[Siebenter Teil: Wie Michael Kohlhaas sich an dem sächsischen Kurfürsten rächte]
So standen die Sachen für den armen Kohlhaas in Dresden, als der Kurfürst von Brandenburg zu seiner Rettung aus den
Händen der Übermacht und Willkür auftrat und ihn in einer bei der kurfürstlichen Staatskanzlei daselbst
eingereichten Note als brandenburgischen Untertan reklamierte. Denn der wackere Stadthauptmann, Herr Heinrich von Geusau,
hatte ihn auf einem Spaziergange an den Ufern der Spree von der Geschichte dieses sonderbaren und nicht verwerflichen Mannes
unterrichtet, bei welcher Gelegenheit er von den Fragen des erstaunten Herrn gedrängt, nicht umhin konnte, der Schuld zu
erwähnen, die durch die Unziemlichkeiten seines Erzkanzlers, des Grafen Siegfried von Kallheim, seine eigene Person
drückte, worüber der Kurfürst schwer entrüstet den Erzkanzler, nachdem er ihn zur Rede gestellt und
befunden, dass die Verwandtschaft desselben mit dem Hause derer von Tronka an allem schuld sei, ohne weiteres mit mehreren
Zeichen seiner Ungnade entsetzte und den Herrn Heinrich von Geusau zum Erzkanzler ernannte.
Es traf sich aber, dass die Krone Polen grade damals, indem
sie mit dem Hause Sachsen, um welchen Gegenstandes willen wissen wir
nicht, im Streit lag, den Kurfürsten von Brandenburg in wiederholten und dringenden Vorstellungen anging, sich mit ihr in gemeinschaftlicher
Sache gegen das Haus Sachsen zu verbinden, dergestalt, dass der Erzkanzler, Herr Geusau, der in solchen Dingen nicht ungeschickt war,
wohl hoffen durfte, den Wunsch seines Herrn, dem Kohlhaas, es koste was es wolle, Gerechtigkeit zu verschaffen, zu erfüllen, ohne
die Ruhe des Ganzen auf eine misslichere Art, als die Rücksicht auf einen einzelnen erlaubt, aufs Spiel zu setzen. Demnach forderte
der Erzkanzler nicht nur wegen gänzlich willkürlichen, Gott und Menschen missgefälligen Verfahrens die unbedingte und
ungesäumte Auslieferung des Kohlhaas, um denselben, falls ihn eine Schuld drücke, nach brandenburgischen Gesetzen auf
Klageartikel, die der Dresdner Hof deshalb durch einen Anwalt in Berlin anhängig machen könne, zu richten, sondern er begehrte
sogar selbst Pässe für einen Anwalt, den der Kurfürst nach Dresden zu schicken willens sei, um dem Kohlhaas wegen der
ihm auf sächsischem Grund und Boden abgenommenen Rappen und anderer himmelschreienden Misshandlungen und Gewalttaten
halber gegen den Junker Wenzel von Tronka Recht zu verschaffen.
