
Inzwischen war es Abend geworden und die Lampe brannte schon.
Effi stellte sich ans Fenster ihres Zimmers und sah auf das Wäldchen
hinaus, auf dessen Zweigen der glitzernde Schnee lag. Sie war
von dem Bilde ganz in Anspruch genommen und kümmerte sich
nicht um das, was hinter ihr in dem Zimmer vorging. Als sie sich
wieder umsah, bemerkte sie, dass Friedrich still und geräuschlos
ein Kuvert gelegt und ein Kabarett auf den Sofatisch gestellt
hatte. »Ja so, Abendbrot ... Da werd ich mich nun wohl setzen
müssen.« Aber es wollte nicht schmecken, und so stand
sie wieder auf und las den an die Mama geschriebenen Brief noch
einmal durch. Hatte sie schon vorher ein Gefühl der Einsamkeit
gehabt, so jetzt doppelt. Was hätte sie darum gegeben, wenn
die beiden Jahnke'schen Rotköpfe jetzt eingetreten wären
oder selbst Hulda. Die war freilich immer so sentimental und beschäftigte
sich meist nur mit ihren Triumphen; aber so zweifelhaft und anfechtbar
diese Triumphe waren, sie hätte sich in diesem Augenblicke
doch gern davon erzählen lassen. Schließlich klappte
sie den Flügel auf, um zu spielen; aber es ging nicht. »Nein,
dabei werd ich vollends melancholisch; lieber lesen.« Und
so suchte sie nach einem Buche. Das erste, was ihr zu Händen
kam, war ein dickes, rotes Reisehandbuch, alter Jahrgang, vielleicht
schon aus Innstettens Leutnantstagen her. »Ja, darin will
ich lesen; es gibt nichts Beruhigenderes als solche Bücher.
Das Gefährliche sind bloß immer die Karten; aber vor
diesem Augenpulver, das ich hasse, werd ich mich schon hüten.«
Und so schlug sie denn auf gut Glück auf, Seite 153. Nebenan
hörte sie das Ticktack der Uhr und draußen Rollo, der,
seit es dunkel war, seinen Platz in der Remise aufgegeben und
sich wie jeden Abend so auch heute wieder auf die große
geflochtene Matte, die vor dem Schlafzimmer lag, ausgestreckt
hatte. Das Bewusstsein seiner Nähe minderte das Gefühl
ihrer Verlassenheit, ja, sie kam fast in Stimmung, und so begann
sie denn auch unverzüglich zu lesen. Auf der gerade vor ihr
aufgeschlagenen Seite war von der »Eremitage«, dem bekannten
markgräflichen Lustschloss in der Nähe von Bayreuth,
die Rede; das lockte sie, Bayreuth, Richard Wagner, und so las
sie denn: »Unter den Bildern in der Eremitage nennen wir noch eins,
das nicht durch seine Schönheit, wohl aber durch sein Alter
und durch die Person, die es darstellt, ein Interesse beansprucht.
Es ist dies ein stark nachgedunkeltes Frauenporträt, kleiner
Kopf, mit herben, etwas unheimlichen Gesichtszügen und einer
Halskrause, die den Kopf zu tragen scheint. Einige meinen, es
sei eine alte Markgräfin aus dem Ende des fünfzehnten
Jahrhunderts, andere sind der Ansicht, es sei die Gräfin
von Orlamünde; darin aber sind beide einig, dass es
das Bildnis der Dame sei, die seither in der Geschichte der Hohenzollern
unter dem Namen der »Weißen Frau« eine gewisse
Berühmtheit erlangt hat.«