
Der Silvesterball hatte bis an den frühen Morgen gedauert,
und Effi war ausgiebig bewundert worden, freilich nicht ganz so
anstandslos wie das Kamelienbukett, von dem man wusste, dass
es aus dem Gieshübler'schen Treibhause kam. Im Übrigen
blieb auch nach dem Silvesterball alles beim Alten, kaum dass
Versuche gesellschaftlicher Annäherung gemacht worden wären,
und so kam es denn, dass der Winter als recht lange dauernd
empfunden wurde. Besuche seitens der benachbarten Adelsfamilien
fanden nur selten statt, und dem pflichtschuldigen Gegenbesuche
ging in einem halben Trauerton jedes Mal die Bemerkung voraus:
»Ja, Geert, wenn es durchaus sein muss, aber ich vergehe
vor Langeweile.« Worte, denen Innstetten nur immer zustimmte.
Was an solchen Besuchsnachmittagen über Familie, Kinder,
auch Landwirtschaft gesagt wurde, mochte gehen; wenn dann aber
die kirchlichen Fragen an die Reihe kamen und die mitanwesenden
Pastoren wie kleine Päpste behandelt wurden oder sich auch
wohl selbst als solche ansahen, dann riss Effi der Faden
der Geduld, und sie dachte mit Wehmut an Niemeyer, der immer zurückhaltend
und anspruchslos war, trotzdem es bei jeder größeren
Feierlichkeit hieß, er habe das Zeug, an den »Dom«
berufen zu werden. Mit den Borckes, den Flemmings, den Grasenabbs,
so freundlich die Familien, von Sidonie Grasenabb abgesehen, gesinnt
waren - es wollte mit allen nicht so recht gehen, und es hätte
mit Freude, Zerstreuung und auch nur leidlichem Sich-behaglich-Fühlen
manchmal recht schlimm gestanden, wenn Gieshübler nicht gewesen
wäre. Der sorgte für Effi wie eine kleine Vorsehung,
und sie wusste es ihm auch Dank. Natürlich war er neben
allem anderen auch ein eifriger und aufmerksamer Zeitungsleser,
ganz zu geschweigen, dass er an der Spitze des Journalzirkels
stand, und so verging denn fast kein Tag, wo nicht Mirambo ein
großes, weißes Kuvert gebracht hätte mit allerhand
Blättern und Zeitungen, in denen die betreffenden Stellen
angestrichen waren, meist eine kleine, feine Bleistiftlinie, mitunter
aber auch dick mit Blaustift und ein Ausrufungs- oder Fragezeichen
daneben. Und dabei ließ er es nicht bewenden; er schickte
auch Feigen und Datteln, Schokoladentafeln in Satineepapier und
ein rotes Bändchen drum, und wenn etwas besonders Schönes
in seinem Treibhaus blühte, so brachte er es selbst und hatte
dann eine glückliche Plauderstunde mit der ihm so sympathischen
jungen Frau, für die er alle schönen Liebesgefühle
durch- und nebeneinander hatte, die des Vaters und Onkels, des
Lehrers und Verehrers. Effi war gerührt von dem allen und
schrieb öfters darüber nach Hohen-Cremmen, so dass
die Mama sie mit ihrer »Liebe zum Alchymisten« zu necken
begann; aber diese wohlgemeinten Neckereien verfehlten ihren Zweck,
ja berührten sie beinahe schmerzlich, weil ihr, wenn auch
unklar, dabei zum Bewusstsein kam, was ihr in ihrer Ehe eigentlich
fehlte: Huldigungen, Anregungen, kleine Aufmerksamkeiten. Innstetten
war lieb und gut, aber ein Liebhaber war er nicht. Er hatte das
Gefühl Effi zu lieben, und das gute Gewissen, dass
es so sei, ließ ihn von besonderen Anstrengungen absehen.
Es war fast zur Regel geworden, dass er sich, wenn Friedrich
die Lampe brachte, aus seiner Frau Zimmer in sein eigenes zurückzog.
»Ich habe da noch eine verzwickte Geschichte zu erledigen.«
Und damit ging er. Die Portiere blieb freilich zurückgeschlagen,
so dass Effi das Blättern in dem Aktenstück oder
das Kritzeln seiner Feder hören konnte, aber das war auch
alles. Rollo kam dann wohl und legte sich vor sie hin auf den
Kaminteppich, als ob er sagen wolle: »Muss nur mal wieder
nach dir sehen; ein anderer tut's doch nicht.« Und dann beugte
sie sich nieder und sagte leise: »Ja, Rollo, wir sind allein.«
Um neun erschien dann Innstetten wieder zum Tee, meist die Zeitung
in der Hand, sprach vom Fürsten, der wieder viel Ärger
habe, zumal über diesen Eugen Richter, dessen Haltung und
Sprache ganz unqualifizierbar seien, und ging dann die Ernennungen
und Ordensverleihungen durch, von denen er die meisten beanstandete.
Zuletzt sprach er von den Wahlen, und dass es ein Glück
sei, einem Kreis vorzustehen, in dem es noch Respekt gäbe.
War er damit durch, so bat er Effi, dass sie was spiele,
aus Lohengrin oder aus der Walküre, denn er war ein Wagner-Schwärmer.
Was ihn zu diesem hinübergeführt hatte, war ungewiss;
einige sagten seine Nerven, denn so nüchtern er schien,
eigentlich war er nervös; andere schoben es auf Wagners Stellung
zur Judenfrage. Wahrscheinlich hatten beide Recht. Um zehn war
Innstetten dann abgespannt und erging sich in ein paar wohlgemeinten,
aber etwas müden Zärtlichkeiten, die sich Effi gefallen
ließ, ohne sie recht zu erwidern.