Der Kämmerer, Herr Kunz, der bei der Veränderung der
Staatsämter in Sachsen zum Präsidenten der Staatskanzlei ernannt worden war und der aus mancherlei Gründen den
Berliner Hof in der Bedrängnis, in der er sich befand, nicht verletzen wollte, antwortete im Namen seines über die eingegangene
Note sehr niedergeschlagenen Herrn, dass man sich über die Unfreundschaftlichkeit und Unbilligkeit wundere, mit welcher man dem Hofe zu
Dresden das Recht abspreche, den Kohlhaas wegen Verbrechen, die er im Lande begangen, den Gesetzen gemäß zu richten, da
doch weltbekannt sei, dass derselbe ein beträchtliches Grundstück in der Hauptstadt besitze und sich selbst in der Qualität
als sächsischen Bürger gar nicht verleugne. Doch da die Krone Polen bereits zur Ausfechtung ihrer Ansprüche einen Heerhaufen
von fünftausend Mann an der Grenze von Sachsen zusammenzog und der Erzkanzler, Herr Heinrich von Geusau,
erklärte, dass
Kohlhaasenbrück, der Ort, nach welchem der Rosshändler heiße, im Brandenburgischen liege und dass man die Vollstreckung
des über ihn ausgesprochenen Todesurteils für eine Verletzung des Völkerrechts halten würde, so rief der Kurfürst
auf den Rat des Kämmerers, Herrn Kunz, selbst, der sich aus diesem Handel zurückzuziehen wünschte, den Prinzen Christiern
von Meißen von seinen Gütern herbei und entschloss sich auf wenige Worte dieses verständigen Herrn, den Kohlhaas, der
Forderung gemäß, an den Berliner Hof auszuliefern. Der Prinz, der, obschon mit den Unziemlichkeiten, die vorgefallen waren,
wenig zufrieden, die Leitung der Kohlhaasischen Sache auf den Wunsch seines bedrängten Herrn übernehmen musste, fragte ihn,
auf welchen Grund er nunmehr den Rosshändler bei dem Kammergericht zu Berlin verklagt wissen wolle; und da man sich auf den leidigen
Brief desselben an den Nagelschmidt wegen der zweideutigen und unklaren Umstände, unter welchen er geschrieben war, nicht berufen
konnte, der früheren Plünderungen und Einäscherungen aber wegen des Plakats, worin sie ihm vergeben worden waren, nicht
erwähnen durfte, so beschloss der Kurfürst, der Majestät des Kaisers zu Wien einen Bericht über den bewaffneten
Einfall des Kohlhaas in Sachsen vorzulegen, sich über den Bruch des von ihm eingesetzten öffentlichen Landfriedens zu beschweren
und sie, die allerdings durch keine Amnestie gebunden war, anzuliegen, den Kohlhaas bei dem Hofgericht zu Berlin deshalb durch einen
Reichsankläger zur Rechenschaft zu ziehen. Acht Tage darauf ward der Rosskamm durch den Ritter Friedrich von Malzahn, den der
Kurfürst von Brandenburg mit sechs Reitern nach Dresden geschickt hatte, geschlossen wie er war, auf einen Wagen geladen und
mit seinen fünf Kindern, die man auf seine Bitte aus Findel- und Waisenhäusern wieder zusammengesucht hatte, nach Berlin transportiert.
Es traf sich, dass der Kurfürst von Sachsen auf die Einladung des Landdrosts, Grafen Aloysius von Kallheim, der damals an der Grenze von
Sachsen beträchtliche Besitzungen hatte, in Gesellschaft des Kämmerers, Herrn Kunz, und seiner Gemahlin, der Dame Heloise, Tochter
des Landdrosts und Schwester des Präsidenten, andrer glänzenden Herren und Damen, Jagdjunker und Hofherren, die dabei waren,
nicht zu erwähnen, zu einem großen Hirschjagen, das man, um ihn zu erheitern, angestellt hatte, nach Dahme gereist war, dergestalt,
dass unter dem Dach bewimpelter Zelte, die quer über die Straße auf einem Hügel erbaut waren, die ganze Gesellschaft, vom
