabbog, um seine Hand zu küssen, ob der Kurfürst Gnade für Recht ergehen lassen wird, weiß ich nicht; denn einen Heerhaufen, vernehm ich, zog er zusammen und steht im Begriff, dich im Schlosse zu Lützen aufzuheben, inzwischen, wie ich dir schon gesagt habe, an meinem Bemühen soll es nicht liegen.« Und damit stand er auf und machte Anstalt, ihn zu entlassen. Kohlhaas meinte, dass seine Fürsprache ihn über diesen Punkt völlig beruhige, worauf Luther ihn mit der Hand grüßte, jener aber plötzlich ein Knie vor ihm senkte und sprach, er habe noch eine Bitte auf seinem Herzen. Zu Pfingsten nämlich, wo er an den Tisch des Herrn zu gehen pflege, habe er die Kirche dieser seiner kriegerischen Unternehmungen wegen versäumt, ob er die Gewogenheit haben wolle, ohne weitere Vorbereitung seine Beichte zu empfangen und ihm zur Auswechselung dagegen die Wohltat des heiligen Sakraments zu erteilen. Luther, nach einer kurzen Besinnung, indem er ihn scharf ansah, sagte: »Ja, Kohlhaas, das will ich tun! Der Herr aber, dessen Leib du begehrst, vergab seinem Feind. - Willst du«, setzte er, da jener ihn betreten ansah, hinzu, »dem Junker, der dich beleidigt hat, gleichfalls vergeben, nach der Tronkenburg gehen, dich auf deine Rappen setzen und sie zur Dickfütterung nach Kohlhaasenbrück heimreisen?« - »Hochwürdiger Herr«, sagte Kohlhaas errötend, indem er seine Hand ergriff, - »Nun?« - »der Herr auch vergab allen seinen Feinden nicht. Lasst mich den Kurfürsten, meinen beiden Herren, dem Schlossvogt und Verwalter, den Herren Hinz und Kunz, und wer mich sonst in dieser Sache gekränkt haben mag, vergeben, den Junker aber, wenn es sein kann, nötigen, dass er mir die Rappen wieder dick füttere.« -
Bei diesen Worten kehrte ihm Luther mit einem missvergnüglichen Blick den Rücken zu und zog die Klingel. Kohlhaas, während, dadurch herbeigerufen, ein Famulus sich mit Licht in dem Vorsaal meldete, stand betreten, indem er sich die Augen trocknete, vom Boden auf; und da der Famulus vergebens, weil der Riegel vorgeschoben war, an der Türe wirkte, Luther aber sich wieder zu seinen Papieren niedergesetzt hatte, so machte Kohlhaas dem Mann die Türe auf. Luther mit einem kurzen, auf den fremden Mann gerichteten Seitenblick sagte dem Famulus: »Leuchte!«, worauf dieser über den Besuch, den er erblickte, ein wenig befremdet den Hausschlüssel von der Wand nahm und sich, auf die Entfernung desselben wartend, unter die halb offene Tür des Zimmers zurückbegab. - Kohlhaas sprach, indem er seinen Hut bewegt zwischen beide Hände nahm: »Und so kann ich, hochwürdigster Herr, der Wohltat, versöhnt zu werden, die ich mir von Euch erbat, nicht teilhaftig werden?« Luther antwortete kurz: »Deinem Heiland, nein, dem Landesherrn - das bleibt einem Versuch, wie ich dir versprach, vorbehalten!« Und damit winkte er dem Famulus, das Geschäft, das er ihm aufgetragen, ohne weiteren Aufschub abzumachen. Kohlhaas legte mit dem Ausdruck schmerzlicher Empfindung seine beiden Hände auf die Brust, folgte dem Mann, der ihm die Treppe hinunterleuchtete, und verschwand.
