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[Vierter Teil]
Sprung zur Textstelle Kohlhaas antwortete: "Kann sein!", indem er ans Fenster trat, "kann sein auch nicht! ..."
In dieser Äußerung spricht sich ein nahezu unglaublicher Rechtsfanatismus aus. Wenn man bedenkt, was Kohlhaas an Opfern seiner beiden Pferde wegen in Kauf genommen hat, sollte man nicht für möglich halten, dass er sich für seinen Protestweg ein zweites Mal entscheiden würde. Was ihm fehlt, von Kleist aber ersichtlich unbeanstandet bleibt, das ist die Fähigkeit, ein Unrecht zugunsten anderer Güter auf sich beruhen zu lassen. Sicherlich hängt von Menschen wie ihm zuletzt der Rechtsfortschritt ab, aber ein Abwägen gegen den Preis, den dieser Fortschritt hat, sollte vernünftigerweise noch stattfinden. Keine Gesellschaft muss es mit dem Recht so eilig haben, dass auf dem Wege seiner Durchsetzung nur Trümmer zurückbleiben.
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Sprung zur Textstelle Der Kurfürst erhielt diesen Brief eben, als der Prinz Christiern von Meißen, ... der Großkanzler des Tribunals, Graf Wrede, Graf Kallheim, Präsident der Staatskanzlei, und die beiden Herren Hinz und Kunz von Tronka, dieser Kämmerer, jener Mundschenk, ... gegenwärtig waren.
Die Standpunkte Luthers und der kurfürstlichen Berater geben das gesamte Spektrum der Möglichkeiten wieder, das es im Umgang mit Kohlhaas gibt. Wegen der gedrängten Darlegung ist es sinnvoll, sich diese Standpunkte in eigenen Worten zu verdeutlichen oder als Aufgabe im Unterricht verdeutlichen zu lassen.
Luther argumentiert staatsrechtlich. Ein prozessualer Ausgleich mit Kohlhaas sei für den Kurfürsten deshalb kein Verzicht auf seine Souveränität, weil man diesen als brandenburgischen und nicht als sächsischen Untertanen anzusehen habe. Kohlhaas könne folglich wie ein ausländischer Feind behandelt werden, mit dem man nach einem Waffenstillstand Friedensverhandlungen führe.
Da Luther Kohlhaas zuvor umgekehrt als sächsischen Untertanen in Anspruch genommen hat, stellt sich die Frage, ob er uns hier als ein brillanter Jurist dargestellt werden soll, der dem sächsischen Kurfürsten den entscheidenden Hinweis gibt, wie er ohne Autoritätsverlust aus dem Konflikt herauskommen kann. Ausschließen lässt sich das nicht, leidet allerdings daran, dass sich diese taktische Meisterleistung in der Novelle mit keinem Wort gewürdigt findet. So muss man eher wohl annehmen, dass Kleist den Ausländer-Status von Kohlhaas hier als Argument selbst erst entdeckt und ohne Rücksicht auf Luthers vorherige Position umstandslos eingeführt hat. Andernfalls müsste ja sogar der Kurfürst, der Luthers öffentliche Abmahnung gegen Kohlhaas kennen sollte, den Widerspruch zwischen seinem früheren und seinem jetzigen Standpunkt bemerken.
Kunz, der Kämmerer, argumentiert mit dem gefährdeten Ansehen des Kurfürsten, wenn er Kohlhaas als Kriegsgegner anerkennte. Kohlhaas hätte niemals die Waffen wegen dieser Pferdesache ergreifen dürfen, es würde einen dauernden Makel für den Kurfürsten bedeuten, wenn er mit ihm verhandle. Dann sei es sogar besser, die Forderung von Kohlhaas nach Rückgabe und Dickfütterung der Rappen ohne Umstände zu erfüllen, auch wenn sie nach wie vor nicht rechtens sei.
Wrede, der Großkanzler, spottet zunächst über die Besorgnis des Kämmerers um den Ruf des Kurfürsten, um welchen er sich besser schon bei der ersten Klage von Kohlhaas gesorgt hätte. Er gibt damit zu verstehen, dass der Kämmerer das Verhandeln mit Kohlhaas nur ablehnt, weil dann seine Verhinderung des Prozesses gegen die Tronkas zur Sprache kommen würde. Darüber hinaus argumentiert er mit der Macht und dem Zulauf, den Kohlhaas hat. Der kriegsähnliche Zustand könne nur noch durch ein 'schlichtes Rechttun' beendet werden. Der Kurfürst müsse das Unrecht gegen Kohlhaas beseitigen und so deutlich machen, dass er nicht daran beteiligt war.
Prinz Christiern von Meißen argumentiert mit den Brandstiftungen und Morden von Kohlhaas, die längst die Möglichkeit, ihm zu seinem Recht zu verhelfen, ausschlössen. Die 'Ordnung des Staats' sei nur wieder herzustellen, wenn man einen Kriegszug gegen ihn organisiere und ihn vernichte. Die Zustimmung des Kämmerers zu seinem Vorschlag weist er allerdings zurück. Ein solcher Feldzug würde einschließen, dass diejenigen zur Rechenschaft gezogen werden würden, die den Staat in diese Lage gebracht hätten. Die Niederschlagung des von Kohlhaas in Dresden angestrengten Prozesses müsse als auslösendes Vergehen auf das Strengste bestraft werden.
Graf Kallheim weist darauf hin, dass nicht nur die Herren Hinz und Kunz den jetzigen Zustand herbeigeführt hätten, sondern auch die Anführer der leichtfertigen Feldzüge, die man gegen Kohlhaas unternommen habe. Würde man die Verursacher der jetzigen Situation zur Rechenschaft ziehen wollen, müssten weitere hohe Beamte angeklagt werden (oder gar der Kurfürst selbst? - das spricht der Graf nicht aus), also komme man so aus der Geschichte nicht heraus.
Hinz, der Mundschenk, empfiehlt, Kohlhaas zwar in der Sache seiner Rappen freies Geleit nach Dresden zuzusichern, ihn aber wegen des Landfriedensbruches dort festzusetzen und ihm den Prozess zu machen. Der Prinz von Meißen und der Großkanzler Wrede werfen sich wegen dieser Täuschungsabsicht einen Blick zu, der den Kurfürsten davon abhält, den Vorschlag aufzunehmen. Aber auch eine gewaltsame Lösung zieht dieser nicht Erwägung. Die Notwendigkeit, seine Freunde Hinz und Kunz dann wegen der Prozess-Unterdrückung unter Anklage stellen zu müssen,
Sprung zur Textstelle hatte seinem für Freundschaft sehr empfänglichen Herzen die Lust benommen, den Heereszug gegen den Kohlhaas ... auszuführen,
wie es ironisch heißt. In Absprache mit Wrede, dem Großkanzler, wird vielmehr Kohlhaas,
Sprung zur Textstelle dem Rosshändler aus dem Brandenburgischen, unter der Bedingung, binnen drei Tagen nach Sicht die Waffen ... niederzulegen, behufs einer erneuerten Untersuchung seiner Sache freies Geleit nach Dresden
zugesichert. Damit folgt der Kurfürst im Prinzip dem Vorschlag Luthers, Kohlhaas als Ausländer anzusehen, dem zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen den Junker von Tronka eine bedingte Straffreiheit wegen seiner Fehdehandlungen gewährt wird.