Staub der Jagd noch bedeckt, unter dem Schall einer heitern, vom Stamm einer Eiche herschallenden Musik, von Pagen bedient und Edelknaben,
an der Tafel saß, als der Rosshändler langsam mit seiner Reiterbedeckung die Straße von Dresden dahergezogen kam. Denn die
Erkrankung eines der kleinen, zarten Kinder des Kohlhaas hatte den Ritter von Malzahn, der ihn begleitete, genötigt, drei Tage lang in
Herzberg zurückzubleiben, von welcher Maßregel er dem Fürsten, dem er diente, deshalb allein verantwortlich, nicht nötig
befunden hatte, der Regierung zu Dresden weitere Kenntnis zu geben. Der Kurfürst, der mit halb offener Brust, den Federhut nach Art der
Jäger mit Tannenzweigen geschmückt, neben der Dame Heloise saß, die in Zeiten früherer Jugend seine erste Liebe
gewesen war, sagte, von der Anmut des Festes, das ihn umgaukelte, heiter gestimmt: »Lasset uns hingehen und dem Unglücklichen,
wer es auch sei, diesen Becher mit Wein reichen!« Die Dame Heloise, mit einem herzlichen Blick auf ihn, stand sogleich auf und füllte,
die ganze Tafel plündernd, ein silbernes Geschirr, das ihr ein Page reichte, mit Früchten, Kuchen und Brot an; und schon hatte mit
Erquickungen jeglicher Art die ganze Gesellschaft wimmelnd das Zelt verlassen, als der Landdrost ihnen mit einem verlegenen Gesicht
entgegenkam und sie bat zurückzubleiben. Auf die betretene Frage des Kurfürsten, was vorgefallen wäre, dass er so
bestürzt sei, antwortete der Landdrost stotternd gegen den Kämmerer gewandt, dass der Kohlhaas im Wagen sei, auf welche
jedermann unbegreifliche Nachricht, indem weltbekannt war, dass derselbe bereits vor sechs Tagen abgereist war, der Kämmerer,
Herr Kunz, seinen Becher mit Wein nahm und ihn mit einer Rückwendung gegen das Zelt in den Sand schüttete. Der Kurfürst
setzte, über und über rot, den seinigen auf einen Teller, den ihm ein Edelknabe auf den Wink des Kämmerers zu diesem
Zweck vorhielt; und während der Ritter Friedrich von Malzahn unter ehrfurchtsvoller Begrüßung der Gesellschaft, die er nicht
kannte, langsam durch die Zeltleinen, die über die Straße liefen, nach Dahme weiterzog, begaben sich die Herrschaften auf die
Einladung des Landdrosts, ohne weiter davon Notiz zu nehmen, ins Zelt zurück. Der Landdrost, sobald sich der Kurfürst
niedergelassen hatte, schickte unter der Hand nach Dahme, um bei dem Magistrat daselbst die unmittelbare Weiterschaffung des
Rosshändlers bewirken zu lassen; doch da der Ritter wegen bereits zu weit vorgerückter Tageszeit bestimmt in dem Ort
übernachten zu wollen erklärte, so musste man sich begnügen, ihn in einer dem Magistrat zugehörigen Meierei,
die, in Gebüschen versteckt, auf der Seite lag, geräuschlos unterzubringen.
Nun begab es sich, dass gegen Abend, da
die Herrschaften vom Wein und dem Genuss eines üppigen Nachtisches zerstreut,
den ganzen Vorfall wieder vergessen hatten, der Landdrost den Gedanken auf die Bahn brachte, sich noch einmal eines Rudels
Hirsche wegen, der sich hatte blicken lassen, auf den Anstand zu stellen, welchen Vorschlag die ganze Gesellschaft mit
Freuden ergriff und paarweise, nachdem sie sich mit Büchsen versorgt, über Gräben und Hecken in die nahe
Forst eilte, dergestalt, dass der Kurfürst und die Dame Heloise, die sich, um dem Schauspiel beizuwohnen, an seinen
Arm hing, von einem Boten, den man ihnen zugeordnet hatte, unmittelbar zu ihrem Erstaunen durch den Hof des Hauses geführt
wurden, in welchem Kohlhaas mit den brandenburgischen Reitern befindlich war. Die Dame, als sie dies hörte, sagte:
