
Damit ging Innstetten und ließ seine junge Frau allein.
Diese saß etwas zurückgelehnt in einem lauschigen
Winkel am Fenster und stützte sich, während sie hinaussah,
mit ihrem linken Arm auf ein kleines Seitenbrett, das aus dem
Zylinderbüro herausgezogen war. Die Straße war die
Hauptverkehrsstraße nach dem Strande hin, weshalb denn auch
in Sommerzeit ein reges Leben hier herrschte, jetzt aber, um Mitte
November, war alles leer und still, und nur ein paar arme Kinder,
deren Eltern in etlichen ganz am äußersten Rande der
»Plantage« gelegenen Strohdachhäusern wohnten,
klappten in ihren Holzpantinen an dem Innstetten'schen Hause vorüber.
Effi empfand aber nichts von dieser Einsamkeit, denn ihre Phantasie
war noch immer bei den wunderlichen Dingen, die sie kurz vorher
während ihrer Umschau haltenden Musterung im Hause gesehen
hatte. Diese Musterung hatte mit der Küche begonnen, deren
Herd eine moderne Konstruktion aufwies, während an der Decke
hin, und zwar bis in die Mädchenstube hinein, ein elektrischer
Draht lief - beides vor kurzem erst hergerichtet. Effi war erfreut
gewesen, als ihr Innstetten davon erzählt hatte, dann aber
waren sie von der Küche wieder in den Flur zurück- und
von diesem in den Hof hinausgetreten, der in seiner ersten Hälfte
nicht viel mehr als ein zwischen zwei Seitenflügeln hinlaufender
ziemlich schmaler Gang war. In diesen Flügeln war alles untergebracht,
was sonst noch zu Haushalt und Wirtschaftsführung gehörte,
rechts Mädchenstube, Bedientenstube, Rollkammer, links eine
zwischen Pferdestall und Wagenremise gelegene, von der Familie
Kruse bewohnte Kutscherwohnung. Über dieser in einem Verschlage
waren die Hühner einlogiert und eine Dachklappe über
dem Pferdestall bildete den Aus- und Einschlupf für die Tauben.
All dies hatte sich Effi mit vielem Interesse angesehen, aber
dies Interesse sah sich doch weit überholt, als sie nach
ihrer Rückkehr vom Hof ins Vorderhaus unter Innstettens
Führung die nach oben führende Treppe hinaufgestiegen
war. Diese war schief, baufällig, dunkel; der Flur dagegen,
auf den sie mündete, wirkte beinah heiter, weil er viel Licht
und einen guten landschaftlichen Ausblick hatte: nach der einen
Seite hin über die Dächer des Stadtrandes und die »Plantage«
fort auf eine hoch auf einer Düne stehende holländische
Windmühle, nach der anderen Seite hin auf die Kessine, die
hier unmittelbar vor ihrer Einmündung ziemlich breit war
und einen stattlichen Eindruck machte. Diesem Eindruck konnte
man sich unmöglich entziehen, und Effi hatte denn auch nicht
gesäumt, ihrer Freude lebhaften Ausdruck zu geben. »Ja,
sehr schön, sehr malerisch«, hatte Innstetten, ohne
weiter darauf einzugehen, geantwortet und dann eine mit ihren
Flügeln etwas schief hängende Doppeltür geöffnet,
die nach rechts hin in den sogenannten Saal führte. Dieser
lief durch die ganze Etage; Vorder- und Hinterfenster standen
auf, und die mehr erwähnten langen Gardinen bewegten sich
in dem starken Luftzuge hin und her. In der Mitte der einen Längswand
sprang ein Kamin vor mit einer großen Steinplatte, während
an der Wand gegenüber ein paar blecherne Leuchter hingen,
jeder mit zwei Lichtöffnungen ganz so wie unten im Flur,
aber alles stumpf und ungepflegt. Effi war einigermaßen
enttäuscht, sprach es auch aus und erklärte, statt des
öden und ärmlichen Saals doch lieber die Zimmer an der
gegenübergelegenen Flurseite sehen zu wollen. »Da ist
nun eigentlich vollends nichts«, hatte Innstetten geantwortet,
aber doch die Türen geöffnet. Es befanden sich hier
vier einfenstrige Zimmer, alle gelb getüncht, gerade wie
der Saal, und ebenfalls ganz leer. Nur in einem standen drei Binsenstühle,
die durchgesessen waren, und an die Lehne des einen war ein kleines,
nur einen halber Finger langes Bildchen geklebt, das einen Chinesen
darstellte, blauer Rock mit gelben Pluderhosen und einen flachen
Hut auf dem Kopf. Effi sah es und sagte: »Was soll der Chinese?«
Innstetten selber schien von dem Bildchen überrascht und
versicherte, dass er es nicht wisse. »Das hat Christel
angeklebt oder Johanna. Spielerei. Du kannst sehen, es ist aus
einer Fibel herausgeschnitten.« Effi fand es auch und war
nur verwundert, dass Innstetten alles so ernsthaft nahm,
als ob es doch etwas sei. Dann hatte sie noch einmal einen Blick
in den Saal getan und sich dabei dahin geäußert, wie
es doch eigentlich schade sei, dass das alles leer stehe.
»Wir haben unten ja nur drei Zimmer, und wenn uns wer besucht,
so wissen wir nicht aus noch ein. Meinst du nicht, dass man
aus dem Saal zwei hübsche Fremdenzimmer machen könnte?
Das wäre so was für die Mama; nach hinten heraus könnte
sie schlafen und hätte den Blick auf den Fluss und die
beiden Molen, und vorn hätte sie die Stadt und die holländische
Windmühle. In Hohen-Cremmen haben wir noch immer bloß
eine Bockmühle. Nun sage, was meinst du dazu? Nächsten
Mai wird doch die Mama wohl kommen.«