Am anderen Morgen erließ Luther ein Sendschreiben an den Kurfürsten von Sachsen, worin er nach einem bitteren Seitenblick auf die seine Person umgebenden Herren Hinz und Kunz, Kämmerer und Mundschenk von Tronka, welche die Klage, wie allgemein bekannt war, untergeschlagen hatten, dem Herrn mit der Freimütigkeit, die ihm eigen war, eröffnete, dass bei so ärgerlichen Umständen nichts anderes zu tun übrig sei, als den Vorschlag des Rosshändlers anzunehmen und ihm des Vorgefallenen wegen zur Erneuerung seines Prozesses Amnestie zu erteilen. Die öffentliche Meinung, bemerkte er, sei auf eine höchst gefährliche Weise auf dieses Mannes Seite, dergestalt, dass selbst in dem dreimal von ihm eingeäscherten Wittenberg eine Stimme zu seinem Vorteil spreche; und da er sein Anerbieten, falls er damit abgewiesen werden sollte, unfehlbar unter gehässigen Bemerkungen zur Wissenschaft des Volks bringen würde, so könne dasselbe leicht in dem Grade verführt werden, dass mit der Staatsgewalt gar nichts mehr gegen ihn auszurichten sei. Er schloss, dass man in diesem außerordentlichen Fall über die Bedenklichkeit mit einem Staatsbürger, der die Waffen ergriffen, in Unterhandlung zu treten, hinweggehen müsse, dass derselbe in der Tat durch das Verfahren, das man gegen ihn beobachtet, auf gewisse Weise außer der Staatsverbindung gesetzt worden sei und kurz, dass man ihn, um aus dem Handel zu kommen, mehr als eine fremde, in das Land gefallene Macht, wozu er sich auch, da er ein Ausländer sei, gewissermaßen qualifiziere, als einen Rebellen, der sich gegen den Thron auflehne, betrachten müsse. -
Der Kurfürst erhielt diesen Brief eben, als der Prinz Christiern von Meißen, Generalissimus des Reichs, Oheim des bei Mühlberg geschlagenen und an seinen Wunden noch daniederliegenden Prinzen Friedrich von Meißen, der Großkanzler des Tribunals, Graf Wrede, Graf Kallheim, Präsident der Staatskanzlei, und die beiden Herren Hinz und Kunz von Tronka, dieser Kämmerer, jener Mundschenk, die Jugendfreunde und Vertrauten des Herrn, in dem Schlosse gegenwärtig waren.
Der Kämmerer, Herr Kunz, der in der Qualität eines Geheimrates des Herrn geheime Korrespondenz mit der Befugnis, sich seines Namens und Wappens zu bedienen, besorgte, nahm zuerst das Wort, und nachdem er noch einmal weitläufig auseinandergelegt hatte, dass er die Klage, die der Rosshändler gegen den Junker, seinen Vetter, bei dem Tribunal eingereicht, nimmermehr durch eine eigenmächtige Verfügung niedergeschlagen haben würde, wenn er sie nicht, durch falsche Angaben verführt, für eine völlig grundlose und nichtsnutzige Plackerei gehalten hätte, kam er auf die gegenwärtige Lage der Dinge. Er bemerkte, dass weder nach göttlichen noch menschlichen Gesetzen der Rosskamm um dieses Missgriffs willen befugt gewesen wäre, eine so ungeheure Selbstrache, als er sich erlaubt, auszuüben, schilderte den Glanz, der durch eine Verhandlung mit demselben als einer rechtlichen Kriegsgewalt auf sein gottverdammtes Haupt falle; und die Schmach, die dadurch auf die geheiligte Person des Kurfürsten zurückspringe, schien ihm so unerträglich, dass er im Feuer der Beredsamkeit lieber das Äußerste erleben, den Rechtsschluss des rasenden Rebellen erfüllt und den Junker, seinen Vetter, zur Dickfütterung der Rappen nach Kohlhaasenbrück abgeführt sehen als den Vorschlag, den der Doktor Luther gemacht, angenommen wissen wollte.