»Kommt, gnädigster Herr, kommt!«, und versteckte die Kette, die ihm vom Halse herabhing, schäkernd
in seinen seidenen Brustlatz: »Lasst uns, ehe der Tross nachkommt, in die Meierei schleichen und den wunderlichen
Mann, der darin übernachtet, betrachten!« Der Kurfürst, indem er errötend ihre Hand ergriff,
sagte: »Heloise! Was fällt Euch ein?« Doch da sie, indem sie ihn betreten ansah, versetzte, dass
ihn ja in der Jägertracht, die ihn decke, kein Mensch erkenne und ihn fortzog und in eben diesem Augenblick
ein paar Jagdjunker, die ihre Neugierde schon befriedigt hatten, aus dem Hause heraustraten, versichernd, dass in
der Tat, vermöge einer Veranstaltung, die der Landdrost getroffen, weder der Ritter noch der Rosshändler
wisse, welche Gesellschaft in der Gegend von Dahme versammelt sei, so drückte der Kurfürst sich den Hut
lächelnd in die Augen und sagte: »Torheit, du regierst die Welt und dein Sitz ist ein schöner
weiblicher Mund!« -
Es traf sich, dass Kohlhaas eben mit dem Rücken gegen die Wand auf einem Bund Stroh
saß und sein ihm in Herzberg erkranktes Kind mit Semmel und Milch fütterte, als die Herrschaften, um ihn
zu besuchen, in die Meierei traten; und da die Dame ihn, um ein Gespräch einzuleiten, fragte, wer er sei und
was dem Kinde fehle, auch was er verbrochen und wohin man ihn unter solcher Bedeckung abführe, so rückte
er seine lederne Mütze vor ihr und gab ihr auf alle diese Fragen, indem er sein Geschäft fortsetzte,
unreichliche, aber befriedigende Antwort. Der Kurfürst, der hinter den Jagdjunkern stand und eine kleine,
bleierne Kapsel, die ihm an einem seidenen Faden vom Halse herabhing, bemerkte, fragte ihn, da sich grade nichts
Besseres zur Unterhaltung darbot, was diese zu bedeuten hätte und was darin befindlich wäre. Kohlhaas
erwiderte: »Ja, gestrenger Herr, diese Kapsel!«, - und damit streifte er sie vom Nacken ab, öffnete
sie und nahm einen kleinen, mit Mundlack versiegelten Zettel heraus -, »mit dieser Kugel hat es eine wunderliche
Bewandtnis!
Sieben Monden mögen es etwa sein, genau am Tage nach dem Begräbnis
meiner Frau; und von Kohlhaasenbrück, wie Euch vielleicht bekannt sein wird, war ich aufgebrochen, um des Junkers von Tronka,
der mir viel Unrecht zugefügt, habhaft zu werden, als um einer Verhandlung willen, die mir unbekannt ist,
der Kurfürst von Sachsen und der Kurfürst von Brandenburg in Jüterbog, einem Marktflecken, durch
den der Streifzug mich führte, eine Zusammenkunft hielten; und da sie sich gegen Abend ihren Wünschen
gemäß vereinigt hatten, so gingen sie in freundschaftlichem Gespräch durch die Straßen der
Stadt, um den Jahrmarkt, der eben darin fröhlich abgehalten ward, in Augenschein zu nehmen. Da trafen sie
auf eine Zigeunerin, die, auf einem Schemel sitzend, dem Volk, das sie umringte, aus dem Kalender wahrsagte, und
fragten sie scherzhafterweise, ob sie ihnen nicht auch etwas, das ihnen lieb wäre, zu eröffnen
hätte. Ich, der mit meinem Haufen eben in einem Wirtshause abgestiegen und auf dem Platz, wo dieser Vorfall
sich zutrug, gegenwärtig war, konnte hinter allem Volk am Eingang einer Kirche, wo ich stand, nicht
vernehmen, was die wunderliche Frau den Herren sagte, dergestalt, dass, da die Leute lachend einander
zuflüsterten, sie teile nicht jedermann ihre Wissenschaft mit, und sich des Schauspiels wegen, das sich
bereitete, sehr bedrängten, ich, weniger neugierig in der Tat, als um den Neugierigen Platz zu machen, auf
eine Bank stieg, die hinter mir im Kircheneingange ausgehauen war.
