
So verging eine Woche, plauderhaft und beinahe gemütlich,
weil Effi dem, was ihr persönlich bevorstand, ungeängstigter
als früher entgegen sah. Auch glaubte sie nicht, daß
es so nahe sei. Den neunten Tag aber war es mit dem Plaudern und
den Gemütlichkeiten vorbei; da gab es ein Laufen und Rennen,
Innstetten selbst kam ganz aus seiner gewohnten Reserve heraus,
und am Morgen des 3. Juli stand neben Effi's Bett eine Wiege. Doktor
Hannemann patschelte der jungen Frau die Hand und sagte: »Wir
haben heute den Tag von Königgrätz; schade, daß
es ein Mädchen ist. Aber das andere kann ja nachkommen, und
die Preußen haben viele Siegestage.« Roswitha mochte
wohl Ähnliches denken, freute sich indessen vorläufig
ganz uneingeschränkt über das, was da war, und nannte
das Kind ohne weiteres »Lütt-Annie«, was der jungen
Mutter als ein Zeichen galt. »Es müsse doch wohl eine Eingebung
gewesen sein, daß Roswitha gerade auf diesen Namen gekommen
sei.« Selbst Innstetten wußte nichts dagegen zu sagen, und
so wurde schon von Klein-Annie gesprochen, lange bevor der Tauftag da
war. Effi, die von Mitte August an bei den Eltern in Hohen-Cremmen
sein wollte, hätte die Taufe gern bis dahin verschoben. Aber
es ließ sich nichts thun; Innstetten konnte nicht Urlaub
nehmen, und so wurde denn der 15. August, trotzdem es der Napoleonstag
war (was denn auch von seiten einiger Familien beanstandet wurde),
für diesen Taufakt festgesetzt, natürlich in der Kirche.
Das sich anschließende Festmahl, weil das landrätliche
Haus keinen Saal hatte, fand in dem großen Ressourcen-Hotel
am Bollwerk statt, und der gesamte Nachbaradel war geladen und
auch erschienen. Pastor Lindequist ließ Mutter und Kind
in einem liebenswürdigen und allseitig bewunderten Toaste
leben, bei welcher Gelegenheit Sidonie v. Grasenabb zu ihrem
Nachbar, einem adligen Assessor von der strengen Richtung, bemerkte:
»Ja, seine Kasualreden, das geht. Aber seine Predigten kann
er vor Gott und Menschen nicht verantworten; er ist ein Halber,
einer von denen, die verworfen sind, weil sie lau sind. Ich mag
das Bibelwort hier nicht wörtlich zitieren.« Gleich
danach nahm auch der alte Herr v. Borcke das Wort, um Innstetten
leben zu lassen. »Meine Herrschaften, es sind schwere Zeiten,
in denen wir leben, Auflehnung, Trotz, Indisziplin, wohin wir blicken.
Aber solange wir noch Männer haben, und ich darf hinzusetzen,
Frauen und Mütter (und hier verbeugte er sich mit einer eleganten
Handbewegung gegen Effi) ... solange wir noch Männer haben
wie Baron Innstetten, den ich stolz bin meinen Freund nennen
zu dürfen, so lange geht es noch, so lange hält unser
altes Preußen noch. Ja, meine Freunde, Pommern und Brandenburg,
damit zwingen wir's und zertreten dem Drachen der Revolution das
giftige Haupt. Fest und treu, so siegen wir. Die Katholiken, unsere
Brüder, die wir, auch wenn wir sie bekämpfen, achten
müssen, haben den Felsen Petri, wir aber haben den Rocher
de Bronze. Baron Innstetten, er lebe hoch!« Innstetten dankte
ganz kurz. Effi sagte zu dem neben ihr sitzenden Major v. Crampas,
das mit dem 'Felsen Petri' sei wahrscheinlich eine Huldigung
gegen Roswitha gewesen; sie werde nachher an den alten Justizrat
Gadebusch herantreten und ihn fragen, ob er nicht ihrer Meinung
sei. Crampas nahm diese Bemerkung unerklärlicherweise für
Ernst und riet von einer Anfrage bei dem Justizrat ab, was Effi
ungemein erheiterte. »Ich habe Sie doch für einen besseren
Seelenleser gehalten.«