Der Großkanzler des Tribunals, Graf Wrede, äußerte, halb zu ihm gewandt, sein Bedauern, dass eine so zarte Sorgfalt, als er bei der Auflösung dieser allerdings misslichen Sache für den Ruhm des Herrn zeige, ihn nicht bei der ersten Veranlassung derselben erfüllt hätte. Er stellte dem Kurfürsten sein Bedenken vor, die Staatsgewalt zur Durchsetzung einer offenbar unrechtlichen Maßregel in Anspruch zu nehmen, bemerkte mit einem bedeutenden Blick auf den Zulauf, den der Rosshändler fortdauernd im Lande fand, dass der Faden der Freveltaten sich auf diese Weise ins Unendliche fortzuspinnen drohe, und erklärte, dass nur ein schlichtes Rechttun, indem man unmittelbar und rücksichtslos den Fehltritt, den man sich zuschulden kommen lassen, wieder gut machte, ihn abreißen und die Regierung glücklich aus diesem hässlichen Handel herausziehen könne.
Der Prinz Christiern von Meißen, auf die Frage des Herrn, was er davon halte, äußerte, mit Verehrung gegen den Großkanzler gewandt, die Denkungsart, die er an den Tag lege, erfülle ihn zwar mit dem größesten Respekt, indem er aber dem Kohlhaas zu seinem Recht verhelfen wolle, bedenke er nicht, dass er Wittenberg und Leipzig und das ganze durch ihn misshandelte Land in seinem gerechten Anspruch auf Schadenersatz oder wenigstens Bestrafung beeinträchtige. Die Ordnung des Staats sei in Beziehung auf diesen Mann so verrückt, dass man sie schwerlich durch einen Grundsatz, aus der Wissenschaft des Rechts entlehnt, werde einrenken können. Daher stimme er nach der Meinung des Kämmerers dafür, das Mittel, das für solche Fälle eingesetzt sei, ins Spiel zu ziehen, einen Kriegshaufen von hinreichender Größe zusammenzuraffen und den Rosshändler, der in Lützen aufgepflanzt sei, damit aufzuheben oder zu erdrücken. Der Kämmerer, indem er für ihn und den Kurfürsten Stühle von der Wand nahm und auf eine verbindliche Weise ins Zimmer setzte, sagte, er freue sich, dass ein Mann von seiner Rechtschaffenheit und Einsicht mit ihm in dem Mittel, diese Sache zweideutiger Art beizulegen, übereinstimme. Der Prinz, indem er den Stuhl, ohne sich zu setzen, in der Hand hielt und ihn ansah, versicherte ihn, dass er gar nicht Ursache hätte, sich deshalb zu freuen, indem die damit verbundene Maßregel notwendig die wäre, einen Verhaftungsbefehl vorher gegen ihn zu erlassen und wegen Missbrauchs des landesherrlichen Namens den Prozess zu machen. Denn wenn Notwendigkeit erfordere, den Schleier vor dem Thron der Gerechtigkeit niederzulassen über eine Reihe von Freveltaten, die unabsehbar, wie sie sich forterzeugt, vor den Schranken desselben zu erscheinen, nicht mehr Raum fänden, so gelte das nicht von der ersten, die sie veranlasst, und allererst seine Anklage auf Leben und Tod könne den Staat zur Zermalmung des Rosshändlers bevollmächtigen, dessen Sache, wie bekannt, sehr gerecht sei und dem man das Schwert, das er führe, selbst in die Hand gegeben.
Der Kurfürst, den der Junker bei diesen Worten betroffen ansah, wandte sich, indem er über das ganze Gesicht rot ward, und trat ans Fenster. Der Graf Kallheim, nach einer verlegenen Pause von allen Seiten, sagte, dass man auf diese Weise aus dem Zauberkreise, in dem man befangen, nicht herauskäme. Mit demselben Rechte könne seinem Neffen, dem Prinzen Friedrich, der Prozess gemacht werden; denn auch er hätte auf dem Streifzug sonderbarer Art, den er gegen den Kohlhaas unternommen, seine Instruktion auf mancherlei Weise überschritten, dergestalt, dass wenn man nach der weitläufigen Schar derjenigen frage, die die Verlegenheit, in welcher man sich befinde, veranlasst, er gleichfalls unter die Zahl derselben würde benannt und von dem Landesherrn wegen dessen, was bei Mühlberg vorgefallen, zur Rechenschaft gezogen werden müssen.