Kaum hatte ich von diesem Standpunkt aus mit
völliger Freiheit der Aussicht die Herrschaften und das Weib, das auf dem Schemel vor ihnen saß und
etwas aufzukritzeln schien, erblickt, da steht sie plötzlich auf ihre Krücken gelehnt, indem sie sich
im Volk umsieht, auf, fasst mich, der nie ein Wort mit ihr wechselte, noch ihrer Wissenschaft Zeit seines Lebens
begehrte, ins Auge, drängt sich durch den ganzen dichten Auflauf der Menschen zu mir heran und spricht:
'Da! Wenn es der Herr wissen will, so mag er dich danach fragen.' Und damit, gestrenger Herr, reichte sie mir mit
ihren dürren knöchernen Händen diesen Zettel dar. Und da ich betreten, während sich alles
Volk zu mir umwendet, spreche: 'Mütterchen, was auch verehrst du mir da?', antwortete sie nach vielem
unvernehmlichen Zeug, worunter ich jedoch zu meinem großen Befremden meinen Namen höre: 'Ein Amulett,
Kohlhaas, der Rosshändler; verwahr es wohl, es wird dir dereinst das Leben retten!', und verschwindet.
Nun!«, fuhr Kohlhaas gutmütig fort, »die Wahrheit zu gestehen, hat's mir in Dresden, so scharf
es herging, das Leben nicht gekostet; und wie es mir in Berlin gehen wird und ob ich auch dort damit bestehen
werde, soll die Zukunft lehren.« -
Bei diesen Worten setzte sich der Kurfürst auf eine Bank; und
ob er schon auf die betretene Frage der Dame, was ihm fehle, antwortete: »Nichts, gar nichts!«,
so fiel er doch schon ohnmächtig auf den Boden nieder, ehe sie noch Zeit hatte, ihm beizuspringen und
in ihre Arme aufzunehmen. Der Ritter von Malzahn, der in eben diesem Augenblick eines Geschäfts halber
ins Zimmer trat, sprach: »Heiliger Gott! was fehlt dem Herrn?« Die Dame rief: »Schafft
Wasser her!« Die Jagdjunker hoben ihn auf und trugen ihn auf ein im Nebenzimmer befindliches Bett,
und die Bestürzung erreichte ihren Gipfel, als der Kämmerer, den ein Page herbeirief, nach
mehreren vergeblichen Bemühungen, ihn ins Leben zurückzubringen, erklärte, er gebe alle
Zeichen von sich, als ob ihn der Schlag gerührt! Der Landdrost, während der Mundschenk einen
reitenden Boten nach Luckau schickte, um einen Arzt herbeizuholen, ließ ihn, da er die Augen
aufschlug, in einen Wagen bringen und Schritt vor Schritt nach seinem in der Gegend befindlichen Jagdschloss
abführen; aber diese Reise zog ihm nach seiner Ankunft daselbst zwei neue Ohnmachten zu, dergestalt,
dass er sich erst spät am andern Morgen bei der Ankunft des Arztes aus Luckau unter gleichwohl entscheidenden
Symptomen eines herannahenden Nervenfiebers einigermaßen erholte.
Sobald er seiner Sinne mächtig
geworden war, richtete er sich halb im Bette auf, und seine erste Frage war gleich, wo der Kohlhaas sei.
