[Erster Teil]
Er besaß in einem Dorfe, das noch von ihm den Namen führt, einen Meierhof ...
Die heute zu Potsdam gehörende Siedlung Kohlhasenbrück erhielt ihren Namen nach einem dort von Hans Kohlhase 1539 verübten
Anschlag auf einen Silbertransport des brandenburgischen Kurfürsten. Kohlhase versenkte das Silber unter einer Brücke über die
Beke, ein Nebengewässer der Havel, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Teltowkanal aufging. Ein Dorf gab und gibt es an dieser Stelle
nicht, Hans Kohlhase stammte aus Cölln, dem heutigen Berlin-Neukölln.
In unauffälliger Umkehr der Namensherkunft - das Dorf führe
von ihm
den Namen - lässt Kleist im Weiteren aber immer wieder schon auch seinen Michael Kohlhaas in Kohlhaasenbrück leben, etwa in der
Feststellung, dass er
bei seiner Ankunft in Kohlhaasenbrück Lisbeth, sein treues Weib, umarmt habe
(siehe
5. ABSATZ). Und am Ende gar wird das Dorf zu dem Ort,
nach welchem der
Rosshändler heiße (siehe
SIEBENTER TEIL), sodass nun nicht mehr der Ort
seinen Namen von Kohlhaas hat, sondern umgekehrt Kohlhaas seinen Namen von dem Ort. Dass er den Nachruhm seines Helden damit logisch
verringert, dürfte sich Kleist kaum klargemacht haben.
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Die Gegend um Kohlhasenbrück um 1800
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... als er an die Elbe kam und bei einer stattlichen Ritterburg auf sächsischem Gebiete einen Schlagbaum traf ...
Eine 'Tronkenburg' gibt es an der Elbe nicht, doch ist sie nicht allzu weit von Dresden weg anzunehmen. Zum einen wird
von Berlin her die Elbe erst nahe bei Dresden erreicht, zum anderen will Kohlhaas von dort, als er sich wegen der Pferde
von den Tronkas übervorteilt fühlt, sofort nach Dresden zurückreiten, was nur bei einer kürzeren
Entfernung wahrscheinlich ist:
Spornstreichs auf dem Wege nach Dresden war er schon, als er ... sein Pferd, ehe er noch tausend Schritt gemacht hatte, wieder
wandte ...
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Der Handlungsraum zwischen Berlin und Dresden
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... und setzte seine Reise mit dem Rest der Koppel ... nach Leipzig, wo er auf die Messe wollte, fort.
Das Ziel Leipzig ist hier geographisch so unstimmig, dass man die Angabe am besten ignoriert, zumal sich der Aufenthalt in Dresden unmittelbar
anschließt. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Übernahme aus der Ursprungsgeschichte, in der Hans Kohlhase auf dem Weg
zur Messe nach Leipzig - bei Schnaditz - durch den Landadligen Günther von Zaschwitz um zwei Pferde gebracht wird.
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In Dresden, wo er in einer der Vorstädte der Stadt ein Haus mit einigen Ställen besaß, weil er von hier aus seinen Handel
auf den kleineren Märkten des Landes zu bestreiten pflegte ...
Die Kennzeichnung Dresdens als einer Stadt mit verschiedenen Vorstädten entspricht in keiner Weise der Stadtgröße im 16. Jahrhundert,
wie schon 1821 Ludwig Tieck in einer Besprechung der Novelle bemerkt hat: "Dresden schildert er uns ganz nach seiner jetzigen
Gestalt, da die Altstadt damals so gut wie nicht existierte ..." Kleist jedoch war dieser Unterschied nicht bewusst, sodass man sich zur
Verdeutlichung seiner Vorstellungen an das Stadtbild des 18. Jahrhunderts halten kann und muss.