Der Mundschenk, Herr Hinz von Tronka, während der Kurfürst mit ungewissen Blicken an seinen Tisch trat, nahm das Wort und sagte, er begriffe nicht, wie der Staatsbeschluss, der zu fassen sei, Männern von solcher Weisheit, als hier versammelt wären, entgehen könne. Der Rosshändler habe seines Wissens gegen bloß freies Geleit nach Dresden und erneuerte Untersuchung seiner Sache versprochen, den Haufen, mit dem er in das Land gefallen, auseinandergehen zu lassen. Daraus aber folge nicht, dass man ihm wegen dieser frevelhaften Selbstrache Amnestie erteilen müsse, zwei Rechtsbegriffe, die der Doktor Luther sowohl als auch der Staatsrat zu verwechseln scheine. Wenn, fuhr er fort, indem er den Finger an die Nase legte, bei dem Tribunal zu Dresden, gleichviel wie, das Erkenntnis der Rappen wegen gefallen ist, so hindert nichts, den Kohlhaas auf den Grund seiner Mordbrennereien und Räubereien einzustecken, eine staatskluge Wendung, die die Vorteile der Ansichten beider Staatsmänner vereinigt und des Beifalls der Welt und Nachwelt gewiss ist. -
Der Kurfürst, da der Prinz sowohl als der Großkanzler dem Mundschenk, Herrn Hinz, auf diese Rede mit einem bloßen Blick antworteten und die Verhandlung mithin geschlossen schien, sagte, dass er die verschiedenen Meinungen, die sie ihm vorgetragen, bis zur nächsten Sitzung des Staatsrats bei sich selbst überlegen würde. - Es schien die Präliminar-Maßregel, deren der Prinz gedacht, hatte seinem für Freundschaft sehr empfänglichen Herzen die Lust benommen, den Heereszug gegen den Kohlhaas, zu welchem schon alles vorbereitet war, auszuführen. Wenigstens behielt er den Großkanzler, Grafen Wrede, dessen Meinung ihm die zweckmäßigste schien, bei sich zurück; und da dieser ihm Briefe vorzeigte, aus welchen hervorging, dass der Rosshändler in der Tat schon zu einer Stärke von vierhundert Mann herangewachsen sei, ja, bei der allgemeinen Unzufriedenheit, die wegen der Unziemlichkeiten des Kämmerers im Lande herrschte, in Kurzem auf eine doppelte und dreifache Stärke rechnen könne, so entschloss sich der Kurfürst ohne weiteren Anstand den Rat, den ihm der Doktor Luther erteilt, anzunehmen. Dem gemäß übergab er dem Grafen Wrede die ganze Leitung der Kohlhaasischen Sache; und schon nach wenigen Tagen erschien ein Plakat, das wir dem Hauptinhalt nach folgendermaßen mitteilen:
»Wir etc, etc. Kurfürst von Sachsen, erteilen in besonders gnädiger Rücksicht auf die an Uns ergangene Fürsprache des Doktors Martin Luther dem Michael Kohlhaas, Rosshändler aus dem Brandenburgischen, unter der Bedingung, binnen drei Tagen nach Sicht die Waffen, die er ergriffen, niederzulegen, behufs einer erneuerten Untersuchung seiner Sache freies Geleit nach Dresden, dergestalt zwar, dass, wenn derselbe, wie nicht zu erwarten, bei dem Tribunal zu Dresden mit seiner Klage der Rappen wegen abgewiesen werden sollte, gegen ihn seines eigenmächtigen Unternehmens wegen, sich selbst Recht zu verschaffen, mit der ganzen Strenge des Gesetzes verfahren werden solle, im entgegengesetzten Fall aber ihm mit seinem ganzen Haufen Gnade für Recht bewilligt und völlige Amnestie seiner in Sachsen ausgeübten Gewalttätigkeiten wegen zugestanden sein solle.«