Der Kämmerer, der seine Frage missverstand, sagte, indem er seine Hand ergriff, dass er sich dieses
entsetzlichen Menschen wegen beruhigen möchte, indem derselbe seiner Bestimmung gemäß nach
jenem sonderbaren und unbegreiflichen Vorfall in der Meierei zu Dahme unter brandenburgischer Bedeckung
zurückgeblieben wäre. Er fragte ihn unter der Versicherung seiner lebhaftesten Teilnahme und
der Beteurung, dass er seiner Frau wegen des unverantwortlichen Leichtsinns, ihn mit diesem Mann zusammenzubringen,
die bittersten Vorwürfe gemacht hätte, was ihn denn so wunderbar und ungeheuer in der Unterredung mit
demselben ergriffen hätte? Der Kurfürst sagte, er müsse ihm nur gestehen, dass der Anblick
eines nichtigen Zettels, den der Mann in einer bleiernen Kapsel mit sich führe, schuld an dem ganzen
unangenehmen Zufall sei, der ihm zugestoßen. Er setzte noch mancherlei zur Erklärung dieses Umstands,
das der Kämmerer nicht verstand, hinzu, versicherte ihn plötzlich, indem er seine Hand zwischen
die seinigen drückte, dass ihm der Besitz dieses Zettels von der äußersten Wichtigkeit
sei, und bat ihn, unverzüglich aufzusitzen, nach Dahme zu reiten und ihm den Zettel, um welchen Preis
es immer sei, von demselben zu erhandeln. Der Kämmerer, der Mühe hatte, seine Verlegenheit zu
verbergen, versicherte ihn, dass, falls dieser Zettel einigen Wert für ihn hätte, nichts auf
der Welt notwendiger wäre, als dem Kohlhaas diesen Umstand zu verschweigen, indem, sobald derselbe
durch eine unvorsichtige Äußerung Kenntnis davon nähme, alle Reichtümer, die er
besäße, nicht hinreichen würden, ihn aus den Händen dieses grimmigen, in seiner
Rachsucht unersättlichen Kerls zu erkaufen. Er fügte, um ihn zu beruhigen, hinzu, dass man
auf ein anderes Mittel denken müsse und dass es vielleicht durch List vermöge eines Dritten
ganz Unbefangenen, indem der Bösewicht wahrscheinlich an und für sich nicht sehr daran hänge,
möglich sein würde, sich den Besitz des Zettels, an dem ihm so viel gelegen sei, zu verschaffen.
Der Kurfürst, indem er sich den Schweiß abtrocknete, fragte, ob man nicht unmittelbar zu
diesem Zweck nach Dahme schicken und den weiteren Transport des Rosshändlers vorläufig,
bis man des Blattes, auf welche Weise es sei, habhaft geworden, einstellen könne. Der Kämmerer,
der seinen Sinnen nicht traute, versetzte, dass leider allen wahrscheinlichen Berechnungen zufolge der
Rosshändler Dahme bereits verlassen haben und sich jenseits der Grenze auf brandenburgischem Grund
und Boden befinden müsse, wo das Unternehmen, die Fortschaffung desselben zu hemmen oder wohl gar
rückgängig zu machen, die unangenehmsten und weitläufigsten, ja solche Schwierigkeiten,
die vielleicht gar nicht zu beseitigen wären, veranlassen würde. Er fragte ihn, da der
Kurfürst sich schweigend mit der Gebärde eines ganz Hoffnungslosen auf das Kissen zurücklegte,
was denn der Zettel enthalte und durch welchen Zufall befremdlicher und unerklärlicher Art ihm, dass der
Inhalt ihn betreffe, bekannt sei. Hierauf aber, unter zweideutigen Blicken auf den Kämmerer, dessen
Willfährigkeit er in diesem Falle misstraute, antwortete der Kurfürst nicht; starr, mit unruhig
klopfendem Herzen lag er da und sah auf die Spitze des Schnupftuches nieder, das er gedankenvoll zwischen
den Händen hielt, und bat ihn plötzlich, den Jagdjunker vom Stein, einen jungen, rüstigen
und gewandten Herrn, dessen er sich öfter schon zu geheimen Geschäften bedient hatte, unter dem
Vorwand, dass er ein anderweitiges Geschäft mit ihm abzumachen habe, ins Zimmer zu rufen.
Den Jagdjunker, nachdem er ihm die Sache auseinandergelegt und von der Wichtigkeit des Zettels, in dessen Besitz der Kohlhaas
war, unterrichtet hatte, fragte er, ob er sich ein ewiges Recht auf seine Freundschaft erwerben und ihm den
Zettel, noch ehe derselbe Berlin erreicht, verschaffen wolle. Und da der Junker, sobald er das Verhältnis
nur, sonderbar wie es war, einigermaßen überschaute, versicherte, dass er ihm mit allen seinen
Kräften zu Diensten stehe; so trug ihm der Kurfürst auf, dem Kohlhaas nachzureiten und ihm, da
demselben mit Geld wahrscheinlich nicht beizukommen sei, in einer mit Klugheit angeordneten Unterredung
Freiheit und Leben dafür anzubieten, ja ihm, wenn er darauf bestehe, unmittelbar, obschon mit Vorsicht,
zur Flucht aus den Händen der brandenburgischen Reiter, die ihn transportierten, mit Pferden, Leuten
und Geld an die Hand zu gehen.
Der Jagdjunker, nachdem er sich ein Blatt von der Hand des Kurfürsten
zur Beglaubigung ausgebeten, brach auch sogleich mit einigen Knechten auf und hatte, da er den Odem der
Pferde nicht sparte, das Glück, den Kohlhaas auf einem Grenzdorf zu treffen, wo derselbe mit dem
Ritter von Malzahn und seinen fünf Kindern ein Mittagsmahl, das im Freien vor der Tür eines
Hauses angerichtet war, zu sich nahm. Der Ritter von Malzahn, dem der Junker sich als einen Fremden,
der bei seiner Durchreise den seltsamen Mann, den er mit sich führe, in Augenschein zu nehmen
wünsche, vorstellte, nötigte ihn sogleich auf zuvorkommende Art, indem er ihn mit dem
Kohlhaas bekannt machte, an der Tafel nieder; und da der Ritter in Geschäften der Abreise ab-
und zuging, die Reiter aber an einem auf des Hauses anderer Seite befindlichen Tisch ihre Mahlzeit
hielten, so traf sich die Gelegenheit bald, wo der Junker dem Rosshändler eröffnen konnte,
wer er sei und in welchen besonderen Aufträgen er zu ihm komme. Der Rosshändler, der bereits
Rang und Namen dessen, der beim Anblick der in Rede stehenden Kapsel in der Meierei zu Dahme in Ohnmacht
gefallen war, kannte und der zur Krönung des Taumels, in welchen ihn diese Entdeckung versetzt
hatte, nichts bedurfte als Einsicht in die Geheimnisse des Zettels, den er, um mancherlei Gründe
willen entschlossen war, aus bloßer Neugierde nicht zu eröffnen, der Rosshändler sagte,
eingedenk der unedelmütigen und unfürstlichen Behandlung, die er in Dresden bei seiner
gänzlichen Bereitwilligkeit, alle nur möglichen Opfer zu bringen, hatte erfahren müssen,
dass er den Zettel behalten wolle. Auf die Frage des Jagdjunkers, was ihn zu dieser sonderbaren
Weigerung, da man ihm doch nichts Minderes als Freiheit und Leben dafür anbiete, veranlasse,
antwortete Kohlhaas: »Edler Herr! Wenn Euer Landesherr käme und spräche, ich will mich
mit dem ganzen Tross derer, die mir das Szepter führen helfen, vernichten - vernichten, versteht
Ihr, welches allerdings der größeste Wunsch ist, den meine
Seele hegt, so würde ich ihm doch den Zettel noch, der ihm mehr wert ist als das Dasein, verweigern und
sprechen: 'Du kannst mich auf das Schafott bringen, ich aber kann dir weh tun, und ich will's!'«
Und damit, im Antlitz den Tod, rief er einen Reiter herbei unter der Aufforderung, ein gutes Stück Essen,
das in der Schüssel übrig geblieben war, zu sich zu nehmen; und für den ganzen Rest der
Stunde, die er im Flecken zubrachte, für den Junker, der an der Tafel saß, wie nicht vorhanden,
wandte er sich erst wieder, als er den Wagen bestieg, mit einem Blick, der ihn abschiedlich grüßte,
zu ihm zurück. -