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[Vierter Teil]
Sprung zur Textstelle "Weil der Landesherr dir, dem du untertan bist, dein Recht verweigert hat ... Und muss ich dir sagen, Gottvergessener, dass deine Obrigkeit von deiner Sache nichts weiß - was sag ich, dass der Landesherr, gegen den du dich auflehnst, auch deinen Namen nicht kennt ..."
Diese Äußerungen haben zu der Annahme geführt, dass Luther über die tatsächlichen Vorkommnisse nicht unterrichtet sei, also von der Abweisung von Kohlhaasens Bittschrift durch den brandenburgischen Kurfürsten nichts wisse. Das ist jedoch ein Fehlschluss. Luther spricht von der Obrigkeit, gegen die Kohlhaas sich auflehnt, d.h. vom sächsischen Kurfürsten, und befindet sich so allenfalls im Irrtum darüber, dass Kohlhaas nicht sächsischer, sondern brandenburgischer Untertan ist. Viel näher liegt jedoch, dass Kleist selbst dies hier nicht unterscheidet, denn auch Kohlhaas reagiert auf Luthers Vorhaltungen so, als sei er sächsischer Untertan, erklärt er doch diesem bei seinem Besuch sofort:
Sprung zur Textstelle Ihr habt mir in Eurem Plakat gesagt, dass meine Obrigkeit von meiner Sache nichts weiß; wohlan, verschafft mir freies Geleit, so gehe ich nach Dresden ...
Auch in dem gesamten nachfolgenden Gespräch versteht sich Kohlhaas als sächsischer Untertan, insbesondere mit der Äußerung:
Sprung zur Textstelle "Wohlan", versetzte Kohlhaas, "wenn mich der Landesherr nicht verstößt, so kehre ich auch wieder in die Gemeinschaft, die er beschirmt, zurück. Verschafft mir, ich wiederhol es, freies Geleit nach Dresden ..."
Kleist war an einer rechtsgenauen Unterscheidung der Obrigkeiten hier also nicht interessiert, bzw. Luther wie Kohlhaas kommen darin überein, dass für Kohlhaas beide Kurfürsten 'Obrigkeit' sind. Am Ende des Gespräches sagt dieser ausdrücklich:
Sprung zur Textstelle "Lasst mich den Kurfürsten, meinen beiden Herren, ... und wer mich sonst in dieser Sache gekränkt haben mag, vergeben ..."
Luthers Schreiben an den sächsischen Kurfürsten argumentiert dann allerdings gerade umgekehrt, dass man nämlich Kohlhaas
Sprung zur Textstelle mehr als eine fremde, in das Land gefallene Macht, wozu er sich auch, da er ein Ausländer sei, gewissermaßen qualifiziere, als einen Rebellen, der sich gegen den Thron auflehne, betrachten müsse.
Ob dieses Argument, das sich am Ende in dem Eingreifen des brandenburgischen Kurfürsten zugunsten von Kohlhaas wieder aufgenommen findet, für Luther als klugen Juristen sprechen soll, wird unter GESTALTUNG erörtert.
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Sprung zur Textstelle ... dass bei so ärgerlichen Umständen nichts anderes zu tun übrig sei, als ... ihm des Vorgefallenen wegen zur Erneuerung seines Prozesses Amnestie zu erteilen.
Amnestie = Straferlass, in diesem Falle allerdings nur, wie auch vom sächsischen Kurfürsten ausgesprochen, zum Zweck eines Gerichtsverfahrens und nicht unabhängig von dessen Ausgang.
Sprung zur Textstelle Der Kurfürst erhielt diesen Brief eben, als der Prinz Christiern von Meißen ... und die beiden Herren Hinz und Kunz von Tronka ... in dem Schlosse gegenwärtig waren.
Kurfürst = Der sächsische Kurfürst zur Zeit der Kohlhaas-Handlung war Johann Friedrich der Großmütige (1503-1554), regierend seit 1532. Es ist allerdings nicht anzunehmen, dass Kleist an seine historische Porträtierung gedacht hat. Das scheidet schon deshalb aus, weil dieser Kurfürst aus dem Hause Sachsen-Coburg hauptsächlich in Coburg residierte und daneben noch Torgau als Regierungsplatz ausbauen ließ, jedoch nichts mit Dresden zu tun hatte. Allerdings war Johann Friedrich ein großer Verehrer Luthers.