
Effi war unzufrieden mit sich und freute sich, daß es nunmehr
feststand, diese gemeinschaftlichen Ausflüge für die
ganze Winterdauer auf sich beruhen zu lassen. Überlegte sie,
was während all' dieser Wochen und Tage gesprochen, berührt
und angedeutet war, so fand sie nichts, um dessentwillen sie sich
direkte Vorwürfe zu machen gehabt hätte. Crampas war
ein kluger Mann, welterfahren, humoristisch, frei, frei auch im
guten, und es wäre kleinlich und kümmerlich gewesen,
wenn sie sich ihm gegenüber aufgesteift und jeden Augenblick
die Regeln strengen Anstandes befolgt hätte. Nein, sie konnte
sich nicht tadeln, auf seinen Ton eingegangen zu sein, und doch
hatte sie ganz leise das Gefühl einer überstandenen
Gefahr und beglückwünschte sich, daß das alles
nun mutmaßlich hinter ihr läge. Denn an ein häufigeres
Sichsehen en famille war nicht wohl zu denken, das war durch die
Crampas'schen Hauszustände so gut wie ausgeschlossen, und
Begegnungen bei den benachbarten adligen Familien, die freilich
für den Winter in Sicht standen, konnten immer nur sehr vereinzelt
und sehr flüchtige sein. Effi rechnete sich dies alles mit
wachsender Befriedigung heraus und fand schließlich, daß
ihr der Verzicht auf das, was sie dem Verkehr mit dem Major verdankte,
nicht allzu schwer ankommen würde. Dazu kam noch, daß
Innstetten ihr mitteilte, seine Fahrten nach Varzin würden
in diesem Jahre fortfallen: der Fürst gehe nach Friedrichsruh,
das ihm immer lieber zu werden scheine; nach der einen Seite hin
bedauere er das, nach der anderen sei es ihm lieb - er könne
sich nun ganz seinem Hause widmen, und wenn es ihr recht wäre,
so wollten sie die italienische Reise, an der Hand seiner Aufzeichnungen,
noch einmal durchmachen. Eine solche Rekapitulation sei eigentlich
die Hauptsache, dadurch mache man sich alles erst dauernd zu eigen,
und selbst Dinge, die man nur flüchtig gesehen und von denen
man kaum wisse, daß man sie in seiner Seele beherberge,
kämen einem durch solche nachträglichen Studien erst
voll zu Bewußtsein und Besitz. Er führte das noch weiter
aus und fügte hinzu, daß ihn Gieshübler, der den
ganzen »italienischen Stiefel« bis Palermo kenne, gebeten
habe, mit dabei sein zu dürfen. Effi, der ein ganz gewöhnlicher
Plauderabend ohne den »italienischen Stiefel« (es sollten
sogar Photographien herumgereicht werden) viel, viel lieber gewesen
wäre, antwortete mit einer gewissen Gezwungenheit; Innstetten
indessen, ganz erfüllt von seinem Plane, merkte nichts und
fuhr fort: »Natürlich ist nicht bloß Gieshübler
zugegen, auch Roswitha und Annie müssen dabei sein, und wenn
ich mir dann denke, daß wir den Canal grande hinauf fahren
und hören dabei ganz in der Ferne die Gondoliere singen,
während drei Schritt von uns Roswitha sich über Annie
beugt und 'Buhküken von Halberstadt' oder so 'was Ähnliches
zum besten giebt, so können das schöne Winterabende werden,
und Du sitzest dabei und strickst mir eine große Winterkappe.
Was meinst Du dazu